Schweitzer Fachinformationen
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Dada kann wohl nicht mehr richtig sehen, denn sonst hätte er gemerkt, dass es keinen Zweck hat. Wie der sich mit diesem Kümmerling von einem Baum, der nicht die kleinste Banane gibt, abmüht und kaputt macht. Aber er sagt dauernd, wart's nur ab. Nur Geduld. Er wird tragen. Noch in diesem Jahr.
In diesem Jahr, im andern Jahr, im nächsten Jahr. Im nächsten Jahr, sagt mein Bruder, wird es sowieso keine Rolle mehr spielen. Bananen, Pfeffer, das Landgut, nichts davon wird mehr wichtig sein. Großvater, sagt er, ist wahrscheinlich der Einzige in der Stadt, der nicht sieht, was sich da zusammenbraut. Ich habe ihn gefragt, was sich denn da zusammenbraut.
Du bist ja so naiv, und du sitzt hier fest und kennst nichts anderes. Aber unser Großvater ist nicht naiv. Er hat sich hier niedergelassen, weil er es so wollte. Er ist viel rumgekommen, er kennt sich aus mit Leuten. Eigentlich sollte er in der Lage sein zu sehen, was da auf uns zukommt.
Als ich von der Schule heimkam, wollte ich Großvater danach fragen, was da angeblich auf uns zukommt. Er war im Garten, beugte sich über diese blöde Bananenstaude und flüsterte ihr irgendetwas vor. Als er mich sah, gab er ganz nahe an einer Blüte ein lautes Niesgeräusch von sich. So als ob er eine Erkältung hätte. Als ob ich nicht wüsste, dass er mit den Pflanzen spricht.
Ich habe ihn direkt gefragt. Siehst du, was da auf uns zukommt?
Nur Geduld. Liebe und Geduld. Nichts, was damit nicht bewirkt wird. Damit blüht sogar eine Lilie in der Wüste. Was haben sie uns über das Land hier erzählt? Als mein Vater, dein Urgroßvater, hierher kam, hieß es, hier würde nie etwas wachsen. Sie wären froh, wenn sie das Stück Land loswürden - für fünfzigtausend Rupien. Und jetzt? Sieh' nur!
Sie haben das Land nie geliebt. Wenn man das Land liebt, kratzt man nicht einfach nur ein bisschen an der Oberfläche. Dann gräbt man tief und holt sanft was heraus. Man muss hören, was einem die Erde zu sagen versucht. Was hat sie für Bedürfnisse? Man muss sehen, was unter ihrer Haut ist. Zu viele Steine? Dann buddel sie aus, mach' sie klein, mit allem, was du hast. Als erstes muss man Opfer bringen in der Liebe -
Ich habe heftig aufgestampft, so als wollte ich eine Ameise abschütteln, die in meinen Socken hochgekrabbelt wäre. Mariam hat mir schon hundert Mal gesagt, so etwas nicht vor Großvater zu machen. Es gehört sich nicht, sagt sie. Du bist doch keine zwei Jahre mehr alt.
Das sagt sie ständig. Dass ich keine zwei Jahre mehr alt wäre. Deshalb achte ich darauf, immer mehrmals aufzustampfen. Auf diese Weise stampfe ich nicht wie ein kleines Kind auf. Eher wie jemand, der versucht, eine Ameise oder einen Tausendfüßler zu zerquetschen. Aber Dada weiß Bescheid. Er hat sofort aufgehört, über Liebe zu sprechen. Ich habe noch einen Versuch unternommen: Was ist das, was da auf uns zukommen soll? Wie kann es sein, dass mein Bruder und alle anderen in der Stadt wissen, um was es geht?
Die Träger meines Schulranzens schnitten mir in die Schultern. Großvaters Finger, Schmutz unter den Fingernägeln, rieben die wächsernen Blätter und schwebten über den verkniffenen Blütenblättern. Dann fing er auf einmal an, den Stamm der Bananenstaude von oben bis unten abzuklopfen, so wie Tante Doktor immer meinen Bauch abklopfte, wenn er mir wehtat.
Wie kommst du auf diese Frage, meine Kleine? Siehst du etwa etwas, was da auf uns zukommt?
Ich scharrte mit meinen Schuhen im Dreck. Da war diese Sache mit dem Henkelmann und Yashika und Deepika. Ich hatte davon nichts erzählt, letzte Woche. Hätte ich es ihm jetzt erzählt, hätte er mich gefragt, warum ich es ihm erst jetzt erzähle. Und dann hätte er vielleicht darauf bestanden, in die Schule zu gehen und mit der Direktorin ein Wörtchen zu reden.
Ich schüttelte nur den Kopf. Ich wollte es einfach nur wissen, sagte ich.
Schweigend standen wir vor der widerspenstigen Staude, die nie Früchte tragen würde. Dann klopfte er mir mit den Knöcheln oben auf den Kopf. Wir sollten reingehen, sonst kriegst du noch einen Hitzschlag.
Bevor ich noch meine Augen verdrehen konnte, prustete er kurz los. Ich habe dann meine Augen trotzdem verdreht, und wir haben uns beide ein Kichern gestattet. Er kichert eigentlich immer, wenn die Leute ihm sagen, er solle mich im Haus halten, damit ich >keinen Schlag< bekäme.
Die einzige Art, wie ich einen Hitzschlag kriegen könnte, wäre, wenn die Sonne vom Himmel fiele und wie ein Kricket-Ball über unsere Hofmauer auf mich zugeflogen käme. Ich wurde genau hier auf dem Landgut in der gleißen Hitze eines Nachmittags geboren. Ich kann eine Menge Sonne vertragen. Großvater weiß das, aber er sagt es trotzdem immer, nur um zu sehen, wie ich dabei die Augen verdrehe oder mit dem Fuß aufstampfe.
Mein kleinstes, wertvollstes Dingelchen. Ich kann doch nicht zulassen, dass dich die Sonne schnappt.
Ich wartete, bis er mit allem fertig war, dann holte ich tief Atem und sprach es aus. Abu will nicht auf dem Acker arbeiten. Er sagt, es hätte keinen Zweck, weil wir das Land doch nicht mitnehmen könnten, wenn wir weggingen.
Dadas Finger schwebten wieder über den Bananenblüten, so als wolle er ihnen Trost zusprechen. Als wolle er ihnen sagen, los jetzt, blüht; macht euch keine Gedanken, wir werden nirgendwohin gehen. Dann klopfte er mir wieder auf den Schädel und machte beschwichtigende Laute.
Armer Kerl.
Ich starrte ihn an. Wieso armer Kerl? Abu ist doch einer, der immer nur macht, was er will. Ihr habt ihn so weit weg geschickt, quer übers ganze Land, damit er seinen Magister macht. Ihr gebt so viel Geld für ihn aus. Und er tut überhaupt nichts, nicht einmal während der Ferien. Nichts, gar nichts. Ständig hängt er in der Mall Road herum, liest Romane. Er studiert nicht einmal die Unterlagen für seine Kurse. Alles was er liest, kommt nicht im Lehrplan vor. Und essen tut er wann immer und was auch immer. Er hat überhaupt kein Zeitgefühl. Seit zwei Monaten war er nicht mehr auf der Plantage. Er geht nicht mal vor die Tür, um die Pfefferranken zu inspizieren, die der zusammen mit anderen im letzten Sommer hochgezogen hat. Er ist noch nicht einmal rausgekommen, um zu sehen, ob seine Bananenstauden mehr Früchte tragen als meine. Ich dagegen habe seine Stauden das ganze Jahr über gewässert. Wieso soll er ein armer Kerl sein?
Ich war drauf und dran, das alles auch auszusprechen, erinnerte mich dann aber noch rechtzeitig daran, dass Dada das alles auch schon wusste. Die ganze letzte Woche hatte er nämlich meinen Bruder bedrängt, auch mal auf die Plantage zu gehen.
Geh' doch mal hin und sieh' nach den Arbeitern. Sag' ihnen Guten Tag, erbiete ihnen ein Salaam. Und wirf' mal ein Auge auf den Teil, der dir gehört. Ich verwahre ihn für dich. Für dich und für Fareeda.
Aber Abu hat sich nicht gerührt. Er hat nur am Tisch gesessen und ist sich mit seinen Händen durch seine Locken gefahren, als ob er weiß Gott wer wäre. Den Kopf auf die Seite gelegt, so als ob er die Bitte in Erwägung zöge. So als ob er einer von diesen unteren Beamten in der Kolonialverwaltung wäre und sein Großvater ein armer Bittsteller, der mit gesenktem Kopf vor diesem stünde. An dem Tag hätte ich Abu in den Hintern treten können.
Dada ging zum Haus zurück. Ich trödelte hinter ihm her. Ich spreche mit ihm lieber draußen, draußen in der Sonne. Sind wir erst einmal im Haus, kann man nicht mehr frei sprechen. Besonders, wenn dann mein Bruder noch in der Nähe ist. Wenn der da sitzt und eine Illustrierte liest. Wahrscheinlicher aber eher, dass er noch irgendwo liegt. Mariam sagt, dass er meistens erst nach zehn Uhr morgens aufsteht und frühstückt, wenn Mittagsessenszeit ist. Er braucht zwei Stunden, nur um die Zeitung zu lesen. Manchmal hockt er den ganzen Nachmittag da und starrt auf das Telefon. Dann, exakt wenn Dada von seinem Rundgang über das Landgut zurückkommt, macht sich Abu frisch, zieht sich an und verlässt das Haus. Dann bleibt er den ganzen Abend über weg.
Dada merkte, dass ich nicht hinter ihm war, und drehte sich nach mir um. Ich malte mit meiner Schuhspitze noch immer Kreise in den Sand.
Gammler, sagte ich. Das ist aus ihm geworden. Ein Gammler! Er hat keine Lust zu arbeiten. Ist doch nur eine Ausrede, oder etwa nicht? Wenn er sagt, dass da was auf uns zukommt und dass er es kommen sieht.
Großvater horchte, den Kopf gesenkt, so dass ich ihm nicht in die Augen sehen musste. Dafür war ich dankbar, aber ich wünschte mir, er würde zu erkennen geben, dass er verstand, worüber ich gerade redete. Stattdessen stand er nur ganz ruhig da. Also drang ich weiter auf ihn ein.
Das liegt an seinem Telefon. Es gibt da ganze Telefongruppen. Er sagt es selbst, es gibt da eine Gruppe, und alle gehören dazu. Die Mitglieder dieser Gruppe fordern als die wahren und echten Einwohner des Landes einen Sonderstatus. Sie schicken auch ein Menge Bilder herum. Sie tragen alle Uniformen und holen ihre Waffen raus und posieren dann für Fotos, die sie dann mit einer Botschaft überall hin verschicken. Botschaften wie: Sei stolz! Oder: Handle oder stirb! Die ganzen kleinen und mittleren Bauern gehören zu dieser Gruppe. Außer uns. Wir werden von denen nicht eingeladen mitzumachen.
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