Schweitzer Fachinformationen
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Vorbereitungshandlungen.
Ein graues Auto fährt an den rechten Rand der Rue Barbanègre in F-68330 Huningue, gleich hinter dem Novartis-Campus jenseits der Landesgrenze. Mittelklassewagen, besonderes Kennzeichen: Blechschaden vorne rechts, sichtbar angerostet. Der Motor erstirbt. Ein Mann und eine Frau steigen aus, schliessen klopp! die Autotüren, Blick nach links, Blick nach rechts. Sie verschwinden in einem Haus. Mietshaus, drei Stockwerke, der Glaseinsatz der Eingangstür zersplittert und mit Klebeband geflickt.
Als er die beiden eintreffen sieht, entfernt sich in der dritten Etage ein grosser Blonder sofort vom Fenster. Als sie die Treppe hochkommen und ohne anzuklopfen in die Wohnung treten, zischt er sie an: «Nicht direkt vor das Haus! Stellt das Auto anderswo ab.»
Es ist Donnerstag, der 25. November.
Der Autolenker, er trägt eine gefütterte dunkelblaue Jacke, macht wortlos rechtsumkehrt und verschwindet im Treppenhaus. Die junge Frau bleibt in der Wohnung und begrüsst eine weitere Frau ihres Alters, die vor wenigen Minuten eingetroffen ist.
***
4102 Binningen. Hauptstrasse. Älteres Mietshaus. Wohnung im zweiten Stock. Sitzgruppe im Wohnzimmer. Welke Topfpflanze. Drinks in Dosen. Drei junge Männer.
«Wir sind also zu fünft», sagt der junge Mann mit dem Bart.
«Ja, Sven», sagt Jack, ein kleiner Blonder, der seinen Mangel an Vertikalwachstum proteinpräparatgestützt durch erhöhte Muskelmasse ausgleicht, und er wiederholt: «Wir sind zu fünft.»
«Gut», sagt Sven, «und nun zur konkreten Planung. Euch zeige ich das zuerst.» Er zieht einen Stadtplan hervor, auf dem mehrere Objekte eingekreist sind. «Unser Schwerpunkt ist der am Marktplatz», sagt er. «Ich lasse mir das aber nochmals durch den Kopf gehen. Vielleicht, äh, nehmen wir noch den dazu .»
Jack Stojkovic mault: «Ach, Sven, also so richtig fett sind doch die ver Bijouterien, die ver Uhrengeschäfte. Es wäre besser, wenn wir -»
«Fang nicht wieder damit an», pfeift ihn Sven Haueter an, «du siehst zu viel fern. Wir haben das längst besprochen, Mann. Am Grundkonzept ändern wir nichts mehr, verstanden?»
Jack schneidet eine Grimasse, doch er lenkt ein. «Okay . ich meine ja nur .»
Sven klopft auf den Stadtplan, den er auf den Beistelltisch gelegt hat. Im Hintergrund läuft ohne Ton der Fernseher, ein Film mit Waffen und Explosionen, für den sich in diesem Moment keiner interessiert.
«Noch einmal von vorn: Wir definieren jetzt unsere Zielobjekte im Detail.»
Grundkonzept, definieren, Zielobjekte . woher Sven nur diese Wörter hat, fragt sich Jack, während jener weiterspricht: «Und dann legen wir unseren Modus operandi fest. Damit jeder von uns weiss, was er zu tun hat. Moritz und Carlos helfen beim Tragen. Die sollten auch gleich hier sein.»
Modus operandi, hey! Jack nickt.
«Und wenn wir drei das festgelegt haben, wiederholt jeder, was er zu tun hat. Damit jeder weiss, was sein Job ist. Klar?»
Beim Wort «Job» überkommt Sven ein wohliger Schauer. Hätte er sogar «Auftrag» sagen können oder - wow! - «Mission»?
Jack wiederholt: «Damit jeder weiss, was sein Job ist.»
Und Ramon Füglistaller, der Dritte, der bis dahin kein Wort gesagt hat und vor allem durch seinen Unterbiss und seine Undercut-Frisur auffällt, sagt: «Ja, Sven, so machen wir's. Aber zu lange darf das nicht dauern. Nachher will ich mit Natasha eine Runde durch die Läden drehen, gell. Sie mag Shopping.»
Er erntet zwei mitleidige Blicke.
Da klingelt es an der Tür. Sie reagieren nicht. Sven, der Hausherr, hält den Zeigefinger vor den Mund, zeigt in Richtung Wohnungstür und schneidet eine Grimasse.
Jack formt mit den Lippen lautlos das Wort «Bullen», und seine geweiteten Augen bilden dazu ein Fragezeichen.
Sven schüttelt den Kopf. Nach einigen Sekunden Stille sagt er leise: «Vermutlich die Nachbarin. Sicher ist heute wieder ihr Waschtag. Und sie stört sich garantiert an meiner Wäsche in der Maschine. Die anderen zwei kommen erst .», er schaut auf sein Handy, «. in einer Viertelstunde oder so.»
Aus dem dunkelroten Kunstledersofa in Rachids Wohnung in der Rue Barbanègre schaut die Füllung raus. Mario Schneider zupft an dem weissen Zeug und fragt sich, was das für ein Material sein könnte. Brennt so was?
«Mach Rachids Sofa nicht noch mehr kaputt», sagt Azra und lacht.
Er stopft das Zeug ins Loch zurück und langt nach der Kaffeetasse. Alle sind versammelt: Mario und Azra, Rachid und Marylou. Sie haben Zeit. Marylou Démare arbeitet erst abends, als Kellnerin im Café an der Place Abbatucci, Rachid Belloumi als Kurier auf Abruf wahrscheinlich erst übermorgen wieder, wenn nichts dazwischenkommt. Azra Kurt in einem Callcenter, wo sie drei Tage die Woche Versicherungen verkauft, Krankenkassenpolicen, Hausrat, Haftpflicht, Auto. Mario hat noch mehr Zeit, weil er keine Arbeit hat.
Und wer Zeit hat, hat Ideen.
Wer nichts zu tun hat, hat noch mehr Ideen.
Und wer kein Geld und viel Zeit hat, dem kommen Ideen, damit er etwas zu tun hat, das vielleicht Geld bringt. Vermutlich Geld bringt, höchstwahrscheinlich welches bringt. Sicher welches bringen sollte. Geld.
Es ist nicht einfach, selbst mit einem Bac im Lebenslauf. Fast alle haben eines. Aber das bringt nichts, weil es kaum Jobs gibt. Und nach der Schule ist man nicht immer so zielstrebig unterwegs, dass man eine Stelle in einer guten Firma fände. Und «gute Firmen» gibt es hier im hintersten Winkel von Frankreich eh nur wenige.
Drei der vier, die sich in Rachids kleiner Wohnung in der Rue Barbanègre versammelt haben, weil irgendwer von ihnen, genau lässt sich das nicht mehr eruieren, diese Idee für morgen hatte, kennen sich seit der Schule. Nur Mario ist nicht in der Gegend aufgewachsen, er kam eines Tages aus Mulhouse. Er hatte diese Stelle im «Match», dem Supermarkt an der Rue de Saint Louis, bis dort über Wochen immer wieder Kisten mit Alkoholika und mit Meeresfrüchten verschwanden. Er hatte damit, beteuerte er, nichts zu tun. Sein Chef sah das anders, stellte ihn zur Rede . nun ja, Mario hat ihn . ja, beschimpft und ihm böse Augen gemacht, sodass der Chef Angst vor ihm bekam und ihn feuerte. Fristlos.
Jetzt sitzt Mario auf Rachids durchgesessenem Sofa neben Azra, die er eben an jenem Tag kennengelernt hat, als er diese verfluchte Arbeit verlor.
«Du fährst also den Wagen», sagt Mario zu Rachid, «ist dir klar, wie du fahren musst?»
«Klar», sagt Rachid, «das kriegen wir hin.»
Polizeiarbeit.
Die Kollegen von der SBB-Transportpolizei haben vier Jugendliche festgenommen. Die Sicherheitspolizei bringt sie in den Waaghof. Die vier haben einen Zug verwüstet und das Bahnpersonal angepöbelt. Sie brauchen Wörter, die wollen Sie nicht hören. Sie sind aggressiv und aufgebracht. Im Vernehmungsraum S 311 versucht sie der Müller mit dem Kollegen einzeln nacheinander zu befragen. Er denkt: Saufen und Kiffen tun keinem gut. Ach, Welt, geht es ihm durch den Kopf, als er sie ansieht. Sechzehn, siebzehn, achtzehn sind sie, liest er in ihren Ausweisen, ihr Ton ist rüde, sie sind geladen, als wären sie elektrisch. Eine Aussage? Verweigern sie. Nach wenigen Minuten schickt sie der Müller zur Abkühlung in die Zelle. Damit sie Heimweh bekommen nach was auch immer; Fernweh, wohin auch immer; und hoffentlich den Koller. Eine, zwei Stunden hinter der abgeschlossenen Zellentür. Durch den Stahl hindurch hören sie ab und zu Schritte im Korridor. In der Wand knackt das Rohr der Heisswasserleitung. Sonst herrscht Stille. Der Geruch aus Reinigungsmitteln, Schweiss und Langeweile wird sie zur Besinnung bringen.
Hofft Müller Benedikt, der Kriminalkommissär. Weil er hofft noch. Trotz eines Vierteljahrhunderts Polizeidienst zuerst in Zürich und seit einiger Zeit in Basel glaubt er manchmal daran, dass der Mensch nicht das miserable Wesen ist, als das er in Erscheinung tritt. Falsch, ich korrigiere: nicht alle Menschen, sondern einige. Und die kann der Müller nicht einfach auf den Mond schiessen. Einfach ausblenden kann er diese sechzehn-, siebzehn-, achtzehnjährigen Rüpel und all die anderen, die schwereren Delinquenten allerdings auch nicht. Weil Strafgesetzbuch, berufliche Pflichten und gesellschaftliches Interesse. Ja, gesellschaftliches Interesse: Dem Müller ist die Welt nicht egal. Allen Polizistinnen und Polizisten darf sie nicht egal sein. Sonst hätten sie einen anderen Beruf ergreifen müssen. Denn lustig ist es selten, ein Bulle zu sein. Du erlebst zu viel. Und du wirst von manchen Leuten beschimpft, angegriffen, verachtet. Doch wenn denselben Personen etwas widerfährt, erwarten sie selbstverständlich, dass du wie der Blitz vor Ort bist und dich für sie einsetzt.
Ach, Welt, denkt der Müller in seinem Einzelbüro im Waaghof.
Im Korridor hört er Freddy Dominguez und Romina Wäckerlin sprechen. Über einen Fall, den sie gerade abgeschlossen haben. Häusliche Gewalt. Ein Akademiker, der seine Lebenspartnerin verprügelt und nachher behauptet hat, sie sei die Treppe hinuntergefallen. Wer's glaubt, ehrlich, so dumm dürfte keiner sein zu denken, er käme mit so einer Geschichte durch. Denn - Plausibilitätskontrolle - wie oft haben Sie im realen Leben erfahren, dass jemand tatsächlich eine Treppe...
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