Nach der Kirche besuchte ich die kranke Östreicherin im Hospital und da ich grade ihren portugiesischen Arzt, den Dr.Augusto Bras de Souza fand, der als Goanese nur englisch spricht, konnte ich Dragomansdienste thun. Was die Kranke deutsch sagte, wiederholte ich dem Doktor englisch und übersetzte dessen englische Vorschriftsmaßregeln der Klosterschwester ins französische.
Herr von St.Paul rüstet eine größere Expedition in die entlegensten Teile des deutschen Gebietes aus.
d. 18. Juli.
Wir haben einen Diener gemietet, Theodor mit Namen. Er ist ehemaliger englischer Missionszögling und Christ, daneben aber Soldat des Sultans und als solcher muß er jeden Morgen Dienst thun, d.h. im Laufschritt unter heulendem Gesang die Straßen durchziehn, oder gar auf der Wiese an der Mnasimodja Übungen machen. Nachdem der Staatsdienst absolviert, hält er sich aber bis acht oder halb neun Uhr abends zu unserer Verfügung. Wir haben ihm zunächst ein menschenwürdiges Kostüm gekauft, nämlich ein Negerhemd, eine weiße Mütze und einen Stock. Nun können wir, ohne auf die besondere Gefälligkeit der befreundeten Herren angewiesen zu sein, auch nach Sonnenuntergang spazieren gehen. Diese Abendgänge gewähren den größten Genuß. Auf dem Sultansplatz findet nach Sonnenuntergang kleine Truppenrevue statt, mit Musikübungen, beides, vokal und instrumental. Sejid Bargash bin Said steht umringt von vornehmen Greisen auf der Veranda seines Palastes und sieht sich die Sache an. Wir gehen an dem aus der Portugiesenzeit stammenden Festungsbau vorüber, mit seinem rundbogenförmigen Zinnenkranz. Von einem der massiven Türme erschallt der langgezogene, melodische Ruf des Postens und der gleiche Ruf antwortet schwermütig ausklingend in der Entfernung. Hier führt uns die Hauptstraße durch das Konsulatviertel nach der Mnasimodja. Im Hintergrund eines mit Trümmern und blühendem Strauchwerk bedeckten Rasenplatzes erhebt sich ein klosterähnlicher langer Steinbau, an dessen hell erleuchteten Bogenfenstern wir Gestalten in wallenden weißen Gewändern vorüberhuschen sehen. Man könnte meinen, es seien Mönche. Das Haus ist aber ein von dem englischen Fleischermeister gehaltenes Restaurant und die weißen Mönche sind die Kellner in ihren Negerhemden. Der Romantik des Bildes thut diese Wahrheit keinen Abbruch.
Weiterhin unter einem kleinen Vordach von Kokosblättern sitzt auf steinerner Bank ein Schwarzer und spielt auf seiner Kürbismandoline eine sanfte, eintönige Melodie. Dazu singt er. Kein Zuhörer ist zu entdecken. Als ein echter Künstler übt er seine Kunst um ihrer selbst willen aus.
d. 19. Juli.
Heute sah der Hôteldiener Amadi, der mir sehr zugethan ist, auf meinem Tisch das Bild des Fürsten Bismarck stehen. Er betrachtete es aufmerksam, zeigte mit dem Finger darauf und fragte: »Das ist wohl Euer Sultan?« Das Bild steht zwischen verschiedenen anderen Porträts. Amadi muß es entweder schon gekannt haben oder sein natürlicher Scharfblick hat ihn darauf gebracht in Haltung und Zügen des Fürsten den großen Mann zu vermuten. Ich sagte ihm: »unser Sultan ist es nicht, aber ein sehr großer Herr.« Da schlug sich Amadi als Zeichen verständnisinniger Ehrerbietung auf die Brust und meinte: »ich weiß schon! alle Eure großen Häuser, O'Swald und Hansing und Meyer stehen unter ihm!« Ich sagte: »jawohl«. - Mit diesem Schwarzen unterhalte ich mich in einem greulichen Durcheinander von Suaheli und englisch, aber wir können uns doch verständigen.
d. 21. Juli.
Gestern ließ mir Herr Dr.Peters sagen, wenn ich mir die Quartiere in Dar-es-Salaam anzusehen wünsche, so sollte ich mich bis zu heute Abend reisefertig machen. Die günstige Reisegelegenheit, die ich erwartete, hat sich gefunden. Der Sultan hat zu einer Besichtigung des Vertragshafens Dar-es-Salaam seinen Dampfer Barawa zur Verfügung gestellt und den Herren Consul O'Swald und Dr.Peters sagen lassen, sie möchten auf keinen Fall Mundvorrat an Bord nehmen, für die Bewirtung werde er allein sorgen. In Zanzibar, wo jeder dem Nachbar aufpaßt und dessen Angelegenheiten mit allen Einzelheiten erfährt, machen diese noch nie dagewesenen Erfolge der Deutschen großes Aufsehen. Ich bin zufälliger Weise in der angenehmen Lage, die Spitzen des hier vertretenen Europa's d.h. die Herren vom englischen, französischen, italienischen und portugiesischen Consulat darüber zu hören. Wenn diese Herren das Gespräch auf das flotte Vorgehen der Deutschen bringen, stelle ich mich ebenso unwissend als gleichgültig. Darüber höre ich manche mich interessierende Äußerung ihrerseits.
Miß Smith und Frau Wendt (die Frau eines deutschen Sultanskapitäns) haben für unsere gemeinschaftliche Schutzbefohlene, die Östreicherin, ein Quartier gefunden, welches allerdings in einer Handelsgasse einer Matrosenkneipe gegenüber liegt, aber mehr Räumlichkeiten hat und weniger ungesund ist, als das malerische Gartenhäuschen der Portugiesen. Die junge Frau, die sich im französischen Hospital rasch erholt hatte, ist dorthin übergesiedelt, aber sofort wieder erkrankt. Die Ärmste, deren Mittel ebenso gering sind wie ihre Körperkräfte, kann sich nicht die notwendige Bedienung schaffen und überanstrengt sich, sowie sie sich selbst überlassen wird. Ihre Lage ist in der That eine sehr schwierige, da sie, unfähig das Bett zu verlassen, gänzlicher Hülflosigkeit preisgegeben ist, so lange wir nicht nach ihr sehen. Ich habe darum heute meine Bertha, die bei aller jugendlichen Lebhaftigkeit eine geübte und gewissenhafte Krankenpflegerin ist, bei der jungen Frau einquartiert. Die Bettwäsche, die wir hier genäht haben, sowie einen Korb Rotwein haben wir heute hinüberbefördert. Bertha ist mit Geldmitteln und genauen Instructionen versehen; zudem haben Miß Smith und Frau Wendt versprochen, sie gegen Abend täglich auf eine Stunde abzulösen; dann soll sie unter dem Schutz des Dieners Theodor, der sich nach wie vor zu ihrer Verfügung halten muß, spazieren gehn. So ist die arme Kranke vorläufig in guten Händen.
d. 25. Juli.
Am Abend des 21.Juli begaben wir uns in dem für uns bereitstehenden Sultansboot nach der Barawa, wo wir die Nacht im Hafen liegend zubringen mußten. Ich wurde in die Sultanskabine einquartiert, die etwas geräumiger ist, als die anderen, ein rotes Plüsch-Sopha enthält, und an den weißgestrichenen Wänden Goldverzierungen im Muschelgeschmack der Rokokozeit mit roten Fähnchen in den Medaillons. Indessen trieben Kockerutschen und Spinnen auch in diesem Prunkgemach ihr Wesen.
Um halb fünf Uhr am Sonnabend Morgen begann die Schraube zu tosen und wir dampften von hinnen. Es befanden sich neun Deutsche an Bord, nämlich außer dem Kapitän und dem Ingenieur: Herr Dr.Peters, Herr Consul O'Swald, Herr Missionar Greiner, Herr Friedrich Schroeder von der Plantagengesellschaft, Herr Flemming, Schwester Rentsch und ich. Herr Missionar Greiner war nach Zanzibar gekommen, um die ihm von seiner Missionsgesellschaft zugeschickte Krankenpflegerin abzuholen. Da der Südwestmonsum noch immer bläst und zwar grade aus der Richtung, der wir entgegenfuhren, konnte ich bei meiner allzu wenig seetüchtigen Constitution die Annehmlichkeiten der Seekrankheit einmal wieder durchkosten. Ein schwacher Trost war es, daß Herr Schroeder sich wenigstens unbehaglich fühlte. Alle anderen erfreuten sich eines gediegenen Wohlbefindens.
Um drei Uhr nachmittags rief man mich energisch an Deck. Ich wankte hinauf und sah, daß wir in den schönen Hafen von Dar-es-Salaam einfuhren. Die Fahrt hatte also bei ungünstigem Wind zehn und eine halbe Stunde gedauert.
Sobald wir festlagen, stieß ein Boot vom Lande ab, in dessen europäischen Insassen wir bald den Chef der Station, Herrn Leue, unter einem vertrauenerweckenden Sonnenschirm, und am Steuer meinen Bruder erkannten. An der Schiffstreppe stehend, begrüßten wir die Freunde aufs herzlichste. Ich frug meinen Bruder, wie man denn in Dar-es-Salaam schon von unserem Besuch wisse? und erhielt die stehende Antwort: »der Telegraph in Afrika arbeitet rascher, als der in Europa.« - Es ist mir in der That ganz unbegreiflich, mit welcher Geschwindigkeit sich ohne Post- und Eisenbahnverkehr die Nachrichten hier verbreiten. Wenn in Usungula ein paar der dort arbeitenden Menschenfresser dem Stationschef entlaufen, erzählt man sich das in Zanzibar auf den Straßen, lange ehe die pünktlich abgesandte schriftliche Meldung eintrifft.
Unsere Gesellschaft teilte sich schon an der Landungsstelle. Während die Herren Leue, Schroeder und Flemming Herrn Dr.Peters auf dessen Rundgang mit Mohamed bin Salim und dem Wali begleiteten, unternahm Herr O'Swald eine einsame Kunstreise mit seinem photographischen Apparat. Herr Greiner dagegen begab sich mit Schwester Rentsch zu den seiner harrenden Damen und mich führte mein Bruder nach dem malerischen Zeltlager, in dem er mit den Herren der Eisenbahnexpedition Quartier genommen hatte. Die Herren hatten sich in den von üppigem Grün umgebenen Zelten wirklich sehr behaglich eingerichtet und waren ganz erbaut von ihren Wohnungen. Herr Regierungsbaumeister Wolf trat uns in heiterer Stimmung entgegen, umringt von Hunden und Affen. Seine vielen wissenschaftlichen Instrumente und Bücher lagen teils auf den improvisierten Tischen, teils auf der Erde und verliehen dem Bilde das Ansehen eines Generalstabszeltes. Aber in einem anderen Zelt lag Herr von Hake an einem schweren Fieber danieder. Albrecht führte mich zu ihm. Das Bett stand auf der notdürftig festgestampften Erde und der Kranke lag angekleidet darauf mit glühendem Gesicht und phantasierte. Er erkannte mich zwar, als ich ihn begrüßte, doch mußte ich zu meinem Leidwesen bemerken, daß meine Anwesenheit nicht wohlthätig wirkte. Herr von Hake schien das dumpfe Gefühl zu haben, als müsse er...