Schweitzer Fachinformationen
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Giuseppe Lojacono saß auf dem Beifahrersitz des Streifenwagens, den Rücken durchgedrückt, die Hände reglos auf den Oberschenkeln. Mit seinen hohen Wangenknochen, den schräg stehenden Augen, die zu zwei schmalen Schlitzen wurden, wenn er sich konzentrierte, dem ungebändigten schwarzen Haar, dem stets unter Spannung stehenden Körper, als müsse er jeden Moment losstürzen, sah er tatsächlich aus wie ein Chinese. Den Spitznamen hatten ihm die Kollegen gegeben, natürlich ohne dass er davon wusste, denn er war niemand, den man rasch ins Vertrauen zog. Die tiefen Falten neben den Mundwinkeln ließen erahnen, dass er die vierzig bereits überschritten hatte, wenn auch noch nicht lange.
Lojacono hing seinen Gedanken nach. Er dachte, wie schnell er doch all das verloren hatte, was er sich mit Mühe aufgebaut hatte. Und dass bei ihm zu Hause um diese Jahreszeit, Ende März, die Mandelbäume bereits in voller Blüte standen und die Sonne so warm war, dass man an den Strand gehen, aufs Meer schauen und die Seele baumeln lassen konnte. Hier hingegen schien der Winter alles noch in seiner Gewalt zu haben: Sturmböen, die sich mit Regenschauern abwechselten, Passanten, die hinter ihren vom Wind zerrupften Regenschirmen herjagten, zum Stillstand verdonnerte Autofahrer, die ihren Unmut durch permanentes Hupen zum Ausdruck brachten.
Aber sein Zuhause war weit weg, Lichtjahre entfernt, in Raum und Zeit. Vielleicht inzwischen sogar unerreichbar. Abgesehen davon, dass er dort ohnehin unerwünscht sein würde. Er war einfach zu unbequem. Als Freund, als Familienmitglied, als Kollege.
Er dachte an seine Unterredung mit Kommissar Di Vincenzo, seinem Vorgesetzten. Nicht, dass sie jemals gute Freunde gewesen wären, aber seit der Geschichte mit dem Krokodil war die Situation erst recht belastend.
Das Krokodil: Der verzweifelte Alte, der vier Kinder umgebracht hatte. Den er, ohne offiziellen Auftrag, dingfest gemacht hatte. Dessen Motiv und Identität er aufgedeckt hatte. Während sämtliche Polizisten der Stadt in den üblichen Schubladen gewühlt hatten - Camorra, organisiertes Verbrechen, Drogenhandel -, ohne den geringsten Erfolg zu landen.
Die Sache hatte ihn halbwegs rehabilitiert, aber bei den Kollegen erst recht unbeliebt gemacht. Einer, der weder Ortskenntnis noch Kontakte in die Szene besaß und einen so komplizierten Fall, eine Handvoll Serienmorde, allein durch logisches Denken gelöst hatte. Der für das Polizeipräsidium, das von Presse und Öffentlichkeit mit dem Rücken zur Wand gestellt worden war, die Kastanien aus dem Feuer geholt hatte.
An dem Punkt musste etwas mit ihm geschehen. Sie konnten ihn unmöglich in der Abteilung für Strafanzeigen sitzen lassen, in einem Kommissariat, das sich in dem Viertel mit der höchsten Kriminalitätsrate befand. Ihm stand zweifelsohne ein adäquater Job zu, sonst würde noch irgendein Boulevardblatt aus Mangel an zugkräftigen Schlagzeilen lautstark nachfragen, was denn aus dem Mann geworden sei, der das Krokodil geschnappt hatte.
Di Vincenzo hatte sich zunächst dagegen gesträubt, um am Ende doch klein beizugeben und ihm ein paar «kalte Fälle» aufs Auge zu drücken, die seit Jahren ohne neue Erkenntnisse vor sich hin gammelten. Niemand konnte dem Kommissar schließlich vorschreiben, welche Aufgaben er wie an seine Leute verteilte.
Vor ein paar Tagen dann hatte er ihn zu sich rufen lassen. Und ihm von Pizzofalcone erzählt.
Seine Versetzung in dieses Kommissariat, dachte Lojacono, war vermutlich die beste Lösung für alle - etwas, was man immer denkt, wenn man vom Regen in die Traufe kommt.
Der junge Polizist, der am Steuer saß, hatte schon zweimal versucht, ein Gespräch anzufangen, aber jedes Mal waren seine Smalltalk-Sätze ins Leere gelaufen. In den letzten Minuten hatte er den Wagen daher schweigend durch den dichten Verkehr gesteuert und nur immer wieder flüchtige Seitenblicke auf seinen Beifahrer geworfen.
Dieser Sizilianer mit dem finsteren Profil war ihm unheimlich. Auch er hatte schon alle möglichen Geschichten über den Inspektor gehört, den sie beim Mobilen Einsatzkommando von Agrigent rausgeworfen hatten, weil ein Kronzeuge behauptet hatte, er versorge die Mafia mit internen Informationen. Soweit der Polizist wusste, hatte sich der Verdacht als nicht haltbar erwiesen, aber wie immer in solchen Fällen hatte man den Beschuldigten sicherheitshalber seines Amtes enthoben.
Er war ihm schon ein paarmal im Foyer des Kommissariats begegnet, und natürlich kannte er die Geschichte mit dem Krokodil. Die ganze Stadt hatte darüber geredet. Selbst nachdem der Fall abgeschlossen war, beherrschte er die Schlagzeilen weiter, berichteten die Medien Tag für Tag darüber, bis ein weiteres Verbrechen ihm den Rang ablief - frisches Blut, neue Morde. Wie die Sache tatsächlich abgelaufen war, konnte er nicht beurteilen. Aber so oder so fühlte er sich an der Seite dieses wortkargen Mannes ziemlich unbehaglich.
Schließlich fasste er sich ein Herz und fragte:
«Soll ich das Blaulicht einschalten, Ispettore? Wir kommen sonst keinen Schritt voran - sobald in dieser Stadt zwei Regentropfen vom Himmel fallen, springen sie alle in ihre Autos.»
Ohne den Blick von der Schlange vor ihnen zu lösen, sagte Lojacono:
«Nein, nicht nötig. Wir haben's nicht eilig.»
Ein sichtbares Zucken durchlief den Verkehrsstrom, der kurz darauf erneut erstarrte: vielleicht eine Ampel, die ein paar Kilometer weiter vorne auf Rot umgesprungen war.
Der Wind sprühte brackiges Regenwasser auf die Windschutzscheibe, direkt vom Meer. Scirocco.
Ohne den Blick von seinem Schreibtisch zu heben, wies Di Vincenzo Lojacono einen Stuhl zu.
«Bitte, bitte, nehmen Sie Platz.»
Er wühlte zwischen den Papieren, die vor ihm lagen. Dann nahm er seine Brille ab und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
«Und, Lojacono, man kämpft sich so durch seine Akten, was? Wer weiß, dank Ihres legendären Instinkts kriegen wir ja vielleicht sogar was bewegt. Olle Kamellen, ist mir schon klar. Aber einer, der gut ist, richtig gut, sieht auch Dinge, die andere übersehen haben.»
Der Inspektor schwieg, ohne die Miene zu verziehen.
Di Vincenzo trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. Schließlich nahm er den Faden wieder auf.
«So einfach ist das alles nicht. Draußen denken sie, unsere Arbeit würde so ablaufen wie in amerikanischen Fernsehserien - dass wir von Brücken auf fahrende Motorräder springen, uns mit Gangstern mitten auf der Straße Schießereien liefern und so weiter. Aber in Wahrheit: Akten, nichts als Akten! Abgesehen von ein paar Glückstreffern, versteht sich. So was kann immer passieren.»
Der Tumbe sieht den Erfolg des anderen allein im Glück begründet, dachte Lojacono. Er wünschte sich ein Geldstück für jedes Mal, da er diese Situation erlebte.
«Commissario, was kann ich für Sie tun? Ich stehe zu Ihren Diensten.»
Di Vincenzo nickte, ohne den Groll zu verbergen, der in ihm hochgestiegen war.
«Nun mal ehrlich, Lojacono: Dieser Coup, den Sie da gelandet haben, mit dem Krokodil, das war doch eine Mischung aus Show und reinem Glück. Flankiert von Ihrem seltsamen Verhältnis zu Dottoressa Piras, über das ich mir lieber kein Urteil anmaßen werde.»
Die Anspielung auf die Stellvertretende Staatsanwältin Laura Piras, die Lojacono in die Ermittlungen zur «Mordsache Krokodil» mit einbezogen hatte, sollte wohl ein Schlag unter die Gürtellinie sein, doch der Inspektor ließ sich davon nicht beeindrucken. Er konnte sich vorstellen, was man sich über ihn und Laura Piras erzählte, die schöne Unnahbare, die aus ihren Sympathien für ihn kein Geheimnis machte.
«Commissario, Sie können mich nicht leiden, und ich kann Sie nicht leiden. Beschränken wir unsere Begegnungen also auf das Notwendigste, in beiderseitigem Interesse. Deswegen frage ich Sie noch einmal: Was kann ich für Sie tun?»
Di Vincenzos Kiefermuskeln zuckten, und sein düsterer Blick sprach Bände. Doch es gelang ihm, sich zu beherrschen.
«Sie haben recht, Lojacono, ich kann Sie nicht leiden. Und genau aus dem Grund bin ich sehr froh, Ihnen das mitteilen zu können, was ich Ihnen jetzt mitteilen werde: Man hat mich gebeten, für eine unbefristete Zeit auf einen meiner Mitarbeiter zu verzichten, um ihn einem anderen Kommissariat zu überlassen. Der Einzige meiner Leute, der derzeit nachweislich nicht mit einem konkreten Fall befasst ist, sind Sie.»
Lojacono straffte die Schultern. Er wollte es seinem Gegenüber nicht unnötig einfach machen.
«Ich nehme an, es handelt sich um eine freiwillige Versetzung. Und mein Einverständnis wird vorausgesetzt. Mein schriftliches Einverständnis. Will sagen, wenn Sie mich loswerden wollen, müssen Sie mich erst von der Sache überzeugen. Stimmt's, Commissario?»
Di Vincenzo machte Anstalten, sich zu erheben, ließ sich dann aber wieder auf seinen Stuhl fallen, die Lippen zu einem schmalen Strich verzogen.
«Dass Sie die Richtlinien parat haben, wundert mich gar nicht. So was ist typisch für Leute, die sich vor ehrlicher Arbeit drücken wollen. Mit diesem Gewerkschaftskram kennen die sich am besten aus . Ja, es stimmt. Aber genauso stimmt es, dass ich Sie mit irgendwelchem Pipifax betrauen kann, sollten Sie sich der Versetzung verweigern. Der Ruhm, den Ihnen das Krokodil eingebracht hat, ist nicht von ewiger Dauer.»
Lojacono wartete einen Moment, dann sagte er:
«Dann erzählen Sie mir mal von dieser neuen Herausforderung, Commissario. Vielleicht nehme ich sie ja an, wer weiß.»
Die Aussicht, den undurchsichtigen Sizilianer bald loszuwerden, mit dem er sich wegen der...
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