Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Die Hellseherin im Sold
des römischen Innenministers
Diese Überschrift ist ernst gemeint, denn in besonders tragischen Fällen greift man zu jedem Strohhalm, so auch bei der Kriminalpolizei. Meine erste Dienststelle im August 1990 war gleich die Quästur in Bozen, also die Landesbehörde für öffentliche Sicherheit und Ordnung und damit Sitz der Schutz- und Kriminalpolizei ? wie in jeder anderen italienischen Provinz auch. Zu Beginn meiner Tätigkeit, noch glücklich über die erfolgreiche Bewerbung und nach Absolvierung eines neun Monate langen Lehrganges in Rom, war ich besonders erleichtert, gleich im Zentrum des Landes tätig werden zu können. In den ersten sechs Monaten hatte ich zunächst die Gelegenheit, alle Abteilungen der Polizei kennenzulernen und das gleich in Sichtweite der Kollegen der Carabinieri, die auf der anderen Straßenseite stationiert sind. "Konkurrenz belebt das Geschäft, hätte man in der Wirtschaft gesagt."
Sehr interessant war meine Lehre im Lagezentrum, dem Kabinettbüro der Quästur - innerhalb der Staatspolizei Ufficio di Gabinetto genannt ?, wo alle, die Landesstelle betreffende Mitteilungen auf dem Schreibtisch des Capo di Gabinetto (Kabinettschef), also der grauen Eminenz neben dem Questore landeten. Eines Tages, immer noch in der Phase des Kennenlernens, zeigte mir der damalige Kripochef, mein unmittelbarer Vorgänger, eine vom Generaldirektor der Direzione Centrale della Polizia Criminale (Zentraldirektion der Kriminalpolizei in Rom) gesendete Anweisung. Diese enthielt die Order, die volle Unterstützung einer uns bisher unbekannten Hellseherin aus Süditalien zu gewährleisten und ihr rund um die Uhr zu assistieren. Diese Hellseherin war in laufende Ermittlungen in Mittelitalien eingebunden worden, wo es um ein junges Mädchen ging, das seit Wochen spurlos verschwunden war. Man muss dazu wissen, dass der Schriftverkehr zwischen den polizeilichen Dienststellen der Republik und der Polizeibehörde im römischen Innenministerium damals noch über ein internes Telegrafenamt auf Papier erfolgte. Zunächst dachte ich an einen Scherz. Nachdem mir die Richtigkeit und Authentizität der Anweisung bestätigt wurde, dachte ich zunächst einmal in unserem Südtiroler Sprachgebrauch nur: "Oschpele", was ungefähr so viel bedeutet wie "Mein Gott, wo bin ich denn hier gelandet." Mit neuen Mitarbeitern in einer Abteilung treibt man zur Begrüßung bekanntlich gern einen Scherz. Leider war dem aber nicht so, wie sich bald herausstellen sollte.
Mein erfahrener Vorgänger im Amt hatte sofort gewusst, dass das Fernschreiben zu dieser Hellseherin ernst gemeint war. Trotzdem war sogar er in dieser Angelegenheit noch beim Quästor persönlich vorstellig geworden und hat nachgefragt, was dieser "Unsinn" denn sollte. Seine Proteste beim Herrn Quästor hatten aber nicht gefruchtet. Überliefert ist nur die verzweifelte Geste des Quästors, der mit ausgebreiteten Armen und mit Blick zum Himmel seiner Hilflosigkeit Ausdruck verliehen hatte. Gleichzeitig hat er aber dem Kripochef deutlich zu verstehen gegeben: "Befehl ist Befehl", zumal die Anweisung direkt vom Innenministerium aus Rom gekommen war.
Worum ging es? So witzig mir zunächst diese schriftliche Anweisung vorkam, so traurig war dann doch der Anlass. Diese Hellseherin aus Mittelitalien hatte sich gemeldet, weil sie vorgab zu wissen oder besser, meinte zu spüren, wo das vermisste Mädchen zu finden sei, nämlich in Südtirol. Ich konnte zwar nachvollziehen, dass man sich in solchen fürchterlichen Situationen an alles klammert, blieb aber trotzdem zunächst sehr skeptisch. Zu diesem Einsatz wurde der Kriminalinspektor Johann Ramoser abgestellt, welcher mit einem Dienstwagen, einem älteren Jeep der Marke Toyota, der Hellseherin für die notwendige Zeit zur Verfügung stehen musste. Unfreiwillig, aber gehorsam, nahm er den Auftrag an. Ihm wurde auch unmissverständlich klargelegt, dass er nur eines tun musste: den Intuitionen der Hellseherin folgen.
Schon bald nach der ungewöhnlichen Anweisung aus Rom kam auch die Hellseherin nach Bozen. Wir verloren keine Zeit, und das neue Ermittlerduo startete unverzüglich mit der Suchaktion des in Mittelitalien verschwundenen armen Mädchens. Mit einer Landkarte von Südtirol auf dem Schoß der Hellseherin, die auf dem Nebensitz des Dienstwagens Platz genommen hatte, fuhren sie los. Wie befohlen steuerte Inspektor Ramoser dorthin, wo ihr Gespür und ihre angeblichen Intuitionen das Versteck der Gesuchten vermuteten. Der erste greifbare Erfolg war aber zunächst nur der, dass Ramoser auch noch die allerletzten, bis dahin ihm unbekannten Gegenden seiner Heimat auf Staatskosten kennenlernte. Tagelang fuhr das Paar bergauf und bergab, talein und talaus, über und unter Brücken, quer durchs Land, über Pässe und durch Ortschaften hin und her.
Hellwach wurde unser Kriminalinspektor nur dann, wenn die Hellseherin wieder einmal lautstark und aufgeregt mit kehligen Lauten ihre inneren Gefühle loswurde und so tat, als ob sie das Kind schon spüren könne. Für Ramoser fühlte es sich an wie eine Geisterbeschwörung an einem Tisch, wie er mir erzählt hat.
Das arme Mädchen wurde aber leider nie gefunden und die Hellseherin von der Kriminalpolizei nie mehr mit Ermittlungsfällen beauftragt, weder von uns, noch vom Innenministerium in Rom.
Aus heutiger Sicht erscheint mir die Entscheidung des Generaldirektors der italienischen Kriminalpolizei, eine Hellseherin zu beauftragen, um ein vermisstes Mädchen aufzuspüren, nicht mehr ganz so abwegig. Da gibt es tatsächlich diesen Michael Schneider, der auch von der Kriminalpolizei in Deutschland und von anderen europäischen Ländern öfters als Hellseher angefordert wurde, um Vermisste aufzuspüren. Das tat er durchaus mit einigem Erfolg. Dieser Hellseher kann offensichtlich sogar herausfinden, ob diese noch leben.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Michael Schneider, so konnte ich es in einigen Südtiroler Tageszeitungen lesen, anscheinend auch bei uns erfolgreich war, als er anhand einer Landkarte deuten konnte, wo sich die Leiche des Vaters von Benno Neumair im Falle des Doppelmordes an seinen Eltern im Jahr 2021 befand. Sie konnte endlich am Ufer der Etsch in der Nachbarprovinz Trentino gefunden werden.
Zwei Jahre später wurde es für mich richtig ernst. Im Mai 1992 wurde ich zum Chef der Kripo an der Quästur Bozen ernannt, zuständig für ganz Südtirol. Das Medieninteresse war für mich überraschend groß, denn alle lokalen Zeitungen berichteten von meiner Ernennung. Ich war unerwartet zu einer Person des öffentlichen Interesses aufgestiegen. Sofort hatte ich den berechtigten Verdacht, dass es mehr darum ging, dass ich der erste "deutschsprachige Südtiroler" war, der so einen heiklen Posten übernommen hatte.
Amtsübergabe von Giuseppe Macrí an Alexander Zelger im Mai 1992
Ich erhielt tagelang per Post Glückwünsche und allerhand Lobesworte für meinen Karrieresprung. Sogar Blumen wurden ins Büro und nach Hause geschickt. Ute, meine Ehefrau, und ich waren von dieser öff entlichen Aufmerksamkeit überwältigt. Einige Tage lang klingelte es ungewohnt oft an der Tür. Meistens war es ein Postbote mit einem Glückwunschtelegramm. Aber einmal wurden alle erdenklichen Erwartungen in Bezug auf Komplimente, Höfl ichkeiten, Wertschätzung, Auszeichnungen und Schmeicheleien übertroff en. Diese Aufmerksamkeitsbekundung hatte, zumindest nur theoretisch, das gefährliche Potenzial, eine Ehekrise auszulösen.
Ich öff nete die Haustür, hinter mir stand Ute. Wir beide konnten die Überraschung nicht zurückhalten und hatten mit Sicherheit Augen und Mund vor Staunen weit off en. Vor uns war eine Wand an Orchideen in einem übergroßen Korb zu sehen. Dahinter versteckt befand sich der Bote, der es kaum erwarten konnte, die schwere Last loszuwerden. Ich traute meinen Augen nicht, als ich das Geschenk übernahm und inmitten des Grünzeugs zwei Champagnerfl aschen entdeckte. Während ich das edle Geschenk näher begutachtete, öff nete Ute interessiert die beigelegte Postkarte und las. Wir beide waren extrem neugierig und wollten wissen, wer wohl dieses großzügige Präsent geschickt hatte. Ich schaute Ute an und musste bemerken, wie ihr netter Ausdruck der Freude und Dankbarkeit allmählich verschwand und von einer ernsten Miene ersetzt wurde. Sogleich war auch ein, je nach Sichtweise mehr oder weniger gerechtfertigter harter Protest von Ute zu hören.
Das wunderschöne Bouquet samt den Dom-Pérignon-Flaschen kam höchstpersönlich von Signora Marisa, der Chefin des "White Devil", einem bekannten Bozner Nachtlokal. Dieses elegante Etablissement war in ganz Südtirol für seine leichtbekleideten und gutgelaunten Damen bekannt, die nach Mitternacht erotische Ballette anboten. Ute wusste gleich, wer das war, hatte sie doch Signora Marisa in der Bank kennengelernt, in der ich noch vor meiner Polizeikarriere als Schalterbeamter gearbeitet hatte: Ute hatte mich einmal, ich glaube, das war...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Adobe-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Adobe-DRM wird hier ein „harter” Kopierschutz verwendet. Wenn die notwendigen Voraussetzungen nicht vorliegen, können Sie das E-Book leider nicht öffnen. Daher müssen Sie bereits vor dem Download Ihre Lese-Hardware vorbereiten.Bitte beachten Sie: Wir empfehlen Ihnen unbedingt nach Installation der Lese-Software diese mit Ihrer persönlichen Adobe-ID zu autorisieren!
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.