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»Wer hätte gedacht, dass es am Ende so einfach sein würde!«
Amithab Pran kam nicht umhin, sehr zufrieden zu klingen, vor allem mit sich selbst. Er betrachtete die Ergebnisse seiner Berechnungen auf dem Schirm vor sich und fand, dass er ganz ausgezeichnete Arbeit geleistet hatte. Seine Vorarbeiten waren bereits herausragend gewesen, obgleich seine natürliche Bescheidenheit ihm verboten hatte, das allzu sehr herauszustreichen. Das Experiment der Proxima beim Neutronenstern hatte ihm den letzten Schubs gegeben, ihre Rückkehr in die Republik war mehr als nur ein Grund zur Freude. In langen Gesprächen mit Doktor von Kampen und den Kollegen des mittlerweile auf zweiundzwanzig Personen angewachsenen Forscherteams waren sie zu einer Lösung gekommen. Er brannte darauf, es Captain Ark persönlich erklären zu können. Sie hatte jedes Detail verdient.
Bemerkenswert war, dass ihm diesmal niemand die Lorbeeren streitig machen wollte und ihn auch keiner für durchgedreht oder albern hielt. Er wurde ernst genommen. Das war eine neue Erkenntnis, unerwartet und angenehm, ein Labsal für seine Eitelkeiten, die er über lange Jahre unter einem dicken Schutzpanzer hatte verbergen müssen.
Pran ermahnte sich ständig, bloß nicht übermütig zu werden. Das hing gewiss auch damit zusammen, dass er tief in seinem Herzen nicht daran glauben wollte, dass gute Nachrichten anhielten und nicht doch wieder von neuen Katastrophen abgelöst werden würden. Doch jetzt, hier, in dieser Situation, genoss er, der Mann des Tages zu sein. Das war einfach eine erfrischend neue Erfahrung.
Er sah sich um. Das Arbeitszimmer, das er erst vor Kurzem auf Terra bezogen hatte, war sehr groß und beinahe gemütlich eingerichtet. Er hatte noch keine Zeit gefunden, der Umgebung eine persönliche Note zu geben, und möglicherweise würde sich diese Gelegenheit auch gar nicht mehr ergeben. Er wusste nicht, wie lange er noch hier sein würde, im Forschungszentrum des Militärgeheimdienstes, das gleichzeitig als Einsatzzentrale der Task Force diente, der auch die Proxima unterstand. Admiral Hansen war er bereits persönlich begegnet, zweimal. Sein erster leibhaftiger Admiral.
Pran wollte möglicherweise auch gar nicht länger verweilen als nötig, denn die Sicherheitsvorkehrungen und die dank allerlei Maßnahmen sehr abgeschottete Lage der Gebäude innerhalb der Hauptstadt sorgten für ein Gefühl der Isolation. Pran war sich auch nicht sicher, ob er nach Meridia zurückkehren wollte. Seine Arbeit am Institut erschien ihm im Rückblick schal und sinnlos, auch wenn diese Vorarbeiten ihn letztendlich an den Platz geführt hatten, an dem er jetzt wirken durfte. Aber es war nun mal so: Erklomm man einen Gipfel, wollte man danach nicht mehr lange im Tal verweilen, sondern suchte nach dem nächsthöheren Berg, den es zu besteigen galt. Die Frage war, ob man ihm erlauben würde, weiterzuklettern. Er war sich über seine persönliche Zukunft unsicherer als über die der Republik.
Bei Letzterer empfand er jetzt sogar eine gewisse Zuversicht, nicht zuletzt wegen seines aktuellen Durchbruchs. Pran, der Retter der Republik. Das klang doch wirklich nicht schlecht, auch wenn er diese Worte niemals laut aussprechen würde.
Er drückte einen Knopf auf dem Gerät auf seinem Schreibtisch. Pran machte sich keine Illusionen darüber, wer alles mithörte, wenn er die interne Kommunikation benutzte. Glücklicherweise sprach er stets nur über Dienstliches und erzählte allen das Gleiche. Möglicherweise erwies er damit den Geheimdienstleuten nicht den Respekt, den ihre Arbeit verdiente, denn wenn sie ihn abhörten, würden sie sehr gelangweilt sein. Gut war, dass er schon auf Meridia kein Privatleben gehabt hatte. Diese bewährte Tradition setzte er auf der Erde fort.
»Admiral Hansen«, meldete sich der Militär, der stets sehr höflich und umgänglich wirkte. Prans Erfahrungen im Umgang mit Soldaten waren begrenzt, aber nach seiner Einschätzung gehörte Hansen, vielleicht auch weil er vergleichsweise jung war, zu den Uniformträgern, die mit Zivilisten . nun, zivilisiert umgehen konnten. Seine Kollegen im Team, von denen einige schon länger für die Flotte arbeiteten, hatten angedeutet, dass es auch Vorgesetzte mit ganz anderem Charakter gab. »Ah, Sie sind es. Freut mich sehr, dass Sie sich melden. Ich habe gute Nachrichten für Sie. Die Proxima wird in Kürze auf Terra eintreffen, dann können Sie mit Dr. von Kampen persönlich sprechen und Ihre Arbeit vorantreiben, soweit das überhaupt noch notwendig ist. Ich denke, was Sie entwickelt haben, ist bereits funktionsfähig. Die letzten Simulationen sind abgeschlossen?«
Pran lächelte. Das waren tatsächlich gute Nachrichten, auf einer rein sozialen Ebene natürlich. Er war sparsam mit Berichten umgegangen, sparsam und bescheiden, sodass Hansen tatsächlich nicht über das gesamte Ausmaß seiner Fortschritte informiert worden war. Sobald die Proxima in den Raum der Republik zurückgekehrt war, hatte die Bordärztin ihm die Daten übermittelt, die bei ihrem Manöver gesammelt worden waren. Damit war, wie man so sagte, der gordische Knoten durchschlagen worden.
»In der Tat, Admiral, ich habe auch gute Nachrichten für Sie: Wir können unsere Detektormodifikationen jetzt implementieren. Ich habe von meiner Seite aus die letzten Tests abgeschlossen, so weit das ohne Probanden möglich ist, bin aber sehr zuversichtlich. Die Ergebnisse der Simulationen entsprechen voll und ganz unseren Erwartungen. Sie können wie geplant vorgehen.«
»Das ist ja ganz ausgezeichnet. Die Vorbereitungen werden Ihren Angaben gemäß bereits getroffen.« Hansen wirkte sehr zufrieden, beinahe fröhlich. »Es sieht so aus, als könnten wir das alles jetzt endlich hinter uns bringen.«
»Absolut. Ich denke, dass wir das geplante Treffen abhalten sollten, um das weitere Vorgehen zu besprechen.« Dass Pran - ob aus echter Anerkennung oder aus schierer Verzweiflung - gewissermaßen respektiert wurde, zeigte sich auch darin, dass Hansen seinen Vorschlag sofort aufgriff, ohne darauf zu bestehen, sich die letzten Testergebnisse erst einmal selbst in Ruhe anzuschauen.
Pran bekam nicht alles mit, aber die Regierung hatte offenbar den Eindruck, dass nach den Wirren des Umsturzes die Hütte schon wieder zu brennen begann. Eine Konterrevolution lag in der Luft, und das konnte nur böse enden. Auf Meridia war es bereits wild zugegangen, und bis heute hatte sich, trotz oder gerade wegen der direkten Intervention von Terra, die Lage nicht gebessert. Sein eigenes Institut blieb geschlossen, da die Situation schwierig war und alle lieber so lange zu Hause abwarteten, bis sich der Sturm gelegt hatte. Doch es sah nicht so aus, als würde dieser glückliche Fall bald eintreten.
»Den Termin habe ich bestätigt. Wir warten nur noch auf die Ankunft von Captain Ark, was nicht mehr lange dauern wird, und dann können Sie uns alle Details darlegen.«
»Ich bin bereit«, sagte Pran. Hansen nickte und lächelte, ehe er das Gespräch beendete. Der Wissenschaftler lehnte sich entspannt zurück. Dies war eine Zeit voller Krisen, aber gleichzeitig die glücklichste in seinem Leben. Niemals zuvor hatte er sich so wohlgefühlt, so verstanden. Es gab keine schäbigen Witze, keine Herabwürdigung, keine arroganten Blicke stiller Verachtung. Er war jemand. Er war kein Star, jedenfalls nicht so, wie in seinen Fantasien, aber dies war seine Zeit, seine berühmten, symbolischen fünf Minuten Ruhm, in denen es auf ihn ankam und man auf ihn hörte.
Er wünschte sich, dass die Krise schnell vorbei war und Frieden einkehrte. Aber er hoffte inbrünstig, dass er nicht gezwungen sein würde, in die Obskurität zurückkehren zu müssen. Er wollte diese Phase des Respekts genießen, bis zur letzten Sekunde auskosten, damit er etwas hatte, von dem er .
»Doktor Pran?«
Er drehte sich um, aufgeschreckt aus diesen schönen Gedanken. Der Anblick war jedoch auch sehr angenehm. Eine junge Frau stand vor ihm, er kannte sie ein wenig, eine Forschungsassistentin, die noch an ihrer Promotion arbeitete und dem Team mit allerlei unterstützenden Berechnungen zur Seite stand. Ihr Name war Remi, wenn er sich richtig erinnerte. Sein Namensgedächtnis war leider nicht das beste. Er hatte bisher nur wenige Worte mit ihr gewechselt, denn bedauerlicherweise entsprach er dem Stereotyp des zurückhaltenden Nerds, der jenseits der sachlichen Diskussionen keinen leichten Zugang zu Vertreterinnen des anderen Geschlechts fand. Nun ja, er hatte auch wirklich andere Sachen im Kopf.
Aber jetzt lächelte sie ihn an. Nur ihn. Ein wenig warm wurde ihm schon ums Herz. Machte Erfolg und Anerkennung wirklich attraktiv? Er wollte es gar nicht glauben.
»Sind Sie alleine?«, fragte sie. Prans Herz machte einen Sprung. Was war das für eine Frage?
»Nun«, sagte Pran zögerlich und sah sich bemüht um. »Nun ja.«
»Wie schön!« Das Lächeln wurde intensiver, beinahe sinnlich. »Dann ist ja gut.«
Sie hielt, wie hingezaubert, eine Waffe in der Hand. Der lange, gedrungene Lauf wies auf einen Schalldämpfer hin. Eine altmodische kinetische Pistole.
»Sie kommen jetzt mit mir. Ich bin hier, um Ihnen zu helfen, Dr. Pran. Es wird Zeit, dass Sie das Licht erblicken.«
Pran starrte sie entgeistert an. Die Wärme wich einer lähmenden Kälte, die ihm vom Magen den Hals hochkroch. Er brachte kaum ein Krächzen zustande.
Die Frau lächelte. »Nicht hier. Zur Tür, bitte. Es ist alles vorbereitet. Sie müssen keine Angst haben.« Ihr Lächeln wurde breiter. »Alles wird gut.«
Sie bewegte die Mündung der Waffe mit einer auffordernden...