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Die vorliegende Untersuchung widmet sich der Entstehungs- und Etablierungsgeschichte eines mittlerweile weitgehend in Vergessenheit geratenen Stereotyps, des Stereotyps vom homosexuellen Nationalsozialisten. Nur wenigen Zeitgenossen ist bekannt, daß männliche Homosexualität seit 1933 in der durch die deutschsprachige Exilpresse im Ausland hergestellten Öffentlichkeit mit dem deutschen Nationalsozialismus in einen wesenhaften Zusammenhang gebracht, nicht selten sogar gleichgesetzt wurde. Obwohl diese Vorstellung die unterschiedlichsten Darstellungen und Erklärungen erfuhr, zählte sie bald zu den Wissensbeständen der internationalen Öffentlichkeit der dreißiger und vierziger Jahre. In Deutschland scheint dieses >Wissen< nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend in Vergessenheit geraten zu sein. Auch wenn sich in beiden deutschen Staaten die Erkenntnis der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung nur mit großen Schwierigkeiten verbreitete, scheint doch deren offensichtlicher Widerspruch zu der Verknüpfung von männlicher Homosexualität und Nationalsozialismus die Tradierung dieser Vorstellung behindert zu haben. Vielleicht liegt die mangelnde Präsenz dieses in den dreißiger Jahren entstandenen stereotypisierten Homosexuellenbildes in der deutschen Öffentlichkeit aber auch gerade darin begründet, daß die deutsche Exilpresse in der Phase seiner Verbreitung und Etablierung auf die deutsche Öffentlichkeit den geringsten Einfluß hatte. Im Gegensatz dazu scheint es insbesondere in den USA zu einer derartigen Verfestigung der Vorstellung einer wie auch immer gearteten Verbindung zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus gekommen zu sein, daß sie dort bis heute einen hohen Verbreitungsgrad besitzt. So konstatierte Dennis Altman (1983: 112) noch Anfang der achtziger Jahre »a widespread belief that there was a link between the Nazis and homosexuality«. Demgegenüber läßt sich für beide deutsche Nachkriegsgesellschaften festhalten, daß die Vorstellung einer Verbindung zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus keine nennenswerte Verbreitung erfuhr. Eine erwähnenswerte Ausnahme bildete allenfalls die in der Bundesrepublik durch die Studentenrevolte von 1968 ausgelöste Rückbesinnung auf linke Faschismus-Analysen der dreißiger Jahre. In ihrem Rahmen kam es auch zu einer Popularisierung und Weiterentwicklung der theoretischen Ansätze Erich Fromms (vgl. Kapitel 3.7.2) und Wilhelm Reichs (vgl. Kapitel 3.4.2). So orientierte sich Reimut Reiche (1968) an Fromms (1936: 126) Vorstellungen, nach denen homosexuelle »Strebungen« an einen auch für den Nationalsozialismus konstitutiven »autoritär-masochistischen Charakter« gebunden seien und die »extremen Autoritätsstrukturen« des NS-Systems einen besonders hohen Verbreitungsgrad einer latenten wie auch der »manifesten Homosexualität« nach sich zögen. Reiche (1968: 117 f.) allerdings verkehrte das von Fromm unterstellte Ursache-Wirkungs-Verhältnis, indem er Fromms latente Homosexualität als »unterdrückte Homosexualität« beschrieb und erst diese Unterdrückung »zur sozialpsychologischen Basis für hochaggressive, individuell und kollektiv destruktive Verhaltensweisen und entsprechende politische Bewegungen« erklärte. Weitgehender noch wurden Fromms, aber auch Wilhelm Reichs Ideen über einen Zusammenhang zwischen männlicher Homosexualität, Sadismus und Faschismus von Klaus Theweleit adaptiert. So behauptete Theweleit (1987: 332), »Männerbünde« (so insbesondere die SA) neigten »zur Ausbildung >homosexueller Praktiken<, die, selber aggressiver Art, zum Umklappen in jede andere Form der Aggressivität fähig« seien. Doch meinte Theweleit nicht nur, aus der männerbündlerischen Homosexualität den »Terror« der SA erklären zu können, die Homosexualität geriet bei ihm zum geheimen Organisationsprinzip des Nationalsozialismus. Gerade durch die Aufrechterhaltung der Kriminalisierung der Homosexualität, so Theweleit (1987: 334), hätten die Nationalsozialisten einen »Bereich der Übertretung« geschaffen, »in den eingeweiht und aufgenommen zu werden, gleichbedeutend war mit einer Zugehörigkeit zum Bereich des Geheimen wie der Machtelite«. Theweleit griff damit nicht nur die im Rahmen des Exildiskurses über Homosexualität und Nationalsozialismus entstandene Vorstellung einer außerordentlichen Verbreitung der Homosexualität unter Angehörigen der nationalsozialistischen Machtelite auf, sondern schrieb der Homosexualität darüber hinaus eine strukturelle Bedeutung für Funktion und Erhalt des nationalsozialistischen Herrschaftssystems zu. Die von Theweleit konstruierte Verbindung zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus erfreute sich allerdings nie der Popularität wie die sonstigen Ausführungen in seinem Buch »Männerphantasien«; Nationalsozialismus und Homosexualität in einen ursächlichen Zusammenhang zu bringen, blieb auch im Diskurs der bundesdeutschen Linken ein Randphänomen. Als eine solche Randerscheinung ist die Publikationstätigkeit Nicolaus Sombarts zu bewerten, dessen Versuche, den deutschen Nationalsozialismus aus der vorgeblichen Homosexualität seiner Führer zu erklären, nur selten so deutlich wurden wie in einem 1987 in der Tageszeitung publizierten Artikel. Hier erklärte Sombart (1987) nicht nur Heß und Hitler zu Homosexuellen, er versuchte überdies, für die britische und französische Appeasementpolitik gegenüber Hitler eine »Internationale der warmen Brüder« verantwortlich zu machen, da in Großbritannien wie in Frankreich »die Sympathie für den Faschismus auf sonderbare Weise Hand in Hand mit homosexuellen Neigungen« gegangen sei. Trotz solcher vereinzelter Erscheinungen jedoch konnten sich Vorstellungen über einen Zusammenhang zwischen männlicher Homosexualität und Nationalsozialismus abseits der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung auch in der westdeutschen Öffentlichkeit der siebziger und achtziger Jahre nicht verwurzeln.
Warum nun, wird sich mancher Leser fragen, sollte man einer solchen, auf den ersten Blick doch absurd erscheinenden »Konstruktion« eine ganze Untersuchung widmen? Das Thema erscheint überholt, ein Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus durch die Geschichte widerlegt. Doch ist er das wirklich? Widerlegt allein die »evidence«, that »there was a major attempt in Nazi Germany to exterminate homosexuals« (Altman 1983: 112) den behaupteten personellen wie strukturellen Zusammenhang zwischen Homosexuellen/Homosexualität und Nationalsozialismus? Zweifellos ist dies nicht der Fall, und Manfred Herzer (1990b: 36) hat nicht Unrecht, wenn er bemerkt: »Die Vorstellung, daß die Schwulen unter dem Hakenkreuz immer nur Opfer waren, Verfolgte, die ungerechterweise nie entschädigt wurden und die man mit dem Stereotyp des >Homosexuellen Nazis< zusätzlich demütigte und ächtete - diese Vorstellung, die sich sogar zu dem schrillen Kampfbegriff vom >Gay Holocaust< steigerte, war einigermaßen entlastend und bequem, doch sollte sie allmählich einer Überprüfung unterzogen werden«. Eine »Überprüfung« des Stereotyps vom homosexuellen Nationalsozialisten soll denn auch im Rahmen dieser Untersuchung geleistet werden. Allerdings setzt der Verfasser andere Prämissen als Herzer (1990b: 35), denn die Existenz eines »vielleicht vorhandenen realen Kern[s] des Klischees« beunruhigt ihn mitnichten. Daß es homosexuelle Nationalsozialisten gab, steht außer Frage, auch...
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