Schweitzer Fachinformationen
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II
Freundschaft
15
Ich befand mich zu der Zeit gerade in einer Depression. Mutter war tot, meine kleine Schwester verschwunden und mein Vater lag noch auf dem Ziegelhaufen. Mit einem Wort, ich hatte meine Familie und Nächsten verloren, wie auch mein Schlafquartier, und ich war schmerzerfüllt. Ich sparte die Hälfte von dem auf, was mir Familien Zhao und Yu zu Essen gaben, und brachte das ins Lagerhaus. Mein Vater aß aber nicht, was ich ihm gebracht hatte. Auch das nicht, was ich heimlich hinstellte, als er eingeschlafen war. Er tat so, als ob die Lebensmittel vergiftet waren. Er roch kurz daran und schmiss das Essen auf schroffe Weise weg, ohne daß es ihm in der Seele weh tat und ohne auch nur in Erwägung zu ziehen, daß ich das Essen mit meinem eigenen Hunger gezahlt hatte. Er verzehrte nur die vom Onkel Zhao und Onkel Yu geschenkten Speisen, wie Baozi (gefüllte Teigtaschen), Dampfnudeln und Ölbackstangen, dazu eine Kanne fader Tee.
Mit Altzeitungen und kaputten Bambusmatten wickelte sich mein Vater eng ein, um sich gegen die eisige Kälte zu schützen. Er hatte keinen anderen Ort, den er aufsuchen konnte. Er wollte auch keinen aufsuchen und er war willens, das Lager bis zu seinem Tod nicht zu verlassen. Ich war bei ihm nicht willkommen und konnte nur abseitsstehen und ihn durch die Trennmauer beobachten. Manchmal stand ich da stundenlang und sah bekümmert, wie er sich in Matten eingewickelt auf den Steinen herumwälzte. Er drehte sich wie ein rundes Stück Holz. Auf der unebenen Fläche musste er zigmal versuchen, sich umzuwälzen. Ich wollte ihm einmal helfen, aber er donnerte mich so barsch an, das ihm die blauen Adern am Hals hervorquollen. Er wollte mich sogar mit Steinen bewerfen. Daraufhin konnte ich ihm nur von draußen durchs Fenster zuschauen. Ich ließ so meine Nase und Ohren vom Wind rot und meinen Körper steif blasen. Ich wollte, der Nordwind bliese noch stärker. Mein Herz konnte es besser vertragen, wenn mein ganzer Körper kalt und empfindungslos wurde. Mir war, als würden sich meine Sünden auf diese Weise minimieren.
An einem Nachmittag kamen mehr als zehn Bauarbeiter mit Werkzeugen in das Lager. Mit zusammengekniffenen Augen zogen sie gerade Linien für die Umbauarbeit im Lager. Danach rührten sie in der Hausecke Zement an. Dann prüften sie, mit dem Ziegelmesser in der rechten und den Hammer in der linken Hand, ganz genau alle Steine. Neben der Kontrolle der Steinfläche wogen sie das Gewicht in der Hand. Die Genauigkeit musste stimmen. Es war als prüften sie dabei Talente, streng wie bei einer politischen Prüfung, im Bedenken, daß die Steine ungenau sein könnten und somit ihre Arbeit störten. Die den Maßen nicht entsprechenden Steine warfen sie aus dem Fenster. Den brauchbaren Steinen schlugen sie die Erde weg, strichen neuen Zement darauf und bauten entlang der geraden Linie eine Bank. Der Sonnenschein fiel durch die Dachziegel auf ihre Hände, Steinmesser und Nasen. Er änderte ständig seine Position und folgte ihren fortbewegenden Körpern. Es sah aus, als ob er ständig in Bewegung war, nicht die Arbeiter. Im Lager herrschten dicker Staub und ohrenbetäubende Hammerschläge. Die alten Steine leisteten ihren Beitrag für die neuen Epochen. Aus Abfall wurde wertvolles Baumaterial.
Während sich die Reihen der fertigen Steinbänke vermehrten, blieb in der Ecke der letzte Haufen der Altsteine zurück. Mein Vater schlief darauf. Mit jedem weggezogenen Stein durch die Bauarbeiter änderte sich die Lage seines Körpers, der ständig nach unten sank. Am Schluss lagen seine Füße fast auf dem Boden, während sein Kopf noch hoch lag. So zu sagen, es lag die meinen Vater umwickelnde Matte jetzt schief. Die neben ihm abgestellten Schüsseln aus Porzellan und die Wasserkanne rollten mit einem Krach zu Boden. Wasser wurde verschüttet und die Dampfnudeln fielen raus. Die eingerollte kaputte Matte sprang plötzlich auf. Zum Vorschein kam mein Vater mit seinem stoppeligen Gesicht. Nun muss erwähnt werden, daß es die Matte der Familie Bergfluss´ war, mit der wir die Hunde umzingelt hatten. Jetzt umgab sie meinen Vater. Die Bauarbeiter schmissen ihre Steinmesser weg, setzten sich auf die fertigen Bänke und fingen an zu rauchen. Rauch und Stau schwebten über Ihren Köpfen. Sie diskutierten mit leiser Stimme, ob sie meinen Vater wie einen Stein raus schmeißen sollten?
Schließlich standen sie alle auf, spuckten die Zigarettenstummel aus und wischten den Zement von ihren Händen ab. Sie trugen die Matte mitsamt meinem Vater aus dem Lager. Mein Vater wälzte sich darauf, die wie eine Schaukel schwankte, strampelt mit den Beinen und schrie: "Nein! Lasst mich hierbleiben. Ich will zuhause sterben! Gebt mir noch einige Tage, ich brauche noch etwas Zeit. Ich zeige euch, wie ich sterbe. Ich stoße meinen Kopf gegen die Wand, sobald ich aufstehen kann. Oder ich erhänge mich, wenn ich hoch klettern kann. Wenn ihr noch Mitleid habt, so macht ihr mir eine Schlinge und legt sie um meinen Hals. Ich bitte euch..."
Draußen warfen die Arbeiter meinen Vater wie einen toten Hund auf eine Holzkarre, deren Fläche schief stand. Dabei drehte sich die Karre mit ihm darauf in einem halben Kreis. Ein dicker, grober Arbeiter brüllte mich an: "Schieb ihn zur Fabrik Nr. 3." Mein Vater schrie aus vollem Hals: "Nein! Nein!" Das war gerade im Winter, in dem der Nordwind kräftig blies. Seine Nase war schnell weiß gefroren, seine Lippen waren bleich geworden und sein Ruf wurde immer schwächer, bis er zum Schreien keine Kraft mehr hatte. Er schloss die Augen und schlief ein. Ich zog meine Jacke aus, deckte ihn damit zu und zog den Wagen zur Fabrik Nr. 3.
Auf der Straße bewegten sich die Menschen und Wagen hin und her, ohne daß ich ihre Stimmen und Geräusche hörte und sie richtig wahrnahm, als wären sie alle Schatten. Auf dem Boden, bedeckt mit halbgetrockneten und halbnassen Blättern, rollten die Räder der Busse ohne scheinbar ein Geräusch von sich zu geben. Nur die von mir gelenkte Karre zermahlte knirschend die gelben Blätter. Für mich war es das erste Mal, so eine schwere Karre zu ziehen. Nach wenigen Schritten war ich in Schweiß gebadet. Der Wind, der heftig blies, wurde immer kräftiger. Meine Beine strengten sich maximal an, bis sie nach kurzer Zeit schmerzten. Wenn es abwärts ging, zog mich die Karre nach vorne, aufwärts drückte mich die Karre nach hinten. Meine Hände wurden taub und schmerzten. Ich konnte es nicht mehr aushalten. Genau in dem Moment fühlte sich die Karre plötzlich leichter an. Ich drehte meinen Kopf und sah, wie Weiherchen, weißen Rauch aus dem Mund hervorstoßend, ihre Hände auf das hintere Gerüst stützte und mit großer Anstrengung den Wagen mit voran schob. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Ihr Gesicht wirkte rötlicher als sonst.
Weiherchen hieß Chi Feng-xian. Gewöhnlich nannte man sie Weiherchen. Sie war das dickste Mädchen in meiner Klasse. Der Grund dafür ergab sich, daß ihr Vater der Direktor der Lebensmittelstation war. Sie hatte daher mehr Gelegenheit, Fleisch zu essen. Aber die Vorstellung von Korpulenz war damals völlig anders als heute. Das Dick von damals gleicht jetzt dem Normal, das heißt, im Durchschnitt ein bisschen korpulenter. Gerade weil sie etwas voller war, wirkte Weiherchen reifer als alle anderen Mädchen. Ihr rundes Gesicht erinnerte uns daran, als wir einen Satz mit "rötlich" bildeten, daß sie sich satt essen und warm anziehen konnte.
Mit Ziehen und Schieben brachten wir die Karre schließlich in die Fabrik Nr. 3. Eine große Anzahl Menschen hatte sich versammelt. Mein Vater öffnete die Augen: "Wo ist das hier? Wer seid ihr? Ob man mit der Verurteilung abwarten kann, bis ich wieder gesund werde?"
"Langwind, ich bin Willfreund Hu." "Ich bin Goldtal Xie."
"Ich bin Breitmeer Liu."
Die Namen klangen einer nach dem anderen laut, aber wie aus weiter Ferne. Gerührt stiegen meinem Vater die Tränen in die Augen. Weiherchen und ich wurden durch die Menschenmenge an den Rand gedrängt und standen außer Atem daneben. Weiherchen nahm ihr Taschentuch und wischte mir den Schweiß ab, ohne mich zu fragen, ob ich damit einverstanden wäre. Vor Angst drehte ich meinen Kopf ab. Sie sagte: "So viel Schweiß, warum wischst du dich nicht ab?" Ich schüttelte den Kopf und mied dabei ihre Augen.
16
Ich sah oft, daß sich Weiherchen Mund und Nase mit dem Taschentuch zudeckte, sowohl im Unterricht, bei Unterhaltungen, als auch im Gehen, als hätte sie Angst vor einem bestimmten Geruch. Eines Tages fragte sie mich, indem sie sich Nase und Mund wie gewöhnlich zudeckte: "Guang-xian, wo wirst du dich auf dem Lande niederlassen?"
"Ich weiß es nicht. Wenn ich das wählen kann, werde ich mir den Kreis Himmelsfreude aussuchen."
"Bist du sicher?"
"Auf jeden Fall will ich nicht woanders hingehen."
Einige Tage später sagte mir Weiherchen, wieder sich mit ihrem Taschentuch zudeckend, "ich weiß jetzt, warum du in den Kreis Himmelsfreude willst."
"Warum?"
"Weil der Artikel in der Zeitung über diesen Kreis wirklich sehr schöngeschrieben ist."
Der von Weiherchen erwähnte Artikel wurde im Beiblatt der Provinzzeitung veröffentlicht, unter dem Titel: "Vor Allem ist die Landschaft im Kreis Himmelsfreude ausgezeichnet". In jenen Jahren waren alle damit beschäftigt, Parolen zu rufen und passten auf große Ereignisse auf. Nicht viele Leser beachteten eine kleine Prosa in der Zeitungsecke. Das Taschentuch konnte nicht länger den Freudetaumel von Weiherchen...
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