Schweitzer Fachinformationen
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Ich wachte auf von einem Tapsen auf meinem Körper. Da war etwas auf meinem Bauch, und es war exakt so schwer oder so leicht, um mich in ein ungeahntes Gleichgewicht zu bringen. Ich zog die Bettdecke von meinem Kopf und schaute an mir herunter. Ein graues Kätzchen saß auf mir und blickte mich völlig selbstverständlich an. Es hatte einen hübschen Kopf mit einem weißen Fleck genau zwischen seinen Augen. Wie war es hereingekommen? Ich schaute in dem Zimmer umher, das ich gemietet hatte - ein Loch eher, weil ich mir nichts anderes leisten konnte. Es war spärlich eingerichtet, und dennoch passte nichts zueinander. Das Fenster mit Blick auf eine Mauer stand offen, das Deckenlicht war noch an, und ich hatte meine Klamotten vom Vortag an. Ich musste nach meiner Ankunft wie ohnmächtig eingeschlafen sein. Ich streichelte das Kätzchen am Kopf, das davon munter wurde und nun über meinen Bauch und zu meinem Brustkorb tapste und an meinem Gesicht schnupperte. Das war so süß, dass ich die Luft anhielt. Es legte sich genau in die Kuhle meines Schlüsselbeins und schnurrte. Jede Regung war zwecklos. Ich schaute an die Decke und musste schmunzeln. Auf dem Nachttisch lag neben einer geschmolzenen Tafel Rum-Trauben-Nuss-Schokolade und einem unangerührten Blister Tabletten ein Zettel mit einem Namen und einer Telefonnummer. Der Mann von der Tourist-Information hatte ihn mir mit einem verschmierten Kugelschreiber notiert: Spilman. Ich hatte ihn nach einem Kontakt zur Jüdischen Gemeinde gefragt, und er meinte, dass ich es bei ihm versuchen sollte.
Während ich mich irgendwann umzog, sprang die Katze in meinen Koffer. Wann immer ich ein Kleidungsstück herausnahm, griff sie mit ihren Tatzen danach. Ich hielt ein Hemd in die Luft, und sie sprang hinterher und schnappte nach seinen Ärmeln. So spielten wir eine Weile. Meine Sachen räumte ich nicht in den Schrank, warum auch - das bisschen. Ich hatte keine Lust, mir die Zähne zu putzen, und warf mir nur hastig kaltes Wasser ins Gesicht. Dann zog ich mir über, was die Katze freigegeben hatte, und trat heraus.
Durch enge Gassen stieg ich treppab in die Altstadt, zur Spaziermeile Stradun. Hier fuhren keine Autos. Von einem zum anderen Ende dieses Boulevards brauchte ich ein paar Minuten. Alles war aus einem Guss: Straßen und Häuser aus cremefarbenem Kalkstein, Dächer aus terracottafarbenen Ziegeln. Beim Gehen steckte ich meine Nase immer wieder in den Reiseführer, um all die Gebäude voneinander unterscheiden zu lernen. Am östlichen Stadttor lag der Palast Sponza, ein Gebäude aus dem 16. Jahrhundert mit Bogengängen und verzierten Säulen. Daneben ragte ein Turm in die Luft: oben eine Glocke, darunter eine Sonnenuhr mit römischen Zahlen für die Stunden und mit arabischen Zahlen für die Minuten. Überall Säulen und Türme und Pfeiler. Phallus an Phallus an Phallus, wie soll man da nicht durchdrehen, dabei spielt das Leben doch in Hohlräumen. An einem Brunnen füllte sich eine Gruppe chinesischer Touristen Plastikflaschen mit Wasser. Vor dem Sponza-Palast blieb ich vor der überlebensgroßen Figur eines Ritters stehen. Zu seinen Füßen auf einem Podest aus drei achteckigen Stufen saß eine Gruppe Mädchen. Das Gewand des Ritters sah aus wie ein Minirock und seine Schoner wie Kniestiefel, was ich fesch fand. Nur eine einzige dieser Sehenswürdigkeiten hätte in jeder anderen Stadt gereicht, um sie zum Ausflugsziel zu ernennen. Dieser Überfluss an Pracht war realitätsfern, aber offensichtlich echt. Warum denkt man bei uns so oft, Schönheit gehe mit Künstlichkeit einher? Und warum bleibt man, wo es offenkundig Orte wie diese hier gibt, freiwillig in, sagen wir, Eisenhüttenstadt wohnen?
Ich lehnte mich an eine Säule des Sponza-Palasts und fragte mich, was sich an mediterranen Orten so anders anfühlt. Vielleicht war es nicht der Glanz von allem, was da war - den Kirchen, Statuen, Brunnen -, sondern von dem Raum zwischen diesen Dingen. So, wie Musik nicht nur aus Tönen besteht, sondern ebenso aus der Stille zwischen ihnen. Wir leben in Zwischenräumen. In dieser Stadt trat alles in den Hintergrund, und ich mit ihr, und das fand ich angenehm. Ich ging ein paar Schritte und setzte mich neben die Jugendlichen auf die oberste Stufe der Ritterstatue und klappte den Stadtführer auf. Dann schaute ich hoch zum Denkmal. So groß war dieser Roland oder Orlando oder wie er heißen mochte eigentlich gar nicht, aber süß, mit seinen Löckchen. Mir kamen Agnes' Haare in den Sinn. Ich atmete tief ein. Wenn ich Luft wäre, wäre ich gern die Luft zwischen den Arkaden des Rektorenpalasts. Ich würde auf den Verzierungen des Deckengewölbes ruhen und mich, sollte ein Windhauch kommen, zu der barocken Basilika des heiligen Blasius wehen lassen, der hier Sveti Vlaho heißt. Er ist der Schutzheilige von Dubrovnik und hier offensichtlich der Oberpimmel. Seine Statue blickt, vollbärtig und die rechte Hand zur Segnung erhoben, vom Kirchendach auf die Stadt hinunter. Wobei ich eigentlich nicht Luft sein möchte, sondern lieber Stein. Stein scheint hier sehr wichtig zu sein, weil hier alles daraus gemacht ist. Die Stadt ist auf einen Felsen gebaut, umarmt von der Stadtmauer. Ich spazierte an der Kirche des Sveti Vlaho vorbei und bog in den alten Stadthafen ein. Jollen wiegten sich im Wasser. An einem Fischrestaurant und einer Eisdiele vorbei ging ich an einer dicken Mauer entlang, um die Festung des Sveti Ivan herum - jene zwei monumentalen Türme, die mir gestern im Bus den surrealen Postkarten-Anblick bescherten. Ich faltete die Stadtkarte in der Mitte des Reiseführers auseinander. Der Mann aus der Tourist-Info hatte mir lauter Kreuze und Kreise darauf gekritzelt, das ist so ein Ding von denen. Ich starrte mit offenem Mund in die Luft. Zwischen den beiden Türmen lag die Mole Porporela: links von ihr der Hafen und rechts das Meer. Ich schritt ein paar Stufen hinauf und setzte mich auf eine der dunkelgrünen Holzbänke und ließ meinen Blick über das Wasser schweifen. Die Insel Lokrum wirkte so nah, dass ich glaubte, ihre Pinien riechen zu können. Ich schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Irgendwie machte mich das alles auch schwer und seltsam wehmütig. Auf der Bank links neben mir schmuste eng aneinandergerückt ein Pärchen, das zu verbergen versuchte, dass er seine Hand sehr offensichtlich in ihre Hose geschoben hatte. Rechts von mir saß eine Gruppe Männer, die sich johlend zusammengerottet hatte. Im Meer am Hafendamm gab es innerhalb einer rechteckigen Absperrung zwei Tore - wohl ein Spielfeld für Wasserball. Vor mir platschte es: Ein paar Jungs schmissen sich laut lachend immer wieder ins Wasser. Ich stand auf und trat an den Rand der Mole. Auf dem Streifen entlang der Mauer lagen Badende: tobende Schulkinder, ältere Damen in feinen Badeanzügen, kartenspielende Männer. Ich hatte noch nirgends Menschen in einem Hafen baden gesehen, aber ich hatte auch noch nie so schönes und sauberes Wasser in einem Hafen gesehen. Ein Hafen ist ja praktisch ein Gewerbegebiet, und im Gewerbegebiet zu Hause gab es nur Pfützen aus Kotze. Ich schaute hinunter auf meine schmutzigen Zehen in den Sandalen und hinauf auf die Festung. Ich spürte Respekt vor der dicken, zwei Kilometer langen Stadtmauer, die laut Stadtführer seit dem achten Jahrhundert dort ausharrte, Feuer und Kriege, also: den Menschen, überstanden hatte und dabei halbwegs heil geblieben war. Aus Stein zu sein scheint beim Heilbleiben zu helfen. Es war ein ähnlicher Respekt, den ich auch gegenüber dem Quastenflosser hatte, diesem unfassbar hässlichen Fisch, von dem man dachte, er sei in der Kreidezeit ausgestorben, bis im Jahr 1938 vor der Küste Südafrikas plötzlich einer in einem Netz zappelte, ja grüß Gott. Dieses Urtier gibt es seit mehr als 350 Millionen Jahren auf der Erde, es lebte bereits weit vor dem Dinosaurier, und damals war gar nicht mal so viel los, also tiermäßig, und da dann heute immer noch auf dieser Welt zu sein, das muss man dann auch wollen.
Ich wollte nicht mehr. Mir war heiß, und ich fühlte mich müde. Ich trottete zurück in die Altstadt und setzte mich auf die Stufen der Barockkirche. Ich schaute den Menschen auf dem Stradun zu und fühlte mich einsam. Ich versuchte zu erfassen, wie die Frauen hier gehen: Sie schritten, als wäre etwas im Boden oder in der Luft, ein Geheimnis zwischen den Gebäuden, das nur sie kannten, oder eine Frequenz zwischen Menschen, die nur sie hörten. Ich bekam es nicht hin, ich wirkte wie jemand, der imitierte, ein Mensch zu sein. Von einem Ende des Boulevards zum anderen brauchte ich zu Fuß keine fünf Minuten, aber sie brauchten eine Viertelstunde, oder eine halbe, sie kosteten die Zeit aus, sie spazierten nicht, sie stolzierten. Als inszenierten die Frauen ein Flanieren aus französischen Filmen. Nur ab und zu drängte sich ein Mann mit Plastiktüte zwischen den Touristen durch oder Kinder rannten in der Regenrinne neben der Hauptstraße auf und ab. Ich saß dort, ermattet, zu erschöpft zum Aufstehen.
Obwohl Sonntag war, war eine Bankfiliale der Innenstadt geöffnet. Ein Schauspiel echten Lebens zwischen all den Souvenirläden, T-Shirt-Shops und Kiosken, aber irgendwie wirkte sie gerade deswegen noch kitschiger als der Rest. Ich trat in einen verdunkelten, von einer Klimaanlage unterkühlten Raum, zog eine Nummer an einem Automaten und setzte mich auf eine Holzbank. Ich überlegte, dass es witzig wäre, mit den anderen Kunden die Zettel untereinander zu tauschen, bis keiner mehr wusste, wer an der Reihe war, aber dann stellte ich fest, dass es eigentlich gar nicht mal so witzig war, und so schaute ich auf den Boden. Am Schalter wurde ein Mann bedient, der dem Dialekt nach vermutlich aus Irland stammte, und ich fand, dass das Englisch der Bankkauffrau fast besser klang als seins. Überhaupt...
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