Schweitzer Fachinformationen
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Zehn Jahre später, November 1297
L ajos fand seinen Onkel an der Anlegestelle des Donauarms zwischen gestapelten Salzfässern und dem Steg. Ein tropfnasser Junge stand bibbernd darauf, daneben ein vor Nässe zitternder Schiffer.
»Das nächste Mal lassen wir dich versaufen«, polterte der Onkel. Der Schiffer stammelte etwas. Lajos blieb in gebührendem Abstand stehen. Der Onkel wischte mit dem Arm durch die Luft, erblickte seinen Neffen, stockte.
»Wir können keinen gebrauchen, der nicht aufpasst«, fuhr er den Schiffer an. Unwirsch drehte er sich weg und marschierte zu Lajos. Erbost öffnete er den Mund, schien sich dann aber zu besinnen.
»Hast du das Geld«, brummte er. Lajos verbeugte sich. Seit zwei Monaten hatte er den Onkel nicht mehr gesehen, eben war er von seiner beschwerlichen Reise von Buda oder Ofen, wie die Deutschen die Stadt nannten, in Wien angekommen.
»Sicher verstaut im Geldgürtel«, antwortete Lajos.
Manchmal schämte er sich, dass er dem Onkel nicht mehr Schneid entgegensetzte. Dieser nickte zufrieden, klopfte ihm zur Begrüßung auf die Schulter, deutete mit einem Nicken an, ihm zu folgen, und brummte: »Streune damit nicht im Hafen herum, geh direkt zum Salzhaus!«
Lajos in seinem Rücken nickte nicht einmal dazu. Seine zwei Begleiter hatte er im Salzhaus gelassen, als er den Onkel suchen ging. Geschickt umrundete er die Salzfässer, um dem Onkel nacheilen zu können. Da erblickte Lajos die Magd zum ersten Mal.
Es war vor allem ihr Tuch, das sie um die Schultern geschlungen hatte, das ihm auffiel. Fein gewobene Wolle mit blauer Färbung, flandrische Arbeit, schon ausgewaschen, trotzdem ein edler Stoff. Lajos war kein Tuchhändler, sondern beförderte Salz für seinen Onkel nach Ofen, aber wertvolle Stoffe erkannte er allemal.
»Wie verlief die Reise«, erkundigte sich der Onkel, als sie durch das Rotenturmtor schritten und an St. Ruprecht vorbei die Gasse hoch eilten. Lajos trabte neben ihm her, erzählte, er sei mit einer Gruppe Pelzhändler zurückgekehrt. Für die Jahreszeit war es eine wenig beschwerliche Reise, weder Unfälle noch Überfälle oder Wölfe. Lajos bemerkte, wie er den Schneesturm und die eisigen Übernachtungen im Freien herunterspielte. Aus den Augenwinkeln konnte er beobachten, dass die Magd ihnen folgte.
Das Haus seines Onkels lag am Hohen Markt. Hinter dem Laden befand sich das Lager, wo die Gesellen gleich für den Onkel Platz machten. Erst dort überreichte Lajos dem Onkel den Geldgürtel, den er unter Umhang und Surcot, dem Überkleid, trug. Darin lagen die Erträge seines letzten Salztransportes. Lajos wiederholte, wie viel sie wo verkauft hatten, überbrachte Kunde vom Vetter, der in Ofen den Handel tätigte. Sein Onkel zählte, nickte anerkennend.
»Lass dir was vorsetzen und ruh dich aus!«
Lajos beeilte sich zu erklären, dass seine Kammer hergerichtet werde, seine Begleiter schnarchten wohl schon auf den Strohsäcken. Er verabschiedete sich, wählte jedoch nicht die Stiege nach oben, sondern trat auf die Gasse. Dort stand sie, die Magd mit dem blauen Tuch.
Lajos kannte sie nicht. Es war nicht so, dass die Weiber ihm nachliefen. Als sie seinem Blick jedoch standhielt, überquerte er die Gasse und trat zu ihr hin. Dies wiederum schien sie verlegen zu machen. Sie drehte den Kopf, blickte umher.
»Meine Herrin möchte Euch sehen«, wisperte sie dann.
Eine solche Antwort hatte Lajos nicht erwartet. Er hatte angenommen, dass sie eine Bekannte seiner Liebsten sei.
»Welche Herrin?«, fragte er.
»Das wird sie Euch selbst verraten«, antwortete die Magd erstaunlich spitz.
Lajos zögerte. Zehn Tage lang war er mit Pelzhändlern und ihren Maultieren von Ofen hierhergereist. Ein Schneesturm hatte sie überrascht, sie hatten im Freien genächtigt. Er war erschöpft, hatte Frostbeulen, einen Bärenhunger und stank wohl zum Himmel.
»Berichte deiner Dame«, sagte er, »ich werde vorsprechen, wenn ich mich gestärkt habe.«
Die Magd schüttelte den Kopf. »Es hieß, um Martini werdet Ihr zurückkehren, nun beginnt bald der Advent. Meine Herrin wartet nicht gerne.«
Mit spitzen Fingern packte sie Lajos' Ärmel und zog ihn mit sich.
»Es gab einen Schneesturm, wir saßen tagelang fest.« Das klang wie eine Entschuldigung. Seit wann wussten unbekannte Damen über seine Reisepläne Bescheid? Doch aus der Magd war nichts mehr herauszuholen. Sie zog ihn an St. Peter vorbei, kaufte an einem Stand zwei Krapfen und steckte sie ihm zu seinem Erstaunen zu. Anschließend bog sie in eine Gasse und als Lajos den ersten Krapfen verschlungen hatte, standen sie vor der Michaelskirche. Auf der anderen Seite des Platzes erhob sich die dunkle Hofburg des verhassten Habsburger Herzogs.
Die Magd wandte sich ihm zu, musterte seinen feuchten, nach nassem Hund stinkenden Umhang nun selbst nachdenklich. »Ihr senkt den Blick, beugt das Knie und wartet, bis Ihr angesprochen werdet«, sagte sie streng.
Lajos schluckte den letzten Bissen hinunter und öffnete protestierend seinen Mund. Führte sie ihn etwa vor die Herzogin?
Die Magd war schon durchs Kirchenportal geschlüpft. Neugierig folgte er ihr.
Vor dem Altar flackerten einige Kerzen, fahles Novemberlicht fiel durch die hohen Fenster. Kalter Weihrauchduft stieg ihm in die Nase. Einige verhüllte Gestalten knieten vor dem Altar, ins Gebet versunken.
Die Magd huschte an der Seitenmauer entlang, räusperte sich etwas zu auffällig und winkte Lajos in die Sakristei.
Abgesehen von einem Giebelschrank, zwei Stühlen und einem Stehpult war der Raum leer.
Die Magd, nun sichtlich unruhig, bedeutete ihm zu warten.
Lajos öffnete seinen Umhang. Der Schweißgeruch seines abgetragenen Untergewandes drang ihm in die Nase. Er bereute schon, hierhergekommen zu sein, als sich mit einem Knarren die Tür öffnete. Eine verschleierte Gestalt trat unter den Türrahmen. Sie trug kein Brokat, aber der tiefblaue Umhang bestand aus feiner gesponnener Wolle, neuste flämische Ware. Lajos senkte den Blick und beugte das Knie.
Es wurde getuschelt, die Tür knarrte wieder, fiel ins Schloss. Ein feiner Blumenduft liebkoste seine Nase.
»Erhebt Euch!«, sagte eine dunkle Frauenstimme mit diesem schwäbischen Kratzen im Hals, das alle Ministerialen des Habsburgerherzogs verriet.
Eine silberne Fibel hielt ihren Umhang zusammen, den Surcot darunter zierte ein bestickter Gurt. Sie musste etwas älter als er mit seinen zwanzig Lenzen sein. Das bleiche Gesicht war schmal, der Blick aus den grauen Augen ernst, obwohl sie spöttisch lächelte. Hatte er etwas falsch gemacht?
»Ihr seid Ludwig, der Neffe des Salzhändlers Hans vom Hohen Markt.«
Lajos nickte, hätte gerne erwidert, dass er Lajos gerufen wurde, die ungarische Version von Ludwig. Eine Dame belehrte man jedoch nicht.
»Möchtet Ihr etwas Wein?«
Das verschlug ihm die Sprache. Abgesehen davon, dass Sie ihm etwas anbot, wollte sie ihm den Messwein zu trinken geben?
Ohne eine Antwort abzuwarten, trat sie zum Schrank, öffnete ihn und entnahm ihm einen Zinnkrug. Die Kapuze rutschte herunter. Ihr braunes Haar, das zu seiner Verwunderung unbedeckt war, glänzte im Licht der Kerze.
Als sie sich ihm wieder zuwandte, hielt sie ihm einen gefüllten Zinnbecher entgegen. Der unverdünnte Wein schmeckte nach Sonne und warmer Erde. Noch im Trinken fiel Lajos ein, dass es sich wohl nicht geziemte, den vollen Becher hinunterzustürzen. Er setzte ab und stellte ihn auf das Stehpult. Die Dame ließ ihn nicht aus den Augen.
»Wie war Eure Reise?«, fragte sie. Lajos wischte sich über den Mund, schluckte nochmals und spürte dem lieblichen Geschmack in seiner Kehle nach.
»Was wollt Ihr von mir?«, erwiderte er. Da erreichte das Lächeln zum ersten Mal ihre Augen.
»Setzt Euch«, befahl sie und zog den zweiten Stuhl so hin, dass sie sich gegenübersaßen. »Es wurde mir gesagt, dass Ihr längere Zeit in Ofen verweiltet und neben dem Deutschen auch des Ungarischen mächtig seid.«
Lajos kam es vor, als wäre sie einer dieser Heiligen, die im Himmel schwebten und alles beobachteten, was die Erdenbürger trieben.
Die Frau nestelte an ihrem Gurt, legte einen Wiener Pfennig neben seinen Becher und fragte: »Was erzählt man sich in Ofen über die Hochzeit des Königs?«
»Die Hochzeit von Fürst Andreas mit der Habsburgertochter?«
Die Dame nickte.
»Leopold! Was fällt dir ein?«
Agnes packte den Jungen und riss ihn zurück. Leopold stolperte rückwärts. Der Stock, mit dem er fast das Auge seines älteren Bruders Friedrich, ausgestochen hätte, fiel zu Boden.
Friedrich strich sich verwundert über das Gesicht, musterte den Quälgeist, als könne er nicht fassen, was der eben im Sinne gehabt hatte. Warum wehrte der Größere sich nicht?
Aufgebracht blickte Agnes zu den Ammen. Eine wischte dem heulenden Schwesterchen die Nase, die andere stillte den Jüngsten. Bethchen stickte im Erkerfenster, tat so, als höre sie nichts. Manchmal ging es hier im Frauengemach zu wie im Tollhaus.
»Lass mich los!«, quengelte Leopold, schüttelte seine braunen Locken und schlug gegen Agnes' Hand.
»Keineswegs, zur Strafe begleitest du mich zu Meister Konrad und wirst die ganze Zeit still in der Ecke stehen!«
Leopold jaulte auf und versuchte, sich zu befreien, während Friedrich ihr einen sehnsüchtigen Blick zuwarf. Agnes warf ihren zappelnden Bruder kurzerhand über die Schulter, fing die dankbaren Blicke der beiden...
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