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Der Mensch sucht sich in der Regel ein Hobby, um seine Freizeit sinnvoll und kurzweilig zu gestalten. Es soll entspannen, ablenken, fesseln, beruhigen. Es soll dauerhaft und immer wieder neu motivieren, denn ein Hobby will gepflegt und fortgeführt werden. Und wenn wir uns auf dieser oberflächlichen und theoretischen Ebene weiterbewegen wollen, dann kommen wir im Umkehrschluss auch schnell darauf, dass ein schönes Hobby uns möglichst nicht frustrieren soll, nicht wütend machen, die Laune verderben oder entmutigen soll. Und jetzt, wo ich das schreibe: Genau diese Dinge beherrscht der Fußball meisterhaft.
Je nach Herzensverein sind wir mindestens gelegentlich, in vielen Fällen häufig oder im unglücklichsten Fall dauerhaft deprimiert. Der unglücklichste Fall ist meistens der HSV. Der Autor dieser Zeilen ist Bremer und nimmt sich in dieser Sekunde vor, dass derartige Sätze in diesem Buch nicht allzu häufig vorkommen sollten. Selbst dann nicht, wenn sie der Wahrheit entsprechen.
Der Fußball frustriert uns nicht nur, er erzürnt uns. Und das nicht nur einmal pro Woche, sondern im schlimmsten Fall vielfach während eines einzigen Fußballspiels. Es gibt ja diese abenteuerliche Behauptung, jeder Mann denke alle sieben Sekunden an Sex. Ich halte das für groben Unfug, weil man dafür ja alle sieben Sekunden denken müsste. Analog dazu denkt ein Fußballfan aber während eines 90-minütigen Fußballspiels etwa 350-mal »Scheiße!«. Anlässe dafür liefert jedes Spiel ausreichend: Platzwahl verloren, Pass in den Rücken des Mitspielers, ins Abseits gelaufen, Bier alle, unnatürliche Handbewegung im falschesten Moment, Pfostenschuss, Gegentor zu einem psychologisch ungünstigen Zeitpunkt, Gegentor zu einem psychologisch günstigen Zeitpunkt, Trainer wechselt dusselig aus, Trainer wechselt zu spät aus, Trainer wechselt gar nicht aus, der beste Spieler verletzt sich und kann nicht mehr ausgewechselt werden, der beste Spieler des Gegners verletzt sich nicht, der Tribünennachbar hat eine schwache Blase, es regnet, der Ball verspringt, das Spiel ist zu lang, das Spiel ist zu Ende, die Nachspielzeit war viel zu kurz. Allein diese Liste ließe sich endlos fortsetzen.
Wir lernen daraus: Jedes Fußballspiel beschert uns Unmengen von Enttäuschungen, unerfüllte Erwartungen, Momente voller Fremdscham und Bitterkeit. Trotzdem freuen wir uns vor jedem Spiel wie ein kleines Kind, denn beim nächsten Mal könnte es ja viel besser laufen. Tut es natürlich nie, aber es könnte. Und deshalb ist der Fußball auch nicht besonders gut geeignet, um beim Fan für permanente gute Laune zu sorgen. Im Gegenteil.
Jeder von uns kennt diese Montage, an denen man dem Kollegen X und der Kollegin Y lieber nicht begegnen möchte. Wegen Samstag. Die Kollegen sind zwar selbst keine Fußballfans, stänkern aber gerne. Auch so ein Ding: Fußball macht zuweilen den Menschen am meisten Spaß, die sich nur ganz wenig dafür interessieren. Und zwar nicht trotzdem, sondern gerade drum. Wer selbst keinerlei Emotionen für Fußball hegt, der kann durch das eigene Unbeteiligtsein den aschfahlen, vom Wochenendergebnis niedergedrückten und gramgebeugten Mitmenschen besonders effektiv und ohne allzu viel Aufwand kränken. Wer Fußball nur ein bisschen mag (»Ja gut, bei Weltmeisterschaften schaue ich schon mal zu, aber sonst nicht so«), aber keinem Verein nahesteht, der ist im Gegensatz zum beinharten, lebenslangen Fanatiker seelisch nahezu unverwundbar. Eine der ganz großen Ungerechtigkeiten des Fanlebens.
Es gibt weitere. Unser Selbstwertgefühl wird durch die Liebe zu einem Verein auf eine harte Probe gestellt, und das permanent. Je nach Verein gibt es Wochenende für Wochenende Anlass zu Fremdscham, Mutlosigkeit und Weinerlichkeit. In englischen Wochen auch öfter. Weil man gerade das Heimspiel gegen den Tabellenletzten verloren hat, dessen gesamte Mannschaft so viel gekostet hat wie Dein Ersatztorwart. Weil Dein Mannschaftskapitän Interviews gibt, in denen er die geistige Reife eines Vierjährigen an den Tag legt. Weil Du für eine Erinnerung an das letzte wirklich gute Spiel Deiner Mannschaft erst einmal die letzten acht Kicker-Sonderhefte durchblättern müsstest. Weil Dein Verein gerade das Trikot für die neue Saison vorgestellt hat und es diesmal hellblau sein wird, mit kleinen rosa Elefanten. Wahrhaftig, es gibt sehr viele mögliche Gründe für ein ständiges Unwohlsein hinsichtlich des Lieblingsvereins.
Und dennoch: Hey, es ist immer noch Fußball! Eine Leidenschaft, die uns irgendwann gefangen nimmt. Sie tut dies nicht wie ein Liebender, der jemanden umgarnen, verzaubern und für sich gewinnen will, sondern mit dem Holzhammer. Der Fußball ergreift Besitz von uns. Und wenn es geschehen ist, sind wir verloren. Wir sind - und wir haben - verloren. Zum Beispiel die Fähigkeit, Wochenenden in gelöster Stimmung zu verbringen. Für Nicht-Fußballfans ist das eine Selbstverständlichkeit.
Auch soziale Kontakte gestalten sich mühseliger, wenn jeder geliebte Mensch Deine Zuneigung von vornherein mit der bedingungslosen Liebe teilen muss, die Du für elf fremde Menschen in kurzen Hosen empfindest. Oder wenn sich im weiteren Verlauf eurer Beziehung die Atmosphäre jährlich aufs Neue vergiftet, weil Du immer erst dann mit der Familie in den Jahresurlaub fahren kannst, wenn Du das Testspiel gegen den portugiesischen Zweitligisten im Trainingslager verfolgt hast, als einer von 16 mitgereisten Fans. Den Fans des portugiesischen Zweitligisten ergeht es übrigens genauso.
Da wir jedoch all das auf uns nehmen, manchmal sogar freiwillig, muss es irgendetwas geben, das uns diese Leidenschaft zurückgibt. Etwas, das uns fesselt, fasziniert und immer weitermachen lässt. Etwas, das uns immer wieder an dieselbe unisolierte Stromleitung fassen lässt. Rational kann es das eigentlich nicht geben. Also ist es mutmaßlich etwas Irrationales, schwer Greifbares. Nur was? Was bringt uns dazu, all das auf uns zu nehmen, in vielen Fällen ohne Aussicht auf Belohnung, und in manchen Fällen mit der Perspektive, sein komplettes Leben lang in einem Maß fortgesetzt enttäuscht zu werden, wie man es einem Freund oder Bekannten niemals durchgehen lassen würde? Das Rätsel ist ebenso einfach zu beantworten, wie es schwierig zu lösen ist: Es ist die Hoffnung. Denn es könnte ja alles besser werden, oder sogar gut. Darauf beharren wir, wie der Angetrunkene an der Losbude, der sein gesamtes Geld für Nieten investiert und es im Grunde vor dem Aufreißen der Lose schon genau weiß.
Und hier wird es faszinierend: Um vielleicht irgendwann mal belohnt zu werden, würde man als Fußballfan auch dann weitermachen, wenn einem die Vernunft längst sagt, dass es niemals besser wird. Die Neuzugänge für die kommenden Saison werden wieder dieselben Krampen wie die des letzten Sommers. Das ist egal, denn danach folgen weitere Sommer. Und darauf warten wir. Unser Leben lang. Auf den unfassbar guten Spieler, den alle anderen Vereine übersehen haben. Auf das Jahr, in dem alles gelingt. Auf den Trainer, der den Plan hat. Auf die Tabelle, die einen träumen lässt statt zu ängstigen.
Wir sind süchtig, wir sind ohne Hoffnung, wir sind verloren. Aber wir sind viele. Und wir sind in dem Schmerz und der Trauer nie allein. Im Erfolg übrigens auch nicht. Wenn jemals alles super läuft, sind wir plötzlich die viel besungenen wildfremden Menschen, die sich in den Armen liegen. Dann sind wir ein Teil des großen Ganzen. Wir sind zugegebenermaßen ein kleiner Teil, wie ein Tropfen im Ozean. Aber gemeinsam sind wir der Ozean. Und plötzlich ist Fußball wunderbar. Darauf warten wir. Auf diesen Moment, der kommen könnte, irgendwann. Das Wort »irgendwann« ist eines der Wichtigsten im Leben eines Fußballfans. Und wenn dieses Irgendwann endlich da ist, möchte man es wieder und wieder erleben. Man möchte manchmal wie Bayern München sein, denn dort ist es immer »irgendwann«. Was die Frage aufwirft, was man als Fan von Bayern München möchte, denn deren Fanleben funktioniert zwangsläufig anders. Als Bayern-Fan möchte man im Grunde, dass alles immer so bleiben möge. Ein Gedanke, den wiederum ein Fan von Preußen Münster nur ganz selten haben wird, beziehungsweise, eigentlich nie. Hochinteressant, und auch wieder fußballspezifisch: Dennoch möchte der Preußen-Fan selten mit dem Bayern-Fan tauschen, und umgekehrt wäre ja es ja auch höchst töricht.
Aus all diesen Mosaiksteinen ergibt sich folgendes Gesamtbild: Als Fußballfan funktioniert man nicht rational oder besonnen, sondern emotional und impulsiv. Wir suchen uns dieses Dasein nicht aus, sondern schlittern hinein. Wir wissen, dass vieles Quatsch ist, was wir tun. Und wir wissen, dass uns vieles nicht guttut, aber wir wollen das auch nicht anders. Wir würden gerne etwas weniger leiden, wären gerne seltener wütend und enttäuscht, aber tun andersherum alles, um genau diese Gefühle immer wieder neu durchmachen zu müssen.
Ohne mich mit Gehirnen allzu gut auszukennen, gehe ich davon aus, dass das Leben als Fußballfan unsere Synapsen, Nervenbahnen und Blutgefäße vor allerhöchste Anforderungen stellt. Wenn in der 90. Minute ein entscheidendes Tor fällt, brizzelt es im Kleinhirn spürbar. Egal, ob das Tor für Deine Mannschaft fällt oder für den Gegner, und auch dann, wenn es nur beinahe fällt. Im Fußball kann der gesamte Kosmos durch eine Zehntelsekunde auf links gezogen werden, und unser Gemüt ist dafür nicht geschaffen.
Viele von uns Betroffenen waren schon einmal in der Situation, Nicht-Fans erklären zu wollen, was an Fußball so toll ist. Vergesst es. Es ist unmöglich. »Was soll denn so toll daran sein, wenn 22 Menschen einen Ball in so ein Tor schießen wollen?« »Weshalb magst Du die Spieler...
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