Schweitzer Fachinformationen
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Rolf Zuckowski, Träger des Bundesverdienstkreuzes, hat mit seinen Liedern ganze Generationen geprägt. "Wie schön, dass du geboren bist" oder "In der Weihnachtsbäckerei" sind mittlerweile wahre Klassiker, ohne die keine Kindergeburtstagsfeier mehr auskommt und die in der vorweihnachtlichen Backstube für ausgelassenste Stimmung sorgen. Dabei geht es ihm in seinen Liedern immer um die Kinder und Familien. In seiner bewegenden Autobiografie erzählt der Musiker und Komponist, wie er zu dem wurde, der er ist und um was es ihm bei seiner Musik für Kinder und Erwachsene im Kern geht. Sein Buch lässt dabei nicht nur die wichtigsten Lebensthemen des Musikers anklingen, sondern spiegelt auch ein Stück gesamtdeutsche Geschichte wider.
Der Stadtteil Winterhude, in dem ich am 12. Mai 1947 zur Welt kam, war im Zweiten Weltkrieg - wie große Teile meiner Heimatstadt Hamburg - fast komplett zerstört worden. Bis etwa 1952 lebten wir zusammen mit meinem Großvater väterlicherseits, dessen Tochter Rita und ihrem Mann Kurt in einem der wenigen unzerstörten Mehrfamilienhäuser in einer relativ kleinen Wohnung. Mit meinen Eltern Werner und Giesela Zuckowski, meinem knapp zwei Jahre älteren Bruder Hans-Peter (sein leiblicher Vater war im Krieg gefallen) und meiner eineinhalb Jahre jüngeren Schwester Anke bewohnte ich hier ein Zimmer. Mein zweiter Bruder Heino (»Pit«) wurde 1955 geboren. Wie bei dem nur noch aus Außenwänden bestehenden Haus schräg gegenüber war das Bild der Kriegsschäden allgegenwärtig. Wir bedauerten die Leute, die in Kellern hausen mussten, die Schrott- und Kippensammler, die Kriegsversehrten und Traumatisierten. Aber jeder musste in diesen Jahren sehen, wie er durchkam.
Foto: privat
Meine allerersten Erinnerungen gehen zurück in die untere Etage eines Doppelstockbettes, ich mag drei oder vier Jahre alt gewesen sein. Oben (auf der Kommandobrücke) spielte mein Bruder Hans-Peter Kapitän im Sturm auf hoher See, unten (im Maschinenraum) wurde die Lage im schaukelnden Schiff für mich immer bedrohlicher, und es kam, wie es kommen musste: Das Bett krachte zusammen. Zum Glück hockte ich gerade am richtigen Ende, kam mit dem Schrecken davon und kann darum heute von meiner Kindheit in Hamburg berichten.
Der Arensweg, die kleine Straße, in der wir in meiner frühesten Kinderzeit wohnten, war nicht viel länger als 200 Meter, lag innerhalb eines großen Rechtecks aus Mehrfamilienhäusern und wurde an jedem Ende von einer tunnelartigen Hausdurchfahrt begrenzt. In diesen Durchfahrten der für diesen Hamburger Stadtteil typischen roten Backsteinhäuser war unser Schlechtwetterspielplatz. Der Widerhall unserer Kinderspiele störte die Anwohner offenbar kaum, ich kann mich jedenfalls an kein Meckern erinnern, obwohl wir bestimmt nicht immer leise waren. Unter den Torbögen trafen sich Freunde unterschiedlichen Alters und ab und zu auch ein paar große Jungs, vor denen wir mächtig Respekt hatten. Der Arensweg war mit den wenigen Autos jener Zeit eine sichere Spielstraße, was mich nicht daran hinderte, dort meinen ersten Unfall zu erleiden, als ich verträumt mit dem Kopf gegen einen der alten, gusseisernen Laternenpfähle lief.
Mein Vater hatte während des Krieges als Marinesoldat gedient. Als er kurz nach Kriegsende aus holländischer Gefangenschaft heimkehrte, hielten er und meine Mutter die Familie zunächst mit einem Gemüseverkaufsstand über Wasser, bevor er dann als Steward auf wechselnden Frachtschiffen zur See fuhr. Er war schon mit 14 Jahren aus der Enge seiner Familie geflüchtet und hatte als Messejunge angeheuert. Ein einziges Mal durfte ich mit meinem Papa auf »große Fahrt« gehen - von einem Schuppen zum anderen im Hamburger Hafen. Ihn an Bord zu besuchen, das bedeutete für mich, ins Paradies einzutauchen, denn dort gab es Essen in Hülle und Fülle. Es hieß beim Verlassen des Freihafens aber auch, nicht zu wissen, wohin mit dem ängstlichen Blick an der Zollkontrolle, denn Papa führte immer mehr Zigaretten mit, als erlaubt waren. (»Mach dir keine Sorgen, mein Jung, ein Seemann darf das.«) Meine Mutter verdiente als Friseurin zu Hause dazu. Wir Kinder durften ihr die Lockenwickler zureichen und einsortieren und kicherten über die Damen unter der improvisierten Trockenhaube, einem Luftsack, der mit einem Schlauch an den beheizbaren »Auspuff« des Staubsaugers angeschlossen wurde.
Der bunte Vogel der Familie war mein Onkel Kurt, ein Hansdampf in allen Gassen. Er handelte auf Wochenmärkten: im Sommer mit Fleckenpulver, im Winter mit Tannenbäumen und zu Ostern mit Ostereiern. Mein größter Spaß war es, abends seine von weißem Fleckenpulver verklebten Geldscheine zu waschen und im Badezimmer an der Leine zum Trocknen aufzuhängen. Er war einer der Ersten in der Straße, die ein Auto besaßen, und die Fahrten mit ihm wurden zu wahren Abenteuern - mal im Zweisitzer-Adler-Cabrio im Beifahrerfußraum, mal im alten »Buckelford«. Auf der Autobahn durfte ich sogar für ihn lenken, wenn er, der als Kriegsversehrter nur noch einen Arm hatte, sich eine Zigarre anzünden wollte. Mein Vater hatte weniger Spaß mit seinem Schwager, und so erlebten wir als Kinder einige bittere Familienauseinandersetzungen, die schließlich dazu führten, dass ich nach einem heftigen Streit der Männer meine Tante Rita, für die ich wie ein eigenes Kind war, nicht mehr besuchen durfte. Ob ihr einige Jahre später begangener Selbstmord im Hamburger Stadtparksee damit zusammenhing, ist eine der offenen Fragen meines Lebens. Onkel Kurt folgte ihr und nahm sich ebenfalls das Leben.
Mein Opa, ein um die Jahrhundertwende aus Danzig zugewanderter Schlepper-Maschinist, war in den Nachkriegsjahren als Hausmeister für einige unzerstörte Häuserblocks »um die Ecke« in der Semperstraße zuständig. Mit ihm noch brennbare Kohle aus der Asche der Zentralheizung herauszusuchen, war für mich ein Vergnügen, das ab und zu belohnt wurde: Opa sägte und schnitzte mir aus einem alten Besenstiel einen »Kibbel-Kabbel«, ein damals vor allem bei den Hamburger Jungs sehr beliebtes, aber nicht ganz ungefährliches Spielzeug für draußen. Es bestand aus einem kleinen, etwa zehn Zentimeter langen, beidseitig kegelförmig angespitzten Holzstab, dem »Kibbel«, und einem deutlich längeren, dem »Kabbel«, mit dem man auf eine Spitze des am Boden liegenden Kibbels schlug, um ihn dann, in die Höhe gesprungen, so weit wie möglich fortzuschlagen. Es erforderte einige Geschicklichkeit und gutes Rechnen mit großen Zahlen, um den besten in der Summe aller getätigten Schläge in diesem Wettbewerb zu ermitteln. Dass Opa an seiner Werkbank sogar Eisen formen konnte, dass er das Grabmal für seine früh verstorbene Frau selbst geschmiedet hatte, davor hatte ich die größte Hochachtung. Ich habe meinem Opa viele Jahre später in dem Lied Großpapa (meine Version des englischen Pop-Klassikers »Grocer Jack« von Keith West) ein kleines Denkmal gesetzt.
Als ich etwa fünf Jahre alt war, zogen wir in die Semperstraße 67. Dort wohnten wir in einem zur Wohnung ausgebauten Dachboden im fünften Stock. Das nach dem Wiederaufbau letzte Trümmergrundstück gegenüber war ein gefährlicher, aber auch verlockender Spielplatz. Wir blieben während meiner Kindheit immer in diesem Teil von Winterhude, der in den 1920er-Jahren erbauten »Jarrestadt«, wohnen - ein in sich geschlossenes, durch eine abwechslungsreiche Gliederung zugleich offenes Wohnquartier aus viergeschossigen roten Backsteinhäusern. Ich konnte die vorbildliche, wenn auch für heutige Maßstäbe etwas beengte Anlage mit den vielen Häuserblocks erst bei einem Rundgang am Vorabend meines 50. Geburtstages gebührend würdigen. Überall kleine Vorgärten, große grüne Innenhöfe, Parks mit Spielplätzen, ein Kino und viele kleine Geschäfte.
Aus der beengten Dachwohnung zogen wir nach einigen Jahren in das Haus Nr. 66 gegenüber - in eine »richtige« Wohnung im vierten Stock. Dort erlebte ich auf dem Hinterhof den ersten Live-Musiker meines Lebens, einen Akkordeon spielenden Bänkelsänger mit einem Holzbein, der seine kriegsbedingte Behinderung mit einer gehörigen Portion Galgenhumor zu nehmen wusste und sogar davon sang. Seine humorvollen plattdeutschen Auftritte, allen voran sein Hit »Mathilde mit das stiebe Been«, waren Höhepunkte unserer Kindertage. Meine Geschwister und ich warfen ihm als Dankeschön voller Begeisterung zwei in Papier eingewickelte Groschen aus dem vierten Stock hinunter.
In der Jarrestadt, deren Straßen die Namen von Dichtern und Baumeistern wie Novalis, Hölderlin, Semper und Haller tragen, lag auch meine Grundschule, in der Meerweinstraße 26. Bis kurz vor meiner Einschulung im Frühling 1954 war sie eine reine »Mädchenschule« gewesen. Auch nach Einführung des gemischten Unterrichts wurde sie noch so genannt, was mich auf die Idee brachte, in der vierten Klasse - von meiner Mutter mit einer Perücke professionell zurechtgemacht - als Mädchen verkleidet zum Fasching zu gehen. Der Schulweg war überschaubar und doch eine erste Übung, um am Rande der Jarrestadt neue Straßen, andere Leute, Geschäfte und kleine Handwerksbetriebe zu entdecken. Die Bauweise dieses Quartiers ließ uns die Grenzen zu anderen Stadtteilen wahrnehmen und gab uns auch etwas weiter weg von der eigenen Straße noch ein »Zuhausegefühl«. Der weitläufige Hamburger Stadtpark mit seinen großen Spielplätzen und der Stadtparksee mit Badeanstalt, im Winter auch als Eisbahn zu nutzen - das alles in Laufweite -, sicherten uns zu allen Jahreszeiten jede Menge Freizeit- und Ferienspaß. Verreisen war, außer zu Familienbesuchen im nordhessischen Knüllwald und einigen Klassenfahrten nach Böhmsholz in die Lüneburger Heide, in unserer frühen Kindheit aus finanziellen Gründen kaum möglich. Wir vermissten es auch nicht. Erst als die Schulkameraden auf dem Gymnasium im Winter vom Skifahren in den Bergen erzählten, kam ein wenig Neid und große Neugierde auf, die ich selbst aber erst viele Jahre später befriedigen konnte.
Seinerzeit wurden die Kinder noch zur Osterzeit eingeschult.
Unsere Mutter wechselte während meiner Grundschulzeit vom Friseurberuf in die Postzustellung, um der Familie mehr finanzielle Sicherheit zu geben. Mit den damaligen Dienstzeiten von morgens fünf Uhr bis zum...
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