Schweitzer Fachinformationen
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Bei meinen Vorträgen über Bindungstheorie und -therapie mache ich oft die - halb scherzhafte - Bemerkung, dass wir im Grunde alle Bindungsprobleme haben. Jedenfalls haben viele Menschen die frühe Beziehung zu ihren Eltern als fordernd erlebt. Deswegen fallen uns oft auch unsere Beziehungen als Erwachsene untereinander so schwer. Den meisten Menschen gelingt es jedoch, frühe Beziehungsschwierigkeiten im Lauf ihres Lebens und ihrer späteren Beziehungen durchzuarbeiten, gegebenenfalls mit therapeutischer Hilfe. Geht die Bindungsverletzung jedoch zu tief, dann weist das Kind genau die Liebe und Unterstützung zurück, die es zum Heilwerden eigentlich bräuchte. Eine Möglichkeit, Bindungsverletzungen zu fassen, ist, sie als Angststörung zu verstehen. Das Kind reagiert dann derart ängstlich und phobisch auf Beziehungen, dass es die Personen, die helfen könnten, auf jede erdenkliche Art von sich stößt.
Die ersten drei Lebensjahre eines Kindes sind entscheidend für die Entwicklung adäquater Bindungen. Schwerwiegende Störungen während dieser Zeit können großen Schaden anrichten. Für Pflegeeltern ist es womöglich schwer nachvollziehbar, weshalb ein Kind solche Schwierigkeiten hat, obwohl es doch jetzt in einem liebevollen und unterstützenden Zuhause ist. Tatsächlich aber hat das Kind in seinem Körper und seinem Fühlen und Denken die Erfahrung gespeichert, dass Beziehungen verletzend, schmerzhaft und lebensbedrohlich sind, und dazu noch das Gefühl, dass es selbst nicht richtig ist. Neurowissenschaftlich betrachtet, sind die für gesunde Bindungen relevanten Areale des Gehirns vermutlich nicht voll entwickelt, wodurch die Beziehungsfähigkeit beeinträchtigt ist.
Betrachten wir zum Beispiel ein Kind, das in seinen ersten sechs Lebensmonaten eine Bezugsperson mit Suchtthematik und psychischen Problemen hatte. Wenn das Kind aus Hunger und dem Bedürfnis nach Beruhigung schrie, war diese Bezugsperson womöglich nicht bei Bewusstsein. Wach reagierte sie äußerst reizbar auf das anhaltende Schreien des Babys und brüllte es an. Das Kind war unterernährt und untergewichtig. Vielleicht hatte die Mutter einen Partner, der sie misshandelte.
Stellen wir uns vor, das Kind wurde mit sechs Monaten wegen schwerer Vernachlässigung aus seiner Familie herausgenommen. Es kann noch nicht sprechen, hat aber bereits gelernt, dass es keinerlei Kontrolle über sein Umfeld besitzt (die ausbleibende Antwort auf sein Schreien). Obwohl das Kind den biologischen Imperativ verspürt, sich für sein Überleben ganz eng an seine Bezugsperson zu halten, hat es erfahren, dass diese Bezugsperson sein Überleben gefährdet und unzuverlässig ist; dass es gefährlich ist, seine Bedürfnisse einzufordern, aber nicht minder gefährlich, dies nicht zu tun. Das Kind hat gelernt, dass es die Erwachsenen in seinem Leben fürchten und meiden sollte. In seinem neuen Zuhause verhält sich das Kind vielleicht sehr still, vermeidend, quengelig, oder auch anklammernd und vermeidend.
Die neuen Eltern, die sich auf das Baby freuen, ahnen womöglich nichts von seinen Verletzungen und den potenziellen Auswirkungen auf sein Leben, noch wissen sie, wie sie den Heilungsprozess des Babys am besten fördern können. Zum Glück ist das Gehirn des Babys noch nicht voll entwickelt, und wenn die Eltern geschickt und sachkundig agieren, besteht für das Baby eine Heilungschance. Ist dies nicht gegeben, so wird das Kind womöglich sein Leben lang mit Problemen zu kämpfen haben.
Stellen wir uns weiter vor, dass dieses Baby bis zum Alter von drei Jahren bei seinen leiblichen Eltern geblieben wäre. Vielleicht war die Mutter manchmal adäquat, manchmal nicht. Dann hat das Kind jetzt ein Schema für die Bezugsperson und die Beziehung entwickelt, das sich unter anderem mit Erfahrungen wie unberechenbar, gefährlich, verletzend und nicht hilfreich beschreiben lässt. Das Kind hat im Alter von drei Jahren bereits gelernt, dass es sich selbst um die Befriedigung seiner grundlegendsten Bedürfnisse kümmern muss. Es kann sich auf niemanden verlassen. Da kleine Kinder von Natur aus ich-bezogen sind, gesellt sich zu diesen Gedanken noch die Überzeugung des Kindes, dass es selbst schuld ist. Etwas an ihm muss grundlegend falsch sein, sonst würden sich die Eltern nicht so verhalten. Das Kind empfindet sich als nicht richtig, nicht liebenswert. Es gibt keine Freude im Leben dieses Kindes. Im Alter von drei Jahren hat das Gehirn 90 % der Größe des Erwachsenengehirns erreicht. Im beschriebenen Fall war dieser enorme Gehirnzuwachs überwiegend auf Überleben ausgerichtet und darauf, dieses kognitive Schema zu erzeugen, mit dem die Welt irgendwie verstanden und bewältigt werden kann.
Kinder mit Bindungsverletzungen hegen häufig folgende Überzeugungen:
Infolgedessen fühlt sich das Kind vollkommen allein, haltlos, innerlich leer und ängstlich, ohne zu wissen, was ihm fehlt.
Diese üblicherweise unbewussten Glaubenssätze über sich selbst, über Beziehungen und Bezugspersonen sind sehr mächtig und schwer zu verändern. Daraus resultiert ein selbst-abwertendes, destruktives Verhalten, welches die falschen Überzeugungen verfestigt und genau die Hilfe zurückstößt, die so dringend nötig wäre. Zu diesen Verhaltensweisen zählt beispielsweise:
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