Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
1 · Anne Hassel · Adventsseligkeit
Ein wenig naiv und sentimental ist die Katja, das weiß sie.
Aber wenn sie nun mal die Adventszeit und Weihnachten mag, dann ist das eben so.
Andere haben auch ihre Eigenheiten, Macken und Marotten, es muss ja nicht ein Mensch wie der andere sein.
»Wäre dann auch wirklich langweilig«, sagt die Katja, wenn sie auf ihre »Adventsseligkeit«, wie sie es nennt, angesprochen wird.
Der Werner weiß das auch, das mit der Sentimentalität. Seit zwölf Jahren schon, denn so lange kennen sich die beiden. Acht davon sind sie verheiratet, mal weniger gut, mal besser, sagt Katja.
Während sie in den anderen Monaten manchmal traurig über das »weniger« ist, stört sie ab dem 1. Dezember bis zum Heiligen Abend nichts, aber auch überhaupt nichts. Da zieht sie sich in einen Kokon aus Adventsseligkeit zurück, da kann der Werner tun und lassen, was er möchte, die Katja sieht darüber hinweg. Es waren ja auch bisher nur Kleinigkeiten, wie das Lästern über die beleuchteten Tiere im Vorgarten, Beschwerden über den erhöhten Stromverbrauch oder Kopfschütteln über den ständigen Besuch von Weihnachtsmärkten. Sonst ließ er sie gewähren.
Dass sich das mal ändern könnte, darüber hat die Katja nie nachgedacht. Gab bisher auch keinen Anlass dazu.
Katja hat schon viele Weihnachtsmärkte gesehen. Schön fand sie den in Würzburg, dort, wo sonst die Marktstände sind, weit um die Marienkapelle herum, und den Christkindlesmarkt am Schönen Brunnen in Nürnberg. Aber am allerschönsten ist für Katja der Weihnachtsmarkt im romantischen Miltenberg.
»Der hat etwas Heimeliges, Geheimnisvolles, etwas, das mich berührt«, sagt sie zu Werner. Der grinst nur, ein seltsames Grinsen, bei dem die Mundwinkel sich nach unten verziehen und einen kurzen Augenblick dort verweilen. Katja gefällt das nicht, doch Werner kann es nicht lassen.
Jedenfalls ist sie dann an jedem der vier Wochenenden, meist schon am Freitagnachmittag, in der Stadt. Läuft von Bürgstadt nach Miltenberg bis zur Pfarrkirche am Schnatterloch, dort, wo sich der große Tannenbaum und ein Teil der Verkaufsstände befinden, obwohl ihr das Laufen wegen ihrer Körperfülle nicht gerade leicht fällt. Katja bleibt dann erst mal eine ganze Weile am Marktplatz stehen, friert, trinkt Glückwein, um sich aufzuwärmen, isst Bratwürste und schaut den Kindern beim Fahren im Kinderkarussell zu. Anschließend schlendert sie weiter zum alten Rathaus in der Fußgängerzone. Kauft jedes Mal drinnen bei den netten Leuten eine Kleinigkeit, Christbaumschmuck oder irgendwas, das ihr gefällt und nicht so teuer ist. Weiter vorne, am Engelplatz, bleibt sie wieder stehen. Bestaunt die Lichtergirlanden am Rathaus, trinkt wieder einen Glühwein, manchmal auch zwei.
Dann geht sie wieder die zwei Kilometer nach Hause, in sich dieses schöne Gefühl, diese Adventsseligkeit, eine besondere Stimmung, die der Werner nicht nachvollziehen kann. Vielleicht kommt das daher, dass er als selbstständiger Maler und Tüncher eher rational denken muss, sich keine Sentimentalitäten leisten kann. Sagt er jedenfalls. Doch so ein klein wenig Vorfreude auf das Fest würde ihm auch nicht schaden, meint Katja, wenn er mal wieder schlecht gelaunt ist.
In das Haus nebenan ist im November eine alleinstehende Frau eingezogen. Mit den Neumanns, der Susanne und dem Heinz, die vorher da gewohnt hatten, hatte sich die Katja gut verstanden. Leider ist dann die Susanne im letzten Jahr gestorben, und der Heinz kam ins Altenheim. Kurz danach wollte er auch nicht mehr leben und folgte seiner Frau.
Anschließend wohnte ein paar Monate niemand im Haus. Ja, und nun ist diese Frau dort eingezogen.
»Zum Glück«, sagt Werner. »Den Winter über ist es nicht so gut, wenn nicht geheizt wird«, und die Katja nickt und freut sich, denn das Haus von den Neumanns hat es verdient, dass wieder Leben in ihm herrscht.
Katja steht hinter dem Vorhang im Wohnzimmer und schaut zu, wie ein Gegenstand nach dem anderen aus dem Umzugsauto geladen wird. Schöne Sachen. So wie Katja sie gerne hätte, aber dazu fehlt das Geld.
Am Abend, als der Wagen nicht mehr da ist, klingelt es an der Haustür. Die Katja will aufmachen, doch der Werner ist schneller.
Die neue Nachbarin sieht jung aus, richtig hübsch mit ihren nussbraunen Locken, die fast auf den Schultern aufliegen, und dem schmalen Gesicht, geradeso wie das einer Puppe, mit der die Katja früher gespielt hatte.
Und dünn ist sie. Bestimmt kocht sie nicht, denkt Katja. Sie selbst kocht jeden Tag, damit der Werner was auf die Rippen kriegt. Doch der kann essen, was er will, die ganzen Speisen verschwinden in ihm, ohne irgendwelche Spuren auf Hüften oder Bauch zu hinterlassen.
Bei der Katja ist das anders. Sie braucht Leckereien nur anzuschauen und schon nimmt sie zu. Das ärgert sie oft. Doch dann fragt sie den Werner, und er sagt, dass er sie gerade so mag, wie sie ist. Dann geht es ihr wieder besser.
»Auf gute Nachbarschaft«, sagt die Frau, und dass sie Janina heißt, mit »Sch« am Anfang gesprochen, also Schanina. Sie wolle das »J« nicht, klinge irgendwie blasiert, und das sei sie nicht. Der Werner probiert gleich aus, ob er das richtig aussprechen kann. Die Frau lobt ihn und seine Mundwinkel wandern auf beiden Seiten nach oben, fast bis zu den Ohren.
»Da gibt es viel zu tun«, meint die Janina und deutet mit dem Kopf nach nebenan. »Die Leute vorher haben ja nichts gemacht. Vielleicht hätte ich das auch nicht mehr, wenn ich so alt gewesen wäre«, fährt die Janina fort, und der Werner nickt zustimmend. Dann bietet er seine Hilfe an. Tapezieren, streichen, aber auch für alle anderen Arbeiten wäre er geeignet.
Und jetzt nickt die Katja, denn das weiß sie ja. Weiß, dass ihr Mann das gut kann.
Als Janina dann gegangen ist, sagt Katja: »Die Neue ist eine Hübsche.«
Da antwortet Werner nur: »Na ja, sie kann es aushalten«, und Katja findet das komisch, denn sonst stimmt er ihr immer zu.
Inzwischen ist der 1. Dezember.
Katja schmückt. Das Haus. Den Garten.
In allen Zimmern ist kaum ein freier Fleck. Überall verteilt sie Weihnachtsdekoration. Engel aus Holz, Keramik und Wachs stehen auf der Kommode. Weihnachtsmänner mit roten Mänteln blicken vom Schrank. Der Adventskranz mit goldenen Kerzen ist so mächtig, dass auf dem Tisch kaum noch Platz zum Essen ist. In den Ecken befinden sich große Holzfiguren, und grüne Girlanden aus Kunststoff hängen über dem Fernseher, an den Fensterrahmen, den Türen.
Zufrieden betrachtet Katja ihr Werk, bevor sie nach draußen in den Vorgarten geht.
Der Tag ist grau, so ein blasses Grau, das den ganzen Himmel überspannt. Ein Grau, das schmutzig aussieht und das sie sonst am liebsten wegwischen würde.
Heute stört es Katja nicht. Nicht am 1. Dezember, zu Beginn der Adventszeit.
Sie fasst nach dem Rentier aus Peddigrohr, das das übrige Jahr mit den zwei Rehen im Keller verbringen muss. Nun stellt Katja es zwischen die kahlen Rosensträucher.
Sie holt eine Leiter und klettert schwer atmend bis zu den oberen Ästen der einzigen Tanne. Es ist nicht einfach, die Lichterkette zu befestigen, aber irgendwann ist es geschafft. Am Abend, wenn es dunkel wird, erhält Katja die Belohnung. Dann leuchten unzählige kleine Lichter wie Sterne am Nachthimmel.
Katja hofft, die Neue wird auch etwas tun. Wird dem Haus etwas Glanz zukommen lassen. Doch da tut sich nichts, nicht mal die Haustür ist geschmückt, keine Vase mit grünen Zweigen steht vor dem Eingang.
Der Werner ist schon wieder im Nachbarhaus. Auch die Tage zuvor war er dort. Hat sogar einen Auftrag vergessen, den er hätte ausführen sollen. Eine ganze Wohnung streichen. Wäre nicht schlecht gewesen. Das Geld hätte die Katja gut für Weihnachtsgeschenke brauchen können, da Werner immer etwas zum Fest will. Eigentlich hat er meist große Wünsche, im Gegensatz zu ihr, denn sie weiß ja, dass es um den Verdienst nicht so gut bestellt ist.
»Gibt die dir auch was für deine Arbeit?«, fragt Katja den Werner, und er druckst herum, sagt erst nicht Ja oder Nein, nur dann, als sie wieder nachhakt, meint er: »Die hat ja selbst nicht viel. Und außerdem sollten Nachbarn sich gegenseitig helfen.«
Dabei starrt er den Engel mit den Rauschgoldhaaren auf der Kommode an, als ob der ihm beispringen könnte.
Weil der 4. Dezember ist, geht Katja dann mit der Schere in den Garten, schneidet vom Kirschbaum fünf Zweige ab und klingelt bei Janina. Es dauert ein wenig, bis sie öffnet und ganz erstaunt die Katja betrachtet, grad so, als habe sie jemand anderen erwartet.
»Barbarazweige! Wenn die ins warme Wasser gestellt werden, blühen sie zu Weihnachten«, sagt Katja und schaut in den Flur, ob sie vielleicht schon etwas von der Arbeit sieht, die Werner erledigt. Doch da ist nichts zu erkennen.
Anfangs kam er wenigstens immer pünktlich zum Abendessen. Es gibt zwar meist nichts Besonderes, nur Brot, Wurst, Käse und manchmal ein hart gekochtes Ei. Doch nun wird es immer später. Das Streichen sei zwar fertig, erklärt er und blickt dabei wieder nicht zur Katja, sondern dieses Mal in die Ecke neben dem Fenster, dort, wo der große Nikolaus aus Holz von Onkel Albert steht, aber es sei noch so viel zu tun. Das würde man gar nicht glauben, wenn man das Haus nur so von außen betrachte.
Die Katja sorgt sich, denn der Werner ist ja auch nicht kräftig, und wenn er so viel da drüben arbeiten muss, schadet das eventuell seiner Gesundheit. Wäre das der Fall, schadete es auch ihr, denn wovon soll sie denn leben, wenn...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.