Schweitzer Fachinformationen
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Buchstäblich wurde Minas literarische Welt in alphabetisches Chaos gestürzt. Verzweifelt blickte sie auf ihren Laptopbildschirm, mit zittriger Hand scrollte sie die Textdatei hinunter und starrte auf ein kryptisches Gewirr. Sätze und Abschnitte ergaben keinen Sinn mehr, sämtliche Informationen waren zu einer unleserlichen Masse aus Buchstaben verklumpt, wie Mina mit Entsetzen feststellte. Bald endete das Sommersemester, und sie musste ihre Abschlussarbeit in Psychologie abgeben, ansonsten müsste sie das letzte Jahr wiederholen und die komplette Arbeit nochmal schreiben. Der blanke Horror! Soeben hatte Mina ein Update durchgeführt, und die Datenaktualisierung hatte ausnahmslos alle ihre Texte alphabetisch durcheinandergemischt. Nicht nur ihre wissenschaftliche Arbeit, an der sie monatelang geschrieben hatte, war in diesem Wirrwarr aus Wortfetzen verschwunden, auch ihre über Jahre hinweg so sorgfältig ausformulierten Gedichte und Kurzgeschichten waren mit einem Mal weg. Ihre Texte waren zerstört. Sicherheitskopien hatte sie nie gemacht. Es war unfassbar! Tränen schossen ihr in die Augen, sie wollte nicht wahrhaben, was gerade passiert war.
Mina befand sich in der Universitätsbibliothek. Sie saß an einem Tisch bei einem der hohen Fenster und unterdrückte einen Schluchzer, damit sie die hier vorgeschriebene Ruhe nicht störte. Sie hätte nicht sagen können, wie lange sie einfach nur so dasaß. Ihre Verzweiflung ging allmählich in eine Apathie über, und sie empfand bald nur noch hoffnungslose Leere. Aufgelöst sah sie aus dem Fenster und betrachtete die vom Campus wegführende Straße - sie verzweigte sich zu einem Verkehrsnetz, das bis in die Vororte von Athen reichte. Mit einem Mal erschien Mina die Welt kompliziert und ungerecht, und es kam ihr so vor, als hätte eine höhere Macht böswillig in ihr Leben eingegriffen. Ist das Leben vorherbestimmt oder besteht es aus unzähligen Zufällen? Lange dachte Mina über diese Frage nach. Dann fiel ihr Blick auf die Uhr. Sie hatte einen Gesprächstermin. Eigentlich wollte sie ihr weiterführendes Studium besprechen; stattdessen musste sie dem Professor das Missgeschick ihrer Textdatei glaubhaft erklären. Sie packte ihre Siebensachen zusammen - das Handy, den updateverteufelten Laptop, die beiden Ladekabel, ihr Notizbuch und ihren Notizbuchbleistift, die Tasche - und ging zum Lift.
Mehrmals drückte sie den Fahrstuhlknopf. Wieder einmal war der Lift blockiert. Mina befand sich im obersten Stock, wo sie ihren Schreibplatz hatte. Die Bibliothek war vertikal alphabetisch geordnet: Zuoberst standen die Regale mit den Buchstaben >A< und >B<, im Erdgeschoss jene mit >Y< und >Z<. Eine Wendeltreppe führte durch alle Etagen bis ins Erdgeschoss hinab. Verstohlen schaute sie auf den Orientierungsplan neben der Fahrstuhltür:
Unzählige Stufen musste man sich hinab mühen, wollte man von ganz oben nach ganz unten gelangen. Doch dafür gab es ja den Lift. Wo blieb er nur? Die Zeit drängte. Mina lehnte sich gegen die Fahrstuhltür und seufzte. Wahrscheinlich wurde er wieder von einem Bibliotheksangestellten blockiert. Verärgert schaute sie auf die Regale >A< und hätte dem Angestellten nur zu gern ein Schimpfwort mit diesem Anfangsbuchstaben ins Gesicht geworfen. Ihr Blick schweifte über die >B<-Regale. Nun, da sie noch rechtzeitig zur Besprechung kommen wollte, musste sie sich beeilen.
Blitzschnell hastete sie die Wendeltreppe mit ihren weitgeschwungenen Windungen hinab - die Stockwerke schienen sich um sie herumzudrehen, und im Hinunterhasten sah Mina die Buchstaben >C, D, E, F, G, H, I, J, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, U, V, W, X< an sich vorüberziehen, wie ein Wirbelwind drehten sich die Schilder im Kreis.
Endlich erreichte sie das Erdgeschoss, und schwindelig, wie ihr geworden war von dem buchstabigen Strudel, ließ sie sich in einen Lesesessel fallen. Das Psychologiestudium war die falsche Wahl gewesen, schoss es ihr durch den Kopf. Lieber hätte sie Literaturwissenschaft und Philosophie studiert. Durch die Psychologie hatte sie sich erhofft, tiefer in seelische Abgründe blicken zu können, um Inspiration für ihre Geschichten und Gedichte zu finden. Das Gegenteil war aber der Fall gewesen, und die Seminare und Vorlesungen zogen sie auf den Grund ermüdender Lektüre hinab. Regelrecht verlor sie sich in den Textwüsten der Fachbücher und verspürte mit jedem weiteren Semester weniger Freude und Inspiration. Es war wohl nicht vorherbestimmt, dachte Mina, dass sie ein Studium in Psychologie abschließen sollte. Wohl deshalb hatte heute Morgen eine höhere Macht eingegriffen und die Buchstaben ihrer Abschlussarbeit wirr durcheinandergemischt.
Sie stand auf und eilte vorbei an den Regalen >Y< - Mina dachte an einen Yachthafen und an die Hafenstadt Ydra, südwestlich von Athen, mit ihren malerischen Gassen und traditionellen Steinhäusern. Die >Z<-Regale passierend, kam ihr Zakynthos in den Sinn, eine der Ionischen Inseln im Westen Griechenlands. Im Zickzack schlängelte sich Mina durch die herumstehenden Kommilitonen.
Zügig verließ sie die Bibliothek und ging zielgerichtet auf ein zinnoberrotes Gebäude zu. Zaghaft betrat sie die psychologische Fakultät, ein Zaudern überkam sie. Mina atmete tief durch und überlegte Wort für Wort und Satz für Satz, wie sie es dem Professor am besten verständlich machen sollte.
»Was Sie mir soeben erzählt haben, ist zweifelsohne tragisch.« Skeptisch blickte der Professor über den Rand seiner Lesebrille hinweg auf Minas Laptop, der aufgeklappt vor ihm auf dem Schreibtisch stand. »Doch ich frage Sie das ganz im Ernst: Wie soll ich das hier« - er zeigte auf das Buchstabengewirr - »sinnvoll bewerten?«
Ratlos schüttelte Mina den Kopf und versuchte sich zu rechtfertigen: »Ich habe sämtliche Kurse besucht, die Zwischenprüfungen bestanden und eine wissenschaftliche Abschlussarbeit habe ich auch geschrieben.«
»Das kann jeder behaupten. Ständig höre ich von Studierenden die geradezu unglaublichsten Geschichten.« Der Professor blätterte in den Testatunterlagen und meinte wohlwollend: »Ja, die Seminare und Vorlesungen haben Sie alle nachweislich besucht. Aber ihre Zwischenprüfungen sind nur mit knapp ausreichend bestanden.« Er schaute auf und nahm sich die Brille von der Nase. »Sind Sie sicher, dass Psychologie auch wirklich Ihr Fach ist?«
»Das Studium fasziniert mich.« Mina seufzte. »Nur wäre ich froh, die Abschlussarbeit nicht nochmal zu schreiben und auch die Kolloquien besuchen zu müssen.«
»Weil es Ihnen zuwider ist«, fiel ihr der Professor ins Wort und sah Mina ernst an. »Ich kann mich natürlich an Sie erinnern, an Ihre Präsenz in meinen Seminaren. Vielmehr als Präsenz haben Sie da auch nicht gezeigt. Sie wirkten immer - wie soll ich sagen - geistig abwesend, als wären Sie lieber woanders.«
»Da muss ich widersprechen!«
»Bitte! Wie Sie wollen. Das ist auch ganz unerheblich. Liefern Sie eine lesbare Abschlussarbeit ab. Sie wird bewertet werden, und wenn sie genügend ausfällt, erhalten Sie einen Universitätsabschluss.«
»Das heißt dann wohl, ich muss alles nochmal schreiben!« Mina vergrub das Gesicht in ihren Händen. Sie konnte es noch immer nicht fassen.
»Haben Sie denn keine Sicherheitskopien gemacht, auf einer externen Festplatte, in der Cloud oder auf einem zweiten Computer?«
Mina biss sich auf die Lippen und schüttelte verneinend den Kopf. Gedankenverloren blickte sie auf ihren Laptop. Warum nur hatte sie der Technik blind vertraut? Sie war so leichtfertig gewesen.
Der Professor lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Nun, dann bleibt Ihnen wohl nichts anderes übrig, als von vorn zu beginnen. So leid es mir tut, Ihnen das sagen zu müssen.«
»Ich werde mich umgehend an die IT wenden«, sagte Mina entschlossen. »Womöglich können die Daten ja doch noch gerettet werden, irgendwie, ich hoffe es!«
Suchend blätterte der Professor in den Unterlagen und wollte wissen, mit welchem Thema sich Mina beschäftigt habe.
»Der Titel meiner wissenschaftlichen Arbeit lautet: Die Affektlogik biblischer Texte am Beispiel der Offenbarung des Johannes. Ich habe im letzten Buch des Neuen...
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