Schweitzer Fachinformationen
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DREI
Arnold Stojanovic ist heute einige Minuten später dran als gestern. Die Ampel bei der Grimselstrasse ewig auf Rot. Freitag, 31. März, 23:40 Uhr, lässt sich anhand der kontrollierten Posten eindeutig bestimmen, betritt er das Geschäftshaus Badenerstrasse mit der 670er Nummer. Eingangstür aufgeschlossen, Türe Parterre rechts unbeschädigt und verriegelt, drückst du immer die Türklinke hinunter, um das zu überprüfen, auf halber Treppe Fenster zum Hinterhof heute geschlossen. Die Stufen hoch: erster Stock - okay, zweiter Stock - i. O., dritter Stock: Türe verschlossen, keine Einbruchsspuren, gut. Kontrollierst du konsequent, siehst du sofort, wenn etwas wäre. Es stinkt, stellt er fest, wirklich, noch unerträglicher als gestern, hältst du nicht aus, riecht wie ein Dachs, überfahren im Hochsommer auf einer Landstrasse und gärt vor sich hin, die Haut schon prall und darunter . willst du gar nichts davon wissen. Auch wenn du das noch nie bewusst gerochen hast, kennst du den Geruch. Anthropologisch steckt das mindestens seit Jupiters Jugend im Gedächtnis des Menschen drin.
Arnold Stojanovic macht questa notte nicht auf dem Treppenabsatz kehrt, sondern steigt nach oben. Halbe Treppe höher: Der Geruch wird stärker. Nach nächster halber Treppe, er sieht die Tür, dunkelrot. Jetzt erreicht er den vierten Stock. Die Tür steht einen Spalt offen. Von da kommt der Geruch.
In der Nase hast du es jetzt, aber sehen willst du das nicht als Nachtwächter und Mensch. Du willst einfach deine Runden drehen, von 19:00 bis 05:00 Uhr, einsam, aber problemlos Türen kontrollieren, Lichter löschen, Fenster schliessen, Fenster schliessen, die Leute rennen bei Feierabend wie die Hühner einfach vom Arbeitsplatz weg, in dunkle Räume spähen, wo Geräusche sind, die du nicht kennst, Motoren, Lüftungen, elektronische, ein Piepsen, was rattert da ganz leise, dort mit mondsüchtigem Programmierer schwatzen, an einem Automaten auf die Kaffeetaste drücken und zusehen, wie der Becher unten rausploppt und gefüllt wird, während es zu duften beginnt. Du willst mal einen Igel sehen, der die Buckhauserstrasse überquert, ohne überfahren zu werden, manchmal glänzen gelb die Augen eines Fuchses, und Monat für Monat den kleinen Lohn auf dem Konto haben.
Eine warme, menschenleere Märznacht ist fast paradiesähnlich. Normalerweise.
Jetzt ruft Arnold die 117. «Ja, es stinkt im ganzen Treppenhaus, und im vierten Stock steht die Tür einige Zentimeter offen . Nein, ich bin nicht . da gehe ich nicht rein . Ja, ich bleibe vor Ort. Wie lange wird das dauern? Gut, ich warte.»
Kein Verkehr Vier Minuten haben wir vom Grossen Polizeihaus her gebraucht. Der Müller, Bucher Manfred, Heather Brogli, Rocco Catanzaro plus Erwin Hofstetter und Ernst Kuhn als Vorausabteilung vom Wissenschaftlichen Dienst. (Wir sagen «WD».) Drei Aspiranten unter Führung von Mauchle sichern das Treppenhaus, damit niemand in den Tatort hineintrampelt.
Weil Tatort ist es. Nicht die Fernsehsendung mit dem Hashtag, sondern ein veritabler, also wirklich existent. Sie streichen sich Menthol unter die Nase. Der Müller, Bucher Manfred, Heather Brogli und Rocco Catanzaro in dieser Reihenfolge durch die dunkelrote Tür hindurch in die Dunkelheit des Raumes, jeder in der Hand die Waffe, lautlos, versuchen sie, aber sogar die Gummisohlen hallen wie der Bagger im Steinbruch. Logisch, das ist psychisch im Menschen drin. In den Ohren pocht das Blut, in der Brust das Herz, die Luft weckt Würgereiz. Ich wünsche Ihnen, nie diesen Cocktail . einatmen zu müssen. Totale Stille, ausser die Gummisohlen, und das Herz rattert wie die Harley des Rockers Blacky, sonst kein Geräusch in der Wohnung. Nein? Null, keines. Und der Müller die Waffe in der Hand, du weisst nie, was dich drin erwartet, wenn du eine Wohnung betrittst: beisslustige Kobra? Schiesswütiger Wahnsinniger? Eine Sprengfalle? Häusliche Tragödie? Ein Blutrausch? Extremisten? Das Opfer eines okkulten Kults? Kein Laut, nichts, das Haus schweigt, es ist wie tot.
Nein, hier lebt keiner mehr. Kein Mensch, meine ich. Am Boden Parkett. An der Wand im Entrée eine Garderobe, siehst du im Zwielichtstrahl vom Treppenhaus her, die mit den farbigen Kugeln in Pingpongballgrösse. Über einer der Kugeln eine Lederjacke, die anderen ragen nutzlos in die Luft. Augen noch nicht gewohnt an das Fehlen von Licht Bucher Manfred knallt mit dem Fuss gegen eine leere Schachtel, dass die Dunkelheit noch lauter explodiert. Einfrieren! Dastehen wie eingefroren! Der Schachtelknall (Aktion) hat jedoch keine Wirkung (Reaktion). Noch immer leicht geduckt und sprungbereit, in der Rechten die Waffe, Combat-Stellung, ein Nicken vom Müller, mit Handschuhen macht Bucher Manfred hinter ihm das Licht an, auch er weiterhin in Schussbereitschaft. Fiat lux: Der Lichtschalter knackt.
Helligkeit!
Erkennst du: Maisonnette-Wohnung. Links eine offene Küche. Auch links: eine Tür: Bad? Zimmer? Der Hauptraum wie eine Halle, Fensterfront zum Hinterhof. Hinten rechts führt eine Metallwendeltreppe hoch, wohl in den ausgebauten Dachstock. Hier im vierten: fast nichts. Nur ein schwarzes Ledersofa, das teuer gewesen sein muss, als es vom Band gelaufen ist, dunkel mitten im Raum, die Rücklehne der Wohnungstür zugewandt. Die Wände der Wohnung weiss: kahl, Bilder keine. Nirgends Pflanzen keine, ein weisser Schrank. Rechts hast du noch immer die Waffe, mit der Linken (Achtung: Spurenverunklärung! Aber: Gefahr im Verzug?) öffnest du die Schranktür: Kleider drin, gefaltet, ganz unten zweimal Cowboy- und Bikerstiefel. Nichts rührt sich. Der Geruch. Wo kommt er her? Enfer et damnation! Zum Sofa hin wird sie stärker, die Pestilenz. Von da . kommt, kommt der, kommt der Verwesungsgestank, unübersehbar. Er ist überall, aber eine Quelle hat jeder Duft, weiss neben der Gastronomie auch die Kriminalistik.
Jetzt schaut der Müller über die Lehne des Sofas.
Würgt.
Er ist aufgetrieben und schwarz verfärbt, wie um sich auf dem Sofa zu tarnen. Das richten die Chemie und das Biotop im Körper an. Die Organismen, wo gedeihen, wenn der Kreislauf des Lebens für den einen endet und für die Milliarden von Kleinen weitergeht oder beginnt, bis schliesslich nur noch das Skelett übrig ist, aber hier natürlich früheres Stadium. Die Kleider spannen sich über dem Körper: schwarze Jeans, rotes T-Shirt mit Aufschrift «If you like piña coladas», Cowboystiefel, schwarze Lederhandschuhe mit Nieten. Du siehst gleich: Der Rigor mortis hat ihn längst wieder verlassen.
Vom WD trifft jetzt der Rest des Teams ein: vier Kriminaltechniker. Fehlt noch der Pathologe.
Obwohl mir das gerade einfällt, erzähle ich an dieser Stelle nicht von der Leiche, die die Polizei Zürich vor drei, vier Jahren in einem Haus im Kreis 7 gefunden hat. Villa, verwitweter Senior, Juli war's und heiss wie Frittieröl, und als wir ihn nach dem Ausmessen, Fotografieren, Abpinseln und alles, als wir ihn auf die Bahre legen und ins Pathologische Institut von Dr. Brenda Marquardt bringen wollten. Wir versuchten ihn gerade hochzuhieven, Weiermann am rechten Arm, Rocco am linken, Badertscher (jetzt bei der Flughafenpolizei) das rechte Bein und Aspirant Bader, der im Streifenwagen gerufen hat «Let's go, rodeo» und seit Längerem nicht mehr bei uns ist, das linke, da ist uns die Leiche . sagen wir's direkt: Es hat gespritzt bis an die Modigliani-Sammlung an der Wand. Haftpflichtfall und Scheissereien bis hoch zu Kommandant Nägeli. So viel Gas und Maden waren schon drin. Da kommt's dir natürlich auch hoch Die Perser auf dem Boden, antik natürlich. Zweiter Aspekt des Rechtsstreits mit der Erbengemeinschaft.
Wir hätten es also schlimmer treffen können als heute, in dieser Nacht an der Badenerstrasse 67X. Das Menthol auf der Oberlippe hilft ein wenig. Heute ist's ausser dem Geruch nicht gar so arg wie damals im Kreis 7, weil er detoniert nicht, der Aufgefundene. Freude macht's trotzdem nicht, sagt das Understatement. Du versuchst das mit Routine zu erledigen, den professionellen Firewall um dich hochgefahren, die mentale Splitterschutzweste, damit es dir nichts ausmacht. Aber es macht dir was aus. Zum Glück bist du nicht allein. Und wenn du's gar nicht verkraftest, übergeben müssen sich manchmal auch erfahrene Leute, hinterher kannst du dich mit den Kollegen besprechen.
Jetzt bloss nicht Spuren vernichten, indem alle planlos und dumm und leichtsinnig. Sichern musst du den Ort, falls irgendwo einer lauert oder ist. Also, die Polizeikräfte sofort in klar definierten Korridoren durch den Raum vorgestossen, nach hinten, nach rechts, links durch die Tür in das Zimmer (ein Arbeitszimmer) neben dem grossen Raum mit der Leiche reingeschaut: niemand. Dann Bucher Manfred und Rocco schnell über die Metalltreppe ins Dachgeschoss hoch. Heikel, weil wenn du hochsteigst, und oben wartet einer mit böser Absicht, dein Kopf erscheint wie ein roter Ballon in der Schiessbude auf der Chilbi «Bang bang, bye bye» (Rupert «Love» Cartwright).
Entwarnung. Ganz oben keine Person. Hier unten nur der Tote auf dem Sofa. Masculini generis, weil a) Bekleidung, b) Haarschnitt erkennbar, c) bei Toten wächst der Bart nach dem Exitus einige Tage weiter. Der Müller weiss, dass das sein neuer Fall ist.
Neben den Umständen, die zum Tod geführt haben, willst du bei einer Ermittlung wissen, auf welchen Namen der Leichnam hört. Am Klingelschild vor der dunkelroten Tür steht «F. Y.». Ob das Opfer in vino veritas so heisst, wissen wir nicht. Und vor allem: Wer...
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