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Simone de Beauvoir wurde am 9. Januar 1908 in Paris, Boulevard Montparnasse geboren. Ihre Eltern, Georges und Françoise de Beauvoir, hatten erst ein Jahr zuvor geheiratet. Sie waren gutsituiert und glücklich; ihre Mutter war heiter und stolz darauf, ein erstes Kind zur Welt gebracht zu haben. Sie unterhielt zu mir zärtliche, liebevolle Beziehungen. Eine zahlreiche Verwandtschaft drängte sich um meine Wiege. Ich nahm die Welt vertrauensvoll in mich auf. Später, in ihren Lebenserinnerungen und in Interviews, betonte Simone de Beauvoir immer wieder, wie entscheidend das Gefühl von Sicherheit, Wärme und persönlicher Wichtigkeit, das man ihr in der Kindheit vermittelt hatte, für ihre weitere Entwicklung wurde. Rückblickend glaubte sie auch, dass die lächelnde Nachsicht, mit der man den Launen des kleinen Mädchens begegnet sei, den Anspruch, den ich von Anfang an erhob und den ich nie aufgegeben habe, wesentlich gefördert habe, den Anspruch, stets bis zum Äußersten für meine Wünsche, Weigerungen, Handlungen und Ideen zu kämpfen. Man fordert nur, wenn man darauf rechnet, von den anderen und von sich selbst zu erlangen, was man gefordert hat: nur durch Fordern aber erreicht man es. Ich blicke dankbar auf meine ersten Jahre zurück, weil sie mir diese extreme Veranlagung aufgeprägt haben.
Obwohl der Vater, ein Jurist, das Adelsprädikat «de» führte und sich in seinem Geschmack und seinen dilettantischen Neigungen eher zur Aristokratie hingezogen fühlte als zum Bürgertum, dessen Fleiß und Trockenheit er verachtete, dessen Konventionen er aber vollkommen akzeptierte, gehörte die Familie Beauvoir dem Vermögen, den Beziehungen und dem allgemeinen Lebensstil nach zur französischen Bourgeoisie, derjenigen Klasse also, die die erwachsene Simone, wie so viele französische Intellektuelle gleicher Herkunft, unbarmherzig bekämpfte. Nach dem Ersten Weltkrieg, durch den der Vater einen Großteil seines in russischen Aktien angelegten Vermögens verlor (die Mitgift der Mutter hatte schon deren Vater verspekuliert), wurden die Beauvoirs allerdings zu neuen Armen und lebten seit Simones elftem Lebensjahr in beschränkten Umständen, jedoch keineswegs in wirklicher Armut. Man zog in eine bescheidenere Wohnung, Rue de Rennes, die Mutter behalf sich ohne Mädchen - und litt sehr unter der Last der Hausarbeit -, überall und an allem wurde gespart. Für Simone waren die materiellen Veränderungen manchmal unangenehm - so wünschte sie sich zum Beispiel glühend ein eigenes Zimmer -, aber nicht so einschneidend, dass sie ihre innere Sicherheit erschüttert hätten. Die bürgerlichen Konventionen, die Vater und Mutter trotz aller Verschiedenheiten fest verbanden, wurden im Kreis und unter den Augen einer weitläufigen Verwandtschaft und vieler Bekannter aufrechterhalten und eifrig gepflegt. Sie garantierten der kleinen Simone ein geordnetes Leben und der Heranwachsenden einen leicht identifizierbaren Gegner.
Von entscheidender Bedeutung war es für sie, dass Geldknappheit ihre Eltern veranlasste, größeren Wert zu legen auf kulturelle Werte als auf Ausgaben, die nur dem äußeren Ansehen dienten . Als Hauptunterhaltung boten meine Eltern mir Lektüre, ein Vergnügen, das nicht sehr kostspielig war. Sie entwickelte jene leidenschaftliche Liebe für Bücher, für Ideen, für Kultur im Allgemeinen, die ihr ganzes weiteres Leben bestimmte. Gleichzeitig lernte sie, mehr als ihre Eltern es letzten Endes wünschten, äußerem Ansehen wenig Wichtigkeit beizumessen. Der Glanz, die Üppigkeit und später der Konsum, den ihr das wohlhabende Bürgertum und die mondäne Welt entgegenhielten, stießen bei ihr stets auf verächtliche Ablehnung. Im Grunde blieb Simone de Beauvoir den einfachen, strengen Lebensgewohnheiten, die sie als Kind annehmen musste, aber auch wollte, treu. Fleißige Arbeit und hauptsächlich geistige Freuden erfüllten ihre Tage.
So tief Simone de Beauvoir dem besonderen bürgerlichen Milieu ihrer Kindheit - selbst noch in der Revolte - verbunden blieb, so fest verwurzelt war sie auch geographisch: Die ersten zwanzig Jahre meines Lebens habe ich in einem großen Dorf zugebracht, das sich vom Löwen von Belfort bis zur Rue Jacob, vom Boulevard Saint-Germain bis zum Boulevard Raspail erstreckte, dort wohne ich noch heute, schreibt sie in den frühen sechziger Jahren. Sie war mit Leib und Seele nicht einfach Pariserin, sondern «Ureinwohnerin» jener Viertel, Montparnasse und St. Germain-des-Prés, die im Laufe ihres späteren Lebens als Künstler- und Intellektuellenviertel berühmt wurden, in denen aber ursprünglich und weiterhin auch das Bürgertum zu Hause war. Simone de Beauvoirs Memoiren sind unter anderem eine lebendige, wenn auch natürlich nicht vollständige Chronik des Lebens und Treibens ihres für die kulturelle Geographie des 20. Jahrhunderts so bedeutsamen «Heimatdorfes». Simone kannte diese Viertel wie kein anderer. Als Kind war sie zu Besuchen in den Bürgerhäusern, zur Andacht in den Kirchen, zum Spielen in den Parks. Sie ging hier zur Schule und auf die Universität. Als Studentin lernte sie die Cafés, Bars, Restaurants und Nachtlokale kennen. Als unabhängige Frau lebte sie in vielen der zahlreichen kleinen Hotels. Von hier aus und immer wieder hierher zurückkehrend erkundete sie den Rest von Paris und die übrige Welt.
Das Kind Simone liebte das Stadtleben, seine Pflichten und Unterhaltungen. In Paris, erzählt sie, hungerte ich nach menschlicher Gegenwart. Am Nachmittag blieb ich lange auf dem Eßzimmerbalkon in Höhe der Wipfel sitzen, die dem Boulevard Raspail ihren Schatten spendeten, und sah den Vorübergehenden nach . Ihre Gesichter, ihre Gestalten, der Ton ihrer Stimmen fesselten mich. Auch später, nun von ihrem Cafétisch aus, beobachtete Simone de Beauvoir gern den Trubel der anonymen oder ihr nur vom Sehen bekannten Menschen um sie her. Er faszinierte sie stets von Neuem, denn, so meinte sie: Die Wahrheit einer Stadt liegt in ihren Bewohnern.
Auf dem Lande dagegen machte es mir wenig aus, zu einem Einsiedlerdasein gezwungen zu sein: die Natur war mir mehr als genug. Die Familie Beauvoir hielt sich, wie das in ihren Gesellschaftskreisen üblich war, jeden Sommer auf dem Lande auf, im Limousin, in Meyrignac, dem Gut des Großvaters väterlicherseits, und in La Grillère, dem Schloss, auf dem die Schwester des Vaters geheiratet hatte. Hier genoss Simone, die in Paris ein streng reglementiertes Leben führte, die Freiheit, selbst über ihre Tage verfügen und sie fern vom abgesperrten Raum und der verknöcherten Zeit der Erwachsenen in der Natur verbringen zu können. Die Natur enthüllte mir in sichtbarer und greifbarer Gestalt eine Menge von Formen des Lebens, denen ich sonst nie näher gekommen wäre. Sie lehrte Simone auch zu schauen: Meine Ferien bewahrten mich davor, die Freuden der Betrachtung mit Langeweile zu verwechseln. In Paris, in den Museen, kam es vor, daß ich mich selbst betrog; aber ich kannte doch den Unterschied zwischen erzwungener Bewunderung und aufrichtiger Ergriffenheit. Ich lernte auch, daß man, um in das Geheimnis der Dinge einzudringen, sich ihnen zuvor hingeben muß . Um . ein Eckchen der Landschaft mir wirklich zu eigen zu machen, streifte ich Tag für Tag durch die Hohlwege hin und stand stundenlang unbeweglich am Fuße eines Baumes: dann rührte wirklich jede Schwingung der Luft, jede Nuance des Herbstes mich an. Ihr ganzes Leben sollte Simone de Beauvoir diesen Hang zum Herumwandern und zum aktiven, besitzergreifenden Schauen, den sie als Kind auf dem Lande entwickelt hatte, beibehalten und nähren. Der Rhythmus der Kindheit, das Hin und Her zwischen der festgefügten, klar überschaubaren Existenz in der vollkommen vertrauten Großstadt und den Entdeckungs-, ja Eroberungsreisen in andere Welten, wurde zum bestimmenden Rhythmus ihres gesamten Daseins.
Simone und ihre um zwei Jahre jüngere Schwester Hélène (Poupette genannt) erhielten eine streng katholische Erziehung. Ihre Mutter, eine Bankierstochter aus der Provinz, war im Kloster geformt worden und tief religiös. Der Vater, selbst Agnostiker, fand es ganz richtig, dass die Mädchen seiner Frau folgten. Früh schon lernte Simone trennen zwischen dem seelischen Bereich, in dem Gott und ihre Mutter zu Hause waren, und dem geistigen, den ihr wegen seiner Brillanz bewunderter Vater mit seinen weltlichen Interessen - Literatur und Politik - vertrat. Da sie als Kind zu beiden Sphären gehören wollte, beobachtete sie zwischen den unverbunden nebeneinanderstehenden Werten eines gläubigen und eines ungläubigen Elternteils einen Gegensatz, der niemanden zu stören schien, sie jedoch schließlich, wie sie meint, zur Auflehnung treiben mußte. Er erklärt in ihren Augen zum großen Teil, daß eine Intellektuelle aus mir geworden ist. Die für ihre Zeit und Gesellschaft ganz normale, in ihrer Familie und für sie jedoch besonders augenfällige Unterscheidung zwischen einer weiblichen und männlichen Welt beeinflusste aber auch, wie wir noch sehen werden, Simone de Beauvoirs Haltung in allen Fragen der Frau entscheidend.
Als kleines Mädchen fühlte sich Simone bei der Mutter und bei Gott noch sicher und geborgen: Sobald ich gehen konnte hatte Mama mich in die Kirche mitgenommen; sie hatte mir, in Wachs, aus Gips geformt, an die Wände gemalt, die Bilder des...
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