Schweitzer Fachinformationen
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»Aber ich hab doch frühestens in einem halben Jahr wieder eine Chance auf Bewährung.«
Das war dem mürrischen Gefängniswärter, der gerade in meine Zelle blickte, egal. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, weil das Licht aus dem Flur hereinfiel und der Strahl seiner Taschenlampe meine Augen blendete, trotzdem konnte ich mir seine Miene ganz genau vorstellen, da alle Wärter hier immer denselben Gesichtsausdruck hatten: irgendwo zwischen »jemand hat mir in meinen Sojaersatz gespuckt« und »Mama hat mir gerade Stubenarrest verpasst«. Das war aber immer noch besser als der andere Blick aus ihrem damit schon erschöpften Repertoire. Denn der wiederum hieß, dass Mama den Stubenarrest gerade aufgehoben hatte und es obendrein gleich so viele Geschenke wie an Geburtstag und Weihnachten zusammen geben sollte. Dieser Blick verhieß nie etwas Gutes.
»Dann ist heute wohl dein Glückstag«, grunzte der Wärter.
Im Knast gab es keine Glückstage, für niemanden. Und am allerwenigsten für mich.
Ich verkniff mir eine Antwort. Bewährung war weder jetzt noch später für mich drin. So hatte es der Gefängnisdirektor höchstpersönlich formuliert, als man mich das letzte Mal in sein Büro gezerrt hatte. Dennoch war mein Interesse geweckt - wenn auch nur, um der Monotonie des Gefängnislebens für einen Augenblick zu entkommen. Es war 0100 Uhr nachts - normalerweise tat ich um diese Zeit nichts anderes, als die vor sich hin modernde Belüftungsanlage anzustarren.
Also schwang ich die Beine aus dem Stockbett und sprang leichtfüßig herunter. Ich hatte zwar keinen Zellengenossen, schlief aber trotzdem lieber oben. Ich mochte die Höhe, schon immer. Vielleicht war ich eigentlich dazu bestimmt, in den Upper Wards zu leben - sie hatte immer davon geträumt. Aber - wie gesagt - hier im Knast hatte man einfach kein Glück. Und ich am allerwenigsten.
Der Wärter hielt den Strahl seiner Taschenlampe weiterhin auf mich gerichtet, während ich in meine Stiefel schlüpfte. Ich ging zur Zellentür und hielt ihm meine Handgelenke hin. Er legte mir Handschellen an und befestigte diese dann mit einer langen Kette an meinen Fußfesseln. Die Kette rasselte bei jedem Schritt, den ich tat. Selbst wenn ich tatsächlich drauf und dran war, auf Bewährung rauszukommen - innerhalb der Gefängnismauern ließ man mich nicht frei herumlaufen.
Der Weg über die kreuz und quer verlaufenden schmalen Stege zum Eingangsbereich war nicht lang, kam mir aber dennoch wie eine Ewigkeit vor. Die meisten Häftlinge schliefen. Aber selbst die, die wach waren, interessierten sich nicht dafür, wohin ich gebracht wurde. Hier würde mich sowieso kaum jemand vermissen. Da ich nicht gerade wenige von ihnen um ihre Taschengeldzuteilung gebracht hatte, war ich nicht besonders beliebt.
Im Eingangsbereich wurde ich einem noch mürrischer dreinblickenden Wärter übergeben.
»Kommt der Direktor nicht?«
»Es ist mitten in der Nacht, warum sollte er?«, sagte Mürrischer Wärter #2.
»Will er sich denn nicht von mir verabschieden? Wo wir doch so gute Freunde geworden sind?«
Mürrischer Wärter #1 bedachte mich mit einem finsteren Blick.
Ich hatte noch immer keinen blassen Schimmer, warum man mich nun plötzlich vorzeitig entlassen wollte. Ich war so misstrauisch, als hätte einfach plötzlich meine Zellentür offen gestanden. Das Ganze musste eine Falle sein. Der Direktor wartete bestimmt nur darauf, dass ich den Köder schluckte und einfach davonspazierte - und dabei irgendein Gesetz brach, von dem ich noch nie gehört hatte. Dieser Gedanke machte mir Angst. Nachdem sie mich in die Scheiße geritten hatte, hatte Joyce Atlas dafür gesorgt, dass ich so hart wie irgend nur möglich bestraft wurde, und es war durchaus möglich, dass er mir nun noch eins reinwürgen wollte. Ich blickte von einem Wärter zum anderen und richtete meine nächste Frage dann an Mürrischer Wärter #2. »Sie wissen nicht zufälligerweise, wer für meine Entlassung verantwortlich ist, oder?«
Nun blickte mich auch Wärter #2 finster an. »Morikawa, einem geschenkten Gaul schaut man lieber nicht ins Maul.«
Andere wären sicher darauf reingefallen, aber ich wusste ganz genau, dass es auf Kepler weder Geschenke noch Gnade gab. Alles hatte seinen Preis. Und das galt ganz bestimmt auch für meine plötzliche Entlassung.
Als Mürrischer Wärter #2 meine Fesseln löste, ließ die wiedergewonnene Bewegungsfreiheit die ständige Beklemmung der letzten acht Jahre verschwinden.
Ich hatte so gut wie keinen persönlichen Besitz. Ein schrottiges Handy, einen Binder, der mir nicht mehr passte, ein paar längst aus der Mode gekommene Klamotten und Scherzspielkarten, die ich für sie gekauft hatte. Am liebsten hätte ich sie dem Aufseher ins Gesicht gepfeffert. Stattdessen murmelte ich »Danke« und nahm die Tüte mit meinen Habseligkeiten entgegen.
Ich zog die Klamotten an - bis auf den Binder, auch wenn die Versuchung groß war. Die Jeans war mir zu kurz, das T-Shirt spannte über der Brust und an den Oberarmen. Ich blickte in den Spiegel und verzog das Gesicht. In den zu kurzen Hosen und dem zu kleinen Shirt sah ich aus wie eine tätowierte Wurst mit aufgeplatzter Pelle.
Nachdem ich mich angezogen hatte, kehrte ich in den Eingangsbereich zurück. Mürrischer Wärter #1 hatte nun etwas in der Hand, was aussah wie ein Tacker.
Das gefiel mir nicht.
Er deutete auf meine rechte Hand, die ich ihm vorsichtig entgegenstreckte. Daraufhin packte er sie und zog sie zu sich hin. Mit einem scharfen Geräusch durchstach das Gerät die Haut zwischen Daumen und Zeigefinger.
Ich zuckte zusammen.
Er ließ meine Hand los. »Ab jetzt stehst du immer unter Beobachtung, also benimm dich.«
Das gefiel mir ganz und gar nicht.
Mürrischer Wärter #2 führte mich zum Ausgang. »Alles Gute, Morikawa«, sagte er mit einem höhnischen Unterton.
Ich sah ihn an. »Und wie zum Teufel soll ich jetzt nach Hause kommen?«
»Nicht mein Problem«, erwiderte er und schob mich ohne ein weiteres Wort aus der Tür.
Dann war ich auf einmal draußen.
Auf dem Felsenplaneten, den die Kepler-Raumstation umkreiste, war es immer kalt. Ein wertloser Brocken, auf dem es nur das Gefängnis und ein bisschen Tagebau gab. Der Landeplatz war mit Schlaglöchern übersät, hier und da lagen schmutzige Schneehaufen, die vom ewigen Hin und Her aus Tauwetter und winterlicher Kälte schon völlig vereist waren. Überraschenderweise hingen an den heimischen Bäumen noch ein paar Blätter. Am Nachthimmel zogen Wolken dahin und der eisige Wind biss mir in die nackten Arme.
Mit einem Mal holte mich die Wirklichkeit ein.
Bis eben wäre ich nicht erstaunt gewesen, wenn der Gefängnisdirektor plötzlich aus dem Gebüsch gesprungen wäre und über mein erschrockenes Gesicht gelacht hätte, während die Wärter mich wieder zurück in meine Zelle geschleift hätten. Doch jetzt verschwand mein Misstrauen und ich entspannte mich. Vielleicht war das einem verzweifelten Optimismus geschuldet - vielleicht blendete mich aber auch nur die Sehnsucht danach, die Leere in meinem Leben zu füllen. Doch fürs Erste genoss ich meine neu gewonnene Freiheit.
Ich atmete tief durch. Die Wärter hatten mich immer durch die Schächte der uralten, modrigen Belüftungsanlage kriechen lassen, damit ich sie reparierte. Und wenn ich im Gefängnis Wände und Böden schrubbte, war mir jedes Mal vom chemischen Geruch der starken Reinigungsmittel schlecht geworden. Hier draußen atmete ich dagegen die kalte, nicht recycelte Luft des Felsenplaneten, die nur leicht nach öligem Rauch und Benzin roch.
Ich war draußen. Nach acht langen, beschissenen Jahren.
Und ich wusste sofort, wen ich zuallererst anrufen musste.
Ich holte mein Telefon aus der Tasche. Das letzte Mal hatte ich vor zwei Wochen mit meiner Schwester gesprochen - per Gefängnis-Comm, das wir zu festgelegten Zeiten benutzen durften. Da hatte sie mir erzählt, dass ihr der Vermieter im Nacken saß, weil sie mit der Miete im Rückstand war. Wenn also jemand gute Nachrichten gebrauchen konnte, dann sie. Während ich darüber nachdachte, wurde mir immer leichter ums Herz. Ich würde ihr im Haushalt helfen. Ich würde die Kinder zur Schule bringen. Und ich würde mir einen Job suchen - eine richtige, ehrliche Arbeit - und meinen Teil dazu beisteuern, die Rechnungen zu bezahlen. Mit einer vorzeitigen Haftentlassung hätte ich nie gerechnet. Doch jetzt war ich draußen, und die Möglichkeiten erschienen mir endlos.
Aber als ich mein Handy einschalten wollte, blieb es tot. Und all meine Leichtigkeit verschwand mit einem Schlag.
Was nun?
Ich starrte mein Telefon an, versuchte, es mit bloßer Willenskraft wieder zum Leben zu erwecken. Dann hörte ich vom Landeplatz aus einen scharfen Pfiff.
Ich hob den Kopf.
Und sah sie.
Sie war größer, als ich sie in Erinnerung hatte. Vielleicht lag es an den High Heels, die sie zu den schmal geschnittenen schwarzen Chinos trug. Eine weiße Bluse, ein offener Wollmantel, dazu stilvoller Silberschmuck und ein strenger platinfarbener Bob vervollständigten die Erscheinung. Ihre Augen lagen im Schatten, aber ich wusste auch so, welche Farbe sie hatten: das tiefste, dunkelste Braun, das ich je gesehen hatte, fast schwarz.
»Edie«, sagte sie. »Lang nicht gesehen.«
Ich musste eine Menge Willenskraft aufbringen, um nicht gleich wieder rückwärts in Richtung Gefängnis zu marschieren.
Was ihr anscheinend nicht...
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