Schweitzer Fachinformationen
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DREI (Freitag, 12. Juli)
«Schickst du die Equipe los», habe ich gestern gesagt, und der Müller hat es getan. Alles klar, Polizeiarbeit ist kein Solokonzert. Aber welche Equipe? Drei, vier Namen habe ich gestern bereits genannt. Weil Müller Benedikt nicht mehr = Grosses Polizeihaus Zürich, nicht mehr Bucher Manfred, Rosanna Vukic, Heather Brogli, Rocco Catanzaro, Janine Hossli, Dylan «Gucci» Barmettler, Gustav Weiermann, Aspirant Mauchle, nicht mehr Hauptmann «nenn mich Ralph» Vogt und Kommandant Oberst Roland Nägeli (beim Abschiedsapéro von ihm noch das Du angeboten bekommen und natürlich angenommen, weil nicht mehr von Belang. Den triffst du höchstens noch für drei Sekunden Shakehands am Rand einer offiziellen Veranstaltung des Polizeikorps inmitten von dreihundert anderen Polizeioffizieren), und der Müller ist fortan auch in Sicherheit vor den BAHNBRECHENDEN SUPERIDEEN von Kommunikationschef Gregor «unique selling point» Meier. Ciao, ciao, Zurigo. Questo è Basilea.
Eine Person im Müllerteam Basel haben Sie schon kennengelernt: Detektivwachtmeisterin Gülay Sermeter (34), der Name sagt es: aufgewachsen in Pratteln, zuerst Kantonspolizei Basel-Stadt, seit sechs Jahren beim Kriminalkommissariat. Auch sie befindet sich um 07:30 im Sitzungszimmer S 207 im Waaghof.
Sitzungszimmer? Erneut Sitzungszimmer? Besteht die Welt einzig aus Sitzungszimmern?
Morgenrapport. Kaffee und Mineral mit und ohne. Anwesend: Müller, Sermeter, Detektivkorporal Rolf Vetter (ergraut, nicht mehr sehr sportlich, gerötetes Gesicht; Lieblingsquizfrage: «Was ist schwarz und macht viel Freude?» - Antwort: «Der Baselstab.»), Detektivkorporal Markus Gormann (klein, dunkelhaarig, griechische Nase; Ostschweizer Dialekt, vermutlich Schaffhausen, kennt sich der Müller nicht so gut aus), Detektivin Romina Wäckerlin (gross, blond, schlank, kräftig, energisch; Lieblingsspruch: «So, jetzt machen wir Ordnung!»). In den nächsten Tagen soll ein Neuzugang namens Dominguez dazustossen, weil Detektivkorporal Imhof Eddy drei Monate vor seiner Pensionierung an einem Herzinfarkt gestorben ist. Und ebenfalls dabei Aspirantin Gloria Werner - Vetter singt halblaut: «Glo-ri-a! La-la-la-la-la-lalala», weil der italienische Text nicht ganz einfach zu memorieren ist - und Aspirant Xerxes Blaser. Die sind für einige Wochen zur Kriminalpolizei abgestellt.
Kaffee und Mineral. Immer Kaffee und Mineral. Einundzwanzig Jahre Polizei bedeuten für den Müller ungefähr fünftausendundvierzig Morgenrapporte mit insgesamt circa eintausendundacht Litern Kaffee oder Mineral.
Die Stühle sind in Basel weder mehr noch weniger bequem als in Zürich, vielleicht einen Tick weniger abgenutzt? Nein, doch nicht.
«Was haben wir?», fragt der Müller, weil er die Besprechung leitet.
«Ich fasse zusammen», sagt Sermeter. Aufs erste Wort hin beginnt Vetter mit den Augen zu rollen, hört aber auf, weil ihn dem Müller sein Auge barsch anschaut. «Wir waren bei den Eltern des Toten, Faidostrasse .»
Wäckerlin zu Sermeter, raunt dreiviertellaut: «Nun weisst auch du, wie's auf dem Bruderholz aussieht.»
Vetter, so halb zum Müller hin, will ihn ankumpeln: «Da kommt sie nicht oft hin.»
Gormann kommt nicht dazu, etwas zu sagen, denn der Müller guckt böse. Handbewegung Sermeter weiter: «Sie geben an, keine Ahnung zu haben, was vorgefallen sein könnte. Paul Flückiger war Schüler des Gymnasiums am Münsterplatz, und seine Eltern scheinen wenig über ihn gewusst zu haben. Sein Zimmer in der elterlichen Wohnung wirkte auf uns .», hier schaut sie kurz den Müller an, «eher unbelebt, als habe er höchstens gelegentlich im Elternhaus übernachtet, obwohl die Eltern sagten, er wohne bei ihnen. Vielleicht ist von Interesse, dass er einige politische Bücher im Regal stehen hatte: Noam Chomsky, Naomi Klein, Bücher über Che Guevara und von Karl Marx -»
«Ein Linker im Haus von Nationalrat Flückiger . ein marxistisches Reichensöhnchen! Das passt doch», wirft Romina Wäckerlin ein, zufrieden, weil alles zusammenpasst.
«Generation Anspruch ohne Leistung . die Jugend», murmelt Vetter.
Der Müller räuspert sich und wendet sich ihm zu: «Was hast du?»
Vetter wird sachlich. «Ich konnte erst einen Schulkameraden auftreiben, weil viele in den Ferien sind. Einen gewissen Kenneth Meyer, wohnhaft im Gellert. Laut diesem Meyer wohnte Flückiger junior nicht bei den Eltern, sondern irgendwo in einer WG. Er hat auf der Klassenliste nachgeschaut, dort ist Paul aber unter der Adresse der Eltern registriert. Von Meyer habe ich nun diese Klassenliste, kann also weitere Erkundigungen einziehen.»
«Ein Anfang», sagt der Müller und meint es positiv.
Und Gormann: «Über Freundinnen und Freunde des Toten habe ich bisher nichts in Erfahrung bringen können. Es sind keine Hinweise eingegangen. Bedaure, ich habe noch nichts vorzuweisen.»
Darauf nimmst du einen Schluck Wasser aus dem Becher oder nippst am Kaffee, sofern er noch nicht verdunstet ist, und verfluchst, dass du schon um 07:54 Uhr in der Frühe alle Fenster geschlossen halten musst, weil sonst die brutalheisse Sommerluft von der Binningerstrasse her hereindrückt und sich im Haus breitmacht. Unter den Achselhöhlen Schweissränder, als wäre der Roll-on noch nicht erfunden, die Wirbelsäule hinunter bis zum Steissbeinansatz ein salziges Rinnsal, Tropfen für Tropfen schmilzt auch dein Geist.
«Gut, danke», sagt der Müller, was nicht wirklich ein prickelndes Zitat ist, das ich zwingend in direkter Rede wiedergeben müsste. Müller gibt die Aufträge für den Tag: Vetter soll, falls sich die WG-Information bestätigt, Paul Flückigers genaue Adresse herausfinden, Gormann den Rektor des Münsterplatz-Gymnasiums und Lehrpersonen von Paul auftreiben, und Wäckerlin zieht der Müller von ihrer Idee der linken Brüder ab, damit kein Staub aufgewirbelt wird, bevor das nötig ist. Wäckerlin soll vielmehr mit der Liste, die Vetter besorgt hat, weitere Klassenkameradinnen und -kameraden des Toten aufsuchen und befragen.
Alle ab. Und der Müller, länger herauszögern lässt sich das nicht mehr, ruft von seinem Büro aus den Ersten Staatsanwalt zurück.
Es kommt, was kommen muss: Stickelberger will wissen, ob erste Erkenntnisse vorliegen, weil Ruedi Flückiger = Persönlichkeit des öffentlichen Lebens und grosses Interesse auch der Medien. Der Müller merkt die Schärfe im Ton und das Begehr, sagt aber unbeeindruckt und mit einer frechen Freundlichkeit: «Wir stehen am Anfang unserer Untersuchung, wissen noch nicht einmal den Todeszeitpunkt präzise, ich komme gerade aus der Einsatzbesprechung, wir arbeiten mit Hochdruck, klären zurzeit den Hintergrund des Opfers ab, vielen Dank für Ihr Interesse, Herr Stickelberger, ich melde mich, sobald wir mehr wissen.»
«Gerne, Kollege Müller, gerne. Sie wissen, dass Ihnen aus Zürich ein hervorragender Ruf in unsere Stadt vorausgeeilt ist.»
«Danke, Herr Stickelberger, danke, das freut mich sehr», sagt der Müller in den Hörer und legt auf.
Sic transit dies. Müller und Sermeter klemmen sich hinter den Computer. Datenbanken, Recherche zu Paul Flückiger und seiner Familie. Strafregistereinträge? Nein. Weder von Paul noch von seinen Eltern. Polizeidatenbankeinträge? Nichts. Irgendwelche Vorgänge, die aktenkundig geworden sind, ohne dass eine Voruntersuchung hätte eingeleitet werden müssen? Nein. Zu Paul Flückiger im Internet praktisch niente: Einmal muss er an einer Schülertheater-Aufführung die Lichttechnik besorgt haben, noch länger zurück einen Artikel für die Lagerzeitung der Pfadfinder verfasst. Sonst findet Sermeter nichts. Obwohl Paul per Jahrgang = digital native. Da denkst du dir deinen Teil: seltsame und verdächtige Internetabstinenz? Muss nicht sein, weil dort vielleicht unter einem erfundenen Benutzernamen aktiv? Vielleicht schrieb er keine Kommentare, veröffentlichte keine Beiträge, hatte nirgends ein Profil unter seinem Klarnamen. Oder hielt er sich aus ideologischer Feindschaft gegen IT-Konzerne und Datenkraken vom WWW fern? Subversion durch Bleiben in der analogen Welt?
Ganz anders, stellt der Müller fest, die Informationslage über Pauls Vater. Da scheint fast jede Zwetschge, die er im Lauf seines Curriculum Vitae verspeist hat, dokumentiert: Ruedi Flückiger (54), lic. iur. (Zürich) und LL.M. (Harvard), MBA (HSG), Partner der Kanzlei «Bucheli, Büchi & Bucher Law» in der Aeschenvorstadt, Dozent im Masterprogramm «International and Monetary Economics» an der Universität Bern und nicht zuletzt eines von zweihundert Mitgliedern des Nationalrats in Bern, dort Mitglied der Kommission für Rechtsfragen (RK) und der Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK), privat unter anderem Kunstliebhaber, Präsident des Süffisanz-Netzwerks Schweiz, Fasnächtler, Mitglied der Zunft , Gönner des Fussballclubs, der seit 1893 jedes Jahr die Meisterschaft gewinnt . Da unterbrechen wir, weil dem Müller raucht der Kopf, und er schlägt Sermeter vor, eine Kaffeepause einzulegen.
Nicht dass Sie denken, Müller Benedikt hat die Equipe in die Sauhitze rausgeschickt und macht sich selbst einen klimatisierten Tag. Das Müllerbüro ist aufgeheizt wie . Wie was...
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