Schweitzer Fachinformationen
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Kaum hatte Lojacono die Nachbarwohnung betreten, wurde ihm klar, warum der Kollege Stanzione vorhin ins Stottern geraten war.
Sie ähnelte nicht im Entferntesten der Wohnung der Opfer. Man kam sofort in ein großes helles Zimmer, dessen eine Wand aus einer Fensterfront mit Balkon bestand. Die Einrichtung war eher schwülstig und wurde dominiert von viel Rosa, Spitzenstoffen, Plüschtieren und ausladenden Lampenschirmen auf vergleichsweise dünnen Beinchen.
An einem verchromten Glastisch saß ein schlaksiger junger Mann mit Brille, der sich unaufhörlich seine immer wieder zurückfallenden Haare aus der Stirn strich. Seine Lippen zitterten, und zwei rote Flecken auf seinen Wangen verrieten, wie aufgeregt er war.
Neben ihm stand ein weiterer junger Mann, der eine bunt gemusterte knöchellange Tunika trug. Mit seinem Pferdeschwanz, den nackten Füßen und den geschminkten Augen bot er einen ungewöhnlichen Anblick.
Etwas abseits, als wollte er sich von den beiden anderen distanzieren, befand sich ein dritter junger Mann, der komplett in Schwarz gekleidet war. Sein Körper war untersetzt, und seine Nase und Ohren zierten mehrere auffällige Silberringe.
Stanzione, der Lojacono und Alex Di Nardo begleitet hatte, sagte:
«Ispettore, das ist der junge Mann, der die Toten gefunden und die 112 angerufen hat.»
Lojacono wartete darauf, dass der Polizist auf einen der drei Anwesenden zeigte, doch nichts geschah. Er wandte sich an Alex.
«Di Nardo, erklärst du ihm, dass er sich ein bisschen präziser ausdrücken möchte? Oder soll ich ihm mit Hilfe einer kleinen Skizze verdeutlichen, dass sich in diesem Raum drei junge Männer befinden?»
Der Brillenträger hob zitternd die Hand, wie ein Schüler, der die Antwort auf eine Frage des Lehrers kennt, aber sich nicht traut, sie laut auszusprechen.
«Ich bin . Ich bin derjenige, der . Ich habe die Polizei, also euch gerufen.»
Er stand sichtlich unter Schock. Seine Stimme, die ohnehin nicht sehr tief war, drohte ins Falsett zu kippen, was er mit einem vorgetäuschten Hustenanfall zu überspielen versuchte.
Lojacono musterte ihn schweigend. Schließlich fragte er:
«Wie heißen Sie?»
Der Tunikaträger ergriff das Wort, mit kräftiger Stimme und eindeutig apulischem Dialekt.
«Renato, sag jetzt nichts! Ruf deinen Anwalt an, die verarschen dich sonst. Hast du nicht gemerkt: Der Bulle hat sich uns noch nicht mal vorgestellt.»
Stanziones Stimme triefte vor Verachtung, als er sich in das Gespräch einmischte.
«Nun mach mal halblang, du Vogelscheuche! Leute, die so rumlaufen wie du, gehören eh eingesperrt. Ein bisschen mehr Respekt, klar?»
«Sie können sagen, was Sie wollen, mir machen Sie damit keine Angst! Sie befinden sich ohne jede Befugnis in unserer Wohnung und sollten dankbar sein, dass wir Sie überhaupt reingelassen haben. Stattdessen benehmen Sie sich hier wie die Axt im Wald - ohne auch nur ansatzweise darauf Rücksicht zu nehmen, dass wir alle unter Schock stehen.»
Das war zu viel für Stanzione. Mit rot angelaufenem Gesicht trat er vor und brüllte:
«Du verdammte Tunte, gleich setzt's was in deine geschminkte Visage!»
Mit einer Kraft, die den Polizisten sichtlich überraschte, packte Alex ihn am Handgelenk.
«Halt den Mund, du Idiot. Dir ist wohl gar nicht klar, dass der Typ dich anzeigen kann, und zwar aus gutem Grund?»
Mit einer entschuldigenden Geste hob Lojacono beide Hände und schob sich zwischen Stanzione und den jungen Mann in der Tunika.
«Entschuldigung, das tut mir leid. Situationen wie diese sind für niemanden leicht. Man gewöhnt sich einfach nicht daran. Mein Name ist Inspektor Giuseppe Lojacono, ich komme vom Kommissariat Pizzofalcone. Das ist meine Kollegin, Polizeioberwachtmeisterin Alex Di Nardo. Den Kollegen brauche ich Ihnen nicht vorzustellen, weil er sowieso gleich geht. Er wird sich zu seinem Kumpel unten am Eingang gesellen und zusammen mit ihm auf die Kriminaltechniker warten - nicht wahr, Stanzione?»
Dem Polizisten schien klar, dass er besser daran tat, sich zu fügen. Mit einem letzten finsteren Blick auf seinen Kontrahenten verließ er die Wohnung. Zumindest für einen Moment schien es, als würde die Spannung im Raum etwas nachlassen.
Der Tunikaträger blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und stellte sich vor.
«Angenehm. Ich bin Vinnie Amoruso und wohne hier zusammen mit meinem Freund Paco Mandurino.»
Er zeigte auf den Schwarzgekleideten, der ein Nicken andeutete.
Lojacono wandte sich an den dritten jungen Mann, der die Toten gefunden hatte.
«Und Sie? Wer sind Sie, und warum sind Sie in die gegenüberliegende Wohnung gegangen?»
Der Angesprochene machte den Mund auf, schloss ihn wieder, stieß einen tiefen Seufzer aus und sagte:
«Ich heiße Renato Forgione. Ich bin ein Freund . ein Kollege und Freund von Biagio. Gestern ist er nicht zur Uni gekommen, ich habe den ganzen Nachmittag auf ihn gewartet. Er ist auch nicht an sein Handy gegangen oder hatte es ausgeschaltet, jedenfalls bin ich heute Morgen . O Gott, mir wird schon wieder ganz schlecht .»
Als wollte er Erlösung erflehen, hatte er bei seinen letzten Worten den Blick auf Vinnie gerichtet, der ihm sanft über die Schulter strich. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, wandte den Kopf zu Lojacono und fuhr fort:
«Wir sind ständig in Kontakt, wir arbeiten zusammen, kümmern uns um dieselben Projekte im Fachbereich. Ich habe mir Sorgen gemacht. Er bleibt doch nicht einfach so weg, so ist er nicht . war er nicht, das war absolut ungewöhnlich. Also bin ich hergekommen. Die Tür war nur angelehnt, ich bin rein und habe sie . habe sie . Entschuldigen Sie mich .»
Er sprang auf und rannte ins Bad.
Lojacono wandte sich an Amoruso.
«Kannten Sie die Opfer?»
Der junge Mann hatte seinen Pferdeschwanz gelöst und spielte mit dem Haargummi.
«Wir können es immer noch nicht glauben, Ispettore. Wer tut so was? Wer hat das getan? Jedenfalls hießen die beiden Biagio und Grazia Varricchio, sie waren Bruder und Schwester. Sie kamen aus Kalabrien, aus einem Dorf in der Nähe von Crotone. Er war älter als sie, ein kluger Kopf, ein Kollege von Renato, ich glaube, Biochemiker oder Biologe, irgendwas in der Art, ich kenne mich da nicht aus. Er hat schon eine ganze Weile hier gewohnt, länger als wir. Und wir sind hier seit wann? Seit zwei Jahren vielleicht?»
Der Schwarzgekleidete, der bisher nicht ein Wort gesagt hatte, erwiderte:
«Seit zwei Jahren und zehn Monaten, Vinnie.»
In gespielter Überraschung schlug Amoruso sich die Hand vor den Mund.
«Mein Gott, so lange schon? Wir beide studieren Jura. Zugegeben, wir sind keine sehr eifrigen Studenten, aber wir haben immerhin genug mitgekriegt, um unsere Rechte zu kennen.»
Lojacono brachte das Gespräch zurück aufs Thema.
«Sie haben gesagt, dass er schon eine ganze Weile hier gewohnt hätte - seine Schwester auch?»
Entschieden schüttelte Vinnie den Kopf.
«Das Mädchen ist erst seit ein paar Monaten hier.»
Paco präzisierte seine Aussage erneut.
«Seit sieben Monaten.»
Vinnie bedachte ihn mit einem harten, bösen Blick. Dann wandte er sich an den Inspektor.
«Wenn Paco sich so genau erinnert, werden es in der Tat sieben Monate gewesen sein.»
Forgione kehrte zurück, bleich wie ein Bettlaken und ähnlich zerknittert. Alex nutzte die Gelegenheit, sich in die Diskussion einzumischen und Lojacono zuvorzukommen.
«Sie haben gesagt, die Tür sei nur angelehnt gewesen. Meinten Sie die zum Treppenhaus oder die zur Wohnung?»
«Die zu Biagios Wohnung. Die Tür zum Treppenhaus hat Vinnie mir aufgemacht.»
Alex musterte den Tunikaträger nachdenklich und stellte die unvermeidliche Frage:
«Und Sie haben bis dahin nicht mitgekriegt, dass die Tür nur angelehnt war? Haben Sie nichts gehört, keinen Krach, Schreie, nichts dergleichen?»
Ohne zu zögern, entgegnete Vinnie:
«Doch, Signorina, aber nicht gestern Abend, sondern gestern Nachmittag. Es gab einen Streit. Die eine Stimme gehörte Biagio, die andere einem Mann, den ich nicht kenne. Sie haben starken Dialekt gesprochen. Dann ist jemand gegangen, und Paco ist kurz raus auf den Flur, um nachzusehen. Aber die Tür war zu.»
Lojacono schaute den Schwarzgekleideten an.
«Sind Sie sicher?»
Paco nickte.
«Absolut.»
«Und Sie haben denjenigen, der gegangen ist, nicht gesehen?»
«Nein, er war schon weg.»
Bei der Erwähnung des Streits hatte Renato die Augen aufgerissen, und seine Lippen hatten erneut zu zittern begonnen. Alex tauschte mit Lojacono einen vielsagenden Blick und wandte sich dann an den jungen Mann:
«Wissen Sie, wer der zweite Mann gewesen sein könnte? Hat Biagio Ihnen was erzählt?»
Renato reagierte nicht.
Lojacono versuchte, die Frage noch einmal anders zu stellen.
«Signor Forgione, wussten Sie, dass Varricchio Besuch erwartet hat?»
Der Angesprochene schien ihn noch nicht mal gehört zu haben, sein Blick klebte an Vinnie.
Der Inspektor gab auf und wandte sich erneut an den Tunikamann.
«Die beiden haben also Dialekt gesprochen? Das heißt, Sie haben sie auf Kalabresisch streiten hören?»
Vinnie nickte.
«Ich habe kein einziges Wort verstanden. Nicht, dass ich sie hätte belauschen wollen, aber sie haben total gebrüllt. Grazia war allerdings nicht da, glaube ich, oder sie wollte sich nicht einmischen.»
Langsam drehte Forgione den Kopf zu den beiden Polizisten.
«Ja, Biagio hat Besuch erwartet. Er hat mir vor ein paar Tagen...
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