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Nicht privatim auf einem geschlossenen Briefblatt, sondern öffentlich, vor vielen und zu vielen möchte ich Sie heute, lieber, verehrter Romain Rolland, zur Vollendung Ihres großen Werkes beglückwünschen. Der zehnte abschließende Band Ihres monumentalen Romanzyklus >Jean Christophe< ist nun in die Welt gegangen, in die kleine, glühende, junge, die ihn mit Liebe erwartet, in die große beschäftigte, eilfertige und mondäne, die noch nichts von ihm weiß und die er sich dennoch erobern wird. Damals, als die ersten Bände erschienen, wie wenige waren's, die zu Ihnen standen, aber schon bei dem vierten und fünften Bande verwandelte sich Erwartung in Stolz, Freude in Ungeduld, und nun, da der letzte, zehnte Band Ihres edlen und verantwortungsvollen Werkes erschienen ist, rüstet sich die ganze ernste französische Jugend zur Feier. Die großen, die würdigen Blätter, die aus dem Zuspätkommen schon ein Prinzip gemacht haben, sie sind freilich noch stumm, aber all die kleinen Revuen, in denen der neufranzösische Idealismus lebt und sich nicht nur im tönenden Wort, sondern durch die Tatsache bestätigt, daß dort die jungen Leute ohne Honorar, fast ohne Publikum, ja oft sogar mit materiellen Opfern ihre Ideen vertreten, - sie alle bereiten Sonderhefte, Enqueten und Ehrungen vor, indes das andere Frankreich, das laute der Arrivierten, schweigt. Aber auch Deutschland soll nicht stumm sein an diesem Tage, denn wie kein Franzose haben Sie, Romain Rolland, gerecht und gütig die deutsche Seele, die deutsche künstlerische Kultur den französischen Intellektuellen nahezubringen gesucht. Nie ist, nicht vor und nicht nach dem »furchtbaren Jahre« von einem einzelnen der Versuch geistiger Versöhnung so liebevoll, so unprogrammatisch gestaltet worden, und ich weiß keinen in Frankreich, dem die deutsche Kunst heute dankbarer zu sein hat als Ihnen, Sie stiller Meister, der diesen Dank ebenso abwehren wird wie all den Ruhm, den man Ihnen bereiten will.
Die Vollendung Ihres >Jean Christophe< ist für mich noch mehr ein ethisches Ereignis als ein literarisches. In einer unruhigen Zeit, da alles zum raschen Erfolg hindrängt, ungeduldig von der Arbeit zur Wirkung aufschaut - einem Schützen vergleichbar, der nach jedem Schuß den Schießstand und die Waffe läßt, um eitel die Scheibe zu beschauen - haben Sie, ein einzelner, ein Einsamer, keiner Gruppe zugehörig, beinahe Ihre ganze Jugend an ein Werk gewandt, dem schon durch die bloße äußere Form jede eilige, stürmische Wirkung versagt sein mußte. Zehn Bände - wie oft habe ich's selbst erlebt, bei Verlegern, bei Freunden, die ich auf das Werk hinwies, daß sie ängstlich abwehrten, ihre Zeit an ein so ausgebreitetes Werk zu wenden. »Wie beschäftigt sie sind«, höhnte immer Dostojewski, »sie haben keine Zeit zu leben, haben keine Zeit, an Gott zu denken. Sie haben Zeit für alles, nur nicht für das Wichtige.« So war dieses Werk von vornherein nur für die wenigen Leser bestimmt, für die ruhigen, die treuen, die mit einem Buche leben, die es nicht schlingen wie eine hastige Mahlzeit; ohne sie zu kauen und zu verdauen. Aber dieser äußere Widerstand scheint mir noch gering gegen den anderen, noch größeren, den Sie sich freiwillig geschaffen haben. Sie haben, inmitten eines chauvinistischen Frankreichs, es sich zur Aufgabe gestellt, einen imaginären deutschen Musiker, Beethoven redivivus zum Helder. Ihres ethischen Werkes zu machen und durchaus nicht zu einem ironischen, nicht zur komischen Figur, die der Deutsche in den französischen Romanen selbst bei Balzac fast immer zu stellen hat, sondern einen wahren, makellosen Helden des Genies und der Gesinnung. Sie haben Frankreich und Deutschland einander gegenübergestellt, aber nicht feindlich mehr, sondern in einer so hohen Sphäre der Gerechtigkeit, wo es nur Vergleich mehr gibt und nicht mehr Kampf. Sie haben gegen Ihre eigene Zeit, gegen das öffentliche Leben in Frankreich, seine Lügen, seine Eitelkeiten und die Korruption seiner Zeitungen, seiner Kunst gesprochen, und doch immer für Ihre Nation, weil Sie unter all dem Lärm und den emphatischen Gebärden das wirkliche Frankreich aufdecken wollten, das stille und schaffende, weil Sie all den Schutt wegräumen mußten, um diese heilige Blüte, die verborgene, zu zeigen.
Denn tatsächlich, es gibt zwei Frankreich, heute stärker als je, das lärmende und das stille. Dieser Zwiespalt geht durch alle Kreise, durch alle Bestrebungen. Es gibt ein Frankreich der Tagesjournale, der Theaterfabrikanten, der Bernstein, Croisset, Bataille, der eitlen Gelehrten, der dekorationsgierigen Politiker, ein Frankreich, das die Nation überschreit und für die naive Masse das Wirkliche ist. So sehen die Fremden Paris als eine Stadt der ungeheuerlichsten Verschwendung und ahnen nicht, eine wie sehr sparende und verdienende sie ist, die Kokotte ist ihnen die französische Frau, überall sehen sie nur Fassaden, diese schreienden, mit grellen Affichen überladenen Fassaden von Frankreich, und ahnen nichts von dem großen geistigen Leben hinter den Mauern. Falsch ist Deutschland wie über das Leben auch über die Literatur informiert. Jeder Schrei, jedes Stöhnen aus der Wochenstube des Herrn Rostand wird eiligst herübertelegraphiert, aber die Dichter, die wahre Werke schaffen, wann hören wir von ihnen, von jener jungen glühenden Generation von Charles Louis Philipp, Romains, Suarès, Claudel, um nur ein paar Namen zu nehmen, und den Ihren vor allem, Romain Rolland? Freilich wäre es nicht unsere Verpflichtung, gerecht zu sein, wo die Franzosen selbst zu träge sind, aber hier sollte es unser Stolz sein, ihnen voraus zu sein. Gobineau, Maeterlinck, Verhaeren und selbst Verlaine haben in Deutschland ihren lebendigen Ruhm, ihre wahrhafte Wirkung eher gehabt als in Frankreich, und nichts wäre gerechter, als daß auch Sie bei uns früher voll gewürdigt würden als in Ihrer Heimat, denn wie keines gehört Ihr Buch nach Deutschland, in das Land der Musik. Es ist in vielem ein deutsches Buch, ein Entwickelungsroman wie der >Grüne Heinrich<, wie der >Wilhelm Meister<, und doch wieder ein französisches, denn Sie schließen sich damit an die große Tradition derer an, die mit einem Romanwerk nicht ein einzelnes Schicksal und sein Merkwürdiges umreißen, sondern einen Querschnitt durch die ganze zeitgenössische Gesellschaft legen wollen. Die Linie geht geradeaus von Jean Jacques Rousseau über Balzac und Zola, über die >Histoire Contemporaine< des Anatole France bis zu Ihnen, und während die weisen Herren von der Sorbonne über den Niedergang des modernen Romans in Frankreich klagen, daß er nicht mehr seine Zeit, nicht mehr die ganze Gegenwart umfasse, haben Sie im stillen, unter ihren Augen und doch unbemerkt im >Jean Cristophe< dieses Werk vollbracht. Denn das ganze Leben, alle Probleme unserer Zeit sind darin aufgehäuft, die ästhetischen wie die politischen, die antimilitaristische und die Judenfrage, das Theater und der Hof. Alle Formen des Lebens gestreift, aus allen Ländern Bild und Menschen gebracht. Ihr Roman spielt durch alle Kreise von Paris, von den fürstlichen bis zu den proletarischen, drei Bände gehören Deutschland, einer der Schweiz und einer Italien, und in dieser ungeheuren Vielfalt ist nur eines einheitlich als Bindung des überwältigenden Materials, Jean Cristophe, der Held, der sichtbare, und jener andere, eigentliche, unsichtbare Held des Werkes, die Musik, sie ein höchstes Symbol der Bindung aller Gegensätze.
Musik, sie nährt diesen Roman mit ihrer ewigen Quelle. Sprache über den Sprachen, überfliegt sie die Grenzen der nationalen Beschränktheiten, Stimme des Gefühls, macht sie sich auch verständlich, wo der Intellekt nicht mehr sich zu ergänzen weiß. Jean Cristophe oder, wie sein guter deutscher Name heißt, Johann Christoph Krafft, er ist, so lebendig er auch in diesen Büchern lebt, nur ein Symbol. Seine Jugend ist die Beethovens oder Mozarts, seine Flucht aus Deutschland, sein Kampf in Paris eine verwandelte Geschichte Richard Wagners, und unschwer wird man in den Ideen seiner Musik gewisse letzte Tendenzen Richard Straussens und vor allem Gustav Mahlers entdecken. Es war edel und gerecht von Ihnen, Romain Rolland, einen deutschen Künstler gerade in jener Form zu gestalten, in der Deutschland zu allen Zeiten am größten war, in der einzigen, wo Frankreich niemals seine Superiorität äußerlich aufrechtzuerhalten wagte, in der Musik: als Schöpfer seines eigenen überströmenden Gefühls. Die deutsche Musik, die Deutschland die Welt gewonnen hat, hat auch Sie zum Fürsprecher gekürt, sie war es, die Sie zur deutschen Sprache führte und Sie Goethe lieben ließ, dem Sie in Ihrem Werke vielfach ein Denkmal der Liebe und Verehrung gesetzt haben.
Aber es war wohl nicht schwer, Sie zu gewinnen, denn die schöpferische Größe Ihres Wesens wurzelt im Willen zur Bewunderung. Ihr erstes literarisches Werk feierte die Helden der französischen Revolution in kühnen und heißen Dramen, und später, schon als Musikhistoriker bekannt und berühmt, haben Sie jene drei großen Werke der Lebensbewunderung, die dichterischen Biographien Beethovens, Michelangelos und Tolstois geschaffen. Sie wissen, daß Bewundern beglückt, daß man in jeder Hingebung sich nicht verliert, sondern zehnfach im Gefühl gewinnt, Sie fühlen jene Freudigkeit des Weltrausches, den Walt Whitman und Verhaeren in Verse gegossen haben und der heute freudig in der Jugend glüht. Und dieser Wille zur Bewunderung und diese Güte machte Ihr Werk groß, das gerecht sein will in einem höheren Sinne als dem der Kritik und das von sich aus eine neue Generation schafft, weil es die frühere so sehr geliebt hat, weil es alles Gute von ihr nahm, das noch unreif und verworren in ihr wuchs, um es...
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