Schweitzer Fachinformationen
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Wir leben auf einer Etage in einem neu errichteten Apartmenthaus, die ein gewisser Ayaslı Ibrahim Efendi angemietet hat und zimmerweise weitervermietet. Neun Zimmer liegen hintereinander zu beiden Seiten eines ziemlich dunklen Flures. Am Ende des Korridors befinden sich ein Badezimmer und eine Küche. Mein Zimmer ist gleich rechts, wenn man den Gang betritt.
Sechs Monate lang hatte ich die endlosen Ehestreitereien meiner früheren Vermieter ertragen und gewartet, dass der Vertrag für mein altes Zimmer endlich auslief. Als der Termin schließlich näher rückte und ich mich auf die Suche nach einer anständigen neuen Bleibe machte, freute ich mich wie ein Kind, dass ein Freund mir sein altes Zimmer überließ. Noch am selben Tag packte ich meine Sachen und zog hier ein.
Ein blasses, mageres Dienstmädchen half mir dabei, mein Bett aufzustellen. Erst am nächsten Tag wollte ich meine Sachen und Bücher unterbringen. Als ich am Abend vom Essen zurückkam, ging ich sofort ins Bett. Ich muss mich nie lange eingewöhnen und schlief deshalb ungestört durch. Da die Jalousien an den Fenstern sich wie Vorhänge schließen lassen, war das Zimmer in Halbdunkel getaucht; ich musste ziemlich lange geschlafen haben.
Als ich mich nach dem Erwachen in dem neuen Zimmer wiederfand, freute ich mich. Aus dem oberen Stockwerk waren Schritte zu hören, in unserem Teil war alles ganz still. Ich fühlte mich unsicher wie ein Fremder, der irgendwo nur zu Besuch ist. Bisher habe ich weder Ayaslı noch die Nachbarn kennengelernt. Wann legen sie sich schlafen, wann stehen sie auf, was ist hier üblich? Vorsichtig machte ich die Tür auf und trat auf den Flur hinaus. Kein Laut. Ob mir das blasse Dienstmädchen, das mir gestern geholfen hat, wohl einen Morgenkaffee kochen könnte? Als ich zurück in mein Zimmer ging, sah ich ihren Kopf in der Küchentür und blieb stehen.
»Wollten Sie etwas?«
»Ja, bitte, könntest du mir vielleicht einen Kaffee kochen?«
»Wenn Sie welchen haben, koche ich einen.«
»Kaffee . Müsste ich haben. Und falls nicht, können wir da nicht jemanden losschicken, um welchen zu kaufen?«
»Mal sehen, wenn der Hausmeister schon da ist.«
Während ich noch dachte, der Hausmeister würde losgeschickt, hatte das Mädchen schon Kaffee gekocht und brachte ihn mir.
»Wo hast du denn den her?«
»Von Faika Hanım und ihren Leuten, der Hausmeister kommt erst später«, antwortete sie.
»Kannst du mir ein bisschen beim Aufräumen helfen?«
»Trinken Sie nur erst Ihren Kaffee, ich komm dann.«
Ein wenig später fing ich an, meine Bücher einzuordnen und meine Wäsche in die Schränke zu legen; sie wollte das Bett machen. Das Mädchen trat mit der Wolldecke ans Fenster, drehte sich zu mir um und sagte: »Wenn Sie Wäsche haben, kann ich sie Ihnen waschen.«
»Gut, wie viel nimmst du dafür?«
»Ich wasch sie erst einmal, und wenn Sie zufrieden sind, dann wasche ich sie Ihnen für das, was Sie auch anderen geben würden.«
»Einverstanden«, sagte ich.
Sie scheint ein kluges Mädchen zu sein. Allerdings macht sie einen erschöpften und kranken Eindruck. Dieses magere Mädchen soll Wäsche waschen? Schafft sie das überhaupt? Sie hat doch kaum genug Kraft, um die Wolldecke zu heben, und kann sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Ich fing an, sie zu bemitleiden. Man mochte sich eigentlich nicht von ihr bedienen lassen, man spannt ja auch kein lahmes Pferd vor den Wagen. Aber würde ich ihr sagen, lass das, Mädchen, das mach ich schon selber - da wäre sie gekränkt! Wenn man ihr sagte, du kannst nicht arbeiten, du bist krank - hieße das: Setz dich zum Sterben in eine Ecke, anstatt unter den Menschen herumzulaufen und sie traurig zu machen!
Fast hätte ich sie gefragt: »Bist du krank? Warum atmest du so schnell?« Aber womöglich hätte sie mir das übel genommen.
»Wie heißt du?«
»Halide.«
Ein wenig später fragte sie mich: »Sind Sie im Finanzministerium?«
»Nein, ich arbeite in einer Bank.«
»Ach, in welcher? In der großen Bank? Unsere Cemile arbeitet jetzt auch da. Früher hat sie im Stockwerk über uns in Wohnung Nummer sechs gearbeitet. Wir haben zusammen in einem Zimmer gewohnt. Sie ist ein sehr gutes Mädchen. Kennen Sie Cemile nicht?«
»Nein.«
»Sie wohnt mit Feyyaz Bey zusammen. Bei Ihnen in der Bank gibt es doch einen Feyyaz Bey, mit dem.«
Vielleicht gibt es einen Feyyaz Bey in unserer Bank, aber ich kannte ihn nicht.
»Was ist das für einer, ist er jung oder alt?«, fragte ich.
»Ach, ein alter Mann, er hat schon erwachsene Töchter. Macht aber nichts, er kümmert sich gut um Cemile. Ich würde ihn tausend Jüngeren vorziehen. Wenn du dich den jungen Männern überlässt, ruinieren sie dich.« Nach einigem Zögern fügte sie noch hinzu: »Cemile hat Glück. Kleidung, Miete, für alles kommt er auf. Was sie von der Bank bekommt, bleibt ihr.«
Ich blickte aus den Augenwinkeln zu Halide hinüber. Wäre sie nicht so leichenblass, das Mädchen wäre gar nicht übel! Ein bisschen dunkelhäutig, aber ein hübsches Gesicht, und gar nicht mal unsympathisch. Ob Cemile hübscher ist als sie?
»Kennen Sie Rasim Bey aus der Inkasso-Abteilung im Finanzministerium?«
»Rasim Bey? Nein. Aus welcher Inkasso-Abteilung?«
»Na der, in der sie gerade neue Leute eingestellt haben.«
Wo man gerade neue Leute aufgenommen hat, wusste ich auch nicht. Nun gut.
»Weiß ich nicht«, sagte ich. »Warum fragst du?«
»Nur so, weil das sehr gute Menschen sind. Ich war letzten Winter krank und konnte nicht arbeiten. Da haben sie sich um mich gekümmert. Er selbst und auch seine ältere Schwester. Wer sonst hätte sich wohl um mich gesorgt?«
Sie weiß, dass sie wieder krank werden wird, dachte ich.
»Hast du denn niemanden sonst?«, fragte ich.
»Nein, sie sind alle schon tot.«
»Wie viel Geld verdienst du hier?«
»Sie zahlen mir zehn Lira, und ich esse mit ihnen zusammen.«
»Mit wem?«
»Na, mit Faika Hanım und ihren Leuten.«
»Und wer ist Faika Hanım?«
»Dass der Vater eine Stieftochter hat, wissen Sie doch?«
»Das weiß ich nicht«, sagte ich. »Ich weiß auch nicht, wen du >Vater< nennst.«
»Aber der Vater ist doch der, der diese Wohung hier angemietet hat.«
»Gemietet hat das hier Ayaslı Ibrahim Efendi.«
»Ja eben, Ayaslı Efendi. Die sagen zu ihm immer >Vater<, und ich hab mir das auch angewöhnt.«
»Wohnt die Stieftochter bei ihrem Vater?«
»Die Tochter ist in dem Zimmer ganz am Ende, und der Vater wohnt im Zimmer neben Ihnen. War er denn gestern nicht da, als Sie eingezogen sind?«
»Er war hier, aber wie soll ich wissen, in welchem Zimmer er wohnt? Wohnt die Tochter für sich allein?«
»Aber sie hat doch einen Mann! Fuat, der Fahrer. Der hat jetzt auch seine Mutter aus Istanbul hergebracht, sie wohnen alle zusammen in dem einen Zimmer.«
»Und du wohnst auch bei ihnen?«
»Ich habe ein eigenes Zimmer. Da gehe ich nachts hin.«
»Und wer ist der junge Mann, der beim Vater wohnt?«
»Sein Sohn; von seiner Frau im Dorf.«
Faikas Mutter, so erzählte sie, hatte der Vater erst hier geheiratet. Aber aus irgendeinem Grund lebte der Vater hier nicht mit seiner neuen Frau zusammen, die Frau hatte eine eigene Wohnung. Ab und zu kam sie, um ihre Tochter zu besuchen, dann saß sie mit dem Vater zusammen und unterhielt sich mit ihm. Auch Faika ging manchmal ihre Mutter besuchen. Glaubte man Halide, so war die Mutter schöner als Faika.
Während unseres Gesprächs räumten wir das Zimmer auf. Das meiste erledigte ich, sie wischte nur Staub.
»Von wo kommst du?«, fragte ich irgendwann.
»Ich? Ich bin aus Ezirgân.«
»Na, du sprichst aber gar nicht wie eine aus Ezirgân.«
»Ich war lange in Istanbul.«
Nach allem, was Halide erzählte, hatte man sie in zartem Alter in Ezirgân verheiratet. Später auf der Flucht war ihr Mann umgekommen. Ein Oberstleutnant der Artillerie in Istanbul hatte sie zu sich genommen. Zwei Jahre lang war sie bei ihm geblieben, war dann krank geworden und ins Krankenhaus gekommen. Und war nie wieder ins Haus des Oberstleutnants zurückgekehrt.
»Wir bringen dich unter die Haube«, hatte eine Hebamme gesagt und sie nach Hause mitgenommen. Sie hatte einige Zeit bei der Frau gewohnt und darauf gewartet, dass man sie verheiratete. Dann war ihr klar geworden, dass man das nie tun würde und sie nur arbeiten ließ. Sie hatte sich dann mit einer Freundin abgesprochen, und sie waren bis hierher geflüchtet. Seitdem schlug sie sich als Dienstmädchen durch. Ich sah sie an. Wie alt mochte sie denn gewesen sein, dass man sie schon vor der Flucht verheiratet hatte? Sie belog mich, aber was machte das schon!
»Wo hast du gearbeitet?«
»Irgendwo im Haushalt. Kennen Sie Muhittin Bey?«
»Welchen Muhittin...
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