Schweitzer Fachinformationen
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Sie warteten vor der offenen Eingangstür auf die Spurensicherung und den Gerichtsmediziner. Elma fühlte sich im Sommerhaus nicht wohl, was nicht nur am Gestank lag, sondern auch am Kreuz und an dem Bild von Jesus, der sie von der Wand aus anzustarren schien. Eigentlich war sie nicht gläubig, jedenfalls glaubte sie nicht an Gott und den Heiligen Geist, aber dort drinnen, umgeben vom schweren und stickigen Verwesungsgeruch, wirkte der Anblick von Jesus Christus irgendwie erdrückend. Vermutlich trug der Spruch an der Wand ebenfalls dazu bei.
»Kristjana ist tatsächlich streng gläubig«, sagte sie zu Hörður. »Sie betreut die Sonntagsschule für Kinder oder hat es zumindest jahrelang gemacht.«
Diese Details wusste Elma von ihrer Mutter. Als sie und Sævar umgezogen waren, hatte sie ihnen alles erzählt, was sie über ihre neuen Nachbarn wissen sollten, und noch mehr. Deshalb war Elma auch darüber informiert, dass das Paar in dem Haus hinter ihnen zusammengezogen war, nachdem beide vorherigen Ehen gescheitert waren. Manchmal sah Elma durchs Fenster eines der sechs Kinder der neuen Patchworkfamilie. Sie wusste auch, dass der Mann im Haus links nebenan ein herausragender Student gewesen war, doch zu schwer an dem vielen Wissen zu tragen gehabt hatte und jetzt als Bademeister im Schwimmbad arbeitete. Er lebte allein, aber hatte einen Sohn, der offenbar manchmal zu Besuch kam, auch wenn Elma ihn bisher noch nicht gesehen hatte. Und ihre Mutter hatte eben auch erzählt, dass Kristjana zutiefst gläubig und ziemlich sonderbar war. Sie hatte nur den einen Sohn und nicht wieder geheiratet, nachdem ihr Mann vor einigen Jahrzehnten bei einem Unfall verstorben war.
»Ja, ich kenne sie ein wenig«, sagte Hörður.
»Aber diese Kritzelei passt nicht wirklich ins Bild«, fuhr Elma fort. »Alles ist so ordentlich, das ist kein Haus, in dem mit schwarzem Filzstift auf die Wände gekritzelt wird.«
»Was ist mit Þorgeir?«
»Meinst du, ob er an Wände gekritzelt hat?«
»Ist er gläubig?« Hörður blickte sich um und holte tief Luft.
»Keine Ahnung.«
»Könnte es sein, dass er diesen Spruch noch kurz vor seinem Tod geschrieben hat? Hätte er die nötige Zeit und Kraft dafür gehabt?«
Elma machte einen Schritt in Richtung Hörður und der frischen Luft.
»Also eine Art Bitte um Sündenerlass?«, fragte sie. »Nimm hinweg die Vergehen und Sünden . welche Vergehen und welche Sünden?«
»Haben wir nicht alle unsere Sünden?«
»Doch, ich schätze schon.« Elma sah durch die offene Tür ins Wohnzimmer und auf das Jesusbild an der Wand. Sein Blick war nicht verurteilend, aber etwas daran löste dennoch Unbehagen in ihr aus. Vielleicht dieser Gesichtsausdruck von absoluter Unschuld und Güte. Niemand war vollkommen unschuldig und gut.
»Ich würde trotzdem davon ausgehen, dass keiner der beiden diese Textzeile geschrieben hat«, sagte Elma. »Sie wurde auf das Blut geschrieben. Nach dem Mord.«
»Das sollen die Kriminaltechniker beurteilen«, sagte Hörður. »Ich rufe mal in Reykjavík an und frage nach, wann mit ihnen zu rechnen ist.«
Elma wäre am liebsten mit ihm nach draußen gegangen, doch sie wollte sich das Haus noch vor der Ankunft der Spurensicherung etwas genauer ansehen. Vielleicht könnte sie herausfinden, ob Þorgeir allein gewesen war. Trotz ihres Unbehagens, oder vielleicht gerade deshalb, weckte dieses Sommerhaus ihre Neugier.
Die Stille, nachdem Hörður gegangen und die Tür ins Schloss gefallen war, fühlte sich an wie ein angehaltener Atem. Deshalb erschrak Elma auch, als der Kühlschrank plötzlich ein lautes Surren von sich gab.
Bevor sie durchs Haus ging, zog sie gewissenhaft Schuhüberzieher und Handschuhe an. Im Vorraum sah sie nur Schuhe, die vermutlich Þorgeir und seiner Mutter gehörten, alte Gummistiefel, ausgefranste Hausschuhe und ein Paar neue Sneaker.
Wenn irgendwelche Freunde mit Þorgeir gekommen waren, hatten sie ihre Schuhe beim Rausgehen wieder angezogen, was nicht weiter ungewöhnlich war. Die meisten Menschen verließen ein Haus schließlich in den Schuhen, in denen sie gekommen waren.
An einem Haken hingen eine moosgrüne Wachsjacke und ein karierter Schal. Außerdem waren da noch ein gelber Regenhut und jede Menge Strickmützen und Kopftücher.
Im Waschbecken in der Küche befand sich Geschirr, zwei Wassergläser und zwei Weingläser. Auf der Arbeitsplatte stand eine Weinflasche, in der nur noch etwas Bodensatz zu sehen war.
Þorgeir hatte anscheinend nicht irgendwelche Freunde zu Besuch gehabt, sondern eher eine Frau, überlegte Elma. Könnte natürlich auch ein Mann gewesen sein, aber es sah definitiv nach einem romantischen Abend aus. Ein Gläschen Rotwein im Whirlpool.
Elma betrachtete das Wohnzimmer, das ziemlich ordentlich wirkte, und auf den ersten Blick fiel ihr nichts Ungewöhnliches auf. Höchstens ein Teppich, der etwas seltsam zwischen Sofatisch und Fernseher platziert war. Er lag schief und an einer willkürlichen Stelle auf dem Boden, zu weit vom Sofa entfernt und zu weit links vom Fernseher. Sævar hätten sich beim Anblick die Haare gesträubt, er rastete schon aus, wenn Elma aus Versehen eine Cerealienbox von der falschen Seite öffnete.
Im Badezimmer gab es nichts, das ihr weiterhalf. Die Dusche war typisch für ein Sommerhaus, eine kleine Plastikkabine und ein simpler Duschkopf. Sie öffnete den Schrank und entdeckte eine Zahnpastatube und zwei Zahnbürsten, eine Hautcreme und Kontaktlinsenflüssigkeit.
Neben dem Schlafzimmer, in dem Þorgeir lag, gab es noch ein weiteres, kleineres. Dort standen ein Einzelbett mit einer Matratze und eine Wandlampe, auf dem Boden lag ein großer Stapel Bücher, vor allem Romane. Eine bunte Mischung aus Krimis und Liebesgeschichten.
In diesem Raum war die Luft sogar noch schlechter als im restlichen Haus, modrig, feucht und irgendwie faulig. Die Matratze hatte auch schon bessere Zeiten gesehen, und es war kaum zu erkennen, ob sie von Anfang an beige oder vielleicht früher einmal weiß gewesen war. Elma wollte es gar nicht so genau wissen.
Aber irgendetwas nagte an ihr, sie wusste nur nicht genau, was es war. Etwas, das sie gesehen oder vielleicht übersehen hatte.
Als ihr Handy vibrierte, kam sie darauf: Wo war das von Þorgeir? Fast alle, wenn nicht sogar alle Menschen, hatten ihr Smartphone immer bei sich, aber seines war ihr nirgendwo aufgefallen.
Sie holte ihr Handy hervor und sah, dass Sævar ein Selfie von sich und Adda geschickt hatte. Still lächelte sie in sich hinein und steckte das Telefon zurück in die Tasche, atmete tief durch und betrat noch einmal das große Schlafzimmer. Sie ignorierte die Leiche und konzentrierte sich stattdessen auf alles darum herum. Þorgeir hatte seine Kleidung auf einem Sessel in der Ecke abgelegt. Die Jeans und der dunkelblaue Pullover waren fein säuberlich zusammengefaltet und kontrastierten mit dem Horror im Bett.
Elma stellte sich vor, wie Þorgeir sich bettfertig machte, seine Kleidung sorgfältig ablegte, die Kontaktlinsen rausnahm und schlafen ging. Hatte er bis zum ersten Messerstich geschlafen?
Die meisten Menschen legten ihr Handy vor dem Schlafen auf einen Nachttisch. Elma beugte sich unters Bett, in der Hoffnung, ein Handy zu sehen, das bei der Auseinandersetzung auf den Boden gefallen war.
Dort lag etwas Schwarzes, aber nicht das Handy, es sah viel eher aus wie eine zusammengeknüllte Socke.
Elma holte das Kleidungsstück hervor, keine Socke, sondern eine stoffarme Seidenunterhose mit Spitze, die wohl kaum Kristjana gehörte.
Matthías blieb starr im Bett liegen, während Hafdís aufstand, sich anzog und das Schlafzimmer verließ. Als er lauschte, wie Mutter und Tochter frühstückten und sich fertig machten, brachen seine Tränen hervor und tropften auf das Kissen. Er dachte darüber nach, dass er bald das letzte Mal neben Hafdís aufwachen würde, dass sie bald nicht mehr als Familie zusammenleben würden, doch auch jetzt lag er bereits allein da und konnte sich nicht vorstellen, es mit dem kommenden Tag aufzunehmen.
Hafdís wollte die Scheidung.
Das hatte sie ihm am Wochenende bei der Weihnachtsfeier der Bank mitgeteilt. Seitdem hatte sie so getan, als wäre nichts gewesen, obwohl bereits feststand, dass sich alles verändern würde. Ihrer Tochter zuliebe wollte Hafdís bis nach Weihnachten mit der Ankündigung warten. Ein neues Jahr für ein neues Leben. Vielleicht war das der Hintergedanke.
Er stand erst auf, als er hörte, dass sie und Ólöf gegangen waren. Auf Frühstück hatte er keine Lust, er holte nur einen Sechserpack Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich ins Auto.
Die Fahrt von Akranes zu den Pferdeställen bei Æðaroddi dauerte nur wenige Minuten. Dort war Matthías mehr oder weniger aufgewachsen, früher war er jeden Tag mit seinen Eltern oder Geschwistern hingefahren. Momentan hatten sie fünf Pferde, um die sie sich gemeinsam kümmerten. Sein Vater half auch oft, aber zum Glück war gerade niemand da. Niemand außer den Tieren.
Er öffnete eine Bierdose und ging zu Garpur, ihrem ältesten Pferd, der im Frühjahr fünfundzwanzig wurde. Er hatte ihn zu seinem siebzehnten Geburtstag bekommen. Garpur war vielleicht kein edles Ross und auch nicht besonders wertvoll, aber trotzdem sein Lieblingspferd.
Das Handy vibrierte in seiner Tasche, und er sah Kristjanas Namen auf dem Display aufleuchten, die Mutter von Þorgeir, mit dem er seit der Kindheit befreundet war. Er ließ es klingeln, hatte keine Lust, jetzt mit ihr zu reden, sondern wollte einfach seine Ruhe.
Er streichelte über Garpurs Nüstern, und die großen braunen...
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