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»Tja, wen haben wir denn da?« Helmfried schrie es fast, und Manfred zuckte zusammen. Man musste Helmfried Brellbecki normalerweise weder gesehen noch gehört haben, um zu wissen, dass er in der Nähe war. Der aufdringliche Geruch seines billigen Rasierwassers, mit dem er sich sogar seine Deckhaare in Wellen legte, erfüllte das ganze Treppenhaus, wenn er die Stufen zu seiner Wohnung im dritten Stock erklomm. An ausgewählten Tagen griff Helmfried zu Old Spice, um sich etwas Besonderes zu gönnen. Und um den stetigen Geruch nach Kanalisation zu überdecken, dem er jeden Tag berufsbedingt ausgesetzt war, da er für eine Tiefbaufirma arbeitete, die sich auf das Verlegen und Warten von Abwasserleitungen spezialisiert hatte. Zudem war er dem Glauben verhaftet, dass ihm vor allem helle Töne schmeichelten, die im Gegensatz zu seiner orangefarbenen Arbeitskleidung seine Haare, die den Farbton eines Kanarienvogels besaßen, besonders zur Geltung brachten. Heute trug er eine himmelblaue Jacke, aus der oben ein Tuch mit silbrigem Paisleymuster herausschaute, und eine cremefarbene Hose dazu.
»Nett, nett!«, grölte Helmfried, und Manfreds Erstaunen wuchs. Seit wann hatte der poltrige Nachbar denn etwas für ihn übrig?
Dass er gar nicht gemeint war, merkte er erst, als Helmfried kurz davor war, sich durch sein Haar zu streichen. So, wie er es immer tat, wenn eine Frau in der Nähe war. Während Manfred noch innerlich den Kopf über Helmfrieds Aufmachung schüttelte, zögerte dieser und ließ die Hand, die er schon in Richtung Haartolle erhoben hatte, wieder sinken. Offenbar erinnerte er sich daran, dass er frisch frisiert losgegangen und es daher gar nicht nötig war, seine kunstvoll gelegten Deckhaarwellen unnötig zu zausen.
»Prachtvoll, prachtvoll«, rief er und drängte sich an Manfred vorbei auf die Straße. Die Haustür knallte vor Manfreds Nase ins Schloss. Mit offenem Mund beobachtete Manfred, was dann geschah. Helmfried war mit wenigen Schritten zu den hopfenblonden Locken geeilt, lehnte sich großspurig an den Umzugswagen und bleckte sein Pferdegebiss, was wohl in seinen Augen der gelungene Versuch eines bezirzenden Lächelns war.
Bestimmt wird sie sich jetzt übergeben, fürchtete Manfred. Doch das Ungeheuerliche nahm seinen Lauf.
»Ach, wie schön, noch ein kerniges Mannsbild!«, sagte die neue Nachbarin.
»Zur Stelle! Was kann ich als Erstes nehmen?«, grölte Helmfried und spannte an, was er für seine Bizeps hielt.
Manfred ertrug es nicht länger. Außerdem wurde es nun auch zunehmend unruhig in den Plastikboxen. Krallen kratzten, und die Kisten schaukelten.
Also setzte er eine der Boxen ab und steckte endlich den Schlüssel ins Schloss.
Dann machte er sich daran, mit den Kisten die zweiundsiebzig Stufen in den vierten Stock hinaufzusteigen. Als er in der dritten Etage eine Verschnaufpause ein- und die Jutetaschen mit den Jacken vor seiner Tür ablegte, wünschte er sich, einfach in seinem Appartement verschwinden zu können. Doch der Gedanke daran, dass diese makellosen Zähne den widerlichen Helmfried allein erfreuen könnten, spornte ihn zu Höchstleistungen an. Mit wenigen Schritten, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, sprintete er in den vierten Stock. Dabei wurde er unvorsichtig und traf mit der rechten Box gegen das Treppengeländer. Ein entrüstetes Schnauben erklang aus der einen Box, während die andere mit einem Zischgeräusch antwortete.
Was waren das denn für seltsame Köter?
Manfred hatte sich auf ein Bellen gefasst gemacht, aber doch nicht auf Geräusche wie aus einem Gruselfilm. Nun hatte er es doch eilig, die beiden - wie hießen sie noch gleich? Ach ja, Trude und Zorro, was für idiotische Namen! - im vierten Stock abzusetzen und sich aus dem Staub zu machen. Eine der Boxen ragte in die Türöffnung der Nachbarwohnung, doch Manfred zuckte mit den Achseln und wackelte wieder ins Erdgeschoss. Unten angekommen stellte er fest, dass Helmfried immer noch am Umzugswagen lehnte und noch keine Anstalten gemacht hatte, einen Karton oder gar irgendein Möbelstück ins Haus zu befördern.
»Phantastisch, Sie sind schon wieder da. Das ging ja schnell.«
Ihr Strahlen ließ sein Herz hüpfen. Sie freute sich, dass er wieder bei ihr war!
Die kalte Luft hatte gnädig einen kleinen Teil von Helmfrieds Parfümdunst abgetragen. Dennoch stachen die verbliebenen Dämpfe in Manfreds empfindliche Nasenlöcher. Er schüttelte sich.
»Oh, haben Sie vielleicht gar keine Zeit mehr?« Bestürzung malte sich auf ihr hübsches Gesicht. Ein Schleier der Enttäuschung legte sich auf ihre Züge.
»Aber nein! Ich stehe Ihnen voll und ganz zur Verfügung!«, entfuhr es Manfred. Die Götter schienen es gut mit ihm zu meinen, so wie sie ihn mit den richtigen Antworten versorgten. Manfred konnte es selbst nicht glauben, dass er nicht einmal stotterte. Dabei war sein Innerstes in größtem Aufruhr.
»Wir werden das Kind schon schaukeln!«, prahlte Helmfried, ohne einen Finger zu rühren.
Die neue Nachbarin strahlte noch mehr. Dann sagte sie verlegen: »Hören Sie, es ist mir ein bisschen peinlich, dass ich Sie so einspanne. Aber bis die Umzugshelfer kommen, dauert es noch mindestens eine halbe Stunde, und ich kann einfach nicht mehr so lange warten. Also Trude und Zorro können es nicht.«
Was meinte sie damit?
Helmfried schien gar nicht richtig zugehört zu haben. »Kein Problem, das ist alles eine Frage der Organisation. Lassen Sie mich mal machen.« Spucketröpfchen mischten sich unter seine Rasierwasserausdünstungen, die wie ein olfaktorischer Heiligenschein um seinen Kopf waberten.
Manfred kam die Galle hoch. Was machte sich dieser Gockel denn hier so wichtig?
»Sehen sie, dort hinten an der Seite? Wir müssen erst die Kartons wegräumen, bevor wir drankommen. Aber dann müsste das gute Stück frei liegen, und Sie könnten es vielleicht für mich hochtragen?« Sie deutete in den Umzugswagen.
Wieder nickte Manfred, der Mühe hatte, neben Helmfried zu atmen. Doch der Anblick der liebreizenden neuen Hausbewohnerin entschädigte ihn gründlich.
»Ich hoffe, ich verlange da nicht zu viel von Ihnen?«, flötete sie jetzt.
Manfred schmolz dahin. Wild schüttelte er den Kopf. Eine wundervolle Stimme hat sie auch noch, dachte er dabei verzückt. Dass ihm das nicht früher aufgefallen war!
Mit wackeligen Beinen kletterte er in den Umzugswagen und machte sich sofort daran, Kartons herauszutragen, jeder einzelne erschien ihm so schwer wie ein Konzertflügel. Dabei schimmerte ihm das perlweiße Glitzern vor Augen, mit dem sie ihn in ihren Bann gezogen hatte. So merkte er auch nicht, dass Helmfried immer noch neben den geöffneten Türen stand, röhrend über irgendetwas lachte und, ohne sich im Geringsten dafür zu schämen, Däumchen drehte. Manfred schwitzte und ächzte, schob und zerrte, trug und stapelte. In seinem Eifer vergaß er völlig, dass er nur ein paar Kisten bewegen sollte, um an das Wichtigste dahinter zu gelangen. Immer schneller arbeitete er, bis schließlich alles von der Stehlampe bis zur Frisierkommode auf dem Bürgersteig vor dem Haus stand.
»Sie sind mein Held!«, frohlockte seine Holde, und er wäre vor Freude am liebsten in Ohnmacht gefallen. »Aber Sie sind ja ganz verschwitzt. Hier, nehmen Sie.« Sie hielt ihm ein mit blauen Vergissmeinnichtblüten besticktes Taschentuch entgegen. Ein zarter Duft nach Sommer strömte ihm entgegen, als er es behutsam wie einen Schmetterlingsflügel an seine Glatze schmiegte. Nicht einmal Helmfrieds Geruch konnte den Genuss beeinträchtigen. Es war, als ließe er sich mit geschlossenen Äuglein in eine frisch gemähte Wiese fallen, während Jasminblüten aus dem Himmel auf ihn herabschwebten. Vogelgesang streichelte sein Ohr, und die wunderbarste Frau, die er je gesehen hatte, schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln. Als er es ihr wiedergeben wollte, lächelte sie und sagte: »Behalten Sie es!«
Beglückt ließ er es in seine Jackentasche wandern und zog den Reißverschluss hoch, damit es nicht verloren ginge. Was für ein Geschenk!
Ihm war ganz warm ums Herz. Und er musste sich nicht anstrengen, um als Dank ebenso freundlich zurückzulächeln.
Schließlich fiel seiner Herzdame wieder ein, warum sie alle drei hier auf der Straße standen. »Würden Sie dann vielleicht so freundlich sein .?«, fragte sie und deutete in den offenen Umzugswagen.
»Ja, dann woll'n wa' mal!« Unangenehm bohrten sich Helmfrieds Worte in Manfreds Stirn. »Jetzt haben wir ja alles gut vorbereitet, da ist das letzte Stück nur noch ein Klacks!« Helmfried spazierte die Rampe hoch und verschwand im Inneren des Wagens.
Wir?
Obwohl er sich über seinen unverschämten Nachbarn ärgerte, wollte Manfred seine Liebste auf keinen Fall enttäuschen, und so kletterte er abermals in den Umzugswagen, wo Helmfried schon neben einem mit Kalkspuren verkrusteten Schneewittchensarg stand und mit den Armen ruderte. »Dat Ding muss erst mal in Essig eingelegt werden, bevor Sie da neue Gurken einmachen können, schönes Fräulein!«, dröhnte er,...
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