Schweitzer Fachinformationen
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Der Speer liegt gut in der Hand. Er ist lang, länger als ihr Arm, aber er wiegt nicht sehr viel. Die Spitze funkelt im Sonnenlicht, während das Boot am Riff dümpelt und ihre Zehen sich am Dollbord festhalten. Die Schatten dort unten bewegen sich ruhig, sie haben es nicht eilig. Die Korallenforelle leuchtet rot auf dem Grund, ein Schwarm von Clownfischen jagt mit wehenden Flossen vor einem Feuerfisch davon. Maraia wartet und schaut, sie weiß, worauf sie Jagd macht. Einen blauen Makrelenfisch, der nicht zu groß sein darf. Nicht weil sie Angst vor den Kiefern dieses Fisches hätte, der den Speer zu Spänen zerbeißen kann, falls die Spitze wegrutscht und der Fisch nur verletzt wird - er wäre stark genug, sie mit sich in die Tiefe zu ziehen. Der, den sie sucht, ist der kleinere, der mit dem helleren Fleisch, das besser schmeckt.
Die Wellen sind leicht und munter, heute lacht das Meer. Es tanzt und spielt unter ihr und zeigt plötzlich einen hellgraugrünen Rücken, der auf das Boot zukommt. Die Schuppen mit den schwarzen und blauen Punkten funkeln wie Blitze. Maraia stößt sich so hart ab, dass das Boot seine Richtung ändert, sie hebt den Arm. Die Kraft ihrer Beine lässt sie durch die Luft jagen, der Speer ist der Arm, und der Arm ist der Speer, einen Moment lang tragen sie einander, ehe sie sich trennen. Die Spitze teilt das Wasser, es ruckt, als sich das Gummi an Maraias Handgelenk spannt. Als sie in die Wellen eintaucht, bohrt sich der Speer in den Fisch, genau über der blauen Rückenflosse. Sie packt wieder zu, umklammert den Schaft, während der Makrelenfisch kämpft und sie nach unten zieht. Blutstropfen quellen um die Spitze herum hervor und bilden dunkle Spiralen im Wasser, vermischen sich mit den Luftblasen, die Maraia ausstößt. Maraia weiß, der Fisch ist stark, doch der Fisch weiß nicht, dass Maraia stärker ist. Er zappelt und wendet sich, und sie bleibt auf Distanz, lässt den Speer aber nicht los. Noch hat sie Luft, ihr Blick haftet an der zweigeteilten Spitze, die tief im Fischrücken sitzt. Das Zappeln lässt nach, ein Film zieht sich über die glotzenden Augen, als das Leben aus dem Tier schwindet. Maraia stößt sich vom Boden ab und gleitet mit erhobenem Speer hinauf zum Licht.
»Der ist aber nicht groß«, scherzt Penaia, als der Makrelenfisch im Boot liegt. »Den ess ich heute Abend allein.«
»Der ist groß genug«, erwidert Maraia. »Davon werden alle in Vale nei Kat satt.«
Sie muss noch einmal hinaus. Nicht mit dem Speer, für diesen Tag braucht sie keine weiteren Fische. Sie weiß, dass Penaia denkt wie sie. Er verbringt seine Tage in dem gelben Boot und weiß: wenn das Meer hat, was es braucht, dann gilt das auch für den Fischer. Doch sie hört den Gesang. Alles dort unten hat seinen eigenen Ton, ein Summen, das in den Strömungen schwebt. Das Getuschel der Tentakel einer violetten Anemone, der Tanz der Finger eines Seesterns. Der Gesang, der mit dem Mond ein- und ausströmt, die Antworten auf die Fragen, die zu stellen niemand weiß.
In ihr ist ein Zittern und Knistern, ein Rauschen, ist das nur der Wind? Penaia ist am Vorsteven schweigend mit einem Netz beschäftigt. Maraia beugt sich über den Bootsrand und späht in das glitzernde Wasser. Die Strophen gleiten durch das Licht, ein sanfter, dunkler Klang. Sie nickt Penaia zu und lässt sich wieder ins Meer sinken. Diesmal muss sie tiefer gehen.
Der Reinigungsplatz liegt dort, wo das Riff eine kleine Bucht bildet. Als sie unten ankommt, blickt sie voll in den Schlund eines rotbraunen Barschs, der ganz still daliegt und die Putzkrabben in seinem Maul ein- und ausschwimmen lässt. Grauweiße Schwarzmundgrundeln arbeiten emsig am Kiefer eines fetten Aals und verschlucken Kleinparasiten. Die Fische kommen hierher, um gereinigt und gesäubert zu werden, sie öffnen das Maul und blecken die Kiemen.
Sie hört es in dem Moment, in dem sich das Licht ändert, das Saugen eines schwimmenden Unterseeboots, spürt den Druck des Wassers, das sich teilt, um Platz zu machen. Der große Rochen wogt auf das Riff zu, riesige dreieckige Flügel werden über ihr zu einem blauschwarzen Umriss. Glatt und glänzend gleitet der Rochen auf die Korallen zu, während ein Schwarm gelber Lippenfische herbeiströmt, um tote Haut an ihm zu entfernen und Schmarotzer zu verzehren. Der Rochen ist ein Mondschiff, ein Boot zwischen den Sternen an einem dunklen Himmel. Maraia spürt, wie das Wasser im Takt der Rochenbewegungen um sie herumwirbelt. Weiche Kopfflossen schieben Mengen unsichtbaren Planktons in den Riesenschlund, der weiße Bauch wölbt sich über ihr. Eine Uhr, die schlägt, eine langsame Trommel. Der Puls des Meerestieres im Takt ihres eigenen.
Der Rochen liegt noch immer dort, sanft fächelnd, während Maraia zum Luftholen nach oben muss.
»Du bist aber lange unten geblieben«, sagt Penaia, als sie ins Boot klettert. »Ich hab mir schon Gedanken gemacht.«
»Du weißt, dass es dazu keinen Grund gibt«, sagt Maraia. »Das Meer kennt meinen Namen.«
Er nickt.
»Ich hab Vai da unten gesehen«, sagt sie. »Einen Rochen.«
Wieder nickt er. »Die kommen oft her, um sich säubern zu lassen.«
Sie sagt nichts über den Gesang. Darin lag eine Unruhe. Sie blickt zu Penaia hinüber. Er ist beschäftigt, überzeugt sich davon, dass alle Leinen eingeholt sind und die Speerspitze von ihnen abgewandt liegt. Jetzt kehrt er ihr den Rücken zu und lässt den Motor an. Sein Nacken ist dunkel und runzlig, mit kurzen weißen Haaren wie auf einer Kokosnuss.
Sie fahren zu seinen Krebskörben und ziehen sie herauf. Alle sind leer, aber Penaia beklagt sich nicht. Er macht das schon mehr Monde lang, als Maraia bisher gelebt hat. Er hat gänzlich leere Körbe gesehen und so volle, dass die Krebse über den Bootsrand fielen. Er runzelt die Stirn, über seinen Augenbrauen bilden sich Hügel und Berge. »Die sind weiter rausgezogen«, sagt er und schaut hinüber zu der weißen Linie zwischen Himmel und Meer, die die Augen zum Brennen bringt.
Der Makrelenfisch, den sie mit ins Haus nimmt, ist mehr als genug für eine Mahlzeit im Damenhaus. Ehe Ateca an diesem Abend heimgeht, brät sie den Fisch und bereitet das Gemüse aus dem Garten hinter dem Haus vor: Roro, dicke Scheiben Dalo und in Kokosmilch gebackene Süßkartoffeln. Wie meistens sitzen auch an diesem Abend nur drei am Tisch: Nau Kat, Madam Sina und Maraia.
Madam Sina isst langsam und kaut jeden Bissen viele Male. Alles, was sie tut, ist Arbeit.
Nau Kat isst und redet gleichzeitig. Sie hat schon vor Maraias Geburt auf Fidschi gewohnt, dennoch spricht sie anders als die Menschen in Korototoka. Die Wörter fliegen ihr aus dem Mund wie von ihrer plötzlichen Freiheit überraschte Vögel.
Maraia hat eine Na, eine Mutter, und zwar Na Sai. Und sie hat Nau Kat. Als sie klein war, hat sie immer Madam Kat zu ihr gesagt, wie Ateca und Sai das taten. Aber schon vor langer Zeit hat Kat sie gebeten, damit aufzuhören: »Nenn mich nicht Madam«, sagte sie. »Nenn mich Kat.«
»Das kann ich nicht«, erwiderte Maraia. »Das ist zu kurz im Mund. Das klingt, als ob ich dich beiße.«
Kat lachte, ihr Lachen rollte durch das Zimmer wie sprudelndes Wasser. Sie lachen zu hören macht alle froh. »Dann nenn mich Nau«, sagte sie zu Maraia. »Tante. Kannst du mich nicht Nau Kat nennen?«
Das tut sie nun also.
Sai schweigt dazu. »Du hast mich unter dem Herzen getragen«, sagt Maraia zu ihrer Mutter. »Du hast mir zu essen gegeben und mich nachts an dich gedrückt und mich vor Sonne und Regen beschützt.«
»Ja«, antwortet Sai. »Ich habe dich unter meinem Herzen getragen. Und Madam Kat trägt dich in ihrem.«
Na Sai hat jetzt weiße Haare, helle Fäden im Dunklen. Maraia weiß, dass es von ihrer Müdigkeit kommt. Man wird müde, wenn man immer aufpassen muss. Na Sai hat auf sie und Kelera, ihre Schwester, aufgepasst, seit ihr Mann weggegangen ist. Er ist aus Korototoka verschwunden, als Maraia klein war, einige sagen, er habe nach Australien gewollt. Na Sai hat hart für ihre Töchter gearbeitet. Sie hat Kassava und Papaya und Eier verkauft, hat gefischt und Muscheln gesammelt. Kelera und Maraia haben ihr geholfen. Sie sind es, die Geld kosten. Vor allem Kelera, die an der Universität in Suva studiert.
Na Sai wohnt dort, wo sie immer gewohnt hat, mit Kassava und Dalo auf dem Feld hinter dem Haus und dem Bett unter dem Fenster im hintersten Zimmer. Einige Male übernachtet Maraia dort, manchmal übernachtet sie im Haus der Damen, im Vale nei Kat. Aber sie weiß, von dem Tag an, an dem für Nau Kat in die große Muschel geblasen wird und sie vor ihrem Sarg Matten hertragen, wird sie alle ihre Nächte dort verbringen. Dann wird das Haus Vale nei Maraia heißen.
*
Anfangs wohnten in Nau Kats Haus fünf Madams aus Norwegen. Jetzt sind es nur noch zwei, oder drei, wenn Madam Ingrid kommt. Meistens ist Ingrid zusammen mit Mister Johnny auf seinem Boot, der Tarisso. Sie fahren mit Gästen zum Fischen auf die Nordseite von Vanua Levu. Tunfisch, Wahoo und Fächerfisch, der große Fisch, mit dem Ausländer sich gern fotografieren lassen. Der Fisch hängt mit dem Kopf nach...
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