Schweitzer Fachinformationen
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Diese Kindsköpfe!
Heinz Sablatnig starrte auf die Spitzen seiner Laufschuhe.
Ich Idiot!
Im Reflex schüttelte er eine Ameise ab, die über seine rechte Hand krabbelte, ehe er diese wieder neben die linke an die Backsteinmauer legte, an der er lehnte. Die Bewegung seines Körpers ließ die Brieftasche und das Handy in seinen Hosentaschen hin und her schwingen. Heinz fragte sich, warum er die Sachen überhaupt zum Laufen mitgenommen hatte.
Hätte es gestern Abend nicht auch bis neun Uhr gereicht? Oder zehn? Aber nein, Sperrstunde, wie üblich.
Er blies die verbrauchte Luft aus seinen Lungen und atmete tief durch die Nase ein. Als er die Ausdünstung seines Mundes roch, drehte er den Kopf angeekelt zur Seite. Auch wenn er sich mit seinen einundvierzig Jahren zu alt für Eskapaden wie die gestrige im Innenstadtcafé fühlte, so war ihm doch seit geraumer Zeit klar, dass es gewisse Dinge gab, für die er nie alt genug werden würde. Ein Teil jedes Mannes blieb wohl immer ein Kind. Als sich ihm schnell getaktete Schritte auf dem Kies näherten, wusste er, dass sein Arbeitstag gerade begann.
»Ah, Herr Sablatnig, Dehnungsübungen vor dem Sport, sehr gescheit!«
Heinz stieß sich von der Mauer ab, drehte sich zu Herrn Oberhofer um und zwang sich zu einem freundlichen Lächeln. Am verdutzten Blick seines Gegenübers erkannte er, dass sein Gesicht keinen Zweifel über seinen Zustand offenließ. Er streckte dem Ankömmling die Hand entgegen und begann zu reden, um den schlechten Ersteindruck zu überspielen, den er heute wohl vermittelte.
»Guten Morgen, Herr Direktor. Sie nützen das schöne Wetter?«
Oberhofer schlug in Heinz' Hand ein, dass es patschte.
»Das Wetter ist wurscht, die Trainingsleistung muss stimmen.«
Der Direktor hatte seinen Laufschritt für die Begrüßung verlangsamt, nun beschleunigte er wieder, so dass Heinz sich in Bewegung setzen musste, um ihm zu folgen.
Magister Armin Oberhofer war Landesdirektor der Versicherungsgesellschaft Fiducia AG für Kärnten und Osttirol. In dieser Funktion hatte er dem Berufsdetektiv Heinz Sablatnig in der Vergangenheit immer wieder Aufträge erteilt, bei denen dieser Versicherungsfälle überprüfen musste, deren Umstände nicht gänzlich klar waren. Konnte Heinz einen Versicherungsbetrug nachweisen, brauchte die Fiducia nicht zu bezahlen. Auch wenn Oberhofer nicht der Typ war, mit dem Heinz einen Abend wie den gestrigen hätte verbringen wollen - genau genommen würde ihm in Gegenwart des Versicherungsmannes wohl nicht einmal ein einziger Schluck Bier schmecken -, so mochte Heinz doch dessen Aufträge. Sie brachten gutes Geld, das noch dazu prompt überwiesen wurde. Und sie waren in der Regel herausfordernd, was in Heinz' Geschäft die Ausnahme war. Deshalb hatte er auch nicht eine Sekunde lang gezögert, als Oberhofer ihn gestern angerufen und um den heutigen Termin gebeten hatte.
Das heißt, gebeten hatte er nicht darum, der Landesdirektor war kein Mensch, der einen anderen um etwas bat. Er hatte bestimmt, dass sie sich um sieben Uhr am Lendhafen treffen und sich während seines Lauftrainings unterhalten würden, weshalb Heinz Sportgewand anziehen solle.
Heinz hatte nicht widersprochen, er kannte seinen Auftraggeber: So brachte dieser einen Geschäftstermin während seiner Trainingszeit unter, und das war gut, denn es sparte Zeit. Und Zeit war Geld.
Der Lendhafen war nicht mehr als ein kleiner Vorplatz um eine Steinverbauung, die den Lendkanal im Osten abschloss. Der etwa zehn Meter breite Kanal war im sechzehnten Jahrhundert rund vier Kilometer durch ein Sumpfgebiet gegraben worden, das Klagenfurt vom Wörthersee trennte. Über den Kanal konnten der Stadtgraben mit Wasser versorgt sowie Bau- und Heizmaterial nach Klagenfurt gebracht werden. Außerdem war er ein Segen für die rund um den See lebenden und arbeitenden Menschen, da sie ihre Waren per Boot viel schneller auf die Märkte der Stadt bringen konnten als über den Landweg.
Eine kurze Steigung brachte Heinz und Oberhofer aus dem Hafenbecken auf die Uferböschung und damit auf die Tarviser Straße, die dem Verlauf des Lendkanals folgte. Der auch tagsüber mäßige Anrainerverkehr hatte noch nicht eingesetzt, und so gehörte die Straße all jenen, die die kühlen Morgenstunden zum Sport nutzten oder mit ihren Vierbeinern eine morgendliche Runde drehten.
Heinz hatte Mühe, zum Versicherungsmann aufzuschließen. Er war an sich gut trainiert, doch Oberhofers Tempo hätte er selbst ohne seinen Kater nicht halten können, die Kondition des Direktors war viel besser als seine.
»Na, besonders in Form sind Sie nicht gerade.« Oberhofers ungehaltener Blick und sein abschätziger Tonfall konkurrierten miteinander um die größere Wirkung. »Da kann ich mir den Trainingseffekt heute aber in die Haare schmieren.«
Heinz biss sich auf die Zunge. Anstelle einer Entgegnung sagte er knapp: »Sie haben am Telefon gesagt, es ginge um einen Auftrag?«
Oberhofer wandte sich seinem Gesprächspartner zu und musterte ihn eingehend. Sein federnder Seitwärtsschritt erweckte den Anschein, er trüge nur wenige Kilogramm Gewicht. Im krassen Gegensatz zu Heinz, dessen Schritte sich für ihn selbst wie das Stampfen eines Elefanten anfühlten, begleitet vom weit ausholenden Pendelschlag der Utensilien in seinen Hosentaschen.
»Na schön, Herr Sablatnig, in medias res. Dass es in den vergangenen beiden Jahren bei den Ironman-Wettbewerben am Wörthersee zu je einem Todesfall gekommen ist, wird nicht an Ihnen vorbeigegangen sein. Was wissen Sie darüber?«
»Was die Medien berichtet haben.«
»Also nicht viel. Das heißt, ich muss Ihnen alles erklären, na schöne Grüße. Aber sehen wir es positiv, wenn ich rede, laufe ich langsamer. Hoffentlich langsam genug, damit Sie mir folgen können. Körperlich, meine ich. Und geistig natürlich auch.« Heinz hatte sich im Laufe der Jahre an Oberhofers Art gewöhnt, was aber nicht bedeutete, dass sie ihn heute weniger störte als damals, als er ihn kennengelernt hatte. »Vor zwei Jahren starb ein gewisser Christoph Neunteufel«, fuhr der Versicherungsmann fort. »Schwächeanfall am Fahrrad, er stürzte und starb an der Unfallstelle. Vergangenes Jahr erwischte es einen Einundachtzigjährigen, sein Name war Josef Tengg. Auch er kippte vom Fahrrad und starb, wahrscheinlich ein Hitzekollaps, der Tag war extrem heiß.«
Oberhofer legte eine Redepause ein und atmete sehr flach, was zur Folge hatte, dass sich die Frequenz, in der er Luft holte, hektisch steigerte. Heinz empfand diesen Versuch des Direktors, seine Atemlosigkeit zu überspielen als ebenso armselig wie die Tatsache, dass der Versicherungsmann seine Laufgeschwindigkeit nicht drosselte - beides wohl nur, um Heinz zu zeigen, wie sehr er ihm körperlich überlegen war. Dabei wäre das heute überhaupt nicht nötig gewesen, so miserabel, wie der Detektiv sich fühlte. Zwar stabilisierte sein in Schwung kommender Puls den Kreislauf, dennoch schien jede Zelle seines Körpers lauthals um Gnade zu winseln. Im Gegensatz zu Oberhofer machte Heinz allerdings keinen Hehl aus seiner Atemlosigkeit: »Ich nehme an, die beiden . die beiden Verunfallten waren bei der Fiducia versichert?«
»Zwei Lebensversicherungen, die wir ausbezahlt haben.«
Eine Zeit lang liefen beide schweigend nebeneinander her. Heinz wartete auf Oberhofers Erklärung, wozu er bei einem offenbar klaren Sachverhalt die Hilfe eines Detektivs brauchte, während Oberhofer wohl darauf wartete, dass Heinz ihn danach fragte - zweifelsohne, um eine weitere Gelegenheit zu bekommen, ihn als begriffsstutzig oder sonst wie minderwertig hinzustellen. Heinz stieg nicht auf dieses Spiel ein. Dass er keinen Atem zum Fragen hatte, brauchte er nicht zu simulieren, und wenn es der Herr Landesdirektor für angebracht hielt, würde er schon das Wort an ihn richten. Bis es so weit war, blickte Heinz zwischen den alten, hohen Weiden, die die Tarviser Straße flankierten, hindurch auf den Lendkanal hinunter. Dort standen zwei Angestellte der Stadtwerke Klagenfurt auf einem motorisierten Floß und mähten das Gras auf der steilen Uferböschung. Das Floß fuhr in dieselbe Richtung, in die auch Heinz und Oberhofer unterwegs waren, doch war es ein wenig langsamer, so dass die beiden Läufer es über eine Distanz von etwa einhundert Metern überholten.
»Beide Todesfälle waren medizinisch völlig unverdächtig«, begann der Direktor schließlich wieder, wobei er seine Stimme so klingen ließ, als sei er in der vergangenen Minute in Gedanken versunken gewesen. »Die Aufregung, die Anstrengung, die Hitze - die Athleten kollabieren reihenweise deswegen. Vor allem die Amateure, die sich etwas beweisen wollen.« Den letzten Satz begleitete ein kurzer Seitenblick auf Heinz.
»Was war an den beiden anders?«
»Bitte, wie?«
Oberhofer tat so, als hätte er Heinz' Frage wegen dessen Keuchen nicht verstanden, wohingegen Heinz nun so tat, als hätte Oberhofer den Sinn seiner Frage nicht erfasst: »Kreislaufzusammenbrüche führen selten zum Tod.«
»Im Fall von Tengg kam wohl das Alter hinzu. Bei Neunteufel nicht, der war erst einunddreißig, dafür litt er aber an einer Herzschwäche. Er wurde beim Training für den Ironman sogar von einem Sportmediziner betreut.«
Dass Heinz ärgerlich wurde, lag nicht daran, dass er soeben über seine...
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