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Ein biologischer Faktencheck: für Klarheit in den wichtigsten kulturellen Debatten unserer Zeit
Was ist das biologische Geschlecht? Was bedeuten genetische Unterschiede zwischen Menschen? Und wie lassen sich Wissenschaft und Religion vereinbaren? In den hitzigen Debatten unserer Gegenwart wird die Biologie häufig als objektive Wahrheit präsentiert, um Positionen zu rechtfertigen. Doch was steckt wirklich hinter diesen Argumenten?
In diesem packenden Sachbuch entlarvt der Autor, selbst promovierter Biologe, die Verkürzungen und Missverständnisse, mit denen die Biologie im Kulturkampf instrumentalisiert wird. Eine unverzichtbare Lektüre für alle, die inmitten hitziger Debatten einen kühlen Kopf bewahren wollen.
Die Biologie ist nicht nur eine empirische Wissenschaft, sondern besitzt auch eine bedeutende philosophische Dimension. Es überrascht daher nicht, dass die 'Philosophie der Biologie' (philosophy of biology) fest in der Fachsprache der Wissenschaftsphilosophie verankert ist. Auch historisch gibt es eine enge Verbindung zwischen den beiden Disziplinen: Aristoteles ist, neben Platon, nicht nur der einflussreichste abendländische Philosoph, sondern er ist auch der erste, der systematisch biologische Forschung betrieb, die für Jahrhunderte Standards gesetzt hat.1 Wie relevant biologische Theorien, Konzepte und Erkenntnisse für grundsätzliche Fragen über den Menschen und sein Denken sind, ist leicht zu erkennen, wenn wir den Einflussbereich der Philosophie betrachten. Der berühmteste Versuch, diesen abzustecken, stammt von Immanuel Kant, der in seinen Vorlesungen über Logik (und andernorts) vier Grundfragen der Philosophie aufgeworfen hat:
Was kann ich wissen? (Erkenntnistheorie)
Was darf ich hoffen? (Religionsphilosophie)
Was soll ich tun? (Ethik / Moralphilosophie)
Was ist der Mensch? (Anthropologie im weitesten Sinne)
Laut Kant hängen die ersten drei Fragen direkt mit der letzten zusammen. Wir können also zusammenfassen, dass Selbsterkenntnis das - oder zumindest ein letztes - Ziel philosophischer Überlegungen und vielleicht aller intellektuellen Bemühungen ist. Zur Beantwortung dieser vier Fragen - und auf definitive Antworten sollte man nicht hoffen - müssen wir auch andere Wissensbereiche als die Philosophie heranziehen. Interessanterweise ist die Biologie eine der bedeutendsten unter diesen Disziplinen, und insbesondere die Evolutionsbiologie liefert hier relevante Antworten. Kein Wunder also, dass die Evolutionsbiologie ein Lieblingsthema der Wissenschaftsphilosophie geworden ist und dass sich Charles Darwin, ähnlich wie Galileo Galilei, Isaac Newton oder Albert Einstein, auch in den Geisteswissenschaften großer Beliebtheit erfreut. Erheblichen Anteil daran scheint ein Aufsatz von John Dewey aus dem Jahre 1910 gehabt zu haben, in dem Darwins Einfluss auf die Philosophie thematisiert wird. Darwin selber war sich der diesbezüglichen Bedeutung seiner Theorie durchaus bewusst und schrieb in eines seiner Notizbücher: "Wer Paviane versteht, erweist der Metaphysik einen größeren Dienst als [der Philosoph John] Locke."2
Es wird kaum jemand in Abrede stellen, dass wir tief verwurzelte Empfindungen und Verhaltensweisen haben, die moralischer Natur sind. Kant beschreibt diese als das "moralische Gesetz in mir", das unser Gemüt mit Bewunderung und Ehrfurcht erfüllt. Da liegt es nahe anzunehmen, dass es evolutionäre Wurzeln für solch universelles Verhalten gibt. Für soziale, in Gemeinschaften lebende Wesen wie uns erscheint es sehr plausibel, dass bestimmte Umgangsformen (Gerechtigkeitssinn, Empathie etc.) einen Selektionsvorteil bedeuteten. Direkt überprüfen lässt sich so etwas natürlich nicht, und so sind wir darauf angewiesen, entsprechende Verhaltensmuster bei unseren nächsten Verwandten, also Menschenaffen und anderen Primaten, zu suchen. Studien haben faszinierende Einblicke in die 'moralische'3 Welt unserer Mitaffen ergeben. Sie sind neidisch, empathisch, berechnend, sie trauern, haben soziales Bewusstsein und, wie sich herausgestellt hat, auch ein Empfinden für Gerechtigkeit. Zu einiger Berühmtheit hat es ein Video gebracht, in dem ein Forschungsteam um den Primatologen und Verhaltensforscher Frans de Waal Kapuzineraffen untersucht. Zwei Affen sitzen direkt nebeneinander, so dass sie sich sehen können, und müssen eine kleine Aufgabe erledigen: Übergeben sie einen Stein, werden sie belohnt. Solange beide dieselbe Belohnung erhalten, ein Stückchen Gurke, ist alles friedlich. Dann jedoch wird ein Tier (nur eines!) statt mit Gurke mit einer Traube belohnt, erhält also gewissermaßen eine Gehaltserhöhung. Als das zweite Tier weiterhin nur Gurke bekommt, wird es sehr, sehr ungehalten. Es schmeißt der verantwortlichen Biologin die Gurke um die Ohren und beginnt zu randalieren. Abgesehen von dem nicht zu leugnenden Unterhaltungswert, den der Versuch hat, ist er insofern interessant, als das Stück Gurke ja vollkommen in Ordnung war, solange beide Affen gleich, also fair bezahlt wurden. Ganz offensichtlich ist dem 'betrogenen' Affen bewusst, dass er für dieselbe Arbeit nicht denselben Lohn erhält, und er protestiert dementsprechend. Ich wüsste nicht, wie dieses Verhalten anders zu erklären wäre als mit einem Konzept von Gerechtigkeit. Ähnliche und anders angelegte Experimente wurden auch mit anderen Primaten (und nicht nur diesen) in einer Vielzahl durchgeführt, oft mit dem ähnlichen Ergebnis, dass auch nicht-menschliche Primaten Empathie, Fairness, Gerechtigkeit und andere oft als besonders menschlich betrachtete Eigenschaften zeigen. Dies legt zumindest nahe, dass die Ursprünge unserer Moral tief in unserer evolutionären Vergangenheit liegen, weswegen es vollkommen legitim ist, dass sich auch die Biologie mit diesen Fragen beschäftigt.
Frans de Waal hat in diesem Zusammenhang den Begriff anthropodenial geprägt, am besten vielleicht als Menschlichkeitsverleugnung zu übersetzen. Er bezeichnet die beinahe reflexhafte Ablehnung der Vorstellung, dass Tiere Eigenschaften aufweisen, die - oft nicht ohne einen gewissen Stolz - als exklusiv menschlich angesehen werden. Er ist in gewissem Sinne also das Gegenstück zum Anthropomorphismus, bei dem menschliche Eigenschaften auf Tiere projiziert werden. Wir sollten sowohl anthropodenial als auch Anthropomorphismus nach Möglichkeit vermeiden, denn sie wirken wie eine Brille, durch die wir wissenschaftliche Beobachtungen in einer bestimmten Weise sehen und interpretieren. Das sagt letztlich mehr über den Beobachter aus als über das, was beobachtet wird. Biologische Analysen menschlicher Moral sind also durchaus zulässig und sogar angebracht. Dabei müssen wir aber beachten, dass erstens die Biologie keine exklusive Deutungshoheit für sich in Anspruch nehmen kann und dass wir zweitens nicht in die Falle des naturalistischen Fehlschlusses tappen: Allzu oft wird biologistisch argumentiert, dass ein bestimmtes menschliches Verhalten 'unnatürlich' sei, da es dem Wesen oder der Evolution des Menschen zuwiderlaufe.
Auf den ersten Blick mag es überraschend erscheinen, dass auch die Erkenntnistheorie, also die erste Frage Kants, Was kann ich wissen?, eine biologische Dimension hat. Es liegt aber auf der Hand, unseren Erkenntnisapparat als Produkt der Evolution anzusehen - bei körperlichen Merkmalen gehen wir schließlich auch ganz selbstverständlich davon aus. Erkenntnis- und Abstraktionsvermögen bringen Vorteile mit sich. Der Trend in der menschlichen Evolution hin zu einem größeren Gehirn und komplexeren kognitiven Fähigkeiten ist zweifellos der Grund dafür, dass wir die meisten Arten auf unserem Planeten dominieren - und uns überhaupt mit dem Ursprung unseres eigenen Erkenntnisvermögens beschäftigen können. Es drängt sich also förmlich auf, unsere intellektuellen Fähigkeiten als adaptiv, das heißt als eine Anpassung an unsere Umwelt zu interpretieren. Genau hier setzt die sogenannte Evolutionäre Erkenntnistheorie an. Sie ist vor allem im deutschsprachigen Raum populär und wird hier intensiv diskutiert. Prominente Befürworter sind unter anderen die Biologen Konrad Lorenz und Rupert Riedl sowie der Philosoph Gerhard Vollmer.
Kernaussage der Evolutionären Erkenntnistheorie ist, dass unser Erkenntnisvermögen ein evolviertes Merkmal ist, das sich in Anpassung an unsere Umwelt entwickelt und selektiv verfeinert hat.4 Vorausschauend denken und abstrahieren zu können ist zum Beispiel ein Vorteil bei der Jagd, wenn man das Verhalten der Beutetiere richtig voraussagen kann. Wichtig ist, dass mit "unserer Umwelt" nicht unser heutiges Umfeld gemeint ist, sondern die Lebensbedingungen unserer Vorfahren, als sich unser Gehirn, wie wir es kennen, herausgebildet hat. Der Erfolg unseres Erkenntnisvermögens wird interpretiert als eine gewisse Passung zwischen Erkenntnis und Wirklichkeit. Das gilt bis heute auch für unsere wissenschaftlichen Theorien: Ihr Erfolg, zum Beispiel die korrekte Voraussage einer Sonnenfinsternis oder die erfolgreiche Behandlung einer Krankheit, wird interpretiert als ein zumindest in Teilen korrektes Abbilden der Wirklichkeit.5 Das bedeutet explizit nicht, dass unsere Erkenntnis der Welt im Detail faktisch korrekt sein muss, aber sie muss gut genug sein, um zu überleben und sich fortzupflanzen. Der Albert Einstein zugeschriebene Ausspruch, dass man die Welt nicht verstehen müsse, sondern dass es reiche, sich in ihr zurechtzufinden, fasst dies recht gut zusammen.
Da Anpassungen an die Umwelt darauf abzielen, sich in ihr zurechtzufinden, enthalten sie immer auch Informationen über einen Ausschnitt dieser Umwelt. Sie sind gewissermaßen ein Spiegelbild der Umwelt, auch wenn dieses verzerrt sein kann. Die Körperform vieler Fische und Meeressäuger ist so gestaltet, dass sie möglichst widerstandsfrei durchs Wasser schwimmen können, ihre Körperform enthält somit Informationen über die Strömungsphysik von Wasser. Goethe hat in Zahme Xenien genau diesen Gedanken in...
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