Schweitzer Fachinformationen
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Da ist es!«
Er eilt vor ihr durch das Gebüsch, Smilla hat Mühe, ihm zu folgen. Von dem halb zugewucherten Forstweg, wo sie den Wagen abgestellt haben, sind sie mindestens einen Kilometer gelaufen. Um sie herum wächst düsterer Nadelwald, gelegentlich von goldschimmerndem Herbstlaub unterbrochen. Hier und da große Brombeerbüsche, deren blutrote Dornenranken an der Kleidung hängen bleiben und die Haut zerkratzen.
»Warte!«, ruft sie.
Der Boden ist abschüssig und voller Laub, was ihn rutschig macht. Sie gleitet aus, landet auf den Knien. Der Tragegurt ihrer schweren Kamera scheuert an ihrem Hals, aber mit ihr kann man bei schwachem Licht die besten Bilder machen.
Smilla kommt wieder auf die Füße, klopft sich das nasse Laub von der Hose, während er bereits im Dickicht verschwunden ist.
Was er wohl gesehen hat?
»MM!«, ruft sie. Er möchte, dass sie ihn so nennt, obwohl sein Name so schön ist. Malik Mansur. Genauso sanft wie seine Augen.
Offiziell sind sie kein Paar mehr. Seit dem Sommer machen sie eine Beziehungspause, auch wenn sie jetzt so tun, als sei alles in Ordnung, und der Tatsache nicht ins Auge sehen wollen, dass Smilla bald nach Paris zurückkehren wird.
Dabei war er wütend und eifersüchtig gewesen, als sie Schluss gemacht hatte, und hat ihr bitterböse Nachrichten geschrieben. Aber jetzt ist alles wieder wie immer. Zumindest fast.
MM ist in den letzten vier Monaten erwachsener geworden, männlicher, spannender.
Sogar ein bisschen gefährlich.
Der Sex mit ihm ist auch besser. Viel besser.
Vielleicht hat er während ihrer Abwesenheit eine andere kennengelernt?
Manches deutet durchaus darauf hin, sie wollte jedoch nicht nachfragen.
Es ist einfacher so.
»Smilla!«, hört sie ihn aus dem Dickicht rufen.
Sie steigt weiter hinauf, passt aber besser auf, wohin sie tritt.
Weiter oben wird der Boden wieder eben. Unter ihr geht es sicher fünfzig Meter hinunter, vielleicht sogar mehr.
»Smilla!«
MM taucht plötzlich mit strahlendem Gesicht vor ihr auf. So gefällt er ihr.
»Da ist es!«
Das Gebäude, auf das er zeigt, ist so niedrig und zugewachsen, dass es kaum zu sehen ist.
Es sieht aus wie ein trister Betonklotz. Statt Fenstern gibt es Gitterkäfige, die mit Granitsteinen gefüllt sind. Sie erinnern Smilla an die Gartenmauer ihres Sommerhauses in Falsterbo. Sie hebt die Kamera und schießt ein paar Bilder.
»Steinfilter«, erklärt MM und klopft auf einen der Käfige. »Dieser Bunker sorgt für die Luftzufuhr der ganzen Anlage, genau, wie er gesagt hat.« Er klingt angespannt und aufgeregt.
Dann zieht er sie mit sich um das Gebäude herum.
Während sie getrennt waren, hat sein Interesse für Urban Exploration noch weiter zugenommen. Wahrscheinlich hängt das mit der Vorlesung zusammen, die er an der Universität besucht. Architektur des Verfalls. Jedenfalls ist er gar nicht mehr zu bremsen, wenn er auf das Thema kommt, genauso wenig wie auf seinen Dozenten, Martin Hill.
Vielleicht hat MM seinen neuen Bekannten in dieser Vorlesung kennengelernt, allerdings macht er ein großes Geheimnis daraus.
Auf der Rückseite des Betongebäudes bricht Gestein durch den Boden, bildet große moosbewachsene Felsblöcke. Durch die Kameralinse hindurch sehen sie fast lebendig aus. Zusammengekauert, lauernd.
Sie erschaudert, als sie daran denkt, wie weit sie vom Auto entfernt sind und wie schwierig es wäre, zurückzufinden, falls etwas passiert.
Sie tastet nach ihrem Telefon in der Jackentasche. Es ist noch da, aber ausgeschaltet.
Als sie vorhin noch ziemlich weit weg von hier getankt haben, hat MM darauf bestanden, dass sie beide gleichzeitig die Handys ausmachen. Das hatte er seinem Bekannten versprochen.
Weil diese Expedition super geheim ist, sagte er. Einzigartig.
»Sieh mal!« MM zeigt auf die Rückseite des Bunkers. Ein Teil der Wand schiebt sich hier nach vorne, man erkennt eine dunkle Öffnung.
»Die Tür ist wie versprochen offen.«
Smilla versucht, seine Begeisterung zu teilen, aber sie hat ein ungutes Gefühl.
»Wie heißt dein Freund noch mal?«, fragt sie.
»Wer? Berg?«
»Berg? Heißt er wirklich so?«
Er zuckt mit den Schultern.
»Und ihr kennt euch erst seit ein, zwei Monaten?«, hakt sie nach. »Trotzdem hat er dir diesen unglaublichen Tipp mit dem Tunnel gegeben? Und dem Höhlenregen?«
MM hört die Frage nicht, oder aber er ignoriert sie. Er ist vollauf damit beschäftigt, die Tür zu begutachten. Sie ist aus Beton und sicher fünfzig Zentimeter dick.
Die Öffnung selbst ist schmal, einen Moment lang hofft sie, sie sei zu eng, um hindurchzukommen.
Aber MM lässt sich wie immer nicht aufhalten. Er nimmt den Rucksack ab und zwängt sich hindurch.
»Komm, du passt hier auch rein!«
Sie zögert eine Sekunde.
Zu Hause auf ihrem Rechner hat sie jede Menge Fotos von anderen Expeditionen gespeichert. Von stillgelegten Fabriken, verlassenen Häusern, vergessenen Orten, genau wie diesem hier.
Aber kein Höhlenregen. Den gibt es nur an wenigen unterirdischen Orten, an denen die Verhältnisse so speziell sind, dass die Luftfeuchtigkeit sichtbare Tropfen in der Luft bildet. Sie würde wahnsinnig gern einen Höhlenregen fotografieren, das weiß er. Dennoch zögert sie.
Sie sind keine Anfänger, sie haben Handys, Taschenlampen und Ersatzakkus dabei. Aber dieser Ort ist seltsam: Der Wald, die Höhe, die lauernden Felsblöcke und die schwere Betontür wecken ein ungutes Gefühl in ihr.
Und dann noch dieser Bekannte. Berg.
Ein ganz gewöhnlicher schwedischer Familienname.
Und trotzdem klingt er unheimlich.
Berg.
Sie blickt verstohlen zu den Felsbrocken. Sie erinnern sie an Trolle aus einem alten Märchenbuch. Uralte Berggeschöpfe. Böse.
»Jetzt komm!«
MM streckt ihr die Hand entgegen. Er klingt ungeduldig, sein Gesicht wirkt im Halbdunkel angespannt.
Immer noch zögert sie. Am liebsten würde sie kehrtmachen, zum Auto zurückgehen, das Handy einschalten und jemanden anrufen: ihre Mutter, ihren Vater, ihre Schwester, egal wen, nur um eine Stimme zu hören. Und erklären, wo sie hier ist, und dass sie jetzt sofort nach Hause fahren möchte.
Aber dann verändert sich MMs Gesichtsausdruck, zeigt dieses Lächeln, das ihr so lange gefehlt hat und das ihr Herz immer zum Schmelzen bringt.
»Komm jetzt, Smilla«, sagt er sanft.
Sie zaudert noch einen Moment. Dann ergreift sie seine Hand und lässt sich von ihm durch den Türspalt ziehen.
Der Raum dahinter ist klein. Die Wände, der Boden, die Decke sind aus grauem Beton.
An der Innenseite der Tür, durch die sie soeben hineingekommen sind, befindet sich ein großes, rostiges Rad aus Metall, das den Schließmechanismus aktiviert. Etwas an dem Rad und dem Schloss stört sie, verstärkt ihr ungutes Gefühl.
MM scheint jedoch nichts zu merken.
»Siehst du?«, fragt er, während er mit der Taschenlampe über die Wände leuchtet. »Keine Kritzeleien. Das bedeutet, dass bisher kaum jemand hier gewesen sein kann. Die Tür unten ist zugeschweißt, somit ist dies der einzige Zugang.«
Smilla nickt angestrengt.
Aus einem Loch am Boden ragen die Sprossen einer Leiter. Sie leuchtet mit der Taschenlampe in die Öffnung.
Ein feuchter Luftstrom schlägt ihr entgegen, gepaart mit dem Geruch nach Wasser, Stein und Metall. Der Atem des Berges. Sie hat diesen Ausdruck einmal in einem Urban-Exploration-Forum gelesen und fand ihn schön. Als wäre ein Berg ein lebendiges Wesen. Aber jetzt, wo ihr der Geruch aus der Tiefe entgegenschlägt, spricht sie diese Vorstellung weniger an. Ein paar Meter weiter unten beleuchtet das Licht ihrer Taschenlampe einen weiteren Raum, auch dieser mit einem Loch im Boden, durch das eine Metallleiter in die Dunkelheit führt.
»Komm.«
MM hängt sich seine Taschenlampe an einer Schnur um den Hals, fasst nach den Handgriffen der Leiter und beginnt hinabzusteigen.
Sie selbst zögert wieder. Schielt zur Tür. Das große Rad bereitet ihr Unbehagen, obwohl sie nicht genau erklären kann, warum.
Aber MM hat den nächsten Raum erreicht, und sie kann ihn nicht allein weiterklettern lassen.
Also tritt sie an die Leiter und folgt ihm.
Der Handlauf ist kalt und rau. Wo sich der Rost durch die galvanisierte...
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