Vorrede
Inhaltsverzeichnis 1.
Es gibt Leute, welche die Wahrheit aus dem Hause schicken, die Lüge aber hereinrufen und endlose Stammtafeln erdenken, die mehr Klügeleien fördern, wie der Apostel sagt, als göttliche Erbauung im Glauben. Durch Scheingründe, die sie geschickt zusammenstellen, verführen sie die Halbgebildeten und nehmen sie gefangen, indem sie des Herrn Worte fälschen und schlechte Deuter seiner guten Reden werden. So bringen sie viele auf Irrwege und unter dem Deckmantel der Wissenschaft, Gnosis genannt, als ob sie etwas Höheres und Größeres zu zeigen hätten als den, der Himmel und Erde gemacht hat und alles, was darin ist, lenken sie viele ab von dem Urheber der Ordnung und Schönheit des Weltalls. Wie Ratgeber leiten sie durch kunstvolle Worte die Harmlosen auf den Weg des Suchens und stürzen sie ratlos ins Verderben, bis diese zur Gottlosigkeit und Lästerung gegen den Welterbauer gelangt sind und die Lüge von der Wahrheit nicht mehr zu unterscheiden vermögen. Die Lüge zeigt sich nämlich nicht als solche und läßt sich nicht in ihrer Nacktheit erblicken; geschickt versteht sie es, sich in ein ehrbar Gewand zu kleiden, um nach außen für die urteilslose Menge wahrer zu erscheinen als die Wahrheit selber. So spottet ja auch, wie ein Würdigerer als wir mit Bezug auf solche Menschen gesagt hat, des wertvollen und vielgeschätzten Smaragdes eine künstliche Imitation aus Glas, so lange niemand da ist, der das Ding untersuchen und die schlaue Nachahmung nachweisen kann. Kupfer in Silber getan, wer kann das ohne weiters erkennen, wenn er arglos ist!
Möge uns nun keine Schuld treffen, wenn einige wie Schafe von den Wölfen sich rauben lassen, indem sie dieselben wegen ihres Schaffelles, mit dem sie von außen sich umkleidet haben, nicht erkennen, da sie ja so ähnlich reden, aber der Geist ein ganz anderer ist. Vor ihnen uns zu hüten, hat der Herr uns befohlen. Aus all diesen Gründen erachtete ich es für eine Notwendigkeit, Dir, Geliebter, ihre wunderbaren und tiefen Geheimnisse bloßzulegen, die nicht alle fassen können, weil noch nicht alle ihren Verstand verloren haben. Ich habe sie entnommen den Kommentaren der sogen. Valentinianer, der Schüler Valentins, sowie auch den Äußerungen einiger, mit denen ich zusammentraf, und teile sie Dir nun mit, damit Du sie allen offenbarst, die bei Dir sind, und sie ermahnst, sich zu hüten vor dem Abgrund des Unsinns und der Lästerung gegen Christus. Zugleich wollen wir nach Maßgabe unserer Kräfte auch die neueste Lehre, ich meine die der Ptolemäer, die ein Abzweig der Schule des Valentinus ist, kurz und klar wiedergeben, auch gemäß unserer Mittelmäßigkeit Stützpunkte darbieten, um sie zu widerlegen, indem wir zeigen, daß ihre Behauptungen unnatürlich sind und mit der Wahrheit nicht zu vereinigen. Zwar ist das Schreiben uns ungewohnt, noch besitzen wir Übung in der Kunst der Rede - aber die Liebe treibt uns, Dir und den Deinigen ihre Lehren kundzutun, die bisher verborgen waren, nun aber gemäß der Gnade Gottes offenbar wurden. Denn nichts ist verhüllet, was nicht soll enthüllet, noch verborgen, was nicht soll gewußt werden.
Du darfst jedoch bei uns, die wir unter den Kelten weilen und uns zumeist mit der barbarischen Sprache abmühen, weder die Kunst der Rede suchen, die wir nicht gelernt, noch die Kraft des schriftlichen Ausdruckes, den wir nicht geübt haben, noch schöne Redewendungen oder Dialektik, die wir nicht verstehen. Aber was wir recht und schlecht und kunstlos an Dich in Liebe geschrieben, das wirst Du mit Liebe aufnehmen und in Dir wachsen lassen, indem Du, der Du begabter bist als wir, es wie Samenkörner und Anfänge von uns empfängst. In der Weite Deines Gesichtskreises wirst Du viele Frucht bringen von dem Wenigen, was wir gesagt haben, und mit Macht wirst Du den Deinigen das nahebringen, was wir Dir in Schwachheit verkündeten; und wie wir uns bemühten, auf Deinen Wunsch, ihre Lehren kennen zu lernen, sie Dir nicht bloß kundzutun, sondern Dir auch Fingerzeige zu geben, um ihre Unwahrheit aufdecken zu können, so wirst auch Du eifrig den andern gemäß der Dir verliehenen Gnade dienen, auf daß die Menschen nimmermehr durch ihre Scheingründe verleitet werden.
Ihre Lehre aber ist die folgende.
I. Kapitel: Die dreißig Äonen der Valentinianer
Inhaltsverzeichnis 1.
Es lehren die Valentinianer, in unsichtbaren und unnennbaren Höhen sei ein vollkommener Äon gewesen, der vor allem war. Diesen nennen sie auch Uranfang, Urvater und Tiefe. Er ist aber unsichtbar, und kein Ding kann ihn fassen. Da er unfaßbar, unsichtbar, ewig und unerzeugt ist, so ist er unermeßliche Zeiten in tiefster Ruhe gewesen. Mit ihm hat zugleich angefangen die Ennoia, die sie auch Charis und Sige nennen. Nun ist jener einmal auf den Gedanken gekommen, von sich diesen Bythos als Anfang aller Dinge auszusenden und diesen Sprößling, den er auszusenden im Sinne gehabt hatte, wie ein Sperma gleichsam in den Mutterschoß der bei ihm befindlichen Sige einzusenken. Nachdem diese ihn empfangen hatte und schwanger geworden war, hat sie den Nous geboren, der dem Erzeuger ähnlich und gleich war und allein die Größe des Vaters erfaßte. Diesen Nous nennen sie auch den Eingebornen, Vater und Anfang aller Dinge. Mit Ihm zusammen ist auch die Wahrheit geboren und dies ist die erste und ursprüngliche Pythagoräische Vierheit, die sie auch die Wurzel aller Dinge heißen. Sie besteht nämlich aus dem Bythos und der Sige, dann aus dem Nous und der Wahrheit.
Indem er nun merkte, wozu er hervorgebracht war, hat der Eingeborne nun seinerseits den Logos und die Zoe hervorgebracht, den Vater aller Dinge, die nach ihm kommen sollten, und die Mutter und Gestaltungskraft des gesamten Weltalls. Aus ihrer ehelichen Verbindung sind hervorgegangen der Mensch und die Kirche Das ist die ursprüngliche Achtheit, die Wurzel und Substanz aller Dinge, die nur mit vier Namen bei ihnen belegt ist: Bythos und Nous, Logos und Anthropos, weil in dem männlichen Prinzip jedesmal auch das weibliche enthalten ist, indem sich der erste Urvater paarweise mit seiner Ennoia, der Eingeborne mit der Aletheia, der Logos mit der Zoe, der Mensch mit der Kirche vereinigte.
2.
Diese Äonen, zur Verherrlichung des Vaters hervorgebracht, wollten nun auch ihrerseits aus dem Ihrigen den Vater verherrlichen. So entsprossen der Verbindung des Logos und der Zoe, nachdem sie den Menschen und die Kirche erzeugt hatten, zehn weitere Äonen, die da heißen: Bythios und Mixis, Ageratos und Henosis, Autophyes und Hedone, Akinetos und Synkrasis, Monogenes und Makaria. Diese zehn Äonen also stammen von dem Logos und der Zoe. - Der Mensch mit der Kirche hat gleichfalls Äonen hervorgebracht und zwar zwölf, denen sie folgende Namen verleihen: Parakletos und Pistis, Patrikos und Elpis, Metrikos und Agape, Aeinous und Synesis, Ekklesiastikos und Makariotes, Theletos und Sophia.
3.
Da haben wir die dreißig Äonen ihrer Irrlehre, die geheimnisvollen, nicht zu verratenden; das ist ihr unsichtbares und geistiges Pleroma, dreifach geteilt in die Achtheit, Zehnheit und Zwölfheit, und deswegen, sagen sie, habe der Erlöser, denn "Herr" wollen sie ihn nicht nennen, dreißig Jahre lang ein verborgenes Leben geführt, indem er dadurch das Geheimnis dieser Äonen andeutete. Aber auch in der Parabel von den in den Weinberg geschickten Arbeitern sind nach ihrer Ansicht diese dreißig Äonen auf das deutlichste angezeigt; die einen werden nämlich um die erste, die andern um die dritte, die andern um die sechste, noch andere um die neunte, die letzten um die elfte Stunde gemietet. Die genannten Stunden zusammengezählt ergeben gerade die Zahl dreißig. Die Stunden aber sollen die Äonen bedeuten. Das sind die großen, wunderbaren, unsäglichen Geheimnisse, die Früchte, die sie tragen, und wenn sich irgendwie etwas von dem vielen in den Schriften Gesagten anpassen läßt, dann bringen sie es mit ihren Phantasiegebilden in Einklang.
II. Kapitel: Die Verirrung der Sophia. - Christus und der Hl. Geist
Inhaltsverzeichnis 1.
Ihren Urvater nun kann nach ihrer Lehre nur der von ihm erzeugte Erstgeborne, der Nous, erkennen, allen andern bleibt er unsichtbar und unfaßbar. Nur der Nous erfreute sich nach ihnen der Anschauung des Vaters und ergötzte sich in der Betrachtung seiner unermesslichen Größe. Auch den übrigen Äonen gedachte er, die Größe, das Wesen, die Ewigkeit, Unbegrenztheit und Unfassbarkeit des Vaters mitzuteilen, aber nach dem Ratschluß des Vaters hielt die Sige ihn zurück, da sie diese alle zum Nachdenken führen wollte und zu dem Verlangen, ihren oben erwähnten Urvater aufzusuchen. Und so im stillen strebten denn die übrigen Äonen danach, den Urheber ihres Samens zu sehen und die anfangslose Wurzel zu erforschen.
2.
Den weitesten Sprung aber tat der letzte und jüngste Sprößling der Zwölfheit, der von dem Menschen und der Kirche erzeugte Äon, die Sophia, und geriet in leidenschaftliche Erregung ohne die Umarmung ihres Gemahls Theletos. Die Erregung nahm ihren Ausgang bei dem Nous und der Aletheia, sprang aber über, sich danebenwendend, auf die Sophia unter dem Vorwand der Liebe, in Wirklichkeit aus Tollheit, da sie mit dem vollkommenen Vater nicht solche Gemeinschaft besaß wie der Nous, und sie ist nichts anders als das Suchen nach dem Vater, indem sie seine Größe erfassen wollte. Dann aber konnte sie es nicht, weil sie an Unmögliches sich gemacht hatte, und geriet wegen der Tiefe des Abgrundes und der Unergründlichkeit des Vaters und Zärtlichkeit gegen ihn in große Not, und weil sie immer weiter vorwärts strebte, so wäre sie von seiner Süßigkeit schließlich wohl verschlungen und in die allgemeine...