Kapitel 1
Keira
Beim Anblick seiner stahlgrauen Augen zerbrach etwas in mir. Es waren dieselben und doch wieder nicht. Acht Jahre und gute zwei Monate war es her, dass wir uns zuletzt gesehen hatten. Dass einer meiner Träume zerplatzt war wie eine Seifenblase. Ganz abgesehen davon, dass es einer der schlimmsten Tage meines Lebens gewesen war, als ich eingesehen hatte, versetzt worden zu sein, und mich allein auf den Heimweg gemacht hatte.
Ich hätte nie gedacht, dass unser Wiedersehen derart wehtun könnte. Doch das tat es. Ich konnte mir nur nicht beantworten, ob es daran lag, dass alte Erinnerungen wieder hochkamen, die ich mühsam verdrängt hatte, oder dass ich verdammt noch mal rechnen konnte. Seine Frau Darleen hatte ihn mit den Kindern sitzen lassen. Aber erst vor einem Jahr.
Vor. Einem. Jahr. Nicht vor acht, als Tristan und ich drauf und dran gewesen waren, etwas miteinander anzufangen. Offenbar ohne dass ich etwas über ihn wusste. Seinen Nachnamen eingeschlossen, sonst hätte ich bereits zu Beginn des Bewerbungsgesprächs das Weite gesucht.
Mit seinen Kindern hatte ich nach wie vor Mitleid. Wie ich es auch während meines Probearbeitens für Tristan verspürt hatte. Bis ich ihn gerade »kennengelernt« hatte, nachdem er von seiner fast zweiwöchigen Geschäftsreise zurück gewesen war.
Ich hatte mir meinen Teil gedacht, als ich von Thomas, dem Großvater der Kinder, darüber aufgeklärt worden war, dass er sich um die Suche der Nanny kümmerte, um Tristan zu entlasten. Mit ihm hatte ich alles besprochen, und er hatte mir erzählt, was ich wissen musste - und das war einiges. Er hatte mir auch versichert, dass Tristan im Normalfall höchstens für ein paar Tage unterwegs war, und das nur, wenn es sich nicht verhindern ließ. Dennoch kam er als alleinerziehender Vater von gleich drei Kindern nicht umhin, hart zu arbeiten. Das konnte ich nachvollziehen. Trotzdem war es mir ein wenig leichtfertig vorgekommen, dass er den gesamten Prozess, bis auf das Unterzeichnen des Vertrages, aus der Hand gegeben hatte. Andererseits zeigte es, wie sehr Tristan und Thomas sich vertrauten - und das war irgendwie auch etwas Schönes.
Nur die Tatsache, dass ich eine Woche nach dem Kennenlernen der Kinder einfach wieder gehen konnte, statt den Vertrag zu unterschreiben, fand ich unverantwortlich. Weil ich wusste, dass es bereits viele Nannys vor mir gegeben hatte, fühlte es sich falsch an, sie jetzt sitzen zu lassen. Außerdem hatte ich lange nach einem Job gesucht, der gut bezahlt war und mir trotzdem eine gewisse Freiheit bot, was die Gestaltung meines Arbeitstages betraf. Es würde sich zeigen, inwieweit sich dieser Wunsch erfüllte, wenn er auf die Realität traf, doch fürs Erste war ich zumindest dahingehend optimistisch.
Daran änderte auch die böse Überraschung nichts, die Tristan in gewisser Weise darstellte. Ich hätte mir nie träumen lassen, ihm wieder zu begegnen. Schon gar nicht unter solchen Voraussetzungen.
Nun stand er vor mir. In seinem schicken Designeranzug, das Jackett lässig über den Arm gehängt und den obersten Knopf seines Hemdes geöffnet. Seine ausgeprägte Kinnpartie wurde von einem Dreitagebart ein wenig kaschiert. Normalerweise konnte ich Bärten nicht viel abgewinnen, aber bei Tristans Anblick wurde mir der Mund trocken. Obwohl er so kühl wirkte, war er verdammt heiß.
Schnell brachte ich meine Gedanken dazu, sich in eine andere Richtung zu bewegen. Ich wollte keine Vergleiche anstellen oder auf die Idee kommen, dass er mir heute sogar noch besser gefiel als damals.
Bei unserem letzten Treffen mussten seine Söhne fünf und sechs Jahre alt gewesen sein. Dass ich nichts von ihnen gewusst hatte, war okay. Es war vermutlich eine Information, die er nicht jedem auf die Nase band.
Doch dass er vor acht Jahren beinahe seine Frau mit mir betrogen hätte, verstieß gegen meine Prinzipien, und wäre es mir damals bewusst gewesen, hätte ich ihn dafür verachtet. Zu diesem Zeitpunkt hatte er keinen Ring getragen, heute schon. Ich musste ein ungläubiges Lachen unterdrücken, während ich ihm gleichzeitig am liebsten eine Ohrfeige verpasst hätte. Allerdings war jetzt nicht der richtige Augenblick, um dieses Thema anzuschneiden. Schon gar nicht, als mir dämmerte, dass Tristan mich nicht einmal erkannte. Immerhin hatte er nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als mir bei seinem Anblick die Kinnlade heruntergeklappt war. Und es war erst recht nicht der beste Zeitpunkt, wenn ich bedachte, wie dringend ich diesen Job brauchte.
Ich musste meine Klappe halten. Jetzt und am besten für immer. Scheinbar hatte ich ohnehin keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Sein Blick huschte über mein Gesicht, bevor er wie magisch von einem Fleck auf meinem Shirt angezogen wurde. Eine Augenbraue schob sich in die Höhe, als würde er sich fragen, ob ich imstande war, mich um seine Kinder zu kümmern, wenn ich nicht einmal saubere Klamotten trug. Ignorierten wir die Tatsache, dass das seiner Tochter zu verdanken war, hätte ich ihm vielleicht zugestimmt. So aber war ich froh, dass nur mein Oberteil möglicherweise irreparable Schäden in Form karottenroter Flecken erlitten hatte. Aber wer war auch so clever, ein weißes Shirt zum Babysitten anzuziehen? Layla hatte heute viel Wert darauf gelegt, ihr Gemüse mit jedem Gegenstand bekannt zu machen, der sich in Wurfweite befunden hatte. Inklusive mir, den cremefarbenen Rosen auf der Theke und einem der Landschaftsfotos an der Wand.
Nach endlosen Sekunden streckte er mir die Hand entgegen. »Tristan Singer. Nett, Sie kennenzulernen.«
Nett? Wow! Ich wollte weglaufen, so distanziert klang seine Stimme. Und dennoch ging sie mir durch und durch. Schon wieder und trotz dessen, was mir in den letzten Minuten klar geworden war. Diesem Typen hatte ich zuerst viele Nächte mit heißen Träumen zu verdanken gehabt, danach mindestens genauso viele tränenreiche. Hatte ich mich damals vielleicht lächerlich gemacht, als er mit mir geflirtet hatte? War es ihm gar nicht so ernst gewesen? Mit einem tiefen Atemzug drängte ich die Fragen zurück und ergriff stattdessen seine Hand. »Keira Morris.«
Er schien nichts von meinen tobenden Gedanken zu bemerken, denn er fuhr einfach fort: »Auf dem Heimweg habe ich mich bereits mit Thomas kurzgeschlossen. Wie kommen Sie mit den Kindern zurecht?«
Leider nicht so gut, wie ich es mir erhofft hatte. Allerdings hatte ich mich schon immer lieber mit jüngeren Kindern beschäftigt. Bereits bei meinen Praktika während des Studiums hatte ich gemerkt, dass mir das mehr lag. Zu Beginn meines Berufslebens hatte ich in einem Kinderheim gearbeitet, aber es hatte sich schnell herausgestellt, dass ich nicht in eine solche Einrichtung passte. Allein schon deshalb, weil ich jedes Mal ein kleines Stück mehr zerbrochen war, wenn ein neues Kind mit einer traurigen Geschichte dazugekommen war. Oder eine Vermittlung nicht geklappt hatte, obwohl sie alle endlich einmal ein klein wenig Glück verdient gehabt hätten. Seitdem hatte ich bei ein paar Familien die kleinen Kinder betreut, bis sie in die Vorschule gekommen waren. Doch egal, wo ich bisher gewesen war, meist waren es deutlich weniger Stunden gewesen, als ich gebraucht hätte, oder die Bezahlung hatte sich an der unteren Grenze, zu der ich zu arbeiten bereit war, bewegt. Hier war nichts davon der Fall. Im Gegenteil, ich würde genug Geld verdienen, um den einen oder anderen Dollar beiseitezulegen. Dass ich dafür auf zwei Jungs im Teenageralter aufpassen musste, war mir als annehmbar erschienen. Ich war dennoch sehr glücklich darüber, seine kleine Tochter als Ausgleich zu haben.
Wenn ich ehrlich war, hatte ich einen Haken an der ganzen Sache erwartet. Bei dem Gehalt, das mir in Aussicht gestellt worden war, konnte es nicht anders sein. Ich hatte auch keine zwei Stunden gebraucht, um zu erkennen, dass Joel und Luke richtige Unruhestifter waren. Was ich bei Antritt meines Probearbeitens jedoch nicht gedacht hatte, war, dass sogar ihr Vater eine Herausforderung darstellen würde. Vielleicht war es auch nur, weil ich wusste, wie sehr er sich verändert hatte. Nichts erinnerte mehr an den humorvollen Sportler, als den ich ihn kennengelernt hatte. Und das konnte ich sagen, nachdem ich keine fünf Minuten mit ihm in einem Raum verbracht hatte. Wenn er mich wirklich nicht erkannt hatte, verhielt er sich vielleicht allen gegenüber so distanziert. Zumindest ich empfand so etwas auf Dauer als anstrengend und machte mir ständig Sorgen, etwas falsch gemacht zu haben. Möglicherweise hätte ich sogar schon beim Bewerbungsgespräch die Flucht ergriffen, wenn ich gewusst hätte, wessen Kinder ich da vor mir hatte.
Ich war mir nicht sicher, was die größere Herausforderung sein würde. Für den Mann zu arbeiten, den ich für meinen Traummann gehalten hatte, oder zu wissen, dass nichts mehr von ihm übrig war.
Ich beendete mein Gedankenkarussell, indem ich mich wieder an seine Frage erinnerte. »Layla ist ein Sonnenschein. Die Jungs und ich müssen uns noch etwas aneinander gewöhnen, schätze ich. Aber das wird schon.«
Tristan nickte, als würde ihm das völlig ausreichen. Ich fragte mich, ob es ihm wirklich egal war, wem er seine Kinder anvertraute.
»Ich werde den Vertrag fertig machen. Thomas hat Sie über die Rahmenbedingungen ja bereits aufgeklärt. Wenn es sonst keine Fragen gibt, sehen wir uns morgen um sieben Uhr wieder.«
Ich runzelte die Stirn. Der Großvater hatte mir erzählt, dass im Laufe des letzten Jahres schon einige Nannys gegangen waren. Vielleicht war auch das der Grund, weshalb Tristan sich nicht mehr bemühte als unbedingt nötig. Wenn er davon ausging, dass ich ohnehin nicht lange blieb, war es seine Zeit nicht wert. Im wahrsten Sinne des Wortes. Seinen Stundensatz wollte ich...