Schweitzer Fachinformationen
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Der Autor hat keinen wetterharten Kopf, die Gewaltmärsche im Nieselregen haben ihn geschwächt. Im kalten Morgen stopft er ungeschickt das Hemd in die Hose, er gerät ins Schwanken, er kann sich gerade noch fangen. Er ist heimgekehrt, noch spätnachts hat er gestern den Koffer und die Taschen ausgepackt, damit die Spuren der Reise schnell getilgt sind. Beim Zähneputzen schaut er in den Badezimmerspiegel, wendet den Blick ab. Er drückt gegen das kleine Doppelkinn: Senkt sich der Zungengrund, oder erschlafft das Gewebe? Was hatte ihm sein Deutschlehrer in der elften Klasse gesagt? »Es fehlt Ihnen an erforderlicher Dienstfreudigkeit! Sie haben einen beschädigten Sinn. Ihr Leben ist stumpf und grau. Zum Taugenichts wollen Sie werden in dieser Welt. Ich muss Sie nicht ermuntern, Sie werden es schaffen.« Seltsam, dass er an den Mann denken muss, der seine fünfundzwanzigseitige Klassenarbeit über Werk und Wesen Georg Trakls mit einem Ungenügend benotet hat. Er hielt die Seiten vor der ganzen Klasse wie eine Schandschrift in die Höhe und schrie die Note aus. Großes Gelächter. Jetzt schreit im Treppenhaus die Frau, die ihn an den Rand des Wahnsinns treibt. Sie ist tablettensüchtig. Sie hat zehn Augen und zehn Hände, wenn es um die Beschaffung fremden Besitzes geht, den sie bei dem Hehler im Haus bei den Flaschencontainern versetzt. Der Autor ruft ihr durch die Tür zu, dass sie bitte Ruhe geben solle. Sie lasse sich nichts befehlen, kreischt sie, er sei nicht Manns genug, aus seinem Versteck herauszukommen, auf Feiglinge gebe sie nichts. Dieser beißende Hass ist unerträglich. Er geht ihr in die Falle, er reißt die Tür auf. Er sieht getrocknete Bratensoße in den Rillen ihrer mürben Lippen, der Mund ist zur Grimasse verzogen. Sie flucht mit lauter Stimme, sie macht huschende Bewegungen. Ein Dutzend Farben schillern an ihrem Haar. Sein Herz pocht, er würde am liebsten einen Hassschrei ausstoßen. Sie klammert sich plötzlich an den Autor, als wäre er ein Ast zum Festhalten, das ist ihm nicht genehm, er schüttelt ihre Hand ab. Im dunklen Monat November im letzten Jahr wollte sie sich mit Rucksäcken voller Steine beschweren, ins Wasser gehen und auf den Grund sinken. Daran muss er denken. Sie hat die silberne Gurkengabel der Nachbarin versetzt, die sie in ihre Wohnung ließ. Daran muss er denken. Jetzt sagt diese Frau: »Ich werde mein Gesicht waschen, weil du mich lange angeschaut hast! Runterrutschen kannst du mir dort, wo der Rücken seinen anständigen Namen verliert!« Der Autor strahlt sie an - woher hat sie das, wo hat sie diese Redewendung aufgeschnappt? Ihre Hündin kommt die Stufen heruntergesprengt, stößt mit der Schnauze in ihre hingehaltene hohle Hand. Man darf keine sentimentalen Anwandlungen haben, nur weil eine vulgäre Person sich ausnahmsweise gewählt ausdrückt. Weil ihn eine feuchte Hundeschnauze fast zu Tränen rührt. Sie wartet lauernd auf den Gegenschlag, er aber bittet sie bloß darum, das Keifen und Kreischen im Treppenhaus zu unterlassen, bestimmt zum hundertsten Male. Ihr sitzt ein großer Zorn im Hals, sie weiß sich nicht anders zu behelfen, als die große Plastiktüte zu leeren, viele alte Holzkleiderbügel fallen ihm auf die Füße. Die Frau rennt die Treppe hinunter, die Hündin springt hinterher. Er hebt einen Bügel und betrachtet ihn mit großer Neugier: Er weist an den Enden tiefe Kerben zum Aufhängen von Röcken auf, die Metallhaken sind drehbar, an dem gerillten Hosensteg sind Haken mit Filzeinlage angebracht. Er legt den Bügel auf den Haufen und schließt die Tür. Wird sie sich anschleichen, um gegen die Tür zu hämmern? Es steht für ihn außer Zweifel, dass sie in eine Heilanstalt gehört. Ihre Rufe in stockdunkler Nacht sind zum Fürchten. Der Autor möchte sein: dem Rand am fernsten, am weitesten innen. Er möchte sein: ein schlafender Schatten, ein heller Fleck, eine ungelebte Farbe. Das Glück ist ihm nicht zertreten, daran glaubt er fest. Das sind seine Gedanken beim Wäscheaufhängen. Er hält jedes langärmelige Unterhemd an den Achselenden und schlägt es in der Luft aus. Sein Blick fällt auf das Hitler-Regal. Die Biografien. Hitler und seine Hintermänner. Tiere im Nationalsozialismus. Hitlers Religion. Hitler und die Frauen. Das KZ-Universum. Fotos aus Sobibor. Eichmann in Jerusalem. Es sind Hunderte Bücher, sie stehen in zwei Reihen. Es klopft laut an der Tür, er macht wider besseres Wissen auf: Da steht, fast auf der Schwelle, der Freund der Süchtigen, er hat getrockneten Rasierschaum an den Ohrläppchen. Er sagt, dass der Autor über genügend Fantasie verfüge, um sich vorzustellen, wie er aus einer Platzwunde am Kopf blutet. Er solle die Freundin in Ruhe lassen, sonst wäre die Scheiße am Stinken. Der Autor schlägt ihm vor der Nase die Tür zu. Der Kerl ist ihm zuwider, er hat ihn bedroht, es wird ihm dreckig gehen, er hat eine Vorahnung, denn der Kerl ist ein Berufsverbrecher, er hat wegen schwerer Körperverletzung gesessen. Es verleidet dem Autor das Leben, dass das Gesindel ihn belagert. Er presst das zappelnde Bein an die Tischkante. Wann schlug das Wetter um? Der Regen klatscht gegen die Fenster, dass es in den Rahmen klirrt. An den kahlen Ästen haben sich Fetzen verfangen. Es flackert ein Geisterlicht über den Kaminen. Was schaut er hinaus, wenn es ihn ängstigt vom Anblick des frostkalten Himmels? Ihn plagt eine plötzliche tiefe Verstimmung. Ein Freund nimmt gegen die Vertrübung einen Absud aus Samenbläschen und Prostatadrüsen. Soll er ihn anrufen? Er entscheidet sich dagegen, der Freund würde ihm mit viel Sachkenntnis erklären, dass es nicht ausreiche, einfach nur Mittel einzunehmen und auf Besserung zu warten, für so was hat er keine Zeit. Er muss dieses Buch schreiben, denn er will begreifen. Arbeiten wie ein Ross, das muss er tun, es reicht, das Gesindel von Herzen zu verachten, hart arbeiten muss er, mit hinreichendem Fleiß kommt man nicht durch. Besaß der Mann Hitler eine einfache Bartbürste? Reicht es denn für die Charakterkunde, wenn man ihn als Würstchen einschätzt? Er will ihn ergründen, das macht man nicht so eins, zwei, drei. Er denkt: >Die Zeit löscht ihn aus, er verbleicht, und ich bringe ihn zum Sprechen - muss ich diese schmutzige Geschichte aufschreiben? Es bringt doch nichts Erhellendes zutage. Man sollte an diesen Dingen nicht rühren.< Er darf nicht in Nachsinnen verfallen. Er hört das Gekecker der Süchtigen, er hört das Zähnefletschen der Hündin, die seine Schmutzfangmatte zerkaut. Es müsste eine Faust vom Himmel niederfahren und das Pack zerkörnern. Was sind das für Wünsche? Die Frau, die ihn seit zwanzig Jahren terrorisiert, liebt Textilien mit Einlagen aus Pelz- und Lederimitaten. Er hat sie und ihren Freund mit kaum getragenen Kleidern beschenkt, er war ihnen gegenüber doch eine mitleidige Seele. Er darf in diese mistige Sache nicht hineingezogen werden. Er traut es ihrem Freund, dem Zuchthäusler, zu, dass er ihm die Finger umbiegt. Es müsste eine meuchelnde Maschine in diesem Haus ihr Werk verrichten: blitzschnell und stahlhart, zielsicher und treu. Der Autor geht noch restlos kaputt. Er geht nicht heil heraus. Eine sanfte Lösung wird es nicht geben. Er hört das lang gezogene Geheul der irren Frau vor seiner Tür. Er schmiegt sich starr vor Schreck wie ein greises Männchen an die Wand. Die Ärmelenden der aufgehängten Hemden wischen im Zugwind sachte über die Dielenbretter. Der Hausmeister im Stockwerk über ihm poltert die Treppen herunter. Die bloße Plauderei ist ihm zuwider, er ruft Frau und Hündin zur Ordnung, Unnachgiebigkeit ist geboten. Jetzt öffnet der Autor die Tür, er hätte sich tot stellen können. Er steht im Schweiß, wer wird ihn zuerst anfallen, er hat die Möglichkeit nicht bedacht, dass die Hündin ihre feuchte Schnauze in seine hohle Hand stößt. Die Süchtige, der Hausmeister, der Autor: ein Gruppenbild der schweigenden Menschen, der durch den Mund atmenden Menschen. Die Augenbutter ist dem Hausmeister an den Wimpern verklumpt. Es zerreißt die Süchtige fast, dass er sie scharf getadelt hat, ihre Hände kneten die Luft. Von manch einem Menschen wünschte der Autor, er ginge bei dieser Hündin in die Schule. Wieder ein sonderbarer Gedanke. Das war ein Anschlag, er müsste böse sein, er müsste sie verscheuchen, doch er tut es nicht. Er neigt oft zur Ideenflucht, zu einem ungeordneten Denken. Der Hausmeister, ein Mann wie eine dicke Planke, wischt sich erst die Butter von den Augen, dann fordert er alle Beteiligten auf, Ruhe einkehren zu lassen. Jetzt ist die Gelegenheit, ein Gesicht zu zeigen, wovor sie zurückweichen - der Autor aber ist zufrieden, dass er nicht zu Schaden gekommen ist. Eine halbe Stunde später schreit sich die Süchtige in ihrer Wohnung den Hals lang, sie schreit, und ihr Freund schreit dagegen an, der Autor stopft hastig Schaumstoffstöpsel in die Ohren, er hört nur noch gedämpften Lärm, und er fragt sich, wer die Kleiderbügel in aller Stille unbemerkt weggetragen hat, er hat einen Einfall, als wäre er von den spitzen Schreien im Haus unbeeindruckt, er schreibt auf den Zettel vor ihm auf dem Tisch: >Hitler: Ich will in jede dunkle Ecke stechen, denn im Dunkeln öffnen sich Augen, und sie schließen sich nur dann, wenn ich streng und kalt hinschaue.< Der Autor schreibt: >Hitler: Es verläuft alles schleppender als gedacht. Den Lumpen erpresse ich die Zustimmung mit Waffengewalt. Ich schlag auf diese Stadt ein, bis sie in tausend Stücke zerspringt. Ich bringe immer die Härte auf, Abweichler abzuschlachten. Ich bekomme nicht die Ereignismeldungen, auf die ich fiebrig warte.< Der Autor streicht nervös das Blatt glatt und schreibt: >Hitler: »Bald fließt Blut in den Straßen. Da...
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