2. DIE ANFÄNGE DES HERRN HOFEDITZ
Sobald der Ruf an den Lehrstuhl für Bayerische Literatur an ihn ergangen war, traf Hofeditz am neuen Ort seines Wirkens gewisse Vorbereitungen. Denn er hatte, so viel sei an dieser Stelle schon verraten, ganz offensichtlich große Pläne.
Als Erstes trat er aus der Partei aus, der er bisher angehört hatte - sie war in dem Bundesland, in dem er eben noch gewirkt hatte, seit vielen Jahren am Ruder. Dafür wurde er nun Mitglied der Bayerischen Landespartei. Er vollzog diesen Schwenk keineswegs in aller Stille, sondern ließ alle davon wissen, die im Lande etwas zu sagen hatten.
Jedem Minister und auch anderen wichtigsten Persönlichkeiten in hohen Staatsämtern schrieb er einen persönlichen Brief. Darin führte er aus, sein Eintritt in die Partei sei vor allem darauf zurückzuführen, dass er das Wirken des jeweiligen Herrn oder der jeweiligen Dame uneingeschränkt bewundere. Er erbot sich, sein ganzes wissenschaftliches Wirken in den Dienst des Staates zu stellen, der ihn so ehrenvoll berufen habe, aber auch "Ihnen, hochverehrter Herr Minister" - in anderen Schreiben war es eben eine hochverehrte Frau Ministerin, ein hochverehrter Herr Staatssekretär oder eine hochverehrte Frau Staatssekretärin - zuzuarbeiten. Es sei ihm, so schrieb er weiter, schon an seiner bisherigen Wirkungsstätte ein großes Anliegen gewesen, endlich einen Aufsatz des jeweiligen Herrn oder der jeweiligen Dame für sein weltweit Furore machendes, im Entstehen begriffenes Buch 'Große Geister unserer Zeit' zu gewinnen. Nun, da er sich in Bayern befinde, habe er endlich den Mut gefasst, dieses Anliegen vorzutragen.
Die Angesprochenen oder vielmehr Angeschriebenen fühlten sich sehr geschmeichelt und gaben als Erstes die Anweisung, Hofeditz zu sämtlichen Staatsempfängen einzuladen. Dann beauftragten sie ihre Redenschreiber, einen Beitrag für das Buch zu schreiben und darin ihr Wirken gebührend herauszustellen.
Schon nach kurzer Zeit hatte Hofeditz die Kulturszene des Landes genau erforscht. Er stellte fest, dass es zwei rivalisierende Dichteroder Schriftstellergilden gab. Eine beim Publikum sehr angesehene nannte sich 'Hofschreiber'. Ihre Mitglieder waren eher konservativ. Die andere Gruppe waren die aufmüpfigen 'Li-tokriten'. Ihr hervorstechendstes Kennzeichen war ihre vollständige Humorlosigkeit. Doch für alle Politiker im Lande, die sich selbst als 'fortschrittlich' ansahen, gehörte es zum guten Ton, die Litokriten großartig zu finden. Und die Konservativen hatten Angst davor, sie nicht großartig zu finden. So kam es, dass die Mitglieder dieser Vereinigung sämtliche Literaturpreise einheimsten, die im Lande zu vergeben waren.
Hofeditz nahm sich zunächst einmal die Hofschreiber vor und schrieb einen umfangreichen Brief an den Präsidenten derselben, einen gewissen Wilhelm Friedrich. Darin erklärte er, dass er an seiner bisherigen Wirkungsstätte schon mehrere Vorlesungen über die literarische Tätigkeit der Hofschreiber gehalten habe und dass es sein sehnlichstes Anliegen sei, die ihm fast unbegrenzt für Literatur zur Verfügung stehenden Geldmittel zur Förderung dieser Schriftstellergruppierung zu nutzen. Er habe auch eine ganze Reihe von Verlagen an der Hand, die nur darauf warteten, Bücher von und mit den Hofschreibern zu gestalten. Eine besondere Ehre und Freude wäre es ihm natürlich, schrieb er, bei einer der Veranstaltungen der Hofschreiber eingeladen zu werden und dort einmal selbst über seine zukünftigen Aufgaben und Vorhaben sprechen zu können.
Es versteht sich wohl von selbst, dass die Einladung von Wilhelm Friedrich nicht lange auf sich warten ließ. Dieser lud sogar kurzfristig den zunächst für die Festansprache der alljährlich stattfindenden 'Hofschreiberpreisverleihung' ausgesuchten verdienten Heimatpfleger Alfons Schottenmüller aus und dafür Hofeditz ein. Und der nutzte natürlich die Gelegenheit, die sich ihm bot, um sich in Szene zu setzen.
Zunächst klärte er die anwesenden, allesamt aus Bayern stammenden Hofschreiber auf, was überhaupt 'bayerische Literatur' sei. Er habe in seinen umfangreichen Forschungen das Wesen des Bayerischen ganz genau ergründet. Ausgehend von diesen neuesten Untersuchungen habe er einige Kriterien aufgestellt und sie dann auf die literarischen Erzeugnisse der Hofschreiber angewandt. Dabei sei, so erklärte er der betrübten Festversammlung, unterm Strich nicht sehr viel übrig geblieben, weder bayerisch noch literarisch. Er bemängelte die Schreibweise der meisten Hofschreiber. Sie stimme in vielen Punkten absolut nicht mit den von ihm festgesetzten allgemeingültigen Mundartfixierungen überein. Mundart, so meinte er feststellen zu können, sei ganz und gar nicht die Stärke der Hofschreiber. Vieles sei fehlerhaft, nicht durchdacht, inkonsequent und mit der bayerischen Sprachgeschichte nicht vereinbar.
Den Schluss der Rede bildete sein hoffnungsvoller Ausblick, dass sich nunmehr alles zum Besseren wenden könne. Durch die Schaffung des Lehrstuhls für Bayerische Literatur und dank seiner Berufung seien die Voraussetzungen geschaffen, die literarische Produktion der Hofschreiber, bisher in vieler Hinsicht laienhaft, auf ein neues Niveau zu heben. "Die bayerische Literatur", so seine Worte, "ist etwas Wissenschaftliches, ja sogar höchst Wissenschaftliches. Ich werde den Menschen dieses Landes systematisch vermitteln, dass die bayerische Sprache und die bayerische Kultur untrennbar miteinander verbunden sind. Und ich", rief er leidenschaftlich aus, "ich werde diese bayerische Kultur zu einer neuen Blüte bringen. - All denen, die jetzt aufgrund meiner gerade dargestellten Untersuchungen zu resignieren beginnen, all denen sei gesagt, dass ich ab dem· kommenden Wintersemester Vorlesungen und Seminare anbiete, in denen sie systematisch sprechen und schreiben lernen. Und so lade ich", schloss er seinen Vortrag, "Sie, verehrte Hofschreiber, ein, sich in meinem eigens für Sie angebotenen Seniorenstudium zu immatrikulieren. So werden Sie dem hehren Anspruch, den die Hofschreiber an sich selbst stellen, wenigstens einigermaßen gerecht werden."
"Guat hat er gredt", meinte anschließend beim Hofschreiber-Stammtisch der sich stets modern gebende Hofschreiber Karl-fried Schreiber. Der 93-jährige, schon etwas schwerhörige Senior der Hofschreiber, Erwin Hupfauf, dagegen fragte: "Was hat er denn eigentlich gsagt? I hab des meiste net verstandn."
"Denk dir nix", schrie ihm der humorvoll-kritische Herbert Schuster ins Ohr "I hab zwar verstandn, was er gsagt hat, aber er hat eigentlich gar nix gsagt. Des dafür aber sehr ausführlich."
Hofeditz' nächster Auftritt war der bei der anderen Schriftstel-lerGruppierung, bei den Litokriten. Dort schlug er ganz andere Töne an, wusste er doch, dass man durch eine gute Beziehung zu ihnen am ehesten zu Literaturpreisen und Forschungsmitteln kommen konnte. Denn es ist eine bekannte Tatsache, dass sich Konservative immer linke Alibis suchen, um ihre Liberalität zu bekunden, und darin bestand das wichtigste Erfolgsgeheimnis der Litokriten. Außerdem hatte jeder im Lande ein wenig Angst, sich mit diesen Leuten anzulegen, da sie erheblich aggressiver waren als die biederen Literaten aus der konservativen Ecke.
Ich habe im Zusammenhang mit den Litokriten gerade das Wort 'Erfolg' gebraucht. Jetzt gibt es natürlich verschiedene Arten von Erfolg. Wer ganz oberflächlich an die Sache heranging, der hätte gesagt, dass die Hofschreiber ausgesprochen erfolgreich waren. Sie sorgten landauf, landab immer wieder für pu-blikumsträchtige Veranstaltungen. Nur gibt es im Kulturbetrieb eine eiserne Regel, die sich auch hier bewahrheitete: Die Bezu-schussung steht grundsätzlich im umgekehrten Verhältnis zum Publikumsinteresse.
Trotzdem waren die Litokriten nicht immer glücklich mit ihrer Lage. Während nämlich die Hofschreiber jeden Monat bei ihren Lesungen ein ausverkauftes Haus hatten, lasen sie meist nur vor ihrer mitgebrachten Verwandtschaft. Die Veranstaltungen der Litokriten spielten sich meist im sogenannten 'Kulturpalast' in der Landeshauptstadt ab. Die kleinsten Zimmer dort waren für zehn Personen konstruiert. Doch es ließ sich nicht vermeiden, dass selbst sie bei solchen Anlässen recht leer wirkten. Daher wurde im städtischen Kulturreferat der Vorschlag erörtert, die Wände zu verspiegeln, um den Eindruck eines großen Auditoriums zu erwecken.
Ein besonderer Gönner der Litokriten war ein Vertreter der konservativen Partei, ein gewisser Roland Theophil Froschmei-er, der sich selbst als bedeutenden Maler, Lyriker, Essayisten, Bildhauer, Architekten, Komponisten und Klaviervirtuosen einschätzte. Die Litokriten ermöglichten ihm regelmäßig den Zugang zu ihrer bestsubventionierten Zeitschrift. Da durfte er ausgiebig seiner Lyrik frönen.
Zurück zu Hofeditz. Der hatte sich vor seinem Vortrag natürlich genau kundig gemacht und zitierte die Schriften der Litokriten als leuchtende Beispiele engagierter Literatur des Volkes, der Heimat und des Stammes. Er versprach, unter dem Beifall der Anwesenden, sich mit allen ihm zur...