Schweitzer Fachinformationen
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Dieser Text handelt von der Angst und vom Umgang mit der Angst. Er beginnt mit einer Geschichte, die viele vielleicht schon kennen. Die Hobbits Sam und Frodo haben ihr Dorf, Beutelsend, verlassen, um den Ring der Macht zu zerstören. Auf ihrer Reise durch vom Krieg zerstörte Länder gelangen sie nach Lothlorien zur Elbenkönigin Galadriel. Sie führt die Hobbits eines Abends zu einem Steinbecken, in das sie Wasser füllt, und lädt sie ein hineinzuschauen. Sam zögert und wagt dann doch den Blick in >Galadriels Spiegel<. Zunächst sieht er nichts, dann die Bäume auf der Festwiese in seinem Dorf und dann Frodo mit bleichem Gesicht. Am Ende kehrt das Bild zu den Bäumen zurück: Sie brennen, schwanken, stürzen. Der Spiegel zeigt die Zerstörung von Beutelsend. Sam beschließt: »Ich kann nicht hierbleiben! Ich muss sofort nach Hause.« Galadriel entgegnet ihm, dass er versprochen habe, nicht ohne Frodo heimzukehren, obwohl er schon gewusst hätte, »dass im Auenland üble Dinge passieren könnten«. Dann spricht sie weiter: »Bedenke auch, dass der Spiegel vieles zeigt und dass nicht alles schon eingetreten ist. Manches tritt nie ein, oder nur dann, wenn der, dem es erscheint, von seinem Weg abweicht, um es zu verhindern. Als Wegweiser zur Tat ist der Spiegel gefährlich.«[1]
In J.R.R. Tolkiens Der Herr der Ringe ist Galadriels Spiegel eine Metapher dafür, was passieren kann, wenn wir uns von unserer Angst leiten lassen. Die Gefahr liegt darin, dass wir den Mut verlieren und von den Plänen abweichen, die wir uns mit unseren Weggefährt*innen vorgenommen haben. Angst kann unglaubliche Energie freisetzen. Wir haben es selbst erlebt. Die Angst davor, dass all diese kleinen bezaubernden Pflanzen, all diese witzigen Piepmatze, die lustige Geräusche machen, ja vielleicht sogar diese zwar häufig zerstörerischen, aber zugleich faszinierenden Menschen aussterben könnten, ist ein Zeichen für Verantwortungsgefühl und Sorge für die Welt, in der wir leben. Es geht nicht darum, keine Angst zu haben. Im Gegenteil: Emotionen zu verdrängen, ist Teil der Unterdrückung, die wir überwinden wollen. Die Frage ist, wie wir mit der Angst umgehen. Lassen wir zu, dass wir stehenbleiben? Oder fangen wir an zu rennen: blindwütig der Gefahr entgegen oder panisch in die andere Richtung? Wie halten wir durch? Und wohin gehen wir, wenn wir erschöpft sind? Auch wenn es schwer ist, wünschen wir uns, trotz und wegen unserer Angst, in Bewegung zu bleiben. Nicht sprintend, sondern gehend, sodass uns nicht die Luft ausgeht. Rennen bedeutet zuzulassen, dass die Zukunft Macht über uns erhält. Aber die Zukunft ist kein Schicksal, sondern ein gestaltbarer gesellschaftlicher Prozess, in den wir intervenieren können, auch wenn Rahmenbedingungen schwieriger werden.
Wir können entscheiden, welche Geschichten wir über diese Rahmenbedingungen erzählen. Geschichten nicht im Sinne von Märchen oder Augenwischerei, sondern als Ausschnitte der Wirklichkeit, die uns Mut machen. Erzählen wir von Menschen, die sich bei knapper werdenden Ressourcen ausrauben, umbringen, aufessen, wie das viele Science-Fiction-Romane tun? Oder betonen wir, dass sich Menschen in Krisen solidarisch organisieren, dass Gemeinschaften stärker werden?
Zu spät - wofür?
»Wir haben vielleicht nur 15 Jahre, also nur 5000 Tage, um den Planeten zu retten.« - Edward Goldsmith, 1990[2]
»Es ist die wohl letzte Chance, sich weltweit auf Emissionsminderungen zu einigen, mit denen man den Klimawandel noch auf zwei Grad begrenzen kann. Die Zeit läuft uns davon.« - Stephan Rahmstorf, 2009[3]
»Die Zeit für leere Versprechungen ist vorbei, jetzt ist es an der Zeit, so zu handeln, als ob unser Leben davon abhängt. Denn das tut es!« - Fridays for Future, 2021[4]
Der Dringlichkeitsdiskurs hat Tradition. Wir sind mittlerweile skeptisch gegenüber Countdown-Kampagnen, die uns einhämmern, dass wir nur noch wenige Jahre haben, um den unumkehrbaren Klimawandel zu stoppen. Oder dass die nächste Bundestagswahl mal wieder die >letzte Chance< für irgendetwas sei. >Letzte Chance<, das war auch das Protest-Narrativ vor dem vielfach als >Hopenhagen< bezeichneten UN-Klimagipfel 2009 in Kopenhagen, der zur Enttäuschung wurde. Die Folge war ein riesiger Post-Kopenhagen-Moment (>Floppenhagen<), der Menschen ausgebrannt und deprimiert zurückließ.
Um es klar zu sagen: Natürlich sind Kipppunkte erreicht, natürlich sind die Folgen katastrophal und leider schrumpfen dadurch unsere Handlungsräume. Es ist also nicht die Dringlichkeit, an der wir zweifeln. Es ist das Zu-Spät-Narrativ - und das hat mehrere Gründe.
Erstens bedeutet >zu spät<: Wir richten uns nach einer Logik, »die einen bestimmten gegenwärtigen oder zukünftigen Zeitpunkt in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellt. Dieser wird aber zwangsläufig irgendwann in der Vergangenheit liegen. Dann scheint es >zu spät< zu sein, um für ein Gutes Leben zu streiten.«[5] Das wäre schon allein deshalb absurd, weil manche Probleme erst dadurch entstehen, dass die Klimakrise voranschreitet. Wir sprechen sehr bewusst von der Klimakrise, denn wir wollen sichtbar machen, dass wir es nicht nur mit physikalischen Vorgängen im Klimasystem zu tun haben, sondern mit gesellschaftlichen Gemengelagen: mit unterschiedlichen Betroffenheiten, Verteilungsfragen, Ressourcen und Entscheidungsstrukturen. >Zu spät wofür?<, ist deshalb auch eine Frage der Positionierung. »Was ist das Ende der Welt anderes als die Zerstörung von Lebensgrundlagen, Ausbeutung und Ausweglosigkeit?«[6], fragt der Schwarze Journalist Paul Dziedzic. In dieser Definition ist die Welt bereits unzählige Male für kolonialisierte und versklavte Menschen untergegangen, der Kolonialismus hat sie untergehen lassen. Doch diese Erfahrungen haben nicht dafür gesorgt, dass Menschen aufgehört haben, für ein Gutes Leben zu kämpfen. Die Katastrophe stand am Anfang des Kampfes. Dziedzic führt weiter aus: »Die Frage, ob das Bildnis vom Ende der Welt zu Resignation führt, statt zu Aktion, ist vielleicht auch eine Frage für wen. Für diejenigen, die schon seit Jahrhunderten kämpfen, stellt sich diese Frage nicht.« Das bedeutet: Egal, welche Desaster wir uns als Folgen der Klimakrise ausmalen, ist unser Umgang damit eine Frage der politischen Gestaltung. Überschrittene Kipp-Punkte bedeuten nicht das Ende unseres Kampfes für das Gute Leben, im Gegenteil: Er wird notwendiger werden denn je. Ob um fünf vor zwölf oder um halb eins - dafür wird es nie zu spät sein.
Zweitens: Wenn die letzte Chance immer kurz bevorsteht, riskieren wir, in einen permanenten Notfall-Modus zu verfallen. Dann ist es leicht, die Geduld zu verlieren: bei basisdemokratischen Entscheidungsprozessen, einer achtsamen Gruppenkultur, dem Aufbau von starken Beziehungen. In anderen Worten: Wir neigen dazu, über unsere Grenzen zu gehen, sogar über die unserer Weggefährt*innen. In unseren Gruppen kultivieren wir häufig Leistungsdruck und Arbeitsethik - wir wollen immer mehr, immer schneller etwas fürs Klima tun. na, das kommt uns doch irgendwie bekannt vor. Die Gefahr besteht, dass wir der kapitalistischen Logik verhaftet bleiben, die die Klimakrise erst hervorgebracht hat.
Drittens kann der permanente Notfallmodus zu Handlungsunfähigkeit, Depression und Verzweiflung führen. Wir haben schmerzlich erlebt, dass sich Freund*innen aus der Klimabewegung zurückgezogen haben. Ein Bekannter wanderte nach Neuseeland aus, mit den Worten: »Ich genieße die letzten Jahre, die uns auf diesem Planeten noch bleiben. Ändern können wir eh nichts mehr.« Nicht alle haben die Möglichkeit, sich für diese Variante des Aufgebens zu entscheiden. Andere Menschen in unserem Umfeld hatten Nervenzusammenbrüche oder mussten wegen Burn-Outs in die Klinik. Wenn es soweit kommt, spielen dabei natürlich unterschiedliche Gründe eine Rolle, auch veränderte Lebensumstände. Doch die Angst vor der Zukunft leistet einen entscheidenden Beitrag. Wir befürchten, dass die Betonung der >Zu spät<-Erzählung dazu führt, dass reihenweise Klima-Aktivist*innen ausbrennen und aufgeben.
Apocalypse Now? Apokalypse no!
Als Klimabewegung stehen wir in einer Tradition von Bewegungen, in denen apokalyptische Ängste einer Generation nach der anderen den Boden unter den Füßen weggezogen haben. In der Antiatombewegung wurde mit dem Slogan >Kampf dem Atomtod< vor dem alles Leben beendenden Knopfdruck gewarnt. Entweder durch einen Nuklearkrieg oder durch Wald- und Artensterben war ein mögliches Ende in den 1980er-Jahren für viele bedrohlich nah. Hoimar von Ditfurth ging in seinem Bestseller So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen - Es ist soweit im Jahr 1985 davon aus, dass der Menschheit höchstens noch zwei Generationen blieben. Doch das Waldsterben verlief nicht so schnell, wie befürchtet, und die alles vernichtende Bombe ist auch nicht gefallen.
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