Schweitzer Fachinformationen
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(Kirchenlied aus dem 15. Jahrhundert)
In dulci iubilo cantate domino
nostri cordis gaudium in praesaepio
et fulget ut lux solis in matris gremio
ergo merito
iubilizat cor omne mentis tripudio
O Jesu parvule langueo post te
laetum fac cor meum tu puer optime
et tuum fer auxilium tu puer inclite
trahe me post te
ad regnum patris tui tu princeps gloriae
Ubi sunt gaudia
plena gloria ubi canunt angeli
di nova cantica nam sonat vox laetitiae
in regis curia eia qualia
laetam mentem faciat Christi praesentia
Maria nostra spes
da virgo nobilis
ne nos repellat fragiles tua progenies
nostra dele peccamina laudanda species
vitam nobis des et nostra sit hereditas
aeterna requies
*
Wie jedes Jahr, so hatte Graf Casimir auch in diesem von Schlenther zu einem weihnachtlichen Festmahl geladen. Heuer hatten ihm jedoch - wohlgemerkt zu seiner höchst freudigen Überraschung - besonders illustre Persönlichkeiten zugesagt. Männer und Frauen aus vieler Herren Länder, verbunden durch persönliche Errungenschaften, ihren außergewöhnlichen Intellekt sowie die Fähigkeit, Sprachbarrieren als solche nicht zu kennen.
Bereits seit Wochen hatte Graf Casimir alles minutiös geplant, war jedes noch so kleine Detail im Geiste durchgegangen, damit es am heutigen Abend zu keinerlei Unzulänglichkeiten kommen würde.
Seine Dienerschaft hatte er tagtäglich gedrillt, hatte sie wieder und immer wieder angewiesen, was zu tun und was tunlichst zu unterlassen sei - und dabei geflissentlich über das eine oder andere genervte Augenrollen mit der dafür nötigen blaublütigen Gleichgültigkeit hinweggesehen.
»Nur eine zufriedene Dienerschaft ist eine gute Dienerschaft«, hatte ihm sein seliger Herr Papa eingebläut, und Graf Casimir war stets bemüht gewesen, diesem Leitspruch Rechnung zu tragen. So kannte er im Gegensatz zu manch anderem Aristokraten kein Zaudern, sich zu entschuldigen, wenn er zu ruppig agiert hatte, zeigte keine Scheu davor, selbst mit anzupacken, wenn es die Situation erforderte.
Diesem Verhalten geschuldet fühlte sich Graf Casimir trotz der Weitläufigkeit seines Herrenhauses gut behütet und geborgen, liebevoll umsorgt und im Grunde wunschlos glücklich.
Nun, kurz bevor die ersten seiner acht geladenen Gäste eintrafen, schritt er noch einmal die festlich gedeckte Tafel ab und spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Hatte er wirklich an alles gedacht?
»Planung ersetzt Zufall durch Irrtum1.« Ein weiterer Leitspruch seines seligen Papas, und doch konnte nichts besser jene Stimmung beschreiben, in der sich Graf Casimir gerade wiederfand.
Hatte die Dienerschaft darauf geachtet, dass das aufgedeckte Porzellan auch makellos glänzte? Hatten die Gehilfen das Silberbesteck so poliert, dass die Gäste beim Anblick desselben meinen konnten, sie sähen in einen Spiegel? Und wenn ja, lagen die jeweils benötigten Teile in der richtigen Reihenfolge?
Ein prüfender Blick: die Gabeln links vom Gedeck, Messer und Suppenlöffel rechts davon. Dessertbesteck mittig darüber, der Brotteller links der Besteckreihe. Alles zueinander parallel und in der richtigen Abfolge der kredenzten Speisen.
Wie im Wahn sausten Graf Casimirs Augen über die Tafel, auf und ab, kreuz und quer. Fehler vermochte er jedoch keine zu erkennen.
Die Paraffinkerzen in ihren vielarmigen Ständern waren gerade eben erst entfacht worden, ließen den gesamten Saal in warmem Licht erstrahlen, während vor den hohen Fenstern der Schnee in dicken Flocken zur Erde taumelte.
Ein letztes Mal richtete sich Graf Casimir den weißen Querbinder, strich sich Weste und Gehrock glatt. Dann holte er seine Taschenuhr hervor und maß prüfend die Zeit. Noch eine Minute, dann schlug es sieben Uhr Abend.
»Sine tempore« hatte er am Beginn auf der schriftlichen Einladung hinzufügen lassen - »ohne Zeit«, also pünktlich. Dem akademischen »c. t.« konnte er noch nie etwas abgewinnen, schien diese Viertelstunde in seinen Augen doch nur als Ausrede jenen dienlich, die ihr Leben und damit ihre Lebenszeit nicht im Griff hatten.
Mit einem Mal schwangen die Türen auf und Graf Casimirs Gäste betraten den Festsaal.
Das Herz des Gastgebers machte buchstäblich einen Freudensprung.
Alle, ja wirklich alle waren sie gekommen!
»Lieber Herr Engels, welch Freude, Sie begrüßen zu dürfen!«
Casimir eilte zu einem Mann in dunklem Anzug, mit kurz geschnittenem Haar und einem Bart, der an die Schnauze eines Walrosses erinnerte. Die Augen des Gesellschaftstheoretikers und Philosophen wirkten wach und gutherzig.
»Ich danke für die Einladung, Herr Kollege«, murmelte Engels in seinen Bart, wobei er mehrere Verbeugungen andeutete.
Doch Casimir war im Geiste bereits bei seinem nächsten Gast.
»Meine aufrichtige Verehrung, Frau Müller!«
Der Graf griff die Hand besagter Dame und machte einen Diener samt Handkuss. Dass die Witwe dem Bürgertum entsprang, war Casimir einerlei, empfand er doch ihre überall gerühmte Wohltätigkeit als äußerst inspirierend.
»Schön, dass Sie es einrichten konnten!«
Die Witwe kicherte verschämt.
»Herr Nobel!«
Casimir huschte zum nächsten Gast, einem Mann, der auf die fünfzig zuging. Der Erfinder hielt mehrere Hundert Patente und ein beachtliches Vermögen inne. Dennoch wirkte sein Auftreten bescheiden, sein Blick voller Demut.
»Sehr freundlich von Ihnen, mich heute einzuladen, Herr von Schlenther«, meinte Nobel mit ehrlicher Bewunderung. »Insgeheim habe ich darauf schon einige Jahre gewartet, wenngleich ich nie zu hoffen wagte.«
»Von nun an sind Sie jedes Jahr gern gesehener Gast, mein Bester«, schmetterte ihm Casimir jovial entgegen, ehe er seine Hand dem nächsten Gast entgegenstreckte.
»Madame von Kohlrausch! Sie sehen von Jahr zu Jahr jünger aus!«
Die Aristokratin warf galant den Kopf nach hinten, gefolgt von einem verschmitzten Lächeln. »Ein kultivierter Charmeur, wie immer. Wenn mein Gemahl nur ein Fünkchen Ihres Charismas sein Eigen nennen könnte, würde ich mich im höchsten Glück wähnen. Aber ihn interessieren nur seine dämlichen Aktienkurse.«
»Dann muss er wohl mit Blindheit geschlagen sein.« Sanft strich Casimir Margarete von Kohlrausch über die Wange.
»Count von Schlenther, welche Freude, Sie wiederzusehen«, sagte ein alter Mann mit Halbglatze und dichtem Rauschebart und unüberhörbarem britischen Akzent.
»Mister Darwin! What an honor!«, begrüßte ihn der Graf mit festem Handschlag. »Eine Ehre, dass Sie den weiten Weg von der Insel auf sich genommen haben.«
Der andere zuckte lapidar mit den Schultern. »Sollte es meine letzte Reise gewesen sein, sollte sich das Ziel eben lohnen. Und eine Invitation von Ihnen verheißt durchaus, jenen Lohn zu offerieren.«
»Sehr großzügig von Ihnen«, meinte Casimir und wies dem greisen Mann einen Platz an der Tafel zu.
»Welch lieblichen Klang vernehmen meine Ohren?«, tirilierte eine Frau Anfang dreißig, die dem Akzent nach offenkundig aus den Vereinigten Staaten stammte. »Sie sprechen ja Englisch!«
»Only if I have to«, entgegnete Casimir mit schiefem Grinsen. »Great to see you, my dear.«
Victoria Brown gab dem Grafen ein Küsschen auf jede Wangenseite. »So intim begrüßt man sich in Paris, wie ich erfahren durfte. Erstaunlich für ein so schmutziges Volk, finden Sie nicht?« Victoria errötete. »Oh my, haben Sie etwa Gäste aus Frankreich geladen?«
Casimir deutete auf den Mann hinter Victoria. »Darf ich vorstellen: Louis Pasteur, ein wahrlich bedeutender Wissenschaftler.«
Ein älterer Mann mit Seitenscheitel und gepflegtem Vollbart schlug die Haken zusammen. »Enchanté.«
»Entschuldigen Sie.« Victoria senkte beschämt den Blick. »Ich liebte es, in Paris Absinth zu trinken.«
»Ich werde vom faire la bise absehen«, meinte Pasteur grimmig. »Auch wenn ich mich extra frisch gemacht habe, schmutziger Halunke, der ich war.«
»Nochmals: Entschuldigung.«
Betreten wies Casimir Victoria und Pasteur ebenfalls einen Platz an der Tafel zu und fragte sich innerlich, ob es nicht ein Fehler gewesen war, sie einzuladen. Allerdings war ihr erst im letzten Jahr verstorbener Gemahl ein enger Freund von ihm gewesen und daher fühlte sich der Graf ihr irgendwie verpflichtet.
»Grüß Gott, Herr von Schlenther.«
Die Worte ließen den Gastgeber herumwirbeln. Ihm gegenüber stand ein Mann um die vierzig, eine Nickelbrille auf der Nase, in kirchlicher Tracht und mit einem schweren güldenen Kreuz um den Hals - Hofburg-Pfarrvikar Johann Baptist Schneider.
»Eure Eminenz!« Casimir schüttelte mit beiden Händen die Hand des Kirchenmannes. »Auch Euch Gott zum Gruße. Willkommen in meinem bescheidenen Zuhause.«
Flink ließ Schneider seinen Blick durch den opulenten Saal wandern. »Von solch einer Bescheidenheit können die meisten Menschen nur träumen, das wissen S' schon?«
»Nun . ich gebe regelmäßig für die Armenhäuser«, rechtfertigte sich Casimir, ohne genau zu wissen, warum.
»Gehen S', das weiß unser Herr auch zu schätzen.« Der Vikar machte ein Kreuzzeichen. »Besitz an sich ist ja auch keine Sünd. Und ein leerer Bauch studiert nicht nur ungern, er will auch nicht predigen. Daher dank...
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