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Einst kam ein unbedeutender Radscha aus einem unbedeutenden Fürstentum mit seinem Gefolge in die Stadt Mahartha, die man »Tor des Südens« und »Hauptstadt der Morgendämmerung« nennt, um sich dort einen neuen Körper zu kaufen. Es war dies in den Tagen, als man den Schicksalsfaden noch aus der Gosse klauben konnte, als die Götter noch weniger formell waren, als die Dämonen noch gefangen saßen und die Himmlische Stadt den Menschen zuweilen noch offen stand. Diese Geschichte erzählt, wie der Fürst die Gebetsmaschine vor dem Tempel köderte und durch welche Vermessenheit er die Ungnade des Himmels auf sich zog .
Der Wesen, die unter den Menschen wiedergeboren werden, sind wenige; größer ist die Zahl derer, die in anderer Gestalt wiedergeboren werden.
Anguttara-Nikaya (I, 35)
Der Nachmittag war schon fortgeschritten, als der Fürst auf einer weißen Stute die breite Sonnenallee entlang durch die Hauptstadt der Morgendämmerung ritt, seine hundert Gefolgsleute dicht zusammengedrängt hinter ihm, sein Ratgeber Strake zur Linken, sein Krummsäbel in der Schärpe und ein Teil seines Vermögens in den Taschen, die die Packpferde trugen.
Die Hitze fiel schwer auf die Turbane der Männer herab, brandete über sie hinweg und wurde von der Straße zurückgeworfen.
Auf seinem Weg in die entgegengesetzte Richtung bewegte sich langsam ein zweirädriger Wagen an den Reitern vorbei. Der Kutscher warf einen blinzelnden Blick auf das Banner, das der Oberste der Gefolgsleute trug; eine Kurtisane stand am Eingang ihres Zeltes und beobachtete aufmerksam den Verkehr; kläffend streunte eine Meute Straßenköter um die Hufe der Pferde.
Der Fürst war hochgewachsen, und sein Schnurrbart war von der Farbe des Rauchs. An seinen Händen, schwarz wie Kaffee, traten die Adern als dicke Wülste hervor. Noch war seine Haltung jedoch aufrecht, und noch waren seine Augen wie die Augen eines uralten Vogels, blitzend und klar.
Vor ihnen drängte sich die Menge und begaffte die vorüberziehende Schar. Nur wenige im Land waren so reich, dass sie Pferde besaßen. Das gewöhnliche Reittier war der Slizzard, ein Schuppengeschöpf mit Schlangenhals, einer Unzahl Zähne, ungeklärter Abstammung, kurzer Lebensdauer und tückischem Charakter; das Pferd dagegen war seit einigen Generationen aus unerfindlichen Gründen im Aussterben begriffen.
Der Fürst zog in die Stadt der Morgendämmerung ein, und die Gaffer gafften.
Nun verließen die Reiter die Straße der Sonne und bogen in einen schmaleren Weg ein. Sie kamen an den niedrigen Handelshäusern vorüber, an den großen Läden der großen Kaufleute, an den Banken, an den Tempeln, an den Schenken, an den Bordellen. Sie hielten nicht an, bis sie die fürstliche Herberge des Hawkana, des Vollendeten Wirts, wie er sich selbst nannte, erreichten, die am Rand des Geschäftsviertels lag. Am Tor zügelte der Fürst sein Pferd. Hawkana selbst war herausgekommen, schlicht gekleidet, von vornehmer Leibesfülle und lächelnd. Er wartete darauf, die weiße Stute persönlich hineinführen zu dürfen.
»Willkommen, Lord Siddhartha!«, rief er mit so lauter Stimme, dass jeder in Hörweite erfuhr, wer sein Gast war. »Willkommen hier bei uns, wo die Nachtigall beheimatet ist. Willkommen in den Gärten der Wohlgerüche und in den Marmorhallen meines bescheidenen Hauses! Ein Willkommen auch Euren Reitern, die einen tüchtigen Ritt mit Euch getan haben und gewiss ausgewählte Erfrischung und erlesene Entspannung erwarten - wie Ihr selbst, Herr. Ich bin mir gewiss, dass alles in meinem Hause zu Eurer Zufriedenheit gerichtet ist, so wie es die vielen Male der Fall war, wenn Ihr in der Vergangenheit in der Gesellschaft anderer fürstlicher Gäste und edler Besucher in diesen Hallen geweilt habt. Gäste, zu zahlreich, um sie alle zu nennen, darunter .«
»Auch dir einen guten Tag, Hawkana!«, rief der Fürst, denn der Tag war heiß, und die Worte des Wirtes flossen wie Flüsse, flossen, als ob sie nie mehr enden wollten. »Wir wollen in dein Haus gehen, denn es hat den Vorzug, kühl zu sein; neben anderen Vorzügen, zu zahlreich, um sie alle zu nennen.«
Hawkana nickte eifrig, nahm die Stute am Zügel und führte sie durch das Tor auf seinen Hof; dort hielt er dem Radscha den Bügel beim Absteigen, ehe er die Pferde den Stallburschen überließ und einen kleinen Jungen vor das Tor schickte, damit er die Straße säuberte, wo die Reiter angehalten hatten.
In der Herberge wurden die Männer gebadet - während sie in der Marmorbadehalle standen, gossen Diener Wasser über ihre Schultern. Dann salbten sie sich, so wie es der Brauch für die Kriegerkaste vorschrieb, kleideten sich in frische Gewänder und gingen hinüber in den Speisesaal.
Das Mahl zog sich den ganzen Nachmittag hin, bis die Krieger über die Zahl der Gänge die Übersicht verloren. Rechter Hand des Fürsten, der selbst am Kopfende einer langen, niedrigen Tafel saß, wanden sich drei Tänzerinnen durch ein verwickeltes Muster von Bewegungen und ließen dabei die Fingerzimbeln klingen. Während vier verschleierte Musikanten die traditionelle Stundenmusik aufspielten, nahmen die Gesichter der Tänzerinnen in den richtigen Augenblicken des Tanzes die richtigen Ausdrücke an. Die Tafel war mit einem reich gewirkten Gobelin in Blau, Braun, Gelb, Rot und Grün überzogen, der eine Reihe von Jagd- und Kampfepisoden darstellte: Reiter auf dem Rücken von Pferden oder Slizzards stellten sich, gerüstet mit Lanze und Bogen, dem Ansturm von Federpanda, Feuerhahn und juwelenglitzernder Kommandopflanze; grüne Affen tummelten sich in den Baumkronen; der Garuda-Vogel hatte mit seinen Krallen einen Himmelsdämon gepackt, hackte mit dem Schnabel und schlug mit den Schwungfedern auf ihn ein; aus den Tiefen des Meeres kroch ein Heer von Hornfischen, hellrote Korallenspitzen zwischen den zusammengewachsenen Flossen; und vor ihnen eine Kampfreihe von Männern in Wams und Helm, die Lanzen und Fackeln hielten, um den Fischen den Weg an Land zu verwehren.
Der Fürst sprach dem Mahl nur mäßig zu. Er tändelte mit den Speisen, lauschte der Musik, lachte gelegentlich über den Scherz eines seiner Männer.
Er trank von einem Scherbett, und seine Fingerringe trafen klirrend auf das Glas.
Hawkana trat zu ihm. »Ist alles nach Eurem Wunsch, Herr?«, erkundigte er sich beflissen.
»Ja, guter Hawkana, es ist alles recht«, erwiderte er.
»Ihr esst nicht wie Eure Männer. Mundet Euch mein Mahl nicht?«
»Es sind nicht die Speisen, denn die sind ausgezeichnet, und es ist auch nicht die Art der Zubereitung, denn die ist tadellos, werter Hawkana. Es liegt vielmehr an meinem Appetit, der in letzter Zeit nicht sehr groß ist.«
»Ah!«, sagte Hawkana wissend. »Ich habe da etwas, genau das Richtige! Nur ein großer Herr wie Ihr wird es wirklich zu würdigen wissen. Es hat lange in einem besonderen Fach meines Kellers geruht. Der Gott Krishna hat es irgendwie vor dem Altern geschützt. Es ist Wein. Er hat ihn mir vor vielen Jahren geschenkt, weil meine Unterkunft ihm nicht gerade missfiel. Ich werde ihn für Euch holen.«
Er verneigte sich und verließ unter Bücklingen rückwärtsgehend die Halle.
Als er zurückkehrte, hatte er eine Flasche bei sich. Bevor der Fürst noch das Etikett auf ihrem Bauch erkennen konnte, schloss er schon aus der Form der Flasche, was für ein Wein das war.
»Burgunder!«, rief er.
»Ja, Burgunder«, sagte Hawkana. »Von der vor vielen Menschenaltern untergegangenen Urath.«
Er schnupperte daran und lächelte. Dann goss er ein kleines Quantum in ein perlförmiges Kelchglas und setzte es seinem Gast vor.
Der Fürst erhob das Glas und sog das Bukett ein. Er kostete. Er schloss die Augen.
Seinen Genuss achtend, schwiegen alle im Raum.
Dann senkte der Fürst das Glas, und Hawkana goss von dem Saft der Pinot-Noir-Traube nach, die sich in diesen Landen nicht anbauen ließ.
Der Fürst rührte das Glas nicht an. Stattdessen wandte er sich an Hawkana und sagte: »Wer ist der älteste Musikant in Eurem Haus?«
»Mankara hier«, sagte sein Wirt, dabei auf einen weißhaarigen Mann deutend, der sich neben einem Aufwartetisch in einer Ecke des Saals ausruhte.
»Alt an Jahren, aber nicht, was den Körper anlangt«,...
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