Erich Landauer:
Barfuß durch Innsbruck
Erste Erinnerungen
Erich Landauer wurde am 23. März 1935 in Innsbruck geboren, das war an einem Samstag. Wie sich heute spielend leicht nachlesen lässt, hat es an diesem Tag in Innsbruck plus 7 Grad gehabt, am Hafelekar hat man für 7 Uhr 30 früh minus 2,2 Grad erwartet, bei Windstille und guter Fernsicht. Das ist den "Innsbrucker Nachrichten" zu entnehmen, im Internet finden sich auf der Seite der Österreichischen Nationalbibliothek (anno.onb.ac.at) neben zahlreichen anderen Medien, auch sämtliche Ausgaben dieser Tageszeitung. Ein echter Schatz. So lässt sich auf dieser hochinteressanten Website auch der "Allgemeine Tiroler Anzeiger" digital durchblättern, ebenfalls die Ausgabe vom 23. März 1935, dem Geburtstag von Erich Landauer. Dort findet sich in der Rubrik "Wetter" ein wunderbarer Druckfehler, der heute noch - mehr als 80 Jahre später - schmunzeln lässt: Die Bergwetter-Daten decken sich auf das Zehntelgrad genau mit jenen aus den "Innsbrucker Nachrichten", allerdings mit einer kleinen Ausnahme: Für das Hafelekar meldet der "Allgemeine Tiroler Anzeiger" nämlich Windstille, gute Fernsicht und eine Mittagstemperatur von plus 40 Grad. Na, das wäre was gewesen .
In den "Innsbrucker Nachrichten" ist ein Gedicht eines Hasso von Wallpach abgedruckt und wenn es so etwas wie Schicksal gibt, dann sind diese drei Strophen wie ein Omen für das Leben von Erich Landauer zu deuten. Denn das Gedicht beschreibt eine Leidenschaft, der Erich bis heute verfallen ist:
Abfahrt vom Morgenkogel
Weiter Blick auf ferne Gipfel
Auf des Olperers Firnenglanz.
Unter uns der Zirben Wipfel
Und des Windes Schattentanz.
Uns're schmalen Schier schießen
Staubend durch den Pulverschnee
Und um uns ist wie ein Fließen
Lichterfüllter Wald und Höh'.
Und so weit wird Herz und Seele
Sonne bräunt uns Stirn und Brust
Und aus unsrer jungen Kehle
Steigt ein Lied aus Freud und Lust.
Vielleicht werfen wir noch einen schnellen Blick darauf, was der Geburtstag von Erich so an Unterhaltung geboten hat: In den Innsbrucker Kammerlichtspielen wurde "Tarzan und sein Kamerad", ein Dschungeldrama mit Johnny Weißmüller, geboten und wer sich mehr von der heiteren Muse angesprochen fühlte, für den wurde im Zentral-Ton-Kino in der Maria-Theresien-Straße das Schlagerlustspiel "Der Himmel auf Erden" aufgeführt. Und auch für die Sportbegeisterten war etwas dabei, nämlich der "Derby-Kracher" im Fußball, FC Wacker Innsbruck gegen FC Hall in Hall, der für den folgenden Tag angekündigt wurde. Wörtlich heißt es: "Die Spieler treffen sich am Samstag, den 24. März um halb 1 Uhr mittags bei der Innbrücke, zur gemeinsamen Abfahrt per Omnibus nach Hall." Und noch etwas - die "Illustrierte Kronenzeitung" berichtet über ein kräftiges Erdbeben, das sich am 19. März um 6 Uhr 20 in Oberperfuss ereignet hat. Die Bevölkerung wird gebeten, per Postkarte die Auswirkungen des Erdbebens zu beschreiben, zu richten sind diese Karten portofrei an die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien 19, Hohe Warte 38. An dieser Adresse residiert die ZAMG übrigens heute noch. Den Lesern der "Innsbrucker Nachrichten" wird dann noch ein kleines Witzchen geboten und das zeigt, dass durch die Zeitungen von 1935 durchaus auch einmal der Hauch eines frivolen Lüftchens wehen durfte:
"Mein Mann steht jeden Morgen zeitlich auf, wenn die Radio-Gymnastik beginnt." "So, Ihr Mann betreibt Gymnastik?" "Nein, er nicht, aber das junge Mädchen gegenüber."
Dieser heute harmlos anmutende Gag war für die damalige Zeit wahrscheinlich gar nicht so ohne . Die Tiroler und österreichischen Zeitungen geben für diesen 23. März 1935 noch einiges mehr her, doch dazu etwas später.
Am Geburtstag von Erich Landauer hat Innsbruck noch keine 80.000 Einwohner gehabt und ganze Stadtteile, die wir heute kennen, waren damals noch nicht einmal angedacht. Auf dem Stadtplan von 1935 endet etwa die Reichenauer Straße an der Kreuzung zur Kravoglstraße im Nirgendwo, ebenso die Pradler Gumppstraße. Der Stadtteil Saggen hingegen hat sich nicht groß verändert, sogar die Straßennamen sind heute noch die gleichen und auch in Dreiheiligen schaut es heute noch weitgehend so aus wie vor über 80 Jahren. Das gilt vor allem auch für die Kapuzinergasse östlich des Viadukt-Bogens. Und am Ende der Kapuzinergasse, unmittelbar nach der Kreuzung mit der Zeughausgasse, stand auf der rechten Seite, genau auf Nummer 34, das Elternhaus von Erich Landauer. Und da steht es heute noch.
Erich Landauers Elternhaus hat sich in all den Jahren kaum verändert. (Foto: Ilse Zimmermann)
Im Parterre hat die Familie eine kleine Wohnung gehabt. "Das Haus steht eigentlich genau so da wie in meiner Kindheit, es ist nie um- oder ausgebaut worden", sagt Erich Landauer. Nur sei damals rückseitig eine Holzveranda vorhanden gewesen. "Da hat einer der Mieter Hasen gezüchtet, das war natürlich sehr interessant für uns Kinder. Auch die Schlachtung der Tiere. Die Hasen wurden kurzerhand an der Stalltür aufgehängt und ausgeweidet. Und auch wenn es grausig war, zugeschaut haben wir trotzdem."
Erich war das zweite Kind von Andreas und Katharina Landauer, eineinhalb Jahre zuvor wurde sein Bruder Andreas geboren. Dann ist bald einmal Schwester Käthe zur Welt gekommen, vier Jahre danach Bruder Adolf und nach dem Krieg komplettierte Nesthäkchen Ingrid die siebenköpfige Familie. Hätte es das Schicksal anders gewollt, dann wären sie zu acht gewesen, aber Bruder Siegfried hat das Kindsbett nicht überlebt .
So ist zwar innerhalb weniger Jahre die Familie Landauer immer größer geworden, die Wohnung in der Kapuzinergasse ist aber natürlich nicht mitgewachsen.
So hat das Elternhaus (rechts) vor ca. 60 Jahren ausgesehen.
(Foto: Stadtarchiv-Stadtmuseum Innsbruck)
Diese beengten Wohnverhältnisse kann man sich heutzutage kaum mehr vorstellen, Erich beschreibt die elterliche Wohnung so: "Wir haben eine Küche gehabt, ein Zimmer und ein Kabinett. Unsere Wohnung war früher einmal eine Metzgerei, deshalb war die Küche vollkommen verfliest. In der Küche ist ein Kohleherd gestanden, mit dem die ganze Wohnung geheizt worden ist. Durch das schmale Küchenfenster sind wir Kinder gerne auch ein- und ausgestiegen, wenn uns der Weg zur Haustür zu umständlich gewesen ist. Die Eltern haben in einem Zimmer geschlafen, wir fünf Kinder im anderen. Ich bin jahrelang mit meinem Bruder Andreas im Bett gelegen, anders wäre das nicht gegangen. Es war nur Platz für drei Betten, also mussten wir Geschwister uns irgendwie zusammenlegen. Das war halt so." Im kleinen Zimmer ist auch ein riesiger Kachelofen gestanden, der wurde aber nur einmal im Jahr, immer zu Weihnachten, eingeheizt. Sonst ist die ganze Wohnung nur dann erwärmt worden, wenn die Mutter am Kohleherd in der Küche gekocht hat. Die Küche war in der ersten Zeit auch der Schlafplatz des kleinen Erich, dort war sein Gitterbett "stationiert". Erst später "durfte" er unter die Decke seines Bruders Andreas kriechen.
In der Volksschule. Erich ist der dritte Bub von rechts in der zweiten Reihe, direkt vor ihm sein Bruder Andreas. (Foto: privat)
Die kleine Wohnung hat kein Badezimmer gehabt, man hat sich am Waschbecken in der Küche sauber gemacht. Natürlich mit kaltem Wasser. Hände, Hals, Gesicht - das Gröbste halt. Und einmal im Monat sind die Kinder in den Waschzuber gesteckt worden, das musste genügen. Diesen Tag hat der kleine Erich aber nicht etwa herbeigesehnt, sondern ganz im Gegenteil: "Ich hab das eigentlich nie mögen. Wozu baden? Ich hab mich als Kind nie dreckig gefühlt. Jeden Tag Gesicht und Hände waschen musste genügen." Aber als braver Bub hat er die monatlichen Waschungen halt über sich ergehen lassen. So wie die Besuche beim Friseur: "Oberweger hat der geheißen. Sein Geschäft hat er an der Ecke Kapuzinergasse zur Ing.-Etzel-Straße gehabt. Da haben uns die Eltern hingeschickt, wenn sie uns schon fast nicht mehr erkannt haben, weil uns die Haare so tief ins Gesicht hineingehängt sind. Und der Oberweger hat uns dann geschoren wie die Schafelen, weil das hat ja wieder für ein paar Monate halten sollen." Doch auch in Sachen Friseurbesuche hat sich Erich brav seinen Eltern gefügt und die Schur ergeben hingenommen.
Unbeliebt, aber notwendig: Friseur Oberweger in der Ing.-Etzel-Straße (Foto: Stadtarchiv-Stadtmuseum Innsbruck)
Überhaupt hat sich Erich Landauer als einen braven Buben in Erinnerung, er ist auch das einzige Kind der Familie gewesen, das der Mutter im Haushalt zur Hand gegangen ist: "Ich kann mich nicht erinnern, dass der Andi oder der Adi jemals daheim geholfen hätten. Vielleicht später die Schwestern, aber von uns Buben war ich der einzige." Und so hat Erich Holz aus dem Keller geholt, fürs Kochen den Ofen eingeheizt und ihn durch ständiges Nachschüren am Brennen gehalten. Oder er hat beim Waschtag kräftig mit angepackt: "Im Keller haben wir eine Waschküche gehabt und da ist ein riesiger Waschkessel drinnen gestanden. Der ist mit kaltem Wasser gefüllt worden und dann hat man ihm kräftig einheizen müssen. Das war meine Aufgabe. Dann habe ich gemeinsam mit meiner Mama die Wäsche mit riesigen Holzpaddeln im kochend heißen Wasser hin und her gewendet und schließlich mühevoll ausgewrungen. Eine Mordsarbeit." Auch sonst hat Erich seiner Mutter viel im...