Schweitzer Fachinformationen
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Analog zum Verlauf der männlichen Abwendung vom respektive der weiblichen Zuwendung zum Pferd veränderten sich sowohl die medialen Repräsentationen als auch die wissenschaftlichen Ausdeutungen dieses Hergangs. Dass es sich um eine Aneignung und Transformation einer originär männlich besetzten Sphäre handelte, lässt sich bereits daran erkennen, dass Frauen bis Anfang des 20. Jahrhunderts das Reiten im Damensattel nahegelegt wurde und es verpönt blieb, wenn sie im sogenannten >Herrensitz< ritten377. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts kursierte jedoch auch die Auffassung, eine »Reiterin [.] schule neben der Bewegungsgenauigkeit die Eleganz ihrer Ausführung und erlange sogar durch diesen Sport ein gestärktes Selbstvertrauen«378. Wurde die Begeisterung von Mädchen und Frauen für Pferde in der Nachkriegszeit zunächst noch auf eine »weiblichkeitstypische sorgende und emotionale Haltung«379 zurückgeführt, erlangte die Mensch-Pferd-Beziehung ab den siebziger Jahren zunehmend Bedeutung als »Raum der Entwicklung fortschrittlicher Weiblichkeit«380, bei der das Pferd zum »Inbegriff und Instrument einer modernen weiblichen Sozialisation der Stärke«381 und schließlich »zu einem >Container<, in dem neuralgische Themen der Frauenbewegung symbolisch aufgehoben sind«382, avancierte. Wenn das Thema der Mädchen-Pferd-Beziehung insbesondere in medienpädagogischer und literaturwissenschaftlicher Hinsicht auch mittlerweile erschöpfend erschlossen sein mag383, ist der mit ihm verbundene Wandlungsprozess für eine Neusemantisierung des Mensch-Pferd-Verhältnisses insgesamt nichtsdestominder von zentraler Bedeutung. Mit ihm, sowie mit der Erfolgsgeschichte des deutschen Reitsports korrespondierend, figuriert ein sich diametral zum Niedergangsnarrativ verhaltendes, idealisiertes Bild zur Beschreibung des Status quo der Mensch-Pferd-Beziehung. Schon in den fünfziger Jahren deklarierte Franz Châles de Beaulieu Pferde im Hinblick auf ihren zukünftigen kulturellen Stellenwert zu einem »Rest Paradies in einer mechanisch und prosaisch gewordenen Welt«384. Dieser Topos einer romantisch aufgeladenen, paradiesischen Weltabgewandtheit findet seither insbesondere in Bezug auf die Beziehung von Mädchen und Frauen zu Pferden Anwendung. Besonders deutlich tritt er bei Raulff hervor, für den »Mädchen und Pferde [.] Inseln im Strom der Zeit«385 und »kleine Frauenstaaten als temporäre Symbiosen eigenen Rechts«386 darstellen, weshalb er den dafür sinnbildlich stehenden »Ponyhof [.] eine Enklave am Rande der wirklichen Welt«387 nennt. Wenn er die Mädchen-Pferd-Beziehung damit auch einerseits adoriert, impliziert seine Behauptung einer Isolation vom Weltgeschehen andererseits auch die Negation von Relevanz und stützt damit letztlich doch Kosellecks Niedergangsnarrativ. Dabei stellt sich die Frage, ob eine solche, zugleich schwärmerische, aber auch eindimensionale Einschätzung des Mädchen-Pferde-Verhältnisses nur eine Konsequenz aus einem heroisierenden Bild des Einsatzes von Pferden als Kriegs- und Arbeitstier darstellt, das eine Konvention geschönter Darstellungen der Mensch-Pferd-Beziehung begründete.
In Anbetracht der zahlreichen populären medialen Umsetzungen von Pferdethemen, welche einerseits die überkommene Vorstellung von Pferden als erhabene Leistungstiere tradieren, andererseits die Idee einer idyllischen Symbiose zwischen Mädchen und Pferden seit den fünfziger Jahren prägen und immer wieder reproduzieren, lässt sich ihr Einfluss auf die Semantisierung von Pferden kaum unterschätzen. Es ergibt sich ein divergentes, symbolisch hochgradig aufgeladenes Gesamtbild der Mensch-Pferd-Beziehungen, dessen unterschiedliche Einschreibungen aber dennoch in korrelativer Verbindung stehen, die es im Rahmen dieser Arbeit aufzuzeigen gilt.
Das >Ende des Pferdezeitalters< besaß mitnichten die verabsolutierte Bedeutung einer Kehrtwende für das Mensch-Pferd-Verhältnis. Wenn Pferde auch ihre zahlreichen ökonomischen und militärischen Aufgaben verloren hatten, erhielten viele primärsoziale Ansprüche an den Kontakt mit ihnen zwar neue Gewänder, aber blieben doch erhalten. Daneben wurden von Verlustängsten geprägte Postulate des Nutzens und der Unentbehrlichkeit innerhalb eines sich in der Übergangsphase vom >Pferdezeitalter< zum >Nachpferdezeitalter< um die Zukunft des Pferdes konstituierenden Diskurses maßgeblich.
In diesem Zeitraum lässt sich darum auch eine Persistenz der Semantisierungen des Pferds in militärischen und agrarökonomischen Zusammenhängen konstatieren. Dabei erscheint insbesondere das Auftauchen von Pferden im Rahmen erinnerungskultureller Repräsentationen vordringlich. Daher gilt es herauszufinden, inwiefern Pferde in solchen Kontexten lediglich als Reminiszenzobjekte oder Nostalgiefaktoren semantisiert werden; oder ob sich darüber hinausweisende Bedeutungen feststellen lassen. So hat sich vor allem die ihnen schon vormals häufig im Rahmen kavalleristischer Idealvorstellungen zugedachte Rolle als >Lehrmeister<, als Instrument körperlichen Trainings, aber auch moralischer Disziplinierung des Menschen, auch im >Nachpferdezeitalter< weithin fortgesetzt.
Dabei stellt sich außerdem die Frage nach etwaigen inhaltlichen Veränderungen entsprechender Semantisierungen in Anbetracht einer stärkeren Gewichtung von Empathie und Tierethik im >Nachpferdezeitalter<. Im Übrigen soll betrachtet werden, inwiefern neue und alte Akteur_innen im Umfeld der Diskurse um die Mensch-Pferd-Beziehung Bezug auf entsprechende Traditionen im Umgang mit dem Pferd nehmen. Angesichts eines dem >Nachpferdezeitalter< inhärenten Postulats des Vergangenen, aber auch des Neuen, erscheinen Kenntlichmachungen, Abgrenzungen, Rekurse und Bewertungen in Bezug auf Konventionen, Überlieferungen und Semantisierungen früherer Mensch-Pferd-Verhältnisse relevant, um die Kriterien etwaiger Veränderungsprozesse herauszuarbeiten.
Der Schauplatz, an dem Aushandlungsprozesse der kulturellen Semantisierung des Mensch-Pferd-Verhältnisses in erster Linie stattfinden, ist vor allem medial zu verorten. Populäre Medien, die sich als »Reproduktion[en] von Kultur als ein Geflecht aus gesellschaftlichen Zuordnungen und Grenzziehungen«388 und »Verdichtungen von bestimmten kulturellen Mustern«389 untersuchen lassen, prägten bereits während des späten >Pferdezeitalters< die entsprechenden Pferdediskurse. Wenn sich eine Pferdewissenschaft auch erst im späten 18. Jahrhundert herausbildete390, lässt sich auch für die vorangegangenen Jahrhunderte bereits ein hohes Maß an veröffentlichter Ratgeberliteratur, »die sich ausdrücklich mit der Zucht, Verpflegung und Ausbildung und mit dem Reiten von Pferden«391 beschäftigt, feststellen. Ab dem 19. Jahrhundert ist schließlich eine mit der Professionalisierung der Zucht und der Etablierung des Rennsports korrelierende Zunahme entsprechender Publikationen zu verzeichnen.
Das bei Rennsportpferden nun vorrangige Zuchtziel, das Franz Châles de Beaulieu, der mit seinen stark autobiographisch gefärbten, teilanekdotischen, populärwissenschaftlichen Schriften in der Bundesrepublik zum »Haushistoriker des deutschen Pferdesports«392 avancierte, als »>Leistungsprinzip< anstelle des bisherigen >Schauprinzips<«393 beschrieb und damit vor allem »die Zucht nach Leistung statt nach Exterieuer«394 meinte, schlug sich zugleich in diesen Schriften nieder. Die Konzentration der Züchter auf die Weitergabe veranlagter Fähigkeiten überlagerte die zunehmend als artifiziell empfundene Orientierung der Vererbung an ästhetischen Kriterien, welche in der späterhin als >barock< bezeichneten Tradition der fest mit dem Hofzeremoniell des absolutistischen Staates verbundenen >Hohen Schule< des Reitens, die vor allem darauf ausgerichtet war, dem »höfisch-fürstlichen Dasein reiterlichen Ausdruck«395 zu verleihen, stand. Diese als eine »Ästhetisierung des Herrschaftsanspruchs«396 das 18. Jahrhundert noch diskursiv dominierende Variante der Pferdesemantisierung, bei der das Reiten als »l'art pour l'art des Leibes«397 des Pferdes vollständig von seinen lebensweltlich-utilitären Ursprüngen gelöst worden war, wurde nun durch ein agonales, leistungsorientiertes Pferdeverständnis, das wieder stärker an seiner Verwendbarkeit außerhalb isolierter und künstlicher Räume seiner herrschaftlichen Repräsentationsfunktionen ausgerichtet war, sukzessive abgelöst. Das darauf basierende Nutzenprinzip, das auf die Körperformung und Gesunderhaltung zu Verwendungszwecken sowie das Erreichen einer größtmöglichen Gefügigkeit der Pferde ausgerichtet ist, ist seit dem 19. Jahrhundert prägendes Denkmuster pferdebezogener Gebrauchsliteratur, mit dem erst im...
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