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Mit Empathie für Insekten die Welt retten!
Mit vier Jahren musste ich einmal vor einem Geschäft auf meine Mutter warten. Als sie wiederkam, saß ich auf der Bordsteinkante und meine Beine waren voller Ameisen. Ich war ganz ruhig und schaute aufmerksam zu, wie sie auf mir herumkrabbelten. "Schau, Mama!", rief ich mit kindlicher Begeisterung. Vor Schreck ließ sie den Einkauf fallen und wischte mir hastig die Tierchen von den Beinen. Im Kindesalter haben wir oft noch einen unvoreingenommenen Blick auf die Welt der kleinen Lebewesen. Das Wertesystem der Erwachsenen wurde noch nicht gänzlich übernommen, und es ist nicht klar definiert, was gut und was schlecht, was wichtig und was unwichtig ist. Die Faszination an - und mit ihr die Empathie für - Insekten wiederzufinden, heißt auch, angelernte Befangenheiten ein Stück weit abzulegen. Was mag dabei behilflicher sein, als sich einige ihrer Errungenschaften anzusehen? Im Folgenden werden mehrere beeindruckende Methoden beschrieben, mit denen Insektenarten das Leben auf der Erde bestreiten. Wir werden uns ansehen, was sie tun, um ihre Art zu erhalten und sich zwischen vielen anderen zu behaupten. Aufgrund ihrer Kleinheit und verborgenen Lebensweise ist das Verhalten bisher nur bei einem winzigen Bruchteil der Insektenarten erforscht, und dort auch nur ansatzweise. Die Komplexität, die sich dabei offenbart, lädt jedoch zum Staunen ein.
Manchmal bedarf es eines konkreten Anlasses, um sich in ein Thema einzuarbeiten und zu erkennen, wie viele kleine evolutive Schritte zu einem beeindruckenden Ergebnis führen. Die Bitte eines Kollegen war der Anlass, mich mit den architektonischen Meisterwerken von Insekten intensiver auseinanderzusetzen. Aus Krankheitsgründen musste er einen Vortrag über Lehmnester bauende Wespen absagen, woraufhin ich kurzfristig für ihn einsprang. In einem Keramikmuseum in Norditalien war eine Ausstellung geplant, bei der die Gebilde von Wespen gezeigt werden sollten.1 Den Impuls dafür gab eine Mauerwespe, die ihr Lehmtönnchen an ein noch unfertiges Werk des Töpfermeisters Jorge Hernandez gebaut hatte und ihn dadurch wissen ließ, dass noch andere kleine Töpfermeister auf seinem Hof lebten. Er wohnte zu der Zeit in Südamerika, begann, diese Konstruktionen in seinem Keramikofen zu brennen, und bewahrte sie auf. Als er nach Italien zog, nahm er seine Sammlung mit, erweiterte sie um die Tönnchen italienischer Arten und stellte sie schließlich im Keramikmuseum in Savona aus. Das Begleitprogramm bestand aus einer Videoinstallation einer Künstlerin, die den Flug einer Wespe nachstellte, und einem 3D-Drucker, der vor den Augen des Publikums Vasen aus Ton anfertigte. Zur Eröffnung durfte ich einen Vortrag zur Biologie dieser Wespen halten.
Ich kannte einige der Wespenarten, die solche charakteristischen Nester aus Lehm bauen. Zu ihnen gehören beispielsweise Mauerwespen, also Grabwespen der Gattung Sceliphron, oder Töpferwespen, das sind solitäre Faltenwespen der Gattung Eumenes. Doch hatte ich mir noch nie zuvor darüber Gedanken gemacht, wie viel Evolution hinter so einem kleinen Gebilde steckt. Die Weibchen solitär lebender Wespenarten bauen Nester, um ihrem Nachwuchs vorteilhaftere Bedingungen und damit bessere Überlebenschancen zu bieten. Ein Nest schützt nicht nur vor Feinden und Parasiten, es mildert darüber hinaus die Auswirkungen schwankender klimatischer Bedingungen wie etwa Feuchtigkeit und Trockenheit. Doch es kostet die nestbauende Wespe viel Zeit und Energie, die sie ansonsten in die Produktion weiterer Nachkommen investieren könnte, und setzt für die Fortpflanzung das Vorhandensein des Substrats voraus, aus dem es angelegt wird - im Fall von Mauer- und Töpferwespen Lehm. Es gibt viele relativ einfache Formen einer Nestanlage, etwa die Übernahme eines bereits vorhandenen Hohlraums oder das Graben von Gängen in den Boden. Die Anlage eines an einem Substrat befestigten Lehmnestes, das bestimmten Regeln sowohl der Form als auch der Statik folgen und die Eigenheiten des vorgefundenen Materials berücksichtigen muss, erfordert aber ein komplexeres Bauverhalten der Wespe.
Elterliche Investitionen sind alle Bemühungen, die dazu beitragen, die Überlebens- und Fortpflanzungswahrscheinlichkeit von Nachkommen zu erhöhen. Dazu gehören das Bereitstellen von Futterpaketen, Beschützen der Eier oder Brutpflege nach dem Schlüpfen der Jungtiere. Diese gehen auf Kosten des Weibchens, insbesondere der Möglichkeit, mehr Nachkommen zu erzeugen. Aus evolutionärer Sicht stehen Organismen vor der Wahl, wenig Energie und Aufwand in viele Nachkommen zu investieren oder viel Aufwand und Energie in wenige. Die kleinstmögliche Investition ist, einfach ein Ei zu legen. Das können wir bei den meisten Insekten beobachten. Fliegen oder Schmetterlinge zum Beispiel legen ihre Eier an geeigneten Stellen ab, die Larven schlüpfen und sind auf sich selbst gestellt. Viele überleben nicht, aber ein Weibchen kann hunderte, manche Arten sogar tausende von Eiern legen, da es keine andere Investition hat. Einen weiteren evolutiven Schritt können wir bei vielen parasitischen Wespen beobachten: Das Weibchen jagt eine Beute und lähmt sie vorübergehend, um ein Ei in oder auf dem Wirt abzulegen. Wenn die Larve schlüpft, hat sie so eine sichere Nahrungsquelle. In einem nächsten Entwicklungsschritt lähmt die Wespe die Beute dauerhaft, versteckt sie irgendwo oder gräbt dafür ein Loch und legt darauf ein Ei ab. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit minimiert, dass ein Vogel oder ein anderes Raubtier die Larve frisst. Allerdings ist das etwas umständlich, da die Wespe die Beute mit sich herumtragen muss, während sie einen geeigneten Platz sucht. Wespen, die richtige Nester bauen, seien es kleine Lehmtönnchen einzeln lebender Arten oder die großen Papiernester sozialer Arten, beginnen hingegen mit der Konstruktion und begeben sich erst nach der Fertigstellung auf die Suche nach der Beute. Das erfordert einen großen evolutionären Schritt, nämlich die Fähigkeit zur Orientierung. Während der Flüge zum Sammeln des Nestmaterials und nach dem Fang der Beute, die als Larvennahrung dienen soll, muss sie zum Nest zurückfinden.
Die Frage, woher die Wespe weiß, was sie zu bauen hat, blieb lange Zeit unbeantwortet. Bis in die 1960er Jahre nahm man an, dass das Weibchen von Geburt an über ein instinktives Bild verfügt, wie ein Nest auszusehen hat, und beim Bau versucht, dieses zu verwirklichen. Diese Hypothese wurde von dem australischen Wissenschaftler Andrew Smith2 durch eine Reihe von Versuchen mit solitären Faltenwespen der in Australien heimischen Gattung Paralastor widerlegt. Ihr Nest ähnelt dem der in Mitteleuropa heimischen Schornsteinwespe. Es befindet sich in einem in den Boden gegrabenen Gang. Bevor es jedoch mit der Beute und einem Ei befüllt wird, baut sie aus Lehm außen eine gebogene röhrenförmige Struktur mit glockenförmiger Öffnung an. Die aufwendig gestaltete Struktur verhindert das Eindringen von Parasiten, während die Wespe auf Jagd ist. Die Glocke ist innen so glatt, dass sie nicht darauf landen können, während die etwas größere Faltenwespe selbst direkt hineinschlüpfen kann, ohne auf der glatten Oberfläche Halt zu benötigen. Nach der Verproviantierung und Eiablage wird das Nest verschlossen und die Außenstruktur wieder zerstört.
Im Fokus der Untersuchungen von Smith stand die Konstruktion des oberirdischen Nestabschnitts. Dafür sammelt die Wespe zunächst Wasser in ihrem Kropf 3. An einer Stelle mit lehmiger Erde würgt sie es wieder heraus, um feuchte Kügelchen zu formen, die sie zum Nistplatz bringt und dort mit den Mundwerkzeugen nach und nach zu der Struktur über der Brutkammer formt. Smith gliederte das Bauverhalten in fünf Schritte:
Smith veränderte die Bauten in den jeweiligen Phasen, während die Wespe unterwegs war, um weiteren Lehm zu sammeln. Er stellte fest, dass Wespen, die bereits bei Schritt 3 waren, problemlos bei Schritt 1 fortfahren konnten, wenn er den glockenförmigen Teil und den gebogenen Rohrabschnitt entfernte. Eine Wespe ließ er diese Prozedur ganze sieben Mal wiederholen und berichtet, dass ihr Eifer in keiner Weise nachließ und sie sich unbeirrt wieder an die Arbeit machte....
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