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Eine Fischschuppe
Mr McLeod wischte sich einmal mit der Hand über die Stirn, da er schnell schwitzte. Seine Nasenflügel bebten. »Die Wunde wurde von keinem gewöhnlichen Messer verursacht«, bemerkte er heiser. »Das Fleisch ist geradezu zerfetzt.« Er wandte sich an Dr. Hailey. »Miss Gregor kauerte neben ihrem Bett, als man sie fand.« Er hielt inne, das Blut wich ihm aus dem Gesicht. »Die Tür zum Schlafzimmer war von innen verschlossen, die Fenster waren verriegelt.«
»Wie, ein verschlossener Raum?«, entfuhr es John MacCallien.
»Exakt, Colonel MacCallien. Niemand konnte in das Zimmer hinein oder aus dem Zimmer heraus. Ich habe die Fenster persönlich untersucht, ja, natürlich auch die Tür. Man kann diese Fenster nicht von außen verschließen, unmöglich. Und vom Flur aus konnte man die Tür nicht aufmachen.«
Er saß kopfschüttelnd da und hatte die Augen geschlossen, als habe er sich im Stillen an eine höhere Macht gewandt. Kurz darauf sah er wieder Dr. Hailey an. »Die Wunde«, fuhr er fort, »ist an der linken Schulter, dicht an der Halsbeuge. Soweit ich das beurteilen konnte, geht sie drei oder vier Zoll tief ins Fleisch. Eine klaffende Wunde, die so aussieht, als habe jemand mit einer Axt zugeschlagen. Aber seltsam ist, dass offenbar nur wenig Blut aus der Wunde getreten ist. Dr. McDonald aus Ardmore hat die Leiche untersucht und ist der Ansicht, die alte Dame sei eher an den Folgen des Schocks als an der Wunde an sich gestorben. Wie es scheint, litt Miss Gregor seit vielen Jahren an einer Herzschwäche. Ist es richtig, dass in so einem Fall nur wenig Blut fließen würde?«
»Das mag sein.«
»Etwas Blut findet sich auf dem Nachthemd, aber nicht viel. Wirklich nicht der Rede wert.« Mr McLeod nahm noch einen Schluck von dem Whisky. »Ich habe gleich im Präsidium in Glasgow angerufen«, erklärte er, »aber da wir heute Sonntag haben, rechne ich nicht vor morgen Vormittag mit Inspektor Dundas, der sich der Sache annehmen wird. Als ich erfuhr, dass Sie heute Abend hier sind, sagte ich mir: Wenn Dr. Hailey so freundlich wäre, das Zimmer und die Leiche in Augenschein zu nehmen, dann hätten wir am Montagmorgen wenigstens etwas vorzuweisen.« Mit diesen Worten erhob er sich. »Draußen wartet mein Wagen.«
John MacCallien begleitete Dr. Hailey nach Duchlan Castle.
In der Eingangshalle wurden sie von Major Hamish Gregor begrüßt, dem Bruder der toten Frau, den Mr McLeod wie selbstverständlich mit »Duchlan« anredete. Der Duchlan sah wie ein alter Adler aus. Er schüttelte Dr. Hailey erstaunlich kräftig die Hand und äußerte kein Wort. Dann geleitete er John MacCallien in einen Raum unmittelbar neben der Eingangshalle, während Mr McLeod den Doktor nach oben führte.
»Wer weiß, vielleicht hat dieser heftige Schock noch Folgen für ihn«, vertraute der Staatsanwalt seinem Begleiter im Flüsterton an, als sie die Treppe aus Eichenholz hinaufgingen. »Der Duchlan und seine Schwester standen sich nämlich sehr nah.«
Die Treppe endete auf einer Galerie, von der mehrere Flure ins Innere des stattlichen Herrenhauses führten. Sie folgten dem Verlauf eines Korridors und gelangten an eine Tür, an der man erkennbar die Schließvorrichtung entfernt hatte. Mr McLeod blieb stehen und wandte sich dem Doktor zu.
»Das ist das Schlafzimmer, von dem ich gesprochen habe. Abgesehen von dem Schloss wurde hier nichts verändert oder angerührt. Ich bekam einen ordentlichen Schreck, als ich eintrat. Machen Sie sich auf etwas gefasst.«
Dr. Hailey neigte leicht den Kopf und begegnete dem Ernst des Highlanders mit vorsichtiger Zurückhaltung, mit der er nichts preisgab. Die Tür ließ sich geräuschlos öffnen. Dr. Haileys Blick fiel auf eine Frau in einem weißen Nachtgewand, die neben einem Bett kniete. Die Fensterläden waren geschlossen, und das einzige Licht kam von einer Petroleumlampe, die auf einer Frisierkommode stand. Die am Bett kniende Gestalt hatte schlohweißes Haar, das im Schein der Lampe leuchtete. Die Tote sah aus, als wäre sie ins Gebet vertieft.
Der Doktor schaute sich um. An den Wänden hingen, neben vielen Gemälden, gerahmte Stickmustertücher und andere feine Stickarbeiten. Das Mobiliar war alt und schwer: ein großes Himmelbett aus Mahagoni mit Baldachin, ein Waschtisch, der aussah, als sei er eigens für einen Riesen angefertigt worden, des Weiteren ein Schrank, der so trutzig wirkte wie eine Burg. Zwischen all diesen Ungetümen standen hier und dort Stühle mit verblichener Polsterung und kleine Tische, die von den anderen schweren Möbeln geradezu erdrückt wurden.
Dr. Hailey trat an das Bett und besah sich die tote Frau. Der Staatsanwalt hatte nicht übertrieben. Die Waffe hatte das Schlüsselbein der alten Dame durchschlagen. Hailey bückte sich und zog vorsichtig das Nachthemd zur Seite, um das ganze Ausmaß der Wunde zu sehen. Der Ausdruck von Mitgefühl in seinem Gesicht wich Erstaunen. Hailey schaute zurück zur Tür und bedeutete Mr McLeod, zu ihm zu kommen. Er zeigte auf die Brust der Toten, genauer auf eine blasse Narbe, die knapp oberhalb der frischen Wunde ansetzte und sich fast bis zur Herzgegend zog.
»Sehen Sie sich das an.«
Mr McLeod starrte einen Moment auf diese Narbe und schüttelte dann den Kopf. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte er im Flüsterton.
»Es handelt sich um eine alte Wunde. Soweit ich das beurteilen kann, wurde die alte Dame schon einmal vor vielen Jahren verletzt, und zwar genauso ernstlich wie vergangene Nacht.«
»Aber könnte das nicht eine Operationsnarbe sein?«
»Es sind keine Anzeichen von einer Wundnaht zu erkennen. Einstiche einer Naht verschwinden nie ganz.«
Der Staatsanwalt hörte staunend zu. »Ich wusste gar nicht, dass Miss Gregor sich schon einmal verletzt hatte«, sagte er kopfschüttelnd. Er sah, wie der Doktor sein Monokel knapp über der Narbe auf und ab bewegte, um schärfer sehen zu können. Erneut brach ihm der Schweiß auf der Stirn aus.
Als der heisere Ruf einer Eule von draußen durch die Fenster hereindrang, zuckte Mr McLeod erschrocken zusammen.
»Diese alte Verletzung«, sinnierte Dr. Hailey, »wurde der alten Dame mit einer scharfen Waffe zugefügt. Die Wunde ist, wie Sie sehen, gut verheilt, und die Narbe ist so blass, als wäre sie vernäht worden. Schauen Sie nur, wie schmal und sauber sie an den Rändern ist. Eine stumpfe Waffe hätte das Fleisch aufgerissen und eine weitaus hässlichere Narbe hinterlassen.«
Er deutete auf die frische Wunde. »Hier zum Beispiel. Diese Wunde wurde von einer stumpfen Waffe verursacht. Es ist nur eine Vermutung, aber ich würde sagen, dass Miss Gregor vor vielen Jahren von jemandem niedergestochen wurde, der sie ermorden wollte. Die Erfahrung zeigt uns immer wieder, dass Laien das menschliche Herz sehr viel höher in der Brust vermuten, obwohl es tatsächlich mittiger sitzt.«
Der Doktor löste sich aus seiner gebückten Haltung, und als er sich ganz aufrichtete, überragte er seinen Begleiter fast um Haupteslänge. Der Staatsanwalt schaute zu ihm auf und musste unweigerlich an ein Gemälde von Goliath denken, vor dem er sich als Kind immer gefürchtet hatte.
»Mir ist nie zu Ohren gekommen, dass irgendjemand versucht haben sollte, Miss Gregor zu ermorden«, sagte Mr McLeod.
»So, wie John MacCallien über sie sprach, wäre Miss Gregor auch nie und nimmer in den Sinn gekommen, sich selbst das Leben zu nehmen.«
»Wohl eher nicht.«
Der Doktor beugte sich erneut über die Narbe. »Leute, die sich selbst erstechen«, sagte er, »führen einen direkten Stich aus, der für gewöhnlich eine kurze Narbe hinterlässt. Wohingegen Täter, die andere erstechen, schräg nach unten zustechen, was meist zu einer längeren Narbe führt. Diese Narbe ist ziemlich lang, wie Sie unschwer erkennen können. Und sie wird nach unten hin breiter, und genau das ist der Fall, wenn eine Wunde von einem Messer verursacht wird.«
Er hielt das Monokel über eine andere Stelle der frischen Wunde. »Der tödliche Schlag wurde mit starker Gewalt ausgeführt, und ich denke, dass der Täter eine Waffe mit einem langen Griff benutzt hat. Einen stumpfen Gegenstand etwa. Der Mörder stand vor seinem Opfer. Die alte Dame starb an einem Schock, denn hätte ihr Herz weiter geschlagen, hätte die Wunde viel stärker bluten müssen.«
Erneut flog die Eule schreiend am Fenster vorbei, und erneut erschrak Mr McLeod. »Diesen Hieb kann doch nur jemand ausgeführt haben, der nicht ganz bei Sinnen ist«, sagte er mit Nachdruck.
»Das mag stimmen.«
Dr. Hailey nahm eine Wundsonde aus seiner Tasche und untersuchte die Wunde genauer. Dann knipste er eine Taschenlampe an und richtete den Strahl auf das Gesicht der alten Frau. Er vernahm ein Keuchen von Mr McLeod. Die Stirn wies Streifen auf, die darauf schließen ließen, dass Miss Gregor kurz vor ihrem Tod die Finger mit ihrem eigenen Blut befeuchtet hatte. Hailey ging auf ein Knie und nahm die rechte Hand der Dame, die so verkrampft war, dass er die Finger nur gewaltsam zurückbiegen konnte. Er sah, dass die Fingerkuppen...
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