Schweitzer Fachinformationen
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Ostpreußenlied (Erich Hannighofer)
Land der dunklen Wälder
und kristallnen Seen;
über weite Felder
lichte Wunder gehn.
Starke Bauern schreiten
hinter Pferd und Pflug;
über Ackerbreiten
streicht der Vogelzug.
Und die Meere rauschen
den Choral der Zeit;
Elche steh'n und lauschen
in die Ewigkeit.
Tag ist aufgegangen
über Haff und Moor;
Licht hat angefangen,
steigt im Ost empor.
Wurzeln der Leichtigkeit
»Na, war meine Manka brav?« Margarete Köstlin-Räntsch trat vor das Gutshaus und schaute ihrer Tochter entgegen, die gemütlich auf dem Rücken eines Pferdes saß und im Schritt angeritten kam. Weit über ihr segelten Möwen hinweg, wehten mit ihren lauten, krächzenden Rufen ein Stück Meeresbrise herbei.
Mit einem breiten Lachen, das das Gesicht des Kindes komplett erhellte und die Sonne in Verlegenheit brachte, sprang das Mädchen ab. »Manka schon«, sie tätschelte die Stute am Hals. »Aber du hättest mal die Klassenkameraden erleben sollen, die waren vielleicht komisch. Als ob sie noch nie ein Pferd gesehen hätten!«
»Das wohl nicht«, antwortete die Mutter. »Du bist ja heute zum ersten Mal hoch zu Ross in die Schule gekommen . und es sind hauptsächlich Stadtkinder, die haben nicht das Glück .«
». im Grünen unter dem weiten Blau aufzuwachsen, ja, ja. Habt ihr mir die Zeitung aufgehoben?«
»Ja, mein Schatz, wir haben sie für dich in die Küche gelegt. Aber versorge erst das Pferd, lass es auf die Weide. Manka stand lange genug vor deiner Grundschule2 und hat auf dich gewartet. Bestimmt brauchte sie genauso viel Geduld dabei wie du heute beim Stillsitzen in der Klasse! Und denk an deine Schulaufgaben, nicht dass du sie wieder kurz vor dem Schlafen machen musst.« Damit ging Margarete Köstlin-Räntsch zurück ins Innere des Gutshauses.
»Immerhin darf sie schnauben und tänzeln, wann immer sie mag«, moserte Beate. Und dann noch Schulaufgaben! Gut, dass man die Seite aus der Fibel in Druckschrift schnell abschreiben konnte, das mit den fünf Aufgaben rechnen war etwas anderes.
Sie streichelte der Stute über die Nüstern. Warum quietschten eigentlich Mädchen ihres Alters, wenn sie ein Pferd sahen? Manchmal waren ihr die männlichen Klassenkameraden lieber, die hatten das Pferd gemustert, festgestellt, wo vorne und hinten war, es vielleicht mal kurz gestreichelt, sich über die Menge der Pferdeäpfel und deren Brennwert unterhalten und sich dann wieder anderen Dingen zugewendet. Aber die Louise, die hatte sie regelrecht unsanft von den Hufen fernhalten müssen, als ob das ein Holzschaukelpferd wäre! Ein Tritt, und es hätte sich ausgelouiset.
Beate schüttelte ihren Kopf und ging mit dem Pferd um das Gutshaus herum, vorbei an dem Eiskeller und dem Karpfenteich, zu den Stallungen und den Rossgärten direkt neben dem großen Apfelgarten. Die Stute schnaubte, und Beate wusste, dass das ein Ausdruck von Zufriedenheit war. Zufrieden darüber, wieder in vertrauter Umgebung zu sein und die Arbeit für heute beendet zu haben. Beate hatte von ihrem Vater schon eine Menge über Pferde gelernt, zum Beispiel, dass sie nicht durch den Mund atmen konnten und dass man der Pferdenase verschiedene Gefühle ansah: Gerunzelt zeigte sie Unwillen und aufgebläht Nervosität. Am besten von allen Sinnen funktionierte der Geruchssinn. Es gab sogar ein sogenanntes Superschnuppern, das Flehmen, das ein Pferd machte, indem es die Oberlippe über die Zähne hochzog. Es sah aus, als ob das Pferd versuchte, lauthals zu lachen, aber ihr Vater hatte erklärt, dass ein Pferd auf diese Weise aus einer ganzen Geruchswolke feinste Duftnoten unterscheiden konnte, wobei die Hengste damit meist herauszufinden versuchten, ob eine der Stuten gerade rossig war.
»Gleich«, besänftigte Beate die Stute und lief weiter. Neben ihr trottete einer der Hofhunde und hechelte mit heraushängender Zunge. Ihr Zuhause war ein altes Rittergut, das lang gestreckt den Stürmen seiner Zeit trotzte. Zwei Giebel ragten hoch gen Wolken und zeigten der Umgebung, wer hier seit langer Zeit das Sagen hatte. Ihre zehn Jahre ältere Schwester bezeichnete das ganze Anwesen als scheußlich, doch hatte es Charme, auch wenn es ein ganz eigener war. Einer, der an alte Zeiten und alte Geschichten erinnerte. Die Eltern hatten es ja auch nicht der Schönheit wegen gekauft, sondern weil die fruchtbaren Böden eine reiche Ernte versprachen, und sie hatten Glück. Die achtzehnhundert Morgen Land hielten ihr Versprechen. Von verschiedenen Getreidesorten, Rüben bis zu Kartoffeln konnten sie so viel einfahren, dass sie über dreißig Pferde benötigten, um all die Gespanne bewegen zu können. Dazu noch über hundert fette Milchkühe, die so viel Geld mit ihrer Milch erwirtschafteten, dass die laufenden Kosten damit gedeckt werden konnten. Weißes Gold nannten sie sie. Obendrauf erzeugte das Milchvieh ein beruhigendes Muhen, das durch sämtliche Ritzen der Gebäude kroch und an jeder Ecke und Kurve zu hören war, auch über oder unter der Bettdecke. Wenn man Beate damals gefragt hätte, wie sich Landleben anfühlte, dann hätte sie gesagt: wie eine Mischung aus Honigkuchen und tröstendem Muhen.
Sie lief an der Wohnstube vorbei und hörte aus dem geöffneten Fenster ein lautes Knacksen, das anzeigte, dass jemand den Schallplattenspieler angestellt hatte. Ein paar flotte Klaviertakte waren zu hören, bis eine raue Stimme das R rollend sang:
»Mir hat ja die Natur verliehn
die scheensten Beene von Berlin.
Nach meine Beene is ja janz Berlin verrückt,
mit meine Beene hab ick manches Herz jeknickt.
Und zeig ick meine Beene voller Intell'jenz
dann schlag ick aus dem Feld jede Konkurrenz.«
Das konnte nur die Mutter sein, doch bevor sie mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit zusammen mit dem Ehepaar Astaire Stücke aus dem Gershwin-Musical Lady, Be Good anstimmen konnte, war Beate um die Ecke gebogen. Ihre Mutter liebte Musik, die entweder sofort in die Beine ging, sie zum Lachen brachte oder die Büroarbeit vorantrieb.
Beate löste den Sattelgurt und ließ den Sattel geübt auf den rechten Arm rutschen, um an die schweißnasse Stelle frische Luft zu lassen. Mit einem »Bis morgen, mein kleiner Schmisser. Buttschche«, drückte sie der Stute einen Schmatzer auf die Nüstern, entließ sie auf die Weide und schaute hinterher, wie sie Bocksprünge wie eine junge Ziege vollführte. Freude pur über ihre zurückgewonnene Freiheit. So glücklich war Beate auch, wenn sie auf dem Rücken eines Pferdes in den Galopp wechselte. Das fühlte sich fast wie ein bisschen Schwerelosigkeit an. Und das Reiten lag ihr quasi im Blut. Denn bevor sie laufen konnte, hatte sie bereits sicher auf den Rücken der Pferde gesessen. So erzählte das zumindest ihr Vater, auch wenn das nicht so ganz den Tatsachen entsprach. Er übertrieb hin und wieder bei Geschichten, die er vor Bekannten und Nachbarn zum Besten gab, um sich daran zu ergötzen, wenn diese ungläubig staunten. Beate war immerhin schon drei Jahre alt gewesen, als sie in den Sattel der braven Manka gehoben worden war, und konnte natürlich bereits laufen, vorwärts und rückwärts, und besaß einen nicht zu verachtenden Sprachschatz, mit dem sie ihr Umfeld löcherte. Vor allem mit Fragen und vor allem ihre Schwester Elisabeth und ihren Bruder Ulrich, der noch mal zwei Jahre älter war als Elli, es somit auf insgesamt zwölf Jahre Altersunterschied schaffte. Beate war auch die Einzige aus der ganzen Familie, die hier auf dem Gut geboren worden war, sie war somit durch und durch ein Kind Ostpreußens.
Als sie als Kleinkind aufs Pferd gehoben wurde und ihre Mutter einwarf, dass sie das nicht so gut finde, sagte ihr Vater Otto nur: Wer mit Tieren aufwächst, der soll sich auch früh damit vertraut machen. Manka war Vaters Hochzeitsgeschenk gewesen, ein Araber-Trakehner-Schimmel. Ein wunderbar sanftes Tier, das so zärtlich gegen die Handfläche schnaubte, als ob es damit alle Sorgen der Welt wärmen könnte. Die Mutter verwies auf die Hühner und den Jagdhund Schuft, das seien Tiere genug, aber Vater bestand aufs Reiten. Er ritt täglich die Felder ab, um zu kontrollieren, ob seine Angestellten ihre Aufgaben richtig erfüllten, da wollte er seine jüngste Tochter dabeihaben. Zur Gesellschaft, und um sie mit den Pflanzen und der Erde vertraut zu machen. Ihr Vater Otto war Landwirt mit Leib und Seele, genauso wie sein Vater es gewesen war, doch hatte der älteste Bruder den elterlichen Hof in Württemberg geerbt, was auch der Grund dafür gewesen war, dass sie auf Umwegen im weit entfernten Ostpreußen gelandet waren. Vater konnte minutenlang die Erde durch seine Finger zerkrümeln. Das sei das Fundament, die Keimzelle allen Daseins. Die Hälfte davon bestand aus Luft und Wasser, und in der anderen Hälfte mit den mineralischen Anteilen tummelte sich das nackte Leben. In zwei Händen Erde befanden sich mehr Mikroorganismen, als es Menschen auf der ganzen Welt gab. Je feiner man die Erde zwischen den Fingern verreiben konnte, desto fruchtbarer war sie, dabei ging es um die Fähigkeit, Wasser zu binden. Beate liebte die kurzen Vorträge ihres Vaters. Neben seiner Naturverbundenheit und seinen Zuchtversuchen mit den verschiedensten Feldfrüchten war er auch dem Fortschritt zugeneigt und sorgte...
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