Schweitzer Fachinformationen
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Bahdis Bett stand am Fenster, durch das er das nahe Meer sehen konnte. Im selben Zimmer lagen noch drei weitere Flüchtlinge, die auf hoher See aus dem Wasser gefischt worden waren. Alle waren sie unterkühlt gewesen, einer von ihnen hatte sich den Arm gebrochen, als Teile des gekenterten Schiffes auf ihn gefallen waren. Auch Bahdi trug einen Kopfverband, ohne genau zu wissen, warum, denn die Verständigung mit dem Pflegepersonal war schwierig. Sie sprachen kein Französisch, er nicht genug Englisch. Sein Schädel brummte, wenn er ihn bewegte. Daraus schloss er, dass auch ihn irgendetwas getroffen hatte.
Von seiner Rettung wusste er nichts mehr. Das Letzte, woran er sich erinnern konnte, war die unheimliche Stille, die ihn umgeben hatte, als er im Wasser trieb. Danach war alles wie ausgelöscht. Erst auf dem Schiff war er wieder zu sich gekommen, eingehüllt in Warmhaltefolie. Nach der Ankunft in Palermo hatte man sie in Krankenwagen verladen und in die Klinik gefahren. Bahdi dankte Allah, dass er die Havarie überlebt hatte. Er war in Europa. Endlich. Wie schön wäre es, wenn auch sein Freund diesen Moment erlebt hätte.
Jetzt aber war keine Zeit für Sentimentalitäten. Er konnte später noch um Djibi trauern. Irgendwie musste er aus diesem Krankenhaus entkommen, einen sicheren Platz finden und dort auf die Ankunft der beiden Reporter warten.
Bahdi griff zur Plastiktüte, die in der Schublade des Nachtschränkchens lag, und zählte erneut das ihm verbliebene Geld. Es war immer noch so viel wie beim letzten Mal: knapp zweihundert Euro. Ein kleines Vermögen, aber wie lange die Summe in Europa reichen würde, konnte er nicht einschätzen.
Er kroch aus dem Bett und ging zum Schrank, in dem seine Kleider hingen. Bis auf seine Schuhe war alles weitgehend trocken. Sein Schädel schmerzte bei jeder Bewegung.
Bahdi streifte das seltsame weiße Kleidchen ab und schlüpfte in seine Sachen. Einer der Bettnachbarn schaute ihm mit großen Augen zu. Der Senegalese ignorierte den Flüchtling.
Als er fertig angezogen war, kehrte er zum Bett zurück und nahm seine wenigen Habseligkeiten an sich: das Handy, sein Geld und ein kleines Amulett, welches er schon seit Kindesalter um den Hals trug. Sein Vater hatte es aus Holz geschnitzt, es galt in seiner Heimat als Glücksbringer.
Vorsichtig öffnete Bahdi die Tür des Krankenzimmers und lugte auf den Flur. An dessen Ende hockte ein gelangweilt aussehender Polizist und las in einer Zeitung. Vermutlich saß er da, um eine weitere Flucht der Afrikaner zu unterbinden. An dem Mann käme er niemals ungesehen vorbei. Bahdi zog sich in das Zimmer zurück. Seine Gedanken überschlugen sich. Was sollte er unternehmen?
Auf dem Flur hörte er scheppernde Geräusche. Erneut spähte er hinaus. Eine Krankenschwester manövrierte einen Wagen, auf dem sich Behälter aus Kunststoff stapelten, aus einem Zimmer ganz in seiner Nähe in Richtung des Polizisten. Der sah kaum hoch, als die Frau an ihm vorbeilief und weiter den Gang hinunter in einem Raum verschwand.
Bahdi war erst einmal in seinem Leben in einem Krankenhaus gewesen. Damals hatte er mit seiner Mutter einen Verwandten besucht. Dort waren auf solchen Wagen die Mahlzeiten transportiert worden, die in einer Zentralküche zubereitet wurden.
Sicher geschah die Essensvergabe in diesem Krankenhaus auf ähnliche Weise. Auf keinen Fall aber verbarg sich hinter der ersten Tür, durch die die Krankenschwester gekommen war, die Küche. Das hier war ein großes Krankenhaus mit vielen Patienten. Entsprechend groß musste auch die Küche sein. Und große Küchen lagen sicher nicht in einer oberen Etage.
Also musste es von diesem Zimmer irgendwie in die Küche gehen. Über eine Treppe vielleicht. Oder einen Aufzug. Mehrere Gebäude in Tambacounda verfügten über so ein Wunderding. Einmal war er mit klopfendem Herzen in einem gefahren. Man musste nur auf einen Knopf drücken und der seltsame Kasten aus Metall setzte sich in Bewegung. So ähnlich musste es hier auch funktionieren. Nur wie sollte er ungesehen in den Raum kommen?
Plötzlich stand der Polizist auf und kam näher. Panisch zog Bahdi die Tür zu. Hatte der Mann ihn gesehen?
Einige Atemzüge später wagte er es erneut. Er drückte die Tür auf, schaute vorsichtig um die Ecke - und sah einen leeren Flur. Ohne Zögern lief Bahdi los, erreichte die Tür, hinter der sich sein Weg ins Freie befinden musste, öffnete sie und huschte in den Raum. Gerade noch rechtzeitig, denn der Polizist kehrte just in diesem Moment vom Toilettengang auf seinen Wachplatz zurück.
In dem Zimmer standen einige Schränke, daneben mehrere der Metallwagen. Aber eine Treppe oder einen Aufzug konnte Bahdi nicht entdecken. Nur eine weiße Klappe in der Wand, etwa einen Meter hoch und breit. Daneben befanden sich drei Knöpfe. Dort musste es nach draußen gehen. Anders konnte es nicht sein.
Bahdi öffnete die Klappe. Dahinter verbarg sich tatsächlich etwas, was dem Aufzug in Tambacounda ähnelte, aber viel kleiner war. Sollte er es wirklich wagen?
Kurzentschlossen quetschte er sich in den Lastenaufzug, drückte dann den untersten Knopf und ließ die Tür zufallen. Sofort setzte sich der Kasten in Bewegung. Erst jetzt fiel Bahdi ein, was ihm alles passieren konnte. Was, wenn der Aufzug sein Gewicht nicht trug? Oder er die Tür von innen nicht mehr öffnen konnte? Aber noch bevor er in Panik verfiel, endete seine Fahrt. Mit klopfendem Herzen drückte er gegen die Klappe, die sofort aufschwang.
Bahdi kletterte hinaus in einen Raum, in dem ebenfalls diese Metallwagen standen, beladen mit Plastikbehältern, aus denen es verführerisch duftete. Sein Magen knurrte. Schnell steckte er sich zwei Äpfel in die Tasche und schaute sich um. Er befand sich tatsächlich in einer Küche. Links von ihm dampfte und brodelte es in großen Pfannen und Töpfen, in denen weiß gekleidete Frauen herumrührten. Niemand warf auch nur einen Blick in seine Richtung. Rechts von ihm stand eine Tür offen, durch die ein lauer Wind wehte. Dort musste der Ausgang sein.
Sofort spurtete Bahdi los, schaffte es ungesehen in einen Flur und bis zur nächsten Ecke. Als er diese hinter sich gelassen hatte, erkannte er, woher der Luftzug, den er eben gespürt hatte, kam: aus einem geöffneten Oberlicht, zu hoch, um es ohne Hilfe zu erreichen.
Er lief weiter. Vor ihm öffnete sich plötzlich wie von Geisterhand eine Tür und eine junge Frau kam ihm entgegen, einen Stapel Tücher auf dem Arm. Bahdi lief an ihr vorbei, überhörte ihre überraschten Rufe, erreichte nach einer weiteren Ecke ein offenes Fenster, das ins Freie führte, sprang hindurch, landete zwischen abgestellten Fahrrädern und rannte wie um sein Leben, die überraschten Blicke der Passanten ignorierend. Erst zwei Blocks weiter blieb er schwer atmend stehen.
Ihn fröstelte. Zwar trug er den dicken Pullover, den er bei seiner Überfahrt angehabt hatte, aber seine Jacke fehlte. Und seine Füße waren feucht. Er musste einen Platz finden, der trocken und warm war. Dort würde er auf den Anruf der Reporterin warten.
Jeder, der ihm begegnete, starrte ihn an. Bahdi vermutete zunächst, dass es seine Hautfarbe war, die die Blicke magisch anzog. Ihm ging es umgekehrt ähnlich - so viele Weiße hatte er noch nie gesehen.
Als ihm aber Menschen mit ebenfalls schwarzer Haut begegneten, die augenscheinlich kein Aufsehen erregten und im Gegenteil ihn anstarrten, fiel Bahdi der Turban ein, den er auf dem Kopf trug. Er nutzte eine Plakatwand als Deckung und wickelte sich den Verband ab. Vorsichtig betastete er die schmerzhafteste Stelle.
Ein Pflaster schützte die Wunde. Damit würde er sicher nicht auffallen. Er rollte den Verband zusammen, bemerkte das getrocknete Blut daran, steckte ihn aber trotzdem in seine Hosentasche. Dann setzte er seinen Weg ins Unbekannte fort.
Es dämmerte bereits, als er eine breite Treppe erreichte, die in die Tiefe führte. Auf ihr herrschte reger Verkehr. Menschen hasteten nach oben oder unten. Niemand beachtete ihn. Die Luft, die aus dem Dunkel kam, roch stickig, schien aber warm zu sein. Bahdi stieg in die Höhle hinab.
Unten war es tatsächlich wärmer. Dort standen Bänke, auf denen es sich andere Menschen bequem gemacht hatten. In Decken gehüllt und mit Plastiktüten als Kopfkissen bildeten einige kleine Gruppen, andere blieben allein. Weinflaschen kreisten, viele rauchten selbst gedrehte Zigaretten.
Weiter hinten war noch eine Bank frei. Die Leute schenkten dem Senegalesen keine große Beachtung, als er an ihnen vorbeischlich. Bahdi hatte seinen Platz für die Nacht gefunden.
Am nächsten Morgen besorgte er sich etwas zu essen, bevor er sich mit Brot und Wasser wieder in das vermeintlich sichere Versteck zurückzog. Hier gedachte er so lange zu bleiben, bis sich die beiden Reporter meldeten.
29
Hagenau hatte Peter Nielsen für den Nachmittag in sein Büro bestellt. Um drei Uhr solle er vorsprechen, hatte ihm die Chefsekretärin in einem Telefonat mitgeteilt. Dieses Mal jedoch musste er über eine halbe Stunde auf dem Flur warten, bis er endlich vorgelassen wurde.
Neben Hagenau saß ein leitender Angestellter der GoFeCo am Konferenztisch, den Nielsen vom Sehen kannte. Vor ihnen lagen Akten und ein digitales Abspielgerät.
Kaum hatte die Sekretärin die Tür geschlossen, zeigte Hagenau auf einen freien Stuhl am anderen Ende des Tisches. Nielsens Gruß erwiderten beide Männer knapp.
Der Geschäftsführer kam ohne Umschweife zur Sache. »Unseren Chefjustiziar Herrn Krahwinkel kennen Sie ja. Er nimmt auf meinen Wunsch an dieser Unterredung teil. Frau Köhler stenografiert unser Gespräch mit.«
Erst jetzt sah Nielsen die zweite Sekretärin, die in...
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