Schweitzer Fachinformationen
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Tynan lief durchs Dorf, das seit Tagen wie entvölkert war. Keine Kinder, die mit ihm spielten, niemand, der ihn streichelte oder ihm etwas zu fressen gab. Kein Ruf, kein Gelächter. Der Wolf blieb am Dorfplatz stehen und sah sich um: Selbst aus der Festhalle drang kein Licht, obwohl der Himmel grau und düster war. Tynan drehte sich einmal im Kreis, dann lief er davon und ließ die traurige Stätte hinter sich.
Im Innern der Halle saß Brude auf seinem Thron, den Kopf auf die Hand gestützt. Er war seit Tagen schwermütig, aber heute war es besonders schlimm. Am Morgen hatte er mit Iona nur wenige Worte gewechselt. Dann hatte er kurz nach Eibhlin gesehen, deren Fieber in den letzten Tagen zwar deutlich zurückgegangen war, sie aber matt und entkräftet zurückgelassen hatte.
Nun war er in der kalten Halle, denn er hatte kein Feuer machen lassen. Auch die Wachen der Garde hatte er hinausgeschickt. Er starrte auf die gebogenen Walrippen, die als Wandstützen verbaut worden waren, und stellte sich vor, er wäre wie Jonas im Inneren eines großen Fisches gefangen. Der Gedanke gefiel ihm. Dort wäre er wenigstens geschützt vor den Plagen, die sein Volk auf diesem Eiland heimgesucht hatten.
Was war aus seinem Volk geworden? Was aus den tatkräftigen Männern und Frauen, die bisher allen Gefahren mutig ins Auge gesehen hatten, die alle Herausforderungen angenommen und bewältigt hatten? Sie hatten der Kälte getrotzt und dem kargen Boden, sie waren mit der Abgeschiedenheit zurechtgekommen und auch mit ihren Zwistigkeiten, der Missgunst und dem Neid. Aber die Krankheit, die mit den Nordmännern gekommen war, war eine neue Art von Bedrohung, der sie sich nicht gewachsen fühlten, und deshalb zogen sie sich angsterfüllt in die vermeintliche Sicherheit ihrer Hütten zurück und beteten zum Herrn.
Aber was war das für ein Herr, der ihnen, den Leidgeprüften, eine solche Plage schickte, fragte sich Brude bitter.
Wie aufs Stichwort kam Beacán hereingeeilt, das Gesicht hochrot und verschwitzt. Brude setzte sich auf und empfing den Priester mit mürrischer Miene.
»Herr, es - äh - gibt etwas - äh - Neues zu berichten!« Der Priester blieb vor dem Thron stehen und versuchte, zu Atem zu kommen.
»Gut oder schlecht?«
Beacán schüttelte den Kopf, dann nickte er. Brude hätte ihn in diesem Moment am liebsten mit einem Fußtritt aus der Halle befördert. Aber er bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Nun rede schon!«
»Gair - äh - geht es besser. Das - äh - Fieber ist zurückgegangen, die Flecken werden weniger .«
»Ich nehme an, das ist die gute Nachricht?«
»Ja, Herr. Aber sein - äh - Sohn wird immer schwächer. Und Fenella ist ebenfalls erkrankt. Sie - äh - hat so hohes Fieber, dass sie niemanden mehr erkennt.«
Brude schlug mit der flachen Hand auf die reich verzierte Armlehne.
»Wie steht es um Lugh?«
Beacán schüttelte nur den Kopf.
Brude stöhnte. »Bereite alles für die Beerdigung vor.«
Beacán nickte bedächtig. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder.
»Was ist denn noch?«, herrschte Brude ihn an.
»Es geht um - äh - Mathan. Er - äh - hat erneut Gott gelästert, in aller Öffentlichkeit. Er muss zur Rechenschaft gezogen werden .«
Brude funkelte ihn an. »Ach ja? Dann werde ich dir jetzt etwas sagen, Beacán, Sohn des Bricriu. Vielleicht hat Mathan gar nicht Gott gelästert. Vielleicht hat er nur gesagt, wie es ist: Wann immer uns etwas Gutes widerfährt, heißt es, es sei Gottes Barmherzigkeit zu verdanken. Wann immer uns etwas Schlechtes widerfährt, sind wir und unsere Sünden schuld. Wo aber sind nun unsere großen Sünden?«
Der Priester schwieg.
»Wenn du mich fragst«, fuhr Brude fort, »so versuchst du nur, deine eigene Stellung zu festigen. Also komme mir nicht mit erhobenem Zeigefinger, sonst könnte es sein, dass ich eines Tages einen Beweis für deine Behauptungen einfordere, Priester.«
Auf Beacáns Wangen erschienen rote Flecken. »Das - äh - ist ein Sakrileg. Ihr dient -« »Ich diene meinem Volk. Und du mir. Vergiss das niemals!« Er starrte dem Priester in die Augen, bis dieser den Blick senkte. Brude lehnte sich zurück. »Und jetzt raus mit dir!«
Beacán drehte sich um und ging Richtung Tor, blieb aber noch einmal stehen und sagte, ohne sich umzuwenden: »Als Euer Diener möchte ich - äh - Euch einen Rat geben. Die Menschen im Dorf - nun - äh -, sie verkriechen sich in ihre Hütten. Ihr - äh - solltet mit gutem Beispiel vorangehen und Euch - äh - zeigen . Ja.«
Brude stand mit einem Ruck auf. Der Priester zuckte zusammen, dann lief er nach draußen.
Welche Impertinenz sich der Kuttenträger anmaßte, dachte Brude.
Und wie recht er hat.
Der Herrscher stieg von seinem Thron, bückte sich und zog eine geschwärzte Truhe darunter hervor. In den hölzernen Deckel waren spiralförmige Ornamente und Triskelen geschnitzt, die sich um ein Kreuz rankten. Brude kniete davor und begann zu beten, in der Hoffnung, dass ihm die sterblichen Überreste des heiligen Drostan, die er in der Truhe wusste, dabei helfen würden, eine Entscheidung zu treffen.
Zwei Schreie durchschnitten in dieser Nacht die Grabesstille, die das Dorf umgab. Der Erste, als der Mond am höchsten stand - Lugh heulte im Fieberkrampf entsetzlich auf, um dann für immer zu verstummen. Der Zweite kurze Zeit später, als Gair die leblosen Körper seiner Frau und seines Sohnes fand.
Als der Morgen graute, ging Beacán zur Hütte von Gair. In den Händen hielt er zwei Holzlatten, die er klappernd zusammenschlug und in der Form eines Kreuzes hochhielt. Er murmelte seine Gebete, befahl die Seele der Verstorbenen dem Herrn, sprach ein paar tröstende Worte und ging zum nächsten Haus. Nach Beacáns Besuch stimmten die Frauen in den Hütten leise uralte Lieder an, die den verstorbenen Seelen sicheres Geleit zu den Göttern garantieren sollten. Und so erklangen sanfte Melodien, die sich wie eine weiche Decke über das ganze Dorf legten.
Beacán hörte die Lieder und schüttelte missbilligend den Kopf. Aber er sagte nichts und traf alle Vorbereitungen für die Beerdigung.
Die Sonne stand bereits tief, als der Trauerzug sich zu dem Friedhof begab, der sich einige Hundert Schritt außerhalb des Dorfes befand und über mehrere Hügel erstreckte. Er bestand aus Dutzenden von Gräbern, die mit Steinen bedeckt waren. Viele von den Holzkreuzen, die sie zierten, waren bereits stark verwittert.
Am Morgen waren drei neue Gräber ausgehoben worden, nur zwei Handbreit tief, weil der Boden auch im Sommer vereist und hart wie Stein war. In ihnen lagen, in Tücher eingehüllt, der Körper der Toten. Einige Dorfbewohner hielten kleine Lampen mit Talglichtern in Händen, die in der eintretenden Dämmerung ihr warmes Licht aussandten.
Als Moirrey, Bree und Flòraidh die Grabstelle erreichten, kniete der Priester bereits davor und murmelte seine Gebete. Moirrey zog sich ihre wollene Kapuze über den Kopf, denn mit der Dämmerung kam die Kälte.
»Ich hab darüber nachgedacht, was Ailean neulich vorgeschlagen hat«, raunte sie den beiden anderen zu, die sie fragend anblickten. »Dass wir uns das Schiff der Nordmänner heimlich nehmen sollten.«
Bree begann mit einem ihren Zöpfe zu spielen. »Aha?«
»Ich meine, wir müssen ja nicht gleich bis ans Ende der Welt reisen. Zuerst ein paar Tage in die eine Richtung, dann wieder zurück.« Sie zuckte mit den Schultern. »Wir sind schließlich keine Sklaven, oder?«
»Nein«, gab Flòraidh mit gedämpfter Stimme zurück, »aber der Proviant für eine solche Fahrt gehört dem Volk, nicht dir oder mir. Und ohne Proviant kommen wir nicht weit.«
Moirrey schnaubte verächtlich. Sie wollte etwas erwidern, aber in diesem Moment hatte Beacán seine Gebete beendet. Er erhob sich und sprach abschließend die rituellen Worte aus der Heiligen Schrift. »Bedenke Mensch, Staub bist du, und zum Staube kehrst du zurück.«
Dann trat er zur Seite und gab Gair ein Zeichen, ans Grab zu treten. Dieser legte ein kleines Holzschwert, das er heute Morgen geschnitzt hatte, auf das Leichentuch seines Sohnes. Als nun vier Männer damit begannen, Steine auf die Körper zu schichten, trat er wortlos zurück.
Caitt ging zu Gair. Er wollte ihn umarmen, aber dieser zuckte zurück.
»Warum musstest du mir nur den Befehl geben?«, flüsterte Gair.
Caitt räusperte sich. »Ich weiß, es ist furchtbar«, sagte er zu Gair. »Du hast ein großes Opfer gebracht.«
Dieser nickte mit versteinerter Miene. »O ja, das habe ich. Und das wirst auch du noch.«
Caitt warf ihm einen ungläubigen Blick zu, aber Gair blickte starr zu Boden. Groll stieg in Caitt auf.
Was weißt du schon vom Los eines Anführers? Was von der Schwere der Entscheidungen, die man treffen muss?
Caitt wandte sich ab und ging davon, bevor er noch etwas Unbedachtes gesagt hätte.
Elpin, der neben Unen stand, sah Caitt nach. »Er hat befohlen, was befohlen werden musste«, sagte er.
Unen brummte zustimmend.
»Trotzdem trauere ich mit Gair. Der Tod der Nächsten ist immer wie ein Dolchstoß.« Noch während die Worte seinen Mund verließen, schoss es Elpin siedend heiß ein, dass Unen jedes seiner drei Kinder bereits beerdigt hatte. Sein Gesicht wurde hochrot, er wollte im Boden versinken.
Der Mann der Garde blickte auf den jungen Bauer herunter, der bekannt dafür war, manchmal erst zu sprechen und dann zu denken - und...
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