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Viele der noch heute gebräuchlichen Grundbegriffe der politischen Theorie und Praxis sind sprachlich wie gedanklich griechischen Ursprungs. Demokratie («Volksherrschaft») ist da nur das herausragende Beispiel - und zugleich das Paradebeispiel - für den immensen Bedeutungs- und Wertewandel, dem politische Grundbegriffe über zweieinhalb Jahrtausende hinweg unterliegen können. Die fortgesetzte griechische Prägung der Politik wie der Reflexion über Politik ist kein Zufall, können die Griechen doch geradezu als die eigentlichen Entdecker und ersten Erkunder der Sphäre des Politischen und darüber hinaus als die förmlichen Erfinder des Nachdenkens über Politik gelten. Auch waren sie die Ersten, die im Modus des Vergleichs über die verschiedenen Formen und Arten von politischer Herrschaft nachdachten und dabei Maßstäbe für die Beurteilung und Einschätzung der konkurrierenden Systeme entwickelten. Darüber hinaus sind das politische Denken der Griechen und ihr Denken ganz generell geprägt durch Debatte und Dialog. Die griechische Erfindung der politischen Lebensform geht einher mit der Entwicklung von Redekunst (Rhetorik) und Denkkunst (Dialektik) als lernbaren Techniken für den produktiven Umgang mit Widerstreit und Widerspruch. Entwickelt und vermittelt wird die reflektierte Begründung von politischen Positionen und Praktiken in den konkurrierenden Wissens- und Weisheitslehren (Sophistik, Philosophie) des fünften und vierten vorchristlichen Jahrhunderts, die vor allem in Athen zur Ausbildung kommen.
Der konkrete Kontext für die griechische Ausbildung und Ausgestaltung des politischen Lebens ist die vielfältige und ausgedehnte Entwicklung des Bürgerstaats (polis, Plural poleis) in Griechenland und in den im Rahmen der Großen Kolonisation (8. bis 6. Jahrhundert v. Chr.) griechisch besiedelten Küstenregionen und Inseln des Mittelmeerraums (östliche und nördliche Ägäis, Süditalien, Sizilien, illyrische Küste, Korsika, Südfrankreich) sowie der südlichen und westlichen Schwarzmeerküste. In spätarchaischer und klassischer Zeit, vom Beginn des siebten Jahrhunderts bis zum Ende des vierten Jahrhunderts v. Chr., existieren im griechisch geprägten Kulturraum Hunderte solcher lokalen politischen Gebilde, die jeweils einen städtischen Siedlungskern und dessen agrarisches Umland umfassen.
In historischer Perspektive löst die Polis-Kultur nach einer schwierig einzuschätzenden Zwischenzeit («dunkle Jahrhunderte») die spätbronzezeitliche Palastkultur des Mykenischen Zeitalters (ca. 1600 bis 1000 v. Chr.) ab, wie sie in Homers Ilias widergespiegelt ist. An die Stelle regierender Häuser tritt in den Polisverfassungen die Selbstverwaltung der Bürgerschaft, zunächst noch unter der Vorherrschaft herausragender lokaler Adelsfamilien, dann auch unter Einbezug zunehmend breiterer Bevölkerungskreise. Am Übergang von der alten Elitenherrschaft zur neuen Volksherrschaft erscheinen nicht selten örtlich Gewaltherrscher (Tyrannen), die populäre und autoritäre Züge geschickt und wirksam verbinden. Auch variiert die institutionelle und informelle Einrichtung und Ausgestaltung der Polis - ihre Verfassung (politeia) - beträchtlich und ist wesentlich geprägt von den jeweiligen lokalen geschichtlichen Überlieferungen und geographischen Umständen.
Die enorme Spannweite bei der Ausgestaltung und Einrichtung der griechischen Polisformen erweist sich eindrücklich an den diametral entgegengesetzten politischen Gebilden Athen und Sparta. Sparta, auf der Halbinsel Peloponnes gelegen, ist ausgesprochen konservativ ausgerichtet: Die Führungsschicht (Spartiaten) widmet sich ganz dem Militärdienst, lebt in Gemeinschaftsunterkünften ohne Privateigentum, erzieht auch die Kinder gemeinschaftlich und überlässt Landwirtschaft, Gewerbe und Handel anderen, abhängigen Bevölkerungsschichten, darunter den Nachfahren unterworfener Nachbarpopulationen (Heloten). Athen wiederum, in unmittelbarer Nähe eines Hafens (Piräus) in Attika gelegen, profiliert sich im Laufe des fünften Jahrhunderts v. Chr. als Zentrum von künstlerischem, literarischem, philosophischem und politischem Fortschritt, aber auch als weithin einflussreiche See- und Handelsmacht. Das weiterhin aristokratisch regierte Sparta und das zunehmend demokratisch verfasste Athen entwickeln sich praktisch zeitgleich zu griechischen Großmächten im Kontext der konkurrierenden Bündnisse (Symmachien) von Attischem Seebund und Peloponnesischem Bund.
Die einander entgegengesetzten politischen Lebensformen Athens und Spartas haben die Geschichte der politischen Philosophie seit ihren Anfängen und bis in die jüngste Gegenwart ebenso inspiriert wie auch immer wieder irritiert. So reagieren die griechischen Anfänge der politischen Philosophie unmittelbar auf die zeitgenössische politische Landschaft mit ihrer Spaltung zwischen eher beharrenden und stärker fortschrittlichen Formen der politischen Gemeinschaft. Aber auch in späteren Zeiten liefern die politischen Kulturen von Athen und Sparta Orientierung und Motivation für die Einrichtung und Ausgestaltung politischer Gebilde in der Spanne zwischen einem eher egalitären und kollektivistischen und einem eher liberalen und individualistischen Verständnis von politischer Gemeinschaft.
Der langwierige Entwicklungsprozess Athens zur politischen Grundverfassung der Volksherrschaft (attische Demokratie) wird getragen von einer Reihe namentlich bekannter Staatsmänner und politischer Reformer, vor allem Solon (um 640-um 560 v. Chr.), Kleisthenes (um 570-?507 v. Chr.) und Ephialtes (?-?461 v. Chr.). Die Hauptquelle für die einander ablösenden, zunehmend demokratisch orientierten Verfassungen Athens vom Ende des siebten bis zum Ende des fünften Jahrhunderts v. Chr. ist ein erst am Ende des neunzehnten Jahrhunderts im Sand Ägyptens wiederentdeckter kurzer Text, Die Verfassung der Athener (Athenaion Politeia), der auf Aristoteles (384 v. Chr.-322 v. Chr.) oder seinen Schülerkreis zurückgeht. Das kurze Werk, in dem auch die Ämter und Institutionen der athenischen Polis beschrieben sind, wird kurz nach 330 v. Chr. verfasst und ist der einzige erhaltene Bestandteil eines von Aristoteles und seinem Schülerkreis erstellten Sammelwerks von 170 historischen und zeitgenössischen Verfassungen griechischer Poleis im Mutterland wie im Kolonialraum. Weitere Quellen sind das Geschichtswerk des Herodot (um 485 v. Chr.-?um 425 v. Chr.) zu den Perserkriegen aus der Mitte des fünften Jahrhunderts (Historiai; wörtlich «Nachforschungen») und die Biographien der Hauptakteure in Athens politischer Geschichte von Plutarch (um 45-nach 119).
Das generelle Bild von der Entwicklung der Demokratie in Athen, das sich aus dem vergleichenden Studium der antiken Quellen ergibt, ist nicht so sehr geprägt von Umsturz oder Revolution als von schrittweisen Reformen und schwierigen Kompromissen. Am Anfang steht die sich verschärfende politisch-ökonomische Spaltung im spätarchaischen Athen. Die Landbevölkerung verarmt zusehends und gerät zunehmend in persönliche Abhängigkeit von den reicher werdenden adligen Grundbesitzern (Schuldknechtschaft). In dieser Situation entlastet Solons Reformwerk die unteren Bevölkerungsschichten von ihren angehäuften Schulden und den damit verbundenen Diensten. Solons Neuerungen in Agrarwesen, Justiz und Regierung verbinden fortbestehende Vorrechte von Adel und Reichen mit der begrenzten Regierungsbeteiligung normaler Bürger. Institutionell treten neben die hochgerichtliche Adelsvertretung (areopag) die große Volksversammlung (ekklesia) und der 400 Vertreter zählende Bürgerrat (boule). Den abgemilderten, aber durchaus fortbestehenden Gegensatz von Reich und Arm will Solon überwölben durch die differenzierte Teilhabe beider Parteien am Gemeinwesen («unsere Polis») im Verfolg einer gerecht geregelten politischen Ordnung (eunomia). Der von Solon erlassene Gesetzeskatalog, der sich allerdings nicht erhalten hat, wird öffentlich aufgestellt und so für jeden zugänglich.
Auch im Zuge der anschließenden Kleisthenischen Reformen erhält sich die aristokratisch-demokratische Vermischung der politischen Verhältnisse. Doch werden mit Hilfe einer demographischen Umgestaltung der athenischen Polisstruktur die traditionellen Abhängigkeitsverhältnisse in den einzelnen Wahlbezirken zwischen dominierenden Adligen und ihnen verpflichteter Klientel durchbrochen. Die neu geschaffenen Stammesverbände (phylai) und Volksgruppierungen (demoi) stehen quer zur...
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