Schweitzer Fachinformationen
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Die Angst vor dem Unaufklärbaren hat nicht allein das Dasein des einzelnen ärmer gemacht, auch die Beziehungen von Mensch zu Mensch sind durch sie beschränkt, gleichsam aus dem Flußbett unendlicher Möglichkeiten herausgehoben worden auf eine brache Uferstelle, der nichts geschieht.1
(Rainer Maria Rilke)
Die uralten Fragen: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und noch einmal ähnlich, aber doch vielleicht charakteristisch menschlich: Wer sind wir? - sie sind nie ein für alle Mal zu beantworten, natürlich sind sie letztlich unaufklärbar. Viele meinen, man solle sie deshalb lieber nicht stellen. Und wir stellen sie doch. Es sind die immer neu nicht gefragten oder verdrängten Fragen. Sie stellen sich spätestens, wenn wir ans Sterben denken. Und sie stellen sich heute neu, wenn wir real an das Aussterben vieler Arten von Tieren und Pflanzen und möglicherweise auch des Menschen denken. Wer sind wir?
Das Besondere am Menschen ist seine Kultur. Kultur stärkt die Gruppenkohärenz, d. h. auf Grund von Traditionen kann angepasstes Verhalten kohärent geregelt werden, was ein evolutionärer Vorteil ist, der im Ansatz auch bei Tieren auftritt. Kultur vermeidet deterministische Prägung, sie ist offen für Anpassungen an neue Verhältnisse und neue Bedürfnisse. Sonst wäre eine Erschließung von neuen Siedlungsräumen nicht möglich gewesen, denn sie erfordern Anpassung an ungewohnte Territorien. Auch dies kann man schon bei Tieren beobachten. Alles, was dem Menschen widerfährt, wird dabei umgestaltet, so dass der Mensch im kulturellen Handeln in gewisser Weise immer sich selbst begegnet. Kultur wird möglich durch Sprache und Symbolisierung, die durch die Erweiterung des Rahmens bzw. Denkhorizonts Abstraktion schafft und damit die Übertragung von Erfahrungen in neue Kontexte. Religion ist der umgreifende Rahmen von Kultur. Hier fragt der Mensch nach einem letztgültigen Zusammenhang aller Erfahrungen. Solche Rahmen setzen Normen für das Wahrnehmen, Fühlen, Denken, Erinnern und Handeln, für die Erfahrung also. Im kollektiven wie individuellen Gedächtnis werden Kulturmuster überliefert. Sie bilden das ab, was eine Gesellschaft für gültiges Wissen hält. Im Horizont der heutigen interkulturellen Welterfahrung des Menschen können die kulturellen Prägungen des Menschseins nur interkulturell erörtert werden, so dass wechselwirkende Brechungsmuster von Fakten entstehen, deren Interpretation und sprachliche Modellbildungen unser Fragen nach dem, was bzw. wer wir sind, vorantreiben.
Die genannten Fragen sind meistens unter dem Etikett der Anthropologie gestellt und bearbeitet worden, der »Lehre vom Menschen« also. Was aber soll denn das sein? Heute fragt man Psychologen, Verhaltensforscher, Soziologen, Biologen und Hirnforscher, manchmal auch Künstler, kaum noch Philosophen und Theologen. Die anthropologischen Einsichten, die wir seit Platon und Aristoteles oder Goethe und Nietzsche, seit Marx oder Freud zitieren, helfen wohl auch nicht viel weiter. Wir befinden uns in einer Situation, in der einem das Zitieren vergehen kann, denn Antworten auf die gegenwärtig brisanten Probleme von Zerstörung der Mitwelt, Krieg, der Angst vor Künstlicher Intelligenz und dem Überwachungsstaat sind eine Überlebensfrage, auf die Antworten so dringlich, aber doch schwer zu haben sind. Und wie viele Menschen kann die Erde noch (er-)tragen? Die demographische Kurve ist eine Zeitbombe.
Sind wir die »letzte Generation«? Wenn nicht, wie soll es weitergehen? Wie kann es überhaupt weitergehen? Das ökologische und humanitäre Desaster ist konkret. Vielleicht bleiben nur noch wenige Jahre, um zumindest das Schlimmste zu verhüten. Angesichts der in der Welt zunehmenden Gewalt eine Illusion? Gewalt in Kriegen, die wir nicht mehr für möglich gehalten hatten, aber auch vor unserer Haustür: in den Schulen, in der Arbeit, in den sozialen Beziehungen, in den sogenannten »sozialen« Netzwerken, ganz öffentlich. Und zunehmend: Hass, Ausgrenzung, Gesprächsverweigerung, Schuldzuschreibungen und Behauptungen, die wenig Raum für faire Auseinandersetzung lassen. Wie soll da die Menschheit überleben können? Und: Wo ist da Vernunft oder Geist, oder sogar eine Evolution des Geistes einer Menschheit? Ist der Mensch menschheitsfähig?
Ist der Mensch menschheitsfähig?
Die Menschheit? Sie setzt sich zusammen aus Milliarden einzelner Menschen, jeder und jede mit konkreten Hoffnungen und Ängsten, enttäuschten Erwartungen und Lebenshunger. Alle wollen glücklich sein, aber was ist Glück? Ist der Mensch emotional und sozial hinreichend ausgestattet, um seine technologischen Fähigkeiten so meistern zu können, dass er sich nicht selbst zerstört? Die nur oberflächlich kaschierte Aggressivität des Menschen begleitet die Geschichte, die wir kennen, von Anfang an. Ungezügelte Begierde und eine tief verankerte Angst sind Antriebskräfte, die kreative und destruktive Wirkungen zugleich haben. Gleichzeitig erleben wir Liebe, Verbundenheit, kreatives Engagement für andere Menschen, Solidarität, Projekte für eine neue und nachhaltige Lebensgestaltung. Und das weltweit, großartig! Ist der Mensch nun von Grund auf böse oder gut? Können wir die Frage überhaupt beantworten und dabei mehr bieten als persönliche Hoffnungen und Erwartungen, können wir also mit Gründen und kulturellen Erfahrungen argumentieren, die mehr sind als festgezurrte Meinungen?
Der Geist des Menschen ist fähig, ein Kaleidoskop des Möglichen zu beschreiben, wobei er sich selbst erkennt. Das Mögliche beruht auf dem Faktischen. Was aber ist das? Das Faktische bin zweifelsfrei »ich«, weil ich diesen Satz denke (wie Descartes meinte). Oder doch nicht? Ich bin nur, weil zuvor »wir« ist, biologisch ohnehin, aber auch kulturell-geistig. Doch wer sind wir? Den vielen Ausprägungen dessen, was wir als das Böse fürchten, sind wir täglich ausgesetzt. Aber können wir auch die Möglichkeiten und Ressourcen ausloten, die vielleicht noch nicht hinreichend entwickelt und verwirklicht worden sind? Sind wir mehr, als wir von uns denken (und erleben)?
Die folgenden Argumentationen beruhen auf personaler Intention, Rationalität und transpersonaler Offenheit für tiefere Einsichten in die Zusammenhänge der Wirklichkeit. Ob dieser »Spagat« erfolgreich sein kann?
»Der Garten des Menschlichen« war der Titel, mit dem Carl Friedrich von Weizsäcker (1912-2007) seinen großen Beitrag zur Anthropologie im Jahre 1977 einführte. Die Metapher des Gartens steht für Vielfalt, die gleichwohl geordnet ist. Im Garten gibt es keine lineare Zweckrationalität, die auf ein definierbares Ziel zulaufen würde, sondern hier entstehen in wechselseitigen Abhängigkeiten in unerschöpflicher Kreativität Formen und Verknüpfungen, die wir als »schön« empfinden. Aber der Gärtner muss die natürlichen Prozesse mit Pflege fördern, sonst verwuchert das Gelände oder die Pflanzen sterben. Er sollte dabei die »Einheit der Natur« im Blick haben. Ich verdanke Carl Friedrich von Weizsäcker nicht nur den Bezug zu diesem Titel, sondern auch zur Weite seines Denkens und der Klarheit seiner Argumentationen. Als ich daran beteiligt wurde, den von der Stiftung Niedersachsen 1988 ausgerichteten Kongress »Geist und Natur« unter der Leitung Carl Friedrich von Weizsäckers wissenschaftlich mit vorzubereiten, wurden Fragen aufgeworfen, die »den Widerspruch zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und philosophischer Welterfahrung« (so der Untertitel des Buches, das nach dem Kongress 1989 von dem Physiker Hans-Peter Dürr und dem Philosophen Walther Ch. Zimmerli herausgegeben wurde) in den Blick nehmen sollten. Die damalige Intention wurde auf dem Buchumschlag so formuliert: »Unser Bild von der Welt hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte durch die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft und die Fortschritte auf technologischem Gebiet schneller und radikaler verändert als je zuvor in der Geschichte. In einem solchen Moment des geistigen Umbruchs sind Physiker und Biologen, Philosophen und Sozialwissenschaftler gleichermaßen gefordert, an der Grundlegung eines neuen Verständnisses von Mensch und Natur, Geist und Materie mitzuarbeiten.«
Diese Aufgabe bleibt uns gestellt. Seither haben die sogenannten bildgebenden Verfahren die Neurowissenschaften noch einmal revolutioniert. Die Arbeit am vorliegenden Buch ist eine Neuaufnahme der damaligen Fragen im Horizont heutigen Wissens und der Debatten um »Bewusstsein« (gibt es das überhaupt?) im interdisziplinären Diskurs,2 und ich werde dabei auf frühere Veröffentlichungen3 zurückgreifen, die nun in einem anderen Kontext stehen. Das gemeinsame Fragen, die gemeinsame Suche nach (immer vorläufigen) Antworten ist fruchtbar. Hier wird nicht nur Wissen generiert, sondern es werden Freundschaften gestiftet. Freundschaft wiederum entdeckt die Nähe des Denkens, wenngleich oft die Sprachformen und Denkmuster ganz verschieden sind. Es zeigen sich aber auch Widersprüche und kaum überbrückbare Gräben zwischen den Wissensdisziplinen. Wir...
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