Schweitzer Fachinformationen
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Der Fotograf stand vor dem vierstöckigen Haus in der Babenbergerstraße und sah auf seine Taschenuhr. Zwei Uhr Nachmittag. Der Sabelkeller hatte mit Sicherheit bereits geöffnet.
Die Baustelle des neuen Museums hinter sich lassend machte sich Hieronymus auf den Weg. Er durchschritt das Burgtor und überquerte den Neuen Paradeplatz, wo einst die Stadtbefestigung emporgeragt hatte, die jedoch von Napoleons Truppen 1809 gesprengt worden war. Sein Weg führte ihn an der k.k. Hofzuckerbäckerei Demel vorbei, die diesen Titel erst zwei Jahre zuvor verliehen bekommen hatte, und am Café Central, das ihm beim Gedanken daran, was hier erst vor wenigen Monaten seinen Ausgang genommen hatte, einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ.
Schließlich bog er in die Färbergasse ein, ein dunkles, schmales Gässchen, in dem das Haus »Zum roten Säbel« lag. Dessen Innereien beherbergten in tiefen Gewölben die Kellerschenke, die nicht nur wegen ihrer Wandmalereien bekannt war, sondern auch weil sie vorgab, dass der liebe Augustin dereinst regelmäßig dort aufgetreten war.
Je weiter Hieronymus die Stufen in den Keller hinabstieg, desto stärker wurde der Geruch nach feuchtem Moder, nach Tabakschwaden und abgestandenem Wein. Auch das Lachen und Grölen der Gäste wurde mit jedem Schritt lauter, manch herzhaft geschmetterter Satz bestand jedoch nur mehr aus einer Aneinanderreihung von Vokalen.
Hinter der Schank stand ein grobschlächtiger Mann, das Antlitz verschwitzt, die Nase grobporig und gerötet. Den Fetzen, mit dem er die Theke reinigte, verwendete er auch zum Auswischen der Krüge sowie zum Abwischen seiner schweißnassen Stirn.
Hieronymus legte das Lichtbild auf die Theke, daneben eine silberne Zehn-Kreuzer-Münze. Der Wirt blähte die Nüstern, als hätte er die Witterung aufgenommen.
»Was darf's denn sein, der Herr?«, raunte er höflichkeitshalber, den Blick nicht von dem Geldstück abwendend.
»Nur eine schnelle Auskunft, bittschön«, gab sich Hieronymus jovial. »Kennen S' den Jungen auf der Fotografie?«
Der Wirt nahm das Bild, besah sich abwechselnd die Abbildung darauf und Hieronymus, zu guter Letzt noch einmal die Münze. »Klar kenn ich den. Ist der Severin. Was wollen S' denn von ihm? Hat er was angestellt?«
»Ich will gar nichts«, antwortete der andere. »Aber seine Frau Mama sehr wohl.«
Der Wirt grinste schmierig, wurde jedoch gleich wieder ernst. »Der ist aber heute noch nicht hier gewesen. Auch die letzten Tage nicht.« Er tauschte Foto gegen Münze, ließ diese in einer Tasche seiner fleckigen Schürze verschwinden. »Tut mir aufrichtig leid.«
Hieronymus maß den Mann, dann legte er eine weitere Zehn-Kreuzer-Münze auf die Schank. »Muss es nicht. Wissen S' vielleicht, wo der Jüngling sonst noch gern tschechert4?«
Der Wirt nahm die zweite Münze. »Ich würd mal im >Roten Hahn< nachfragen, draußen im Dritten.« Er hob einen Becher. »Darf's doch ein Roter oder ein Weißer sein?«
Hieronymus winkte ab. »Danke. Beim nächsten Mal.«
Hieronymus entlohnte den Fiaker für seine Fuhre, dann wandte er sich dem mächtigen Gebäude zu, das die Straßenzeile dominierte: »Zum roten Hahn«, eins der ältesten Einkehrwirtshäuser der Kaiserstadt, über dessen Eingang ein großer, rot gestrichener Gockel aus Metall prangte. Das einst an derselben Stelle errichtete Gebäude war 1683 bis auf die Grundmauern abgebrannt, als die verängstigten Bürger der Vorstädte alle Häuser in Brand gesteckt hatten, um den anrückenden Osmanen keine Möglichkeit zum Verschanzen zu bieten. Nach dem Sieg über Großwesir Kara Mustafas Armee wurde das Haus wieder aufgebaut und die Landstraße als dritter Gemeindebezirk eingemeindet. Seither erfreute sich die Einkehr größter Beliebtheit. Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven sollen hier sogar genächtigt haben.
Aus den Schornsteinen des Gebäudes quoll dicker Rauch, die Fenster der Gastwirtschaft waren teils mit Fetzen aus Loden zum Schutz vor der Witterung verhängt. Hieronymus' Stirn und Wangen brannten vor Kälte, die kurze Fahrt in der Kutsche hatte sich als ungewöhnlich eisig erwiesen. Nun freute er sich zumindest auf eine Suppe und ein Glas Bier.
Im Inneren des »Roten Hahns« spielte es sich gesitteter ab als im Sabelkeller - die Gäste schienen sich weniger ausufernd zu betrinken und die Gaststube machte einen wesentlich saubereren Eindruck. Der Geruch war jedoch ähnlich, abgesehen vom Moder.
Hieronymus setzte sich an einen freien Tisch, bestellte eine Leberknödelsuppe und ein untergäriges Sankt Marxer Abzugbier und genoss beides in vollen Zügen. Sein Körper wärmte sich von innen auf und so ließ er sich ein weiteres zart gehopftes Bier schmecken. Wer wusste schon, was der restliche Tag noch für Unbilden mit sich bringen würde, rechtfertigte er sich vor sich selbst.
Nachdem er die Zeche bezahlt hatte, befragte er die Schankfrau nach Severin Jellouschek. Im Gegensatz zum Wirt vom Sabelkeller zeigte sich die Frau deutlich gesprächiger. Sie berichtete, dass der junge Mann mindestens zweimal die Woche in ihr Wirtshaus komme, entweder um hier einen feuchtfröhlichen Abend zu beginnen oder, dann jedoch meist schon wankend, um ihn ausklingen zu lassen. Ab und an gebe sich der Jüngling sogar spendabel, in Raufhändel sei er bisher noch nie verstrickt gewesen. Manchmal suche er auch nur eine Schulter zum Ausweinen oder einfach jemanden, der ihm zuhörte, und hin und wieder sei sie das eben, meinte die Wirtin weiter.
»Zumeist ist er einfach unglücklich verliebt, raunzt einer verschmähten Liebe nach. Er ist kein unansehnlicher Kerl«, konstatierte die Schankfrau, »aber er hat einen weichen Kern, der wirkt auf das meiste Weibsvolk wenig anziehend. Wir sind ja selbst von Gemütsschwankungen geplagt«, sagte sie belustigt. »Was brauch ich da ein Mannsbild, bei dem ich mich nicht anlehnen kann?«
Hieronymus zuckte mit den Schultern, auch wenn es sich wohl um eine rhetorische Frage gehandelt hatte. »Wo könnt ich sonst noch nach dem Severin suchen?«
Die Wirtin überlegte. »In den Sabelkeller geht er glaub ich hin und wieder.«
Hieronymus nickte wissend.
»Und in irgendwelche Tschocherl im Wurstel-Prater, glaub ich, mich zu erinnern.«
Noch bevor ihr Hieronymus eine Zehn-Kreuzer-Münze geben konnte, war die Wirtin auch schon wieder aufgestanden und widmete sich den Wünschen anderer Gäste. Ein feines Lokal, stellte er fest und beschloss, den »Roten Hahn« irgendwann mit Franz aufzusuchen.
Mit lang gezogenen Bewegungen und einer Kardätsche in der Hand striegelte Franz Roswithas Fell in Wuchsrichtung. Er und Hieronymus hatten beschlossen, den fuchsfarbenen Haflinger, der ihren Schindelwagen zog, die Wintermonate über in einem benachbarten Stall unterzustellen.
Dabei genoss Franz nicht nur die Ruhe, die Pferd und Stall ausstrahlten, sondern auch die vermeintliche Aufmerksamkeit, die die Stute ihm schenkte.
»Ich weiß, ich wiederhole mich«, sprach er mit sanfter Stimme. »Aber vielleicht war es ja doch ein Fehler, mich mit Anezka einzulassen. Was meinst du?«
Erst zeigte Roswitha keine Reaktion. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Hast auch wieder recht«, fuhr Franz fort. »Ich will nur einfach nicht als Lückenbüßer für ihren Mann herhalten, der Herr habe ihn selig. Aber womöglich ist es schlicht meine Unschlüssigkeit, die sie spürt. Weißt du, auch wenn die Frau zäh wie Leder und hart wie Eisen wirkt, so sehnt sie sich letzten Endes wie wir anderen auch nur nach jemandem, der für sie da ist. Einen, der ihr zuhört, sie als Mensch ernst nimmt. Und jemanden, der ihr ab und an mal das Fell striegelt. Verstehst du?«
Franz tauschte die Kardätsche gegen eine Mähnenbürste, kämmte Roswithas strohfarbenes Haar. Die schnaubte genüsslich.
»Gute Frage«, meinte Franz. »Aber die Kinder mögen mich, das kann ich spüren. Im Gegensatz zu erwachsenen Menschen und Gäulen verstellen sich Kinder nicht. >Kindermund tut Wahrheit kund<, heißt es bei uns.« Er dachte nach. »Das müsste dann bei dir heißen: >Fohlenmaul spricht niemals faul<, oder so.«
Der Bucklige stieß ein glucksendes Lachen aus. Roswitha ein kurzes Wiehern.
»Wir werden ja sehen, wie es mit Anezka und mir weitergeht.« Franz hielt inne, den Blick verklärt. »Aber irgendwie hat mich die Kratzbürste verzaubert. Komme, was wolle, ich werde dich selbstverständlich auf dem Laufenden halten.«
Ein Lied pfeifend pflegte er die Haflingerstute weiter, die dies sichtlich genoss.
Die meisten Attraktionen des Wurstel-Praters wie Schaukeln oder Ringelspiele waren aufgrund der Witterung geschlossen und würden erst im Frühjahr des nächsten Jahres wieder ihre Pforten öffnen. Doch die Gaststätten hatten geöffnet und der Anbruch der Dämmerung verstärkte den Zulauf an Feierwilligen, die den Arbeitstag im alkoholgeschwängerten Dunstkreis Gleichgesinnter ausklingen lassen wollten.
Hieronymus bahnte sich seinen Weg zwischen geschlossenen Schaubuden und geöffneten Wirtshäusern, immer darauf bedacht, nicht auf den zusammengetrampelten Schneewegen auszurutschen, und erreichte schließlich ein Gasthaus, das unweit des Vélocipède-Museums lag. Die Fenster waren mit Vorhängen verdunkelt, an der Tür hing ein Schild mit der Aufschrift »geschlossen«. Trotzdem drang von innen Musik und Gelächter nach draußen.
Hieronymus klopfte in einem eigenen Rhythmus gegen die Tür, die nur Augenblicke später von einem muskelbepackten Mann mit mächtigem Schnauzbart und grimmigem Blick geöffnet wurde....
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