Schweitzer Fachinformationen
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Der Herbst - war ich froh, durch entlaubte Bäume zu spähen? Ich stand am Fenster im zweiten Stock, mal schaute ich hinab auf die herabgewehten Zweige auf der Straße, mal drehte ich mich um und ließ den Blick ruhen auf dem verdreckten Teppichboden, der Teleskoplampe mit den verbogenen Blechbeinen, den ordentlich gestapelten Pullovern in der großen durchsichtigen Stofftasche und dem Haufen von Turnschuhen in einer Ecke des Raumes, in der ich mich höchstens eine Viertelstunde aufhielt, immer dann, wenn ich hinuntersah: auf den Mann, der umständlich herausstieg aus seinem Alfa Romeo und sein Auto mit einer Lenkradkralle sicherte, die Passanten musterte, weil er ihnen nicht traute, und sein Mißtrauen brachte ihn manchmal dazu, in der Bäckerei schräg gegenüber Kaffee zu trinken, um endlich den Mann zu fassen, der es auf seinen teuren Wagen abgesehen hatte. Jetzt aber wich er von seiner Gewohnheit ab, er ging schnellen Schrittes und mit gezücktem Schlüssel zur Haustür, seine Frau im vierten Stock hatte bestimmt auf Vorrat einen Schluck aus der Wodkaflasche im Kühlschrank getrunken, und ich hörte ihren Mann langsam die Treppen hochkommen.
Ich war also wieder zurück. War ich froh über den Unrat, der mich umgab? Ich kam mir vor wie ein Hund, der an den Rockschößen fremder Menschen schnüffelt, auch mein Schlafzimmer war nichts weiter als ein Aufenthaltsort für die Stunden des Schlafes, die japanische Matratze lehnte eingerollt an der Wand, auf den Fernseher und die niedrigen Bücherregale hatte sich dicker Staub gelegt. Ich berührte die Buchrücken, ich berührte das kalte Glas der Lavalampe, in die sie, meine gewesene Freundin, immerzu starren mußte, ich glaubte an eine Art Schweigemeditation, doch sie zog sich, wie sie sagte, nur in den Schutz des Schattens zurück, den sie herbeibeschwor mit blicklosen Augen. Es war alles ganz einfach, es hatte alles einen Grund, es ging alles schneller, als ich dachte. Das Telefonbuch vom Vorjahr lag aufgeschlagen neben dem Telefon, und auch wenn ich die Namen auf beiden Seiten durchging, ich stieß auf keine vertraute Telefonnummer, oben rechts hatte ich Spiralen gezeichnet, wahrscheinlich während eines Gesprächs mit der Frau, die mir nicht länger vorhalten würde, daß ich sie in meine großen Pläne nicht einweihte. Genau. Was für Pläne? dachte ich, schön wär's, ich konnte nur das wissen, woran ich mich erinnerte, und wenn ich über die nächste Zeit sprach, sagte ich: Ich ahne, ich glaube, ich sehe vage etwas auf mich zukommen. Keine stabile Grundlage, hatte sie im Zorn ausgerufen, und ich hatte sofort an Architektur denken müssen. Vorbei war vorbei. Ich ging in die Küche und spülte die Kaffeetassen mit kaltem Wasser ab, der Siphon war verstopft, das Wasser sammelte sich im Becken und lief nur langsam ab. Auch hier in der Küche hatte sich der Teppichboden von der Sockelleiste gelöst, ich versuchte, mit dem Fuß die Wellen herauszustreichen, sie bewegten sich wie Luftblasen von einer Leiste zur anderen und wieder zurück. Ich wurde wütend und hebelte in der nächsten halben Stunde die Leisten mit der Hammerklaue weg, dann trug ich Tisch und Stühle in den Flur und zog wütend den Teppichboden ab, es kamen morsche Dielenbretter zum Vorschein, in den Spalten hatten sich Krümel angesammelt. Nach einer weiteren Stunde gab ich mich geschlagen, mein Eifer, gleich mit meinem alten Bestand aufzuräumen, hatte zu neuer Unordnung geführt. Ich trank meinen Kaffee, und in dem Moment, da mir die Lider schwer wurden, klingelte es an meiner Tür, ich schloß ihr auf, natürlich mußte es dazu kommen, natürlich brauchte es einen zugangsberechtigten Schaulustigen, der mein Elend besah, aber nicht bestaunte. Ich stand schweigend in der Tür, und sie stahl sich eng an mir vorbei, ich roch ihren neuen Duft - Lavendel? Zimt? Morgenfrische? - und wagte aber nicht, ihr ein Kompliment zu machen, was hätte es schon bewirkt, sie war mir immer noch ein gebetener Gast.
Ich habe wieder und wieder bei dir geklingelt, sagte sie, und sie sagte es in diesem Ton, der mich früher sofort besänftigt hätte, früher hätte ich nach ihrem Eröffnungssatz umstandslos die kurze Distanz zwischen uns überbrückt, und sie hätte mir einen langen Kuß erlaubt. Kein Kuß. Keine Berührung.
Ich war weg, sagte ich, ich kann dir leider nur Pulverkaffee anbieten.
Sie gab keine Antwort, schüttelte nur lächelnd den Kopf, selbstverständlich wollte sie nicht zwischen der hochkant gestellten Teppichbodenrolle und der Arbeitsfläche sitzen, auf der die Tassen trockneten. Ich folgte ihr in mein offizielles Wohnzimmer, sie nahm auf dem Sofa Platz und drückte das große Kissen auf der Seitenlehne platt. Jetzt durfte ich mich nicht ans Fenster stellen und hinausstarren, jetzt mußte ich einfach warten.
Du siehst schlecht aus, sagte sie.
Dort, wo ich war, ist Spätsommer, sagte ich, hier ist Herbst.
Nein, wir haben schon Winter.
Wieso? sagte ich unnötigerweise, und sie zählte, wie so oft, die Jahreszeiten auf, Frühling, Sommer, Herbst, Winter, ich vertat mich in der Reihenfolge, einer meiner Fehler, die sie mir verzieh, ich konnte, da sie sprach, nicht den Blick abwenden, und mir fiel auf, daß sie sich geschminkt hatte, wie albern, zu hoffen, wie schlecht, zu glauben, es könnte mit ihrem Besuch bei mir zusammenhängen.
Es ist gut, daß du danach abgereist bist.
Wonach?
Fragst du, um Zeit zu gewinnen? sagte sie und lehnte sich vor.
Nein.
Wir haben uns gestritten.
Ich finde es nett, daß du mich besuchst, sagte ich, aber .
Ich kann auch gleich gehen, sagte sie, und da sie Anstalten machte, aufzustehen, bat ich sie, zu bleiben, bleib' doch bitte sitzen, sagte ich, ich bin ein schlechter Heimwerker, gab ich zu, und ich beteuerte ihr meine Unlust, den Unrat in Müllsäcke zu stopfen, nicht heute abend und nicht vor morgen mittag, ich haßte mich für meine Worte, immerzu äußerte ich eine vertretbare Meinung, man konnte fast immer davon ausgehen, daß ich kein Flegel war, der einen Hustenbonbon im Mund in Gegenwart einer Frau laut zermalmt. Sie griff in ihre Tasche und zog vor meinen Augen ihre Lippenkontur nach, dabei blickte sie sehr konzentriert in ihren Handspiegel. Ich dachte, daß ich zu den Männern gehörte, die nach jedem Gang zur Toilette ihre Schuhspitzen auf verdächtige Tropfen prüfen, die Details verrieten den Mann, doch ich stand vor ihr in diesem weißen Bräutigamhemd ohne Manschettenknöpfe, in dieser Hose ohne Gürtel, und bestimmt war ihr mein Kragenschmutz aufgefallen, bestimmt hatte sie nach einem kurzen flüchtigen Blick festgestellt, daß die dünnen Strümpfe nicht zur Jahreszeit paßten und daß ich also viel zu dünn gekleidet war und mir morgen oder übermorgen die Nase laufen würde, auf die Details achten die Frauen, und wenn sie, die jetzt Lippenkonturstift und Handspiegel in ihrer Tasche verstaute, alle Details zusammennahm, entstand das Bild eines hoffnungslosen Mannes.
Es ist deine Wohnung, sagte sie, aber willst du dich nicht setzen? Oder stehst du, weil ich dir deine Zeit stehle?
Nein, gut, sagte ich und ließ mich sofort auf dem Boden nieder.
Wir haben uns also getrennt, sagte sie.
Das ist wahr.
Sie bat um ein Glas Wasser, und als ich zurückkam und ihr das Glas reichte, nahm sie es mit der einen Hand entgegen, mit der anderen Hand zog sie mich sanft auf den Platz neben ihr, ich ließ mich aufs Sofa fallen, ich ließ es zu, daß sie mir ihre Hand auf die Wange legte, ich konnte sie aber unmöglich küssen, ich konnte sie unmöglich berühren.
Du warst weg, und ich war frei, sagte sie, ich habe es genossen.
Das glaube ich dir.
Sei mir nicht böse, fuhr sie fort, wir kommen nicht mehr miteinander aus, ich rege dich zu sehr auf.
Und du ärgerst dich über mich, sagte ich.
Hast du eine neue Freundin?
Das dauert doch immer seine Zeit, sagte ich.
Bei uns beiden hat es ein Dreivierteljahr gedauert, sagte sie, du hast mich dann sehr schnell eingesponnen.
So kannte ich sie, sie sprach die Dinge aus, was wollte sie sich auch aufhalten auf Nebenstrecken, sie nahm die Hauptstraße und preschte vor. Tatsächlich hatte es mir große Mühe bereitet, sie davon zu überzeugen, daß ihr kein Unglück widerfuhr, wenn sie in meinen Armen lag, an ihre Röte im Dekolleté nach dem ersten Kuß konnte ich mich erinnern. Ich drückte mich hoch, und weil sie darum bat, nahm ich ihr das leere Glas ab, füllte es bis zum Rand mit Wasser und trank, ohne die Lippen aufzusetzen, ein paar Schlucke. Sie war mir gefolgt und hatte mich dabei ertappt, ich füllte ein neues Glas und reichte es ihr.
Ich bin hier, sagte sie, weil ich dich fragen will, ob wir es dabei belassen. Wir sind zwar kein Paar mehr, aber wir können trotzdem miteinander schlafen.
Ich nahm sie sofort bei der Hand, sie war gekommen, um mir eine schöne Nacht zu schenken, vielleicht die allerletzte Nacht, ein sanfter Ausstieg, eine warme Entwöhnung, und während sie sich von mir küssen ließ, vergaß ich den Dielenritzenschmutz und die vielen Tage, die ich brauchte, um die Tapeten abzureißen, ich würde mich neu einrichten und für Ordnung sorgen, jetzt küßte sie zurück, wir würden uns bald lieben, ein vorvorletztes Mal, wenn ich Glück hatte. Sie war keine Frau der harten Brüche, sie wollte, vor dem wirklichen Ende, sich erhitzen, schreien und einschlafen, sie wollte, vor ihrem nächsten Anfang, ihren Körper an den meinen schmiegen, und mein Blick fiel während ihres langen Kusses auf den Riemen ihrer Handtasche, der sich am Stuhlbein verfangen hatte, sie und ich standen im Flur, sie und ich sahen in den Spiegelquadraten an den Wänden Ausschnitte unserer Umarmung, und ich bemerkte, daß sie sich auf die Rückenlehnenkante...
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