Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Wer echte Verzweiflung kennt, wird mich verstehen. Eines Morgens wachst du auf und merkst, es steht schlecht, sehr schlecht. Eben noch, sagen wir gestern, hättest du etwas ändern, es richten, die Weichen anders stellen können, aber jetzt ist finito – du bist raus und hast keinen Einfluß mehr auf die Ereignisse, die dich umflattern wie Leintücher. Genau so, hilflos, ausgestoßen und abgetrennt, fühlt man sich kurz vor dem Tod, wenn ich das Konzept Tod richtig verstehe – eigentlich hast du doch alles richtig gemacht, alles unter Kontrolle gehabt, warum versucht man dann aber, dich von den roten Kabelrollen des Systems abzukoppeln, dich zu löschen wie eine Datei und auszubrennen wie einen subkutanen Eiterherd, warum verzieht sich das Leben, an dem du gerade noch unmittelbar teilgenommen hast, wie das Meer in östliche Richtung, eilig entfernt es sich, und zurück bleibt die Sonne deines langsamen Sterbens. Wie ungerecht der Tod ist, läßt dich das Leben besonders deutlich spüren, keiner kann dich davon überzeugen, daß dein Übertritt auf das Territorium der Toten Sinn macht, da fehlen einfach die Argumente. Aber es steht schlecht, plötzlich glaubst du das auch, hast es verinnerlicht und wirst ganz ruhig, läßt zu, daß irgendwelche Scharlatane, Alchimisten und Pathologen dein Herz herausreißen und es auf Jahrmärkten und in Raritätenkabinetten zur Schau stellen, läßt zu, daß sie es für zweifelhafte Experimente und freudlose Rituale heimlich mit sich herumtragen, läßt zu, daß sie von dir wie von einem Toten sprechen und dein Herz – schwarz von verlorener Liebe, leichten Drogen und falscher Ernährung – in ihren Raucherfingern drehen.
Dahinter stehen die Tränen, die Nerven und die Liebe deiner Altersgenossen. Ja, Tränen, Nerven und Liebe, denn alles Unglück und aller Ärger deiner Altersgenossen hat mit der Geschlechtsreife begonnen und war mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch beendet, und wenn irgendwas diese scharfen slawischen Zungen zum Schweigen bringen und die stark verrauchten Lungen zum Luftholen bewegen kann – dann Liebe und Ökonomie, Business und Leidenschaft in ihren absurdesten Erscheinungsformen; alles andere bleibt abseits der Strömung, außerhalb des dunklen, wilden Flusses, in den ihr alle springt, kaum daß ihr volljährig seid. Der Rest ist Bodensatz, Blasen auf dem Wasser, Fußnoten zur Biographie, er löst sich in Sauerstoff auf, und auch wenn Sauerstoff dir lebensnotwendig erscheint, er ist es gar nicht. Warum? Weil keiner an Sauerstoffmangel stirbt, sterben tut man aus Mangel an Liebe oder Mangel an Geld. Wenn du eines Tages aufwachst und merkst, alles steht schlecht, sie ist weg, gestern noch hättest du sie aufhalten, alles richten können, jetzt ist es zu spät, du bleibst allein mit dir, und sie kommt die nächsten fünfzig Jahre nicht wieder oder auch sechzig, je nachdem, wie lange du ohne sie leben kannst und willst. Als dir das bewußt wird, schlägt große, grenzenlose Verzweiflung über dir zusammen, der Schweiß purzelt auf deine unselige Haut wie Zirkusclowns in die Manege, das Gedächtnis verweigert dir die Gefolgschaft, obwohl man auch daran nicht stirbt, im Gegenteil – alle Hähne öffnen sich, die Luken brechen, alles okay, sagst du, ich bin in Ordnung, ich schaff das schon, alles klar, immer schmerzhafter stößt du dich in der Leere, die sie im Raum zurückgelassen hat, in den Tunneln und Gängen aus Luft, die ihre Stimme einst füllte und in denen jetzt die Monster und Reptilien ihrer Abwesenheit hausen, alles okay, sagst du, ich schaff das, ich bin in Ordnung, daran ist noch keiner gestorben, noch eine Nacht, noch ein paar Stunden in diesem mit schwarzem Pfeffer und Glasscherben bestreuten Gelände, auf dem heißen, mit Kippen und Tabakbröseln vermischten Sand, in den Kleidern, die ihr gemeinsam getragen habt, unter dem Himmel, der jetzt dir allein gehört, du benutzt ihre Zahnbürste, nimmst ihre Handtücher mit ins Bett, hörst im Radio ihre Musik und singst an den besonders wichtigen Stellen mit – da, wo sie immer verstummte, singst du jetzt die Worte für sie, besonders wenn das Lied von Sachen handelt, die wichtig sind, wie zum Beispiel das Leben, oder dein Verhältnis zu deinen Eltern, oder vielleicht auch Religion. Was kann tragischer sein als dieses einsame Singen, manchmal unterbrochen von den neuesten Nachrichten, den letzten Neuigkeiten ? so, wie die Lage ist, könnte jede neue Nachricht tatsächlich die letzte für dich sein.
Tragischer ist eigentlich nur die Sache mit der Knete. Alles, was die Finanzen betrifft, dein Business, deine finanzielle Stabilität, treibt dich in immer dunklere Sackgassen, aus denen es nur einen Ausweg gibt – den schwarzen, unerforschten Raum, das Reich des Todes. Wenn du plötzlich aufwachst und merkst, um weiterzuleben, brauchst du fremde Hilfe, und zwar möglichst von Gott dem Herrn persönlich oder jemandem aus seinem direkten Umfeld. Aber was für Hilfe denn, vergiß das Wort, hast dir alles selbst eingebrockt, also strample schön, dabei mußt du gut abwägen – Business und Liebe, Sex und Ökonomie, ja, genau, Ökonomie – diese Prostatitis der Mittelklasse, diese Tachykardie der Währungsbörsenpioniere; ein paar verunglückte Gesetzesvorlagen, und du bist eine Wasserleiche, soll heißen, sie ertränken dich bestimmt, wahrscheinlich in Zement, und die tödlichen, milchkaffeebraunen Zementwellen schlagen über dir zusammen und trennen dich vom Leben und sogar vom Tod, denn in einem solchen Fall verdienst du keinen normalen, ruhigen Tod, da kannst du so viel strampeln, wie du willst, dir ist nicht mehr zu helfen, wie der Vollmond hängen die Schulden über dir; und es bleibt dir nichts übrig, als ihn anzuheulen und damit auch noch die Aufmerksamkeit des Finanzamts auf dich zu ziehen. Wie viele junge Seelen sind verloren, weil sie keinen Business-Plan erstellen konnten, wie viele Herzen hat die Privatisierungspolitik zerrissen; Falten auf den vertrockneten Gesichtern und ein gelber, metallischer Schimmer in den Augen, Resultat eines langen Überlebenskampfes – das ist unser Land, das ist unsere Ökonomie, dein und mein Weg zur Unsterblichkeit, die du spürst, wenn du plötzlich aufwachst und merkst, daß es im Leben nichts gibt als deine Seele, deine Liebe und, fuck, deine Schulden, die du nie zurückzahlen kannst, wenigstens nicht in diesem Leben.
Davon laßt uns reden.
Die Geschichte vom Klub hat mir einer seiner Gründer höchstpersönlich erzählt, ich hatte schon von ihnen gehört, war aber nie einem über den Weg gelaufen, was angesichts der spezifischen Ausrichtung des Ladens auch kein Wunder ist. Gerüchte vom ersten offiziellen Schwulenklub machten schon seit ein paar Jahren die Runde, wobei aber immer unterschiedliche Namen und Adressen genannt wurden, und weil niemand genau wußte, wo er sich befand, verdächtigte jeder jeden. Am häufigsten wurde der Klub im Stadion erwähnt, die rechtsgerichtete Jugend der Stadt verurteilte das Entstehen solcher Etablissements aufs schärfste und gelobte, den Klub niederzubrennen und die Schwulen, die sich dort zu ihren sogenannten Partys trafen, gleich mit. Einmal, in der Spielzeit 2003/2004, legten sie Feuer im »Burattino«, einer Kneipe beim Stadion, aber die Miliz brachte diesen Vorfall nicht mit dem Schwulenklub in Verbindung, logo – wie kann das »Burattino« denn ein Schwulenklub sein, wo doch schon der Name fremdenfeindlich ist. Andererseits wurde der Klub oft in den Medien erwähnt, in verschiedenen Kultursendungen und Reportagen über die wilde Klubszene unserer Stadt. Meistens erinnerte die Klubszene unserer Stadt an Briefe von der Front – in den Fernsehreportagen erklangen zuerst Trinksprüche, dann Maschinengewehrsalven, und manchmal, wenn der Kameramann seine Berufspflichten nicht verletzte, sich also nicht mit kostenlosem Kognak auf Rechnung des Wirts zudröhnte, erklangen die Maschinengewehrsalven im Rhythmus von Hochzeitsreden und Abschiedsflüchen, und die Leuchtmunition zerschoß den warmen Himmel über Charkiw, ein Feuerwerk zu Ehren von Treue, Liebe und anderen Dingen, die im Fernsehen wenig populär sind. Der Schwulenklub aber erregte gerade darum besonderes Interesse, weil es keine Bilder gab und weil Informationen über direkte Verbindungen zwischen Obrigkeit und Mafia fehlten, es hieß nur, eine Party habe stattgefunden im Schwulenklub, die Gäste hätten sich ordentlich benommen, Opfer seien keine zu beklagen. Zwar machten auch weiterhin Gerüchte über den Klub die Runde, aber das Interesse ließ nach, was zu erwarten gewesen war – in unserer Stadt gibt es weit interessantere Einrichtungen, zum Beispiel das Traktorenwerk. Und überhaupt – wen interessieren in einem Land mit solchen Auslandsschulden schon die Probleme sexueller Minderheiten. Daß es hieß, der Gouverneur selbst halte seine schützende Hand über den Klub, wunderte auch keinen – etwas anderes erwartete man vom Gouverneur ja im Prinzip gar nicht. Schließlich muß jeder sehen, wo er bleibt, Hauptsache, ein reines Gewissen und die Steuererklärung rechtzeitig abgeben.
San Sanytsch habe ich im Wahlkampf kennengelernt. Er sah aus wie knapp vierzig, war aber in Wirklichkeit Jahrgang 74. Das Leben ist einfach stärker als die Gene, dafür war Sanytsch der beste Beweis. Er trug eine Jacke aus schwarzem, knarzendem Leder und eine Kanone, Typ Durchschnittsbandit, wenn ich mich verständlich ausdrücke. Für einen Banditen war er allerdings viel zu melancholisch, er telefonierte wenig, nur manchmal rief er seine Mutter an, während er selbst, soweit ich mich erinnere, überhaupt nie angerufen wurde. Er stellte sich als San Sanytsch vor und überreichte mir feierlich eine Visitenkarte aus Kreidepapier, auf der in Goldbuchstaben »San Sanytsch, Rechtsschutz« stand, darunter...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.