Schweitzer Fachinformationen
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So eine Trauerfeier hat man selten - keine einzige Träne wurde vergossen.
Die Trauerfeier für meine Mutter ist das Ereignis des Jahres, vielleicht sogar ihres gesamten Lebens.
Die zahlreichen Fans, die sich vor dem St. John's Memorial Center drängen, haben keine Ahnung. Sie halten den Andrang für echt. Sie wissen nicht, wie viel Geld in die PR fließt, für Influencer, Klatschkolumnen und Buchblogger.
Seit Moms Tod stehen ihre Bücher wieder an der Spitze der Bestsellerlisten.
Ja, Mom, schau nur! Du bist tot und trotzdem kassieren alle weiter ab.
Die Zeitungen letzte Woche haben sich auf ihren Tod gestürzt und eine verrückte Theorie nach der anderen präsentiert.
E. V. RENGE: TRAGISCHER TOD AUF DEM HÖHEPUNKT IHRER KARRIERE. WAR ES EIN UNFALL ODER .
Deswegen lungert auch dieser Typ im Hintergrund herum. Mittleres Alter, mit seltsamem Schnauzbart, Anzug und Krawatte.
»Das ist eine private Veranstaltung. Bitte gehen Sie«, zischt Grandma.
Kaum hat sie sich umgedreht, ist ihr gezwungenes Lächeln verschwunden.
Man braucht keinen Röntgenblick, um das Holster unter seinem Jackett zu erkennen - er ist von der Polizei. Vor zwei Tagen ist er bei uns aufgekreuzt. Kaum hatte ich die Tür aufgemacht, fragte er mich über Mom aus, bis Grandma wie eine wildgewordene Henne angerannt kam.
»Mackenzie, lass uns bitte allein«, befahl sie und drängte sich zwischen uns. Sie schnauzte den Polizisten an: »Sie sollten sich schämen - ein Kind auszufragen, das gerade seine Mutter verloren hat.«
Jetzt schickt sie ihn erneut fort.
In den Zeitungen und Blogs wird seit Tagen wie wild über Moms Tod spekuliert. Die Wahrheit ist, wie die Ermittlungen ergaben, viel banaler - Mom stolperte, stürzte und schlug im Fallen mit dem Kopf gegen einen Stein, als sie im Wald hinter unserem Haus ihren üblichen Morgenspaziergang machte.
»Ein Unfall«, hieß es. Zufälligerweise wimmelt es in Moms Büchern von solchen Unfällen.
Damit das niemand falsch versteht: Manche Leute trauern womöglich wirklich.
Laima Roth, diese Bitch, die sich gerade mit Moms Verleger unterhält, als ob wir bei einem ganz normalen Business-Meeting wären? Bestimmt. Sie arbeitet seit über zwanzig Jahren als Moms Agentin. All die Bücher, die die beiden noch geplant hatten, kann sie jetzt vergessen. Aber sie wird bestimmt noch aus den Sonderausgaben Kapital schlagen - Special Editions mit Farbschnitt, Schuber und was nicht alles. Die Quelle wird nie versiegen.
Wir haben Mom vor einigen Tagen in aller Stille beigesetzt, im ganz kleinen Kreis. Aber auch da hat niemand geweint.
Die Trauerfeier heute ist für die Öffentlichkeit - oder für »Freunde«, wie es so schön heißt. Um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Respekt und Ehrerbietung standen auf Moms Liste ziemlich weit oben, aber Freunde? Ich bin mir nicht sicher, ob sie überhaupt echte Freunde hatte. Wenn man allerdings die eloquenten Trauerreden hört, die seit zwei Stunden gehalten werden, könnte man meinen, sie sei Shakespeare persönlich gewesen.
Auf den Straßen draußen drängen sich die Leute, aber in der vollen Andachtshalle ist es gespenstisch still. Selbst das leiseste Flüstern hallt an den Wänden wider.
An der Stirnseite ist ein gigantisches Porträt von Mom als Autorin aufgestellt, in einer Spitzenbluse mit hohem Kragen, im Hintergrund rote Rosen. Darunter steht E.V. Renge. Der schräge Fotograf, den der Verlag angeheuert hat, fotografiert es aus jedem möglichen Winkel. Mit Verleger, mit Agentinnen und mit Dad. Ich sollte auch daneben posieren, aber ich habe abgelehnt.
Ihr könnt mich alle mal.
Auf der anderen Seite ist ein Bild von Mom in ihrem Arbeitszimmer.
Geschminkt und gestylt. Trotzdem wirkt sie irgendwie verträumt, wie sie da vor ihrem Bücherregal sitzt. Unter diesem Porträt steht ihr richtiger Name, Elizabeth Casper. Das ist die Version für andere Quellen wie zum Beispiel die Lokalzeitung, die Kirche, in die Grandma geht, und die Wohltätigkeitsorganisationen, die Mom unterstützt hat.
Ich stehe ganz hinten, weit weg von diesem Spektakel, neben meinem Grandpa, den das alles genauso wenig interessiert wie meine Mutter, als sie noch lebte. Ihm ist auch egal, wie ich aussehe oder was ich anziehe.
Grandma sieht das natürlich anders. Zu Hause hat sie mich noch gebeten, auf meinen üblichen schwarzen Lippenstift und den dunklen Eyeliner zu verzichten.
»Und zieh dir was Passendes an.«
Ich trage fast immer Schwarz. Zufällig genau das Richtige für eine Trauerfeier. Genau wie mein dunkler Eyeliner und der schwarze Lippenstift, auf die ich nicht verzichte.
Grandma trägt natürlich Dior und teuren Schmuck. Und legt großen Wert darauf, mit allen Anwesenden zu sprechen.
Dad hat sich in einen eleganten schwarzen Anzug geworfen und sieht umwerfend aus. Er schmollt ein bisschen, wahrscheinlich fehlt ihm der Alkohol. Seine Eltern leben nur vier Autostunden entfernt, aber nach Moms Tod haben sie sich für ein paar Tage bei uns einquartiert. Grandma hat ein Auge auf Dad, damit er nicht zu früh am Tag mit dem Trinken anfängt. Kaum war Mom weg, hat sie das Zepter an sich gerissen.
Und ich? Ich würde gern weinen, wirklich, aber noch kann ich das nicht. Ich möchte um sie trauern, hatte aber immer das Gefühl, dass Mom sich nie wirklich für mich interessierte. Ich war deswegen zunehmend verbittert. In den letzten Jahren haben wir uns immer weiter voneinander entfernt.
Mein bester Freund EJ sagt, ich würde die Trauer verdrängen. Vielleicht bin ich auch einfach herzlos. Ich habe EJ gebeten, nicht zu kommen, weil ich nicht wollte, dass mein bester Freund sieht, wie verkorkst mein Leben zur Zeit ist - aber eigentlich ist es schon verkorkst, so lange ich denken kann.
Er kommt heute Abend, bei uns zu Hause gibt es einen Empfang für den »engsten Kreis«. »Das Leben feiern« nennt sich das.
Ich schaue mich um und zucke peinlich berührt zusammen, als ich sehe, wie der Rektor meines Colleges Kurs auf Dad nimmt und ihm die Hand gibt. Ich verdrehe die Augen und schaue schnell weg. Mom hat sich immer an ihn rangewanzt. »Für deine Zukunft«, hat sie gesagt. Sie hielt sogar einen Vortrag an meinem College und spendete fleißig Geld. Ich wäre nicht überrascht, wenn sie ihr ein Denkmal errichten würden.
Moms Therapeut ist auch da. Zwei Verlagsleute. Ihre drei Assistentinnen. Der Anwalt der Familie. Die meisten »Freunde« sind einfach Leute, mit denen sie zusammengearbeitet hat.
Ich würde gern weinen, wirklich, aber ich kann nicht. Die ganze letzte Woche, seit ihrem Unfall, seitdem ich wieder zu Hause wohne anstatt in meiner kleinen Wohnung in der Stadt, musste ich ständig an sie denken. An uns, unsere kleine kaputte Familie: Ich war traurig, aber eben nicht so traurig, wie ich es vermutlich sein sollte.
Dad schaut auf sein Handy und geht eilig zur Tür. Dort steht ein Mann mit einer Baseballcap, der sich umdreht und nach draußen geht. Dad folgt ihm.
Das wäre die Gelegenheit, Dad zu sagen, dass ich Kopfweh habe und kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehe - lauter Lügen natürlich, aber ich halte es hier echt nicht mehr länger aus. Meine Gefühle wirbeln wild durcheinander, ich kann sie nicht richtig einordnen. Ich will vor allem weg von den vielen Leuten.
Ich trete hinaus in den leeren Vorraum, der in einen kleineren Gang mündet. Am anderen Ende redet Dad mit dem Fremden.
Ich bin schon auf den Weg zu den beiden, als ich ein unterdrücktes Flüstern höre: »Du Dreckskerl.«
What the hell?
Ich trete schnell zurück in die Türöffnung. Von dort kann ich die beiden zwar nicht sehen, aber gut hören.
»Nicht hier«, zischt er. »Dass du dich überhaupt hertraust!«
»Hertrauen? Ich habe ein Recht, hier zu sein.«
»Verpiss dich. Sofort.«
Der Mann lacht leise in sich hinein. »Ahnt sie schon irgendwas?«
»Wer?«
»Mackenzie.«
Bei der Erwähnung meines Namens klopft mein Herz schneller.
»Lass meine Tochter aus dem Spiel.«
»Aha, sie weiß also nichts? Kluger Schachzug, Benny-Boy.«
Benny-Boy? Mein Vater? Wer zum Teufel nennt ihn so?
»Hau ab, hast du nicht gehört?« Dad klingt verzweifelt. »Geh . einfach. Wir reden später.«
Ich mache einen Schritt vor, um einen Blick auf die beiden zu erhaschen. Der Holzboden unter dem Teppich knarzt. Er knarzt verdammt laut.
Shit.
Ich verharre reglos wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Schritte nähern sich, dann steht Dad vor mir. Als er mich sieht, wirkt er alarmiert.
»Worum ging es da gerade?«, frage ich und spähe in den Gang, aber der mysteriöse Fremde ist verschwunden.
Dad streicht sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Nichts.«
»War das ein Streit?«
»Nein, Kleines, wir haben uns nur unterhalten.« Er greift in die Innentasche seines Jacketts und holt einen Flachmann heraus.
»Kennst du den Mann?«
Dad nimmt einen nervösen Schluck und atmet langsam aus. »Ich habe ihn noch nie gesehen.«
Das ist eindeutig gelogen.
Er steckt den Flachmann zurück in die Tasche und zwinkert mir zu....
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