VOM KULTPLATZ ZUR VILLENSIEDLUNG, VOM BAUERNDORF ZUM STADTTEIL
Der Bergisel misst an seinem höchsten Punkt bescheidene 749 m. Sein Name ist vorrömisch, leitet sich von burgusinum her, was so viel wie "Erhebung" bedeutet, und bezog sich ursprünglich auf den gesamten Höhenrücken zwischen der Sillschlucht im Osten und dem Geroldsbach und dem Klosterberg nördlich von Natters im Westen.
Die eigentliche Bergiselkuppe und ihre unmittelbare Umgebung zählen zu den ältesten Siedlungsgebieten im Bereich des heutigen Innsbruck, ihre früheste Geschichte lässt sich sehr schön bei einem Besuch in der archäologischen Abteilung des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum erkunden. Fundstücke aus Wilten zeigen, dass sich bereits während der Bronzezeit vor etwa 3000 Jahren und der nachfolgenden Eisenzeit an den nördlichen Abhängen des Bergisels Menschen niedergelassen hatten. Am Bergiselplateau und im Bereich der Sprungschanzenkuppe lagen ihre Kultplätze, an denen sie Tiere als Brandopfer darbrachten; die Toten verbrannten sie und setzten sie am ehemaligen Lorenziacker südlich der Basilika, wo heute die Remisen der Innsbrucker Verkehrsbetriebe stehen, in Urnengräbern bei. Seit dem 19. Jahrhundert stößt man bei Bauarbeiten immer wieder auf ihre Spuren, auf Grabstätten und Gebäudefundamente, auf Schmuck, Waffen und Keramik.
Um Christi Geburt drangen die Römer über die Alpen gegen Norden vor und überzogen die eroberten Gebiete mit einem dichten Straßennetz. Eine Nebenlinie der bekannten Via Claudia Augusta legten sie über den Brennerpass und das Wipptal zum Bergiselsattel am heutigen Sonnenburgerhof an und von dort - dem Hohlweg entsprechend - hinunter in die Ebene am Fuß des Bergisels. Dort errichteten sie eine Straßenstation, die sie Veldidena nannten. Der Name geht auf die vorrömische Bevölkerung zurück, seine Bedeutung ist unklar. Von Veldidena setzte sich die Nebenlinie der Via Claudia Augusta über Zirl, damals Teriolis, und den Seefelder Sattel nach Augsburg fort; eine weitere Straße querte die Sill bei Veldidena auf der pons sulle, der Sillbrücke, und führte, in etwa der heutigen Wiesengasse entsprechend, gegen Osten.
Um das Jahr 300 bauten die Römer Veldidena zum befestigten Kastell aus, mit Mauern, Wehrtürmen und lang gestreckten Hallen, die als Lager und Soldatenquartiere dienten. Das Kastell lag nördlich des heutigen Stifts; außerhalb, gegen Westen hin, standen die Häuser der Zivilbevölkerung. Dort lebte im 1. Jahrhundert die älteste namentlich bekannte Wiltenerin, eine gewisse Secundina. Ihr hatte ein unbekannter Dieb zwei Rinder gestohlen, worauf sie in ein kleines bleiernes Täfelchen die Bitte an die Götter ritzte, den Dieb zu fassen und vor Gericht zu bringen. Auch dieses Fluchtäfelchen kann im Ferdinandeum bestaunt werden.
Mit den Römern kam das Christentum nach Veldidena. Die Gründungslegende der Basilika wusste davon schon lange zu berichten, die Wissenschaft bestätigte es in den 1990er Jahren, als Grabungen zeigten, dass die Wiltener Basilika tatsächlich auf frühchristlichen Fundamenten des 5. Jahrhunderts steht. Vermutlich handelt es sich dabei um die bei Bischof Gregor von Tours im 6. Jahrhundert erwähnte Laurentiuskirche.
Veldidena. Sgraffito des Innsbrucker Malers und Künstlers Max Spielmann am Haus Leopoldstraße 44 (Foto: C. Zucchelli)
Veldidena wurde kurz vor 600 von Bajuwaren erobert und zerstört. Neben den Ruinen entstand eine neue Siedlung, die im 9. Jahrhundert erstmals als Vuiltina urkundlich genannt wird. Um diese Zeit dürfte auch das Kloster Wilten gegründet worden sein; der einzige Hinweis auf seinen Ursprung ist die Sage vom Riesen Haymon, der am Ausgang der Sillschlucht als Sühne für eine Mordtat ein Kloster errichtet hätte.
Das Kloster, und hier wird es wieder historisch, wurde im Jahr 1128 durch Bischof Reginbert von Brixen dem damals noch sehr jungen Orden der Prämonstratenser übergeben, zusammen mit ausgedehnten Ländereien, die den Unterhalt des Klosters sichern sollten. Zehn Jahre später bestätigte Papst Innozenz II. die Niederlassung und stellte sie unter päpstlichen Schutz. Die Ländereien des Stiftes umfassten im Mittelalter die so genannte "Hofmark Wilten", die aus dem Ober- und Unterdorf Wilten bestand und sich darüber hinaus gegen Norden bis an den Inn und im Westen bis zur Schlucht des Geroldsbaches erstreckte; gegen Osten begrenzte im Wesentlichen die Sill die Hofmark, wobei das Stift aber mit den Sillhöfen, dem Lemmenhof am Paschberg und dem Zenzenhof oberhalb von Gärberbach auch Besitz am östlichen Flussufer hatte. Das Sellraintal und das innere Senderstal mit der Kemater Alm gehörten ebenfalls zur Hofmark. Dazu kamen durch Schenkungen weitere Höfe, Ländereien und Weingärten in Nord- und Südtirol.
In seiner Versorgung war das Stift Wilten weitgehend autark. Nördlich des Klosters, wo heute das Fremdenverkehrskolleg steht, lag der klostereigene Bauernhof oder Stiftsmeierhof, am Sillkanal arbeiteten Stiftsmühle, Stiftsschmiede und Stiftsbrauerei; außerdem gehörten zum Stift ein Steinbruch, eine Ziegelbrennerei und eine Sandgrube am Fuße des Bergisels. Innerhalb der Hofmark verfügte das Stift über Polizeigewalt und Gerichtsbarkeit für Zivil- und Strafsachen. Das Stift war auch für die Seelsorge in seinem Einflussbereich zuständig; eine erste Pfarrkirche von Wilten zu "Unserer lieben Frau unter den vier Säulen" wird 1140 urkundlich erwähnt und ist die Vorgängerin der heutigen Basilika.
Der "Historische Plan der k. und k. Provincial-Hauptstadt Innsbruck" zeigt Wilten Mitte des 19. Jahrhunderts. (Foto: Wikimedia Commons)
Über die Jahrhunderte sollte das Stift seinen Grundbesitz mehrfach durch Verkäufe verkleinern. Im Jahr 1180 erwarb der bayrische Graf Berthold III. von Andechs vom Stift ein Stück Land am südlichen Innufer, um dort einen mauerbewehrten Marktplatz zu gründen. Dieser erhielt um 1200 das Stadtrecht und bildet die heutige Altstadt von Innsbruck. Das rasch anwachsende Innsbruck kaufte später noch mehrfach Land von Wilten, so etwa im 13. Jahrhundert das Gebiet zwischen Altstadt und Triumphpforte, im 15. Jahrhundert den heutigen Stadtteil Saggen, im 19. Jahrhundert den Bereich des Hauptbahnhofs.
Das Dorf Wilten blieb bis herauf ins frühe 19. Jahrhundert klein und im Wesentlichen bäuerlich geprägt mit einigen recht versprengten Adelssitzen: aus dem Ansitz Augenwaidstein wurde später der Gasthof zum Riesen Haymon, den Ansitz Straßfried erwarb die Glockengießerfamilie Grassmayr, Liebenegg und das dazugehörige Wiesbergschlössl am Wiltener Platzl sind heute Wohnhäuser, Windegg in der Adamgasse ging in der Adambrauerei auf; Sitz Mentlberg auf der Gallwiese wurde um 1900 zum Schloss umgebaut, die Liesingburg am Fuß des Bergisels musste dem modernen Wohnbau weichen. Die meisten Ansitze und Bauernhöfe lagen entlang der alten Landstraße von Innsbruck gegen Süden, die der heutigen Leopoldstraße und Haymongasse entspricht. Weitere Höfe standen in der Fischergasse, die von der Landstraße über Felder und Wiesen gegen Westen bis an den Inn verlief, und in der Neurauthgasse, der Liebeneggstraße und der Mentlgasse, die die Leopoldstraße gegen Osten mit dem Sillkanal verbanden. An der Landstraße befanden sich auch die beiden Dorfzentren, der so genannte Brunnenplatz oder Obere Dorfplatz im Zwickel von Haymongasse, Rotem Gassl und Leopoldstraße und der von Bürgerhäusern gesäumte Untere Dorfplatz, heute Wiltener Platzl. Zwischen dem Wiltener Platzl und der Triumphpforte, hinter der Innsbruck damals begann, dehnten sich Wiesen und Felder aus. Auch der Bereich zwischen Brunnenplatz und Bergisel war, abgesehen von Stiftsgebäuden und Pfarrkirche, weitgehend unbebaut.
Im Zuge der napoleonischen Kriege wurde Tirol von Österreich getrennt; 1807 hoben die neuen, bayrischen Landesherren das Stift Wilten samt seinen Privilegien auf, Wilten wurde von der Hofmark zur Gemeinde. Als es im Frühjahr 1809 zu bewaffneten Aufständen der Tiroler gegen die französisch-bayrische Fremdherrschaft kam, sollte Wilten und vor allem der Bergisel zum Symbol für Tiroler Freiheitswillen und Identität werden. Vom Lemmenhof am Paschberg ober dem östlichen Sillufer, über den Hohlweg und den Bergiselsattel bis zur Gallwiese am Mentlberg fanden die erbittertsten Kämpfe statt, vom Talgrund um Pfarrkirche und Stift Wilten stürmten die Feinde wiederholt gegen Bergisel und Mentlberg an. Nach drei erfolgreichen Abwehrkämpfen erlitten die Tiroler in der vierten Bergiselschlacht am 1. November 1809 eine vernichtende Niederlage.
Nach dem Niedergang Napoleons und dem Ende der bayrischen Herrschaft in Tirol überließ das Stift Wilten 1816 dem neu gegründeten Kaiserjägerregiment das Bergiselplateau zur kostenlosen Nutzung, um eine Schießstätte und ein Schützenhaus zu errichten. Gegen Ende es 19. Jahrhunderts war das Plateau zur Gedenkstätte geworden. Literarische Verarbeitungen der Ereignisse um Andreas Hofer hatten den Bergisel auch international bekannt gemacht, neben Tiroler Patrioten pilgerten zunehmend ausländische Gäste, vor allem Engländer, zu den Schauplätzen von 1809. Die Kaiserjäger reagierten auf das ständig wachsende Interesse, widmeten das Schützenhaus zum Museum um, richteten eine "Volksbelustigungsstätte" mit Kegelbahn, Schaukel, Ausschank und dem heute noch bestehenden Aussichtspavillon mit Ferngläsern ein. Als Offizierskasino und Verwaltungsgebäude ließen sie einen repräsentativen Fachwerkbau errichten, den sie nach dem damaligen Kommandanten, Oberst von Urich, benannten. An den Schießstätten ließen sie zwei Obelisken aufstellen, mit lateinischen Inschriften. "Berge und...