Schweitzer Fachinformationen
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Es war erst vier Uhr morgens, bis zur Dämmerung würde es noch eine knappe Stunde dauern, aber zwischen den Marktständen und den parkenden Fahrzeugen leuchteten hier und da schon die Lichter von Taschenlampen auf. Unruhig flackernd, als wollten ihre Besitzer nicht unnötig Aufmerksamkeit erregen. Nebelschleier, die über dem taufrischen Gras schwebten, sowie leise, fast flüsternde Verhandlungen zwischen den Zeltwänden verstärkten den Eindruck, dass hier etwas Geheimes vor sich ging.
Es war der vierte Sonntag im Juli, der alljährliche Antik- und Sammlermarkt von Degeberga öffnete offiziell erst um acht Uhr, aber alle, die sich mit Antiquitäten auskannten, wussten, dass man die besten Geschäfte sehr viel früher machte, im Schein einer Taschenlampe, begleitet vom diskreten Rascheln von Bargeld.
Der Markt fand ein wenig außerhalb des Dorfes statt, im Tal des Flüsschens Mörkavad, an einer Stelle, die auf alten Karten als Trollelier bezeichnet wird. Ein hübscher Name, dessen Ursprung niemand so richtig kannte. Trolle und Kobolde waren Teil der lokalen Folklore, seit sich Menschen in der landschaftlich schönen Gegend angesiedelt hatten.
Nicht weit von hier, an den Hängen des Flusses Linderöd, halb versteckt in einem uralten Buchenwald, befanden sich die Forsakarfälle. Das Becken zwischen den beiden Wasserfällen war einer Legende zufolge entstanden, als sich eine Riesin in einen hübschen Menschenjungen verliebt und für ihre heimlichen Treffen eine Grotte gegraben hatte. Daraufhin leitete ein hinterhältiger Riese aus Eifersucht einen Bach um, sodass Wasser in die Grotte strömte und sie für die beiden Liebenden in eine Todesfalle verwandelte.
Eher wissenschaftlich veranlagte Menschen behaupteten allerdings, die Wasserfälle und das Tal seien gebildet worden, als sich das Inlandeis zurückgezogen habe. Diese Version ist vielleicht wahrscheinlicher, aber lange nicht so unterhaltsam.
Gert Zillén interessierten weder Trolle noch Wichtel. Er besuchte den Antikmarkt seit über dreißig Jahren und hielt dabei seine sorgfältig geplante Routine ein. Er stand um drei Uhr nachts auf, holte sich in der Küche der Pension eine Thermoskanne Kaffee und ein Lunchpaket und ließ die Bezahlung für das spartanisch eingerichtete kleine Zimmer auf dem Tisch im Eingangsbereich in einem Umschlag zurück. Auf die Krone genau abgezählt. Dann folgte, im Licht seiner Stirnlampe, ein kurzer Spaziergang durch das Dorf. Dabei zog er einen Rollwagen hinter sich her, den Gert mit steigendem Alter immer unverzichtbarer fand.
Er war ein kleiner, dünner Mann, der sich langsam und ruckartig bewegte, wodurch er an einen Spatzen erinnerte. Und genau wie bei einem Spatzen nahmen nur wenige Menschen von ihm Notiz. Sein ganzes Leben war er unbemerkt geblieben, hatte nie größeren Eindruck hinterlassen. In seiner Jugend war er zwar ein paar Jahre verlobt gewesen, aber das war im Sande verlaufen. Bei der Arbeit hatte er zu den Stillen, Fleißigen gehört, die tagein, tagaus pünktlich ihre Aufgaben erledigten, ohne Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, bis er in Rente ging.
Aber Gert Zillén hatte andere Interessen, die wichtiger als Frauen oder Karriere waren.
Obwohl er knapp über siebzig war und sich seit seiner Jugend mit Antiquitäten beschäftigte, schlug sein Herz in Erwartung der kommenden Jagd immer noch schneller. Vielleicht wäre ausgerechnet heute der Tag, an dem ihm der Große Fund gelänge.
Als er den Markt erreicht hatte, blieb Gert an einer Böschung stehen, von der aus er das gesamte Gelände überblicken konnte, schaltete seine Stirnlampe aus und gönnte sich eine kurze Pause. Während er aus seiner karogemusterten Thermoskanne Kaffee trank und ein Butterbrot aß, versuchte er zu erkennen, wo sich die anderen frühen Schnäppchenjäger befanden, um eine Strategie festzulegen.
Von einigen Jahren war ihm das Glück an einem solchen Morgen tatsächlich hold gewesen. Er hatte eine alte chinesische Teekanne mit Blattmuster aufgespürt, die ihm der ahnungslose Verkäufer für wenige Hundert Kronen verkauft hatte, die dann aber über zehntausend wert gewesen war. Der Irrtum des Verkäufers war nichts Ungewöhnliches. Wenn es um chinesisches Porzellan ging, war der Unterschied zwischen wertlos und wertvoll oft so minimal, dass es einen Experten brauchte, um ihn zu erkennen. Und nur wenige Menschen waren auf diesem Gebiet so kundig wie China-Gert Zillén, zumindest wenn man ihn selbst fragte.
Gert leerte seine Kaffeetasse und verschraubte die Thermoskanne ordentlich. Dann schaltete er die Stirnlampe wieder ein und steuerte auf den dunkelsten Teil des Marktes zu. Mit geübtem Blick lief er zwischen den Ständen umher. Ab und an tauchte ein Verkäufer auf und nickte ihm müde zu. Planen wurden gelüftet, Tücher weggezogen, Zeitungspapier raschelte beim Auspacken von Objekten.
Manchmal blieb Gert stehen, um einen Porzellangegenstand zu inspizieren, fand aber nichts von besonderem Interesse.
Am Ende eines Ganges stand ein großer Tisch mit einer bunten Mischung aus Werkzeug, alten Spielsachen, angeschlagenen Tassen und Bücherstapeln. Meistens verschwendete er keine Zeit auf solche Flohmarktstände. Sie gehörten Pfadfindergruppen oder dem Lions Club, die hofften, mit den gespendeten Gegenständen ein paar Kronen zu verdienen, aber in der Regel handelte es sich dabei nur um Müll.
Im Vorbeigehen ließ Gert trotzdem zur Sicherheit den Schein seiner Stirnlampe über den Tisch wandern. Gerade wollte er um die Ecke biegen, um im nächsten Gang weiterzusuchen, als ein Gegenstand am Rande seines Gesichtsfeldes seine Aufmerksamkeit erregte. Er blieb abrupt stehen und drehte den Kopf, um den Lichtkegel darauf zu werfen.
Zwischen zwei alten Buchstützen und einer Donald-Duck-Spardose aus Plastik stand eine kleine Schale. Sie war hellgrün mit eingeritztem Blumenmuster, und für das ungeübte Auge sah sie im Grunde aus wie eine armselige, übrig gebliebene Zuckerschale aus einem lange verschwundenen Kaffeeservice.
Gert ging näher heran. Sein Herz begann, heftiger zu schlagen. Er griff nach der Schale und leuchtete sie mit der Stirnlampe an, während er mit der anderen Hand eine Lupe aus seiner Tasche kramte. Dann schob er sich die Brille auf die Nasenspitze und hielt sich stattdessen das kleine Vergrößerungsglas vor das Auge.
Eingehend betrachtete er die zarte Krakelierung der Glasur, die sich als Spinnennetz auf der Oberfläche erahnen ließ. Danach untersuchte er das eingeritzte Muster, das mit solcher Meisterschaft ausgeführt war, dass man meinen könnte, es wäre maschinell erzeugt worden.
Aber dies war keine Massenproduktion, sondern etwas vollkommen anderes.
Etwas sehr viel Selteneres.
Ein Fund von solchem Kaliber, dass Gerts Knie beinahe zu zittern begannen.
Er schluckte. Einmal, zweimal.
Sein Herz hämmerte ihm in der Brust. Er musste diese Schale kaufen, jetzt sofort. Bevor aus der Dunkelheit irgendein Spekulant auftauchte.
Er sah sich um, suchte nach jemandem, der für den Stand zuständig war. Jemandem, den er nach dem Preis fragen und mit dem er verhandeln könnte. Aber es war niemand zu sehen.
Der Pfadfinderverein von Degeberga betrieb den Stand, wie auf einem Schild zu lesen war. Kein Pfadfinder konnte auch nur die geringste Ahnung haben, was Gert zwischen seinen zitternden Händen hielt.
Sollte er die Schale einfach nehmen? Ein paar Zwanzigkronenscheine oder sogar hundert Kronen unter die Spardose legen und gehen?
Es widerstrebte ihm aber, eine wahllose Summe zu hinterlassen. Er wollte einen Preis hören, sich anständig verhalten, wie er es immer tat.
Zu Gerts Erleichterung kam ein junger Mann in Pfadfinderhemd und zerzausten Haaren angeschlendert. Er sah wenig begeistert darüber aus, dass er offenbar das falsche Los gezogen hatte und die erste Schicht übernehmen musste.
»Entschuldigung.« Gerts Stimme überschlug sich. Er räusperte sich, holte tief Luft und versuchte es noch einmal. »Du da .«
Mitten im Satz brach er ab.
Trotz der Dunkelheit verspürte Gert plötzlich einen gewaltigen Schatten, der sich über ihn legte. Genau hinter ihm stand jemand. Jemand, der nach Branntwein und Aftershave roch, durch dessen bloße Anwesenheit sich Gerts Nackenhaare aufrichteten.
»Na, wenn das nicht der kleine China-Gert ist?«, sagte eine tiefe Stimme. »Was hast du denn da?«
Die Stimme gehörte zu einem Kerl um die sechzig. Er trug eine blaue Windjacke und darunter ein kariertes Hemd, das in einer hochgezogenen Jeans steckte. Ein Gürtel im letzten Loch hielt sie mühsam am Platz. Über seinen dichten Haarschopf hatte er sich eine Kappe mit der Aufschrift Rasks Haushaltsauflösungen gezogen.
Gert unterdrückte ein Schaudern. Lennart »Nalle« Persson war der berüchtigtste Antiquitätenhändler von Österlen. Der Aasgeier der Branche, der brutal und schamlos seine Beute ergriff.
Gert begann zu schwitzen. Wenn Nalle die geringste Witterung aufnahm, würde er sofort seine Klauen nach der Schale ausfahren.
»Nichts Besonderes«, murmelte Gert so gleichgültig wie möglich. »Bloß eine kleine Zuckerschale. Ich wollte sie für meine Nichte kaufen.«
Er wandte sich an den Pfadfinder hinter dem Tisch.
»Was willst du dafür haben?«
Er wedelte kurz mit der Schale, damit Nalle so wenig wie möglich davon zu sehen bekam.
»Tja, ich weiß nicht .«, sagte der junge Mann und rieb sich schlaftrunken die Augen.
Gert fummelte mit einer Hand nach seinem Geldbeutel, während er mit der anderen die Schale festhielt. Er hatte gehofft, Nalle würde weitergehen und ihn in Ruhe lassen, aber stattdessen blieb der riesige Mann stehen, türmte sich hinter ihm auf und richtete seinen brennenden Blick auf...
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